TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/9 W103 2220319-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.11.2020
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Entscheidungsdatum

09.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs2
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §52
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W103 2220319-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine und vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.04.2019, Zahl: 590737009-190388108, zu Recht erkannt:

A) I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis IV. des angefochtenen Bescheides wird gemäß §§ 8 Abs. 4, 9 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 4, 57 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV. bis VII. wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG idgF iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG idgF auf Dauer unzulässig ist.

III. Gemäß §§ 54 und 55 AsylG 2005 idgF wird XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Ukraine, stellte am 26.08.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, nachdem sie unter Mitführung ihres ukrainischen Reisepasses ins Bundesgebiet eingereist war. Anlässlich ihrer am 26.08.2014 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes abgehaltenen niederschriftlichen Erstbefragung sowie ihrer am 17.03.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl durchgeführten Einvernahme gab die Beschwerdeführerin zu den Gründen ihrer Antragstellung im Wesentlichen an, sie stamme aus XXXX und habe ihre Heimat aus Angst vor den dortigen Kriegshandlungen verlassen. Da ihre volljährige Tochter und ihr Enkelkind in Österreich leben würden und sie in der Ukraine sonst niemanden hätte, habe sie den Entschluss gefasst, nach Österreich zu reisen.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.04.2016 wurde der Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführerin der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und es wurde ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde ausgeführt, dass eine der Beschwerdeführerin im Heimatland konkret drohende Verfolgung nicht habe festgestellt werden können; diese sei aufgrund der allgemeinen Krisensituation in der Ostukraine geflohen. Aufgrund der Länderfeststellungen könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach XXXX einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen des innerstaatlichen Konfliktes in der Ostukraine ausgesetzt wäre. Zudem könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Herkunft aus der Ostukraine als Binnenflüchtling im Westen der Ukraine eine erniedrigende Behandlung erfahren müsste. Der Beschwerdeführerin sei daher der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen.

3. Dieser Bescheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Mit Bescheid vom 20.03.2017 erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine bis zum 07.04.2019 gültige Aufenthaltsberechtigung. Am 10.12.2018 ersuchte die Beschwerdeführerin abermals um Verlängerung ihrer befristeten Aufenthaltsberechtigung.

4. Nach diesbezüglicher Aufforderung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erstattete die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 12.03.2019 eine Stellungnahme zu ihren Integrationsbemühungen und legte Unterlagen zum Beleg derselben vor. Die Beschwerdeführerin sei regelmäßig mittels Dienstleistungscheck im Bereich der Pflege tätig und lebe in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrer Tochter, welche sie finanziell unterstütze, sodass die Beschwerdeführerin in Österreich unabhängig von staatlichen Leistungen lebe. Weiters lebe auch die Enkeltochter der Beschwerdeführerin im gemeinsamen Haushalt, sodass ein intensives familiäres Naheverhältnis vorliege.

Am 12.04.2019 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu ihrem Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache niederschriftlich einvernommen. Die Beschwerdeführerin gab zusammengefasst an, sie sei gesund, benötige keine Medikamente und habe im Verfahren vor dem Bundesamt bis dato wahrheitsgemäße Angaben erstattet. Im Herkunftsstaat lebe noch ein Bruder der Beschwerdeführerin, zu welchem jedoch infolge eines Streits kein Kontakt mehr bestünde. Zudem hätte sie Tanten in der Ukraine. Die Beschwerdeführerin sei Eigentümerin einer Wohnung in XXXX, wisse jedoch nicht, in welchem Zustand diese Wohnung sich befinde. In Österreich lebe die Beschwerdeführerin zusammen mit ihrer Tochter, deren Ehemann vor drei Jahren verstorben sei, sowie ihrer Enkeltochter. Die Beschwerdeführerin werde von ihrer Tochter und Enkeltochter unterstützt und beziehe keine staatliche Unterstützung. Mit Ausnahme ihrer Tochter und ihrer Enkeltochter habe die Beschwerdeführerin in Österreich keine Angehörigen. Sie sei in keinen Vereinen Mitglied. Die Beschwerdeführerin unterstütze ihre berufstätige Tochter zuhause, zudem unterstütze sie eine ältere Dame.

Der Beschwerdeführerin wurde sodann vorgehalten, dass die Ukraine seit Februar 2018 gemäß § 19 BFA-VG als sicherer Herkunftsstaat gelte und sich den vorliegenden Länderfeststellungen eine staatliche Schutzwilligkeit und -fähigkeit entnehmen ließe; eine Rückkehr in die Ukraine sei demnach grundsätzlich zumutbar. Die Beschwerdeführerin gab hierzu an, sie sei bereits seit mehreren Jahren nicht mehr in ihrem Heimatland gewesen und hätte dort nichts und niemanden mehr. Zu den erwarteten Problemen im Fall ihrer Rückkehr gab die Beschwerdeführerin an, sie könne sich nicht vorstellen, wie sie ihr Leben dort in den Griff bekommen sollte, es würden dort unmenschliche Zustände herrschen; sie wüsste nicht, wie sie die Betriebskosten für ihre Wohnung zurückzahlen sollte und fühle sich dort nicht mehr wohl. Sie hätte keinen Anspruch auf eine Pension seitens der Ukraine und würde von Russland aus nur 1.500 Rubel monatlich erhalten.

Die Beschwerdeführerin legte Bestätigungen über den Besuch von Deutschkursen sowie eines Werte- und Orientierungskurses, einen Nachweis über die österreichische Staatsbürgerschaft ihrer Tochter und eine Bestätigung über eine im Rahmen von Dienstleistungschecks erbrachte unterstützende Betreuungstätigkeit vor.

Mit Aktenvermerk vom 16.05.2019 (sic) leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Verfahren zur Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten wegen geänderter Verhältnisse im Herkunftsstaat ein.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.04.2019 wurde der Beschwerdeführerin der ihr mit Bescheid vom 07.04.2016 zuerkannte Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die mit Bescheid vom 07.04.2016 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.) Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wurde abgewiesen (Spruchpunkt III.). Überdies wurde der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen diese eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt V.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde die Feststellung getroffen, dass die Abschiebung der beschwerdeführenden Partei in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt VI.) und es wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VII.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte fest, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine Staatsangehörige der Ukraine handle, welche der Volksgruppe der Weißrussen angehöre, sich zum orthodoxen Christentum bekenne und an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen leide.

Zu den Gründen für die Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung jenes Status nicht mehr vorliegen würden. Der Beschwerdeführerin sei der Status der subsidiär Schutzberechtigten im Jahr 2016 aufgrund der damaligen bürgerkriegsähnlichen Zustände in der Ostukraine in Zusammenschau mit der Diskriminierung von Binnenflüchtlingen im übrigen Staatsgebiet sowie des fehlenden familiären Netzes und des dadurch zusätzlich gegebenen Risikos für alleinstehende Frauen im Herkunftsstaat zuerkannt worden. Die Ukraine sei mittlerweile als sicherer Herkunftsstaat anzusehen. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin als Staatsangehörige der Ukraine in ihrem Heimatland einer individuellen Bedrohung ausgesetzt oder von einem Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit bedroht wäre. Die Beschwerdeführerin verfüge über ein familiäres und soziales Netz und könne ihren Herkunftsstaat sicher und legal erreichen. Eine Gefährdung der Beschwerdeführerin durch die Behörden der Ukraine habe ebensowenig festgestellt werden können, wie eine der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr drohende wirtschaftlich oder finanziell ausweglose Lage. Die Beschwerdeführerin sei Pensionistin und habe zumindest bis zur Ausreise eine monatliche Rentenzahlung bezogen. Die Beschwerdeführerin habe im Herkunftsstaat verschiedene berufliche Tätigkeiten ausgeübt und nach ihrer Pensionierung nebenbei als Verkäuferin auf einem Markt gearbeitet. Sie sei Eigentümerin einer Wohnung in der Ostukraine. Im Heimatland würden noch ein Bruder und Tanten der Beschwerdeführerin leben.

Ausgehend von der aktuellen Länderinformation zur Ukraine bestehe kein Grund davon auszugehen, dass jeder zurückgekehrte Staatsangehörige der Ukraine einer reellen Gefahr einer Gefährdung gemäß Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Es werde zwar nicht verkannt, dass in der Ostukraine die Gefahr einer Gefährdung gemäß Art. 3 EMRK bestehen kann, jedoch könne eine Rückkehrgefährdung nicht auf eine bestimmte Provinz eines Staates erkannt werden, wenn im restlichen Staat keine gleichhaltende Situation bestünde.

Weiters könne unter Zugrundelegung der aktuellen Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat und dem Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Ukraine vom 31.01.2019 betreffend möglicher Diskriminierung von Ostukrainern auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer östlichen Herkunft in den anderen Provinzen der Ukraine eine erniedrigende Behandlung erleiden müsste. Auch sei eine generelle Gefährdung durch Gewalt für alleinstehende Frauen den aktuellen Länderfeststellungen nicht zu entnehmen. Eine völlige Perspektivenlosigkeit bei einer Rückkehr in die Ukraine, bezogen auf die wirtschaftliche Situation in der Ukraine, könne ebenfalls nicht erkannt werden, wobei darauf hinzuweisen sei, dass die Beschwerdeführerin in ihrem Heimatland mehreren Beschäftigungen nachgegangen sei und auch eine staatliche Rente bis zu ihrer Ausreise bezogen hätte. Zwar sei die wirtschaftliche Situation in der Ukraine auf einem niedrigen Niveau, doch sei es der Beschwerdeführerin möglich gewesen, bis zu ihrer Ausreise aus ihrem Heimatstaat ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, weshalb davon auszugehen sei, dass ihr selbiges auch nach einer Rückkehr in den Herkunftsstaat möglich sein werde. Die Beschwerdeführerin besitze zudem eine Eigentumswohnung, die sich zwar in XXXX befinde, welche sie jedoch vermieten oder verkaufen könnte, um sich außerhalb der Ostukraine die Aufnahme einer neuen Wohnsituation schaffen zu können, womit auch eine zusätzliche finanzielle Belastung nicht bestünde. Zudem könnte diese auf Unterstützung durch ihr verwandtschaftliches Netz in der Ukraine zurückgreifen. Weiters könnte sie zusätzliche Unterstützung durch ihre Tochter und Enkeltochter erfahren, wie es bisher auch in Österreich der Fall gewesen sei. Der Beschwerdeführerin sei der Status der subsidiär Schutzberechtigten demnach gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 abzuerkennen und die noch bestehende befristete Aufenthaltsberechtigung zu entziehen gewesen. Ihr Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung sei abzuweisen gewesen.

In Österreich lebe die Beschwerdeführerin mit ihrer Tochter in einer Mietwohnung, sie ginge keiner geregelten Beschäftigung nach und werde von ihrer Tochter und ihrer Enkeltochter finanziell unterstützt. Das Zusammenleben bestünde jedoch erst seit dem Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich, welcher sich lediglich auf eine befristete Aufenthaltsberechtigung gestützt hätte. Das Familienleben mit ihrer Tochter und Enkeltochter werde künftig mittels moderner Kommunikationsmittel sowie gegenseitiger Besuche aufrechterhalten werden können. Ukrainische Staatsbürger seien seit Juni 2017 zur visumsfreien Einreise in das Bundesgebiet berechtigt und es sei der Beschwerdeführerin bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des NAG möglich, wieder in das Bundesgebiet zurück zu kehren.

Die Beschwerdeführerin sei in keinen Vereinen Mitglied, habe einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 sowie einen Werte- und Orientierungskurs besucht und sich Deutschkenntnisse auf niedrigem Niveau angeeignet. Eine außergewöhnliche Integrationsverfestigung liege nicht vor und es sei zudem als relativierend zu erachten, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum eines unsicheren Aufenthaltsstatus gesetzt worden seien. Die Beschwerdeführerin habe den Großteil ihres bisherigen Lebens in der Ukraine verbracht, beherrsche die dort gebräuchliche Sprache und werde demnach bei einer Wiedereingliederung vor keine unüberwindliche Hürden gestellt sein. Der Ausspruch einer Rückkehrentscheidung erweise sich daher aufgrund der überwiegenden öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung als zulässig.

6. Mit Eingabe vom 14.06.2019 wurde durch die nunmehr bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation die verfahrensgegenständliche Beschwerde im vollen Umfang eingebracht, zu deren Begründung im Wesentlichen ausgeführt wurde, die Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt, zumal sich die Behauptung einer seit 2016 gebesserten Lage im Herkunftsstaat auf lediglich oberflächliche Ermittlungen stütze, welche nicht geeignet wären, die Aberkennung des Schutzstatus zu rechtfertigen. Die Behörde habe keine hinreichenden Ermittlungen zur individuellen Lage der Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr durchgeführt. Die im angefochtenen Bescheid herangezogenen Länderberichte seien überwiegend veraltet und daher nicht geeignet, eine Grundlage für eine abschließende Beurteilung der Situation der Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr darzustellen und eine Veränderung der Lage im Herkunftsstaat seit der letztmaligen Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung Anfang des Jahres 2017 aufzuzeigen. Die Behörde ginge davon aus, dass der Beschwerdeführerin eine Rückkehr in die Herkunftsregion XXXX weiterhin nicht zumutbar sei, die Lage im Rest der Ukraine jedoch eine Besserung erfahren habe. Hierbei verkenne die Behörde die tatsächliche Situation der Ukraine sowie das Erfordernis einer Nachhaltigkeit einer positiven Veränderung über einen längeren Beobachtungszeitraumhinweg. Verwiesen wurde auf auszugsweise angeführtes Berichtsmaterial zur Lage von Binnenflüchtlingen und Frauen in der Ukraine, welches belegen würden, dass sich die Lage für Binnenvertriebene im Vergleich zum Jahr 2017 keinesfalls gebessert hätte. Auch die individuellen Umstände der Beschwerdeführerin hätten sich nicht derart geändert, dass dieser eine Rückkehr in die Ukraine nunmehr zumutbar wäre. Diese habe weiterhin kein familiäres Netz in der Ukraine, welches sie aufnehmen oder unterstützen könnte. Woraus die Behörde schließe, dass die Beschwerdeführerin ihre Wