Entscheidungsdatum
04.11.2020Norm
BFA-VG §22a Abs4Spruch
G303 2231675-1/17E
SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 12.06.2020 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Einzelrichterin in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung der Anhaltung in Schubhaft des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Afghanistan, zu Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.06.2020, zu Recht erkannt:
A) Es wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Salzburg, vom 16.02.2020, wurde über den betroffenen Fremden (im Folgenden: BF) gemäß § 76 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) iVm. § 57 Absatz 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet.
2. Mit Bescheid des BFA vom 09.08.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 02.12.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt und es wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist. Diese Entscheidung wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.02.2019, Zl. W271 2170813-1/10E, bestätigt und erwuchs am 25.02.2019 in Rechtskraft. Die Frist für die freiwillige Ausreise endete am 11.03.2019.
3. Am 25.10.2019 wurde ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates (HRZ) eingeleitet und leistete der BF einer Ladung zu einem Botschaftstermin am 15.11.2019 bei der afghanischen Botschaft nicht Folge.
4. Der BF versuchte in weiterer Folge illegal nach Deutschland weiterzureisen und wurde am XXXX .02.2020 aufgrund einer Einreiseverweigerung Deutschlands durch Beamte der österreichischen Polizei rückübernommen. Der BF befindet sich seit XXXX .02.2020 in Schubhaft.
5. Am 21.02.2020 stimmte die afghanische Botschaft dem Antrag zur Erlangung eines HRZ zu und stellte am 28.02.2020 ein unbefristetes HRZ aus.
6. Am 25.02.2020 stellte der BF im Stande der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Schubhaft auf § 76 Abs. 6 FPG gestützt.
7. Mit mündlich verkündeten Bescheid des BFA vom 20.03.2020 wurde der faktische Abschiebschutz aberkannt. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.03.2020, Zl. W144 2170813-2/3E wurde die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes für rechtmäßig erklärt.
8. Am 05.06.2020 wurde vom BFA, RD Salzburg, der Bezug habende Verwaltungsakt übermittelt. Im Zuge der Aktenvorlage wurde vom BFA eine begründete Stellungnahme zur amtswegigen Prüfung erstattet.
9. Mit Schreiben vom 11.06.2020 teilte der bevollmächtigte Rechtsvertreter, Deserteurs- und Flüchtlingsberatung, des BF mit, dass der BF über ein soziales Netzwerk verfüge, das ihn jedenfalls unterstützen könne. Herr XXXX , wohnhaft in XXXX könne dies bezeugen.
10. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der gegenständlichen Rechtssache am 12.06.2020 in der Außenstelle Graz eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der BF nach polizeilicher Vorführung aus dem Anhaltezentrum (AHZ) Vordernberg, ein Dolmetscher sowie eine Vertreterin der belangten Behörde teilnahmen. Nach Schluss der Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündet.
11. Mit Schreiben vom 26.06.2020 beantragte der bevollmächtigte Rechtsvertreter die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.
12. Mit Schreiben vom 14.07.2020 wurde seitens des bevollmächtigten Rechtsvertreters die Auflösung des Vollmachtverhältnisses bekannt gegeben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Er verfügt über kein gültiges Reisedokument oder sonstiges Identitätsdokument.
Der BF verfügt über kein Aufenthaltsrecht in Österreich oder in einem anderen Mitgliedstaat der EU. Der BF reiste rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und stellte am 02.12.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde in zweiter Instanz rechtskräftig am 25.02.2019 negativ entschieden. Gleichzeitig wurde nunmehr eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen. Die Frist zur freiwilligen Ausreise endete am 11.03.2019.
Der BF weist im Bundesgebiet seit 04.02.2016 bis 21.02.2020 mehrere Hauptwohnsitzmeldungen in verschiedenen karitativen Einrichtungen auf.
Am 12.02.2020 wurde durch die belangte Behörde ein Festnahmeauftrag gegen den BF erlassen. Am 15.02.2020 versuchte der BF illegal nach Deutschland einzureisen. Aufgrund einer Einreiseverweigerung der deutschen Bundespolizei sowie eines aufrechten Festnahmeauftrags des BFA wurde der BF am XXXX .02.2020 durch Beamte der österreichischen Polizei rückübernommen und in das PAZ Salzburg gebracht.
Der BF befindet sich seit XXXX .02.2020, XXXX Uhr in Schubhaft, die derzeit im AHZ Vordernberg vollzogen wird. Diese wurde zur Sicherung der Abschiebung mit dem oben angeführten Bescheid angeordnet.
Der BF stellte am 25.02.2020 erneut einen Asylantrag. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Schubhaft auf § 76 Abs. 6 FPG gestützt.
Mit mündlich verkündeten Bescheid des BFA vom 20.03.2020 wurde der faktische Abschiebeschutz aberkannt. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.03.2020, Zl. W144 2170813-2/3E wurde die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes für rechtmäßig erklärt.
Der haftfähige BF ist nicht ausreisewillig. Der BF wurde zu einem Botschaftstermin am 15.11.2019 bei der Botschaft der Islamischen Republik Afghanistan geladen. Dieser Ladung ist der BF unentschuldigt ferngeblieben.
Am 28.02.2020 stellte die afghanische Botschaft ein unbefristetes Heimreisezertifikat aus.
Der BF ist bislang in Österreich keiner regelmäßigen, legalen Beschäftigung nachgegangen, verfügt über keine zur Sicherung seines Lebensunterhaltes ausreichenden Mittel und hat auch keinen gesicherten Wohnsitz. Im Bundesgebiet lebt die Cousine mit deren Familie sowie ein Freund des BF. Weitere familiäre und berufliche Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet liegen nicht vor.
Trotz der bestehenden Einschränkungen, insbesondere im Flugbetrieb, welche aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie bestehen, ist es nach wie vor sehr wahrscheinlich, dass eine Abschiebung des BF nach Afghanistan im Rahmen der zulässigen Schubhafthöchstdauer durchgeführt werden kann.
2. Beweiswürdigung:
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA, und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.
Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht in der mündlichen Verhandlung und auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.
Die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und die angeführte Staatsangehörigkeit beruhen auf den Feststellungen im Schubhaftbescheid und aufgrund der Identifizierung des BF durch die afghanische Botschaft im Rahmen des HRZ-Verfahrens.
Dass der BF über kein gültiges Reisedokument verfügt, konnte aufgrund des unbestrittenen Akteninhalts und des HRZ-Verfahrens festgestellt werden.
Die Feststellung, dass der BF über kein Aufenthaltsrecht verfügt, ergibt sich ebenso aus dem unbestrittenen Akteninhalt, insbesondere durch die rechtskräftige Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes, und konnte durch Einsichtnahme in das Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister getroffen werden.
Die festgestellten Hauptwohnsitzmeldungen beruhen auf Einsicht in das Zentrale Melderegister.
Die Feststellungen zur Einreise sowie den Anträgen auf internationalen Schutz ergeben sich aus dem gegenständlichen Akteninhalt und konnten durch Einsichtnahme in das Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister getroffen werden.
Aus dem Aufgriffsbericht sowie aus der Einreiseverweigerung der Bundespolizeiinspektion Freilassing vom 15.02.2020, geht hervor, dass der BF versucht hat nach Deutschland einzureisen. Aus dem Polizeibericht der Polizeiinspektion Salzburg vom XXXX .02.2020 ergibt sich die Rückübernahme sowie die Festnahme des BF nach Österreich. Zudem ist der Festnahmeauftrag des BFA vom 12.02.2020 im Akt einliegend.
Aus der Anhaltedatei ergibt sich, dass sich der BF seit XXXX .02.2020, XXXX Uhr in Schubhaft befindet und diese derzeit im Anhaltezentrum Vordernberg vollzogen wird. Aus dem gegenständlichen Schubhaftbescheid ergibt sich, dass die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet wurde.
Die Tatsache, dass der BF ausreiseunwillig ist, ergibt sich aus seinem Verhalten im Verfahren vor dem BFA, insbesondere, dass der BF an seiner freiwilligen Ausreise nicht mitgewirkt hat, indem er zum Termin bei der Botschaft nicht erschienen ist. Die diesbezüglich vorgebrachte krankheitsbedingte Verhinderung des BF konnte nicht belegt werden. Es ist vor allem zu berücksichtigen, dass der BF versucht hat, nach Deutschland illegal weiterzureisen. Zudem gab er selbst in der mündlichen Verhandlung an, dass er nicht nach Afghanistan zurückgehen will, da er dort viele Probleme habe.
Es ergaben sich im gesamten Verfahren keine Zweifel an der Haftfähigkeit des BF, daher konnte diese festgestellt werden.
Die Feststellung, dass für den BF ein unbefristetes Heimreisezertifikat ausgestellt wurde, ergibt sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt sowie durch Einsichtnahme in das Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister.
Anhaltspunkte für familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte (abgesehen von seiner Cousine mit Familie und einem Freund) im Bundesgebiet bzw. eine maßgebliche berufliche Integration konnten im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden. Die Angabe des BF in der mündlichen Verhandlung, dass er seit eineinhalb Jahren eine Freundin habe, ist als nicht glaubhaft zu qualifizieren, da er weder den vollständigen Namen noch die Wohnadresse von dieser angeben konnte
Aufgrund der Angabe der belangten Behörde im Rahmen der mündlichen Verhandlung, dass der BF über EUR 436,69 an Bargeld verfügt (dies ergibt aus den ausgewiesenen Effekten), ergibt sich, dass sein Lebensunterhalt nicht ausreichend gesichert ist.
Da bereits ein gültiges Heimreisezertifikat vorliegt, ist davon auszugehen, dass zeitnah, nach Aufhebung der bestehenden Einschränkungen im Flugbetrieb, eine Abschiebung des BF nach Afghanistan, zumindest während der höchstzulässigen Dauer der Schubhaft, durchgeführt werden kann.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Gesetzliche Grundlagen:
Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 87/2012 lautet:
§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn
1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,
2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder
3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.
(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.
(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.
(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.
(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.
Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 lautet:
§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß
Der mit "Dauer der Schubhaft" betitelte § 80 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 lautet:
§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.
(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.
(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.
(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.
(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.
(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.
(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.
3.2. Zu Spruchteil A.):
3.2.1. Zur Fortsetzung und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft
Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die Fortsetzung der seit XXXX .02.2020 andauernden Schubhaft wegen Vorliegens von Fluchtgefahr weiterhin als erforderlich und die Anhaltung in Schubhaft wegen Überwiegens des öffentlichen Interesses an der Sicherung der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Vergleich zum Recht des betroffenen Fremden auf persönliche Freiheit auch als verhältnismäßig.
Eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 3 FPG lag aufgrund der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.02.2019 bestätigten rechtskräftigen Rückkehrentscheidung vor.
Der BF verfügt über keine ausreichenden finanziellen Mittel zur Finanzierung seines Unterhaltes und über keinen gesicherten Wohnsitz. Der BF hat während seines gesamten Aufenthaltes ausschließlich in karitativen Einrichtungen gewohnt. Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des BF in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden und bestehen im Bundesgebiet – abgesehen von seiner Cousine - keine weiteren feststellbaren familiären Beziehungen. Damit ist auch § 76 Abs. 3 Z 9 FPG erfüllt.
Dem BF wurde eine Frist bis zum Ablauf des 11.03.2019 zur freiwilligen Ausreise eingeräumt. Der BF setzte jedoch keine Schritte, die darauf schließen lassen, dass er freiwillig in sein Herkunftsland zurückkehren würde. Vielmehr verließ er Österreich und versuchte illegal nach Deutschland einzureisen. Lediglich durch eine zufällige Personenkontrolle der deutschen Bundespolizeiinspektion Freilassing konnte der BF am 15.02.2020 angehalten werden und nach Österreich rücküberführt werden. Damit versuchte der BF seine Abschiebung zu vereiteln und ist der Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z 1 FPG erfüllt.
Auch wurde der faktische Abschiebeschutz hinsichtlich seines Asylfolgeantrages, welchen der BF im Stande der Schubhaft stellte, im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 4 FPG mit mündlich verkündeten Bescheid des BFA vom 20.03.2020 aberkannt. Diese Entscheidung wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.03.2020, Zl. W144 2170813-2/3E, bestätigt.
Der BF erklärte in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich, dass er nicht freiwillig nach Afghanistan ausreisen wird.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände kann von einem verstärkten Sicherungsbedarf ausgegangen werden, zumal bereits eine zeitnahe Abschiebung des BF geplant ist und auch ein Heimreisezertifikat durch die afghanische Botschaft ausgestellt wurde.
Aufgrund seines bisherigen rechtswidrigen Gesamtverhaltens und des persönlichen Eindrucks, den der ausreiseunwillige BF in der mündlichen Verhandlung vermittelte, konnte das Auslangen mit einem gelinderen Mittel gemäß § 77 FPG nicht gefunden werden, um den erforderlichen Sicherungszweck, nämlich die Sicherung der Abschiebung, zu erreichen. Zudem verfügt der BF, wie oben angeführt, über keinen gesicherten Wohnsitz und ausreichende finanzielle Mittel zu Sicherung seines Lebensunterhaltes.
Die Anhaltung ist auch verhältnismäßig: Dabei war gemäß § 76 Abs. 3 Z 3 FPG zu berücksichtigen, dass eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vorliegt. Das Verfahren wurde seitens des BFA effizient geführt, da bereits im Jahr 2019 ein Heimreisezertifikat bei der zuständigen Botschaft von Afghanistan nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beantragt wurde, der BF sich aber danach dem Zugriff der Behörden entzog, indem er illegal nach Deutschland weiterreiste. Am 28.02.2020 wurde schließlich ein Heimreisezertifikat ausgestellt.
Die Annahme, wonach es sehr wahrscheinlich ist, dass im Fall der Beendigung der Schubhaft und Freilassung letztlich eine Rückführung des weiterhin rückkehrunwilligen BF durch Untertauchen vereitelt oder erschwert werden könnte, erweist sich unter Berücksichtigung des bisherigen Gesamtverhaltens des BF, insbesondere der mangelnden Vertrauenswürdigkeit sowie seiner fehlenden sozialen Verankerung in Österreich, nach wie vor als begründet. Der BF hat bislang keine Bereitschaft gezeigt, trotz aufrechter Ausreiseverpflichtung aus Österreich auszureisen und in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.
Eine zeitnahe Rückführung des BF in seinen Herkunftsstaat ist sehr wahrscheinlich, insbesondere da der Flugbetrieb wiederaufgenommen wurde und die aufgrund der COVID-19 Pandemie bestehenden Einschränkungen im Flugverkehr sukzessive zurückgenommen werden.
Die Fortsetzung der Schubhaft, welche seit XXXX .02.2020 besteht, ist auch unter Berücksichtigung der in § 80 FPG vorgesehenen Regelung über die Höchstdauer der Anhaltung in Schubhaft zulässig, da zum Entscheidungszeitpunkt die grundsätzliche Dauer von sechs Monaten nicht überschritten worden ist.
Die andauernde Schubhaft kann daher - unter Berücksichtigung der gesetzlich festgelegten Höchstdauer der Anhaltung - fortgesetzt werden, weshalb gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wie im Spruch angeführt zu entscheiden war.
3.5. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchteil B.):
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Fluchtgefahr Interessenabwägung öffentliche Interessen Schubhaft Schubhaftbeschwerde Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G303.2231675.1.00Im RIS seit
08.03.2021Zuletzt aktualisiert am
08.03.2021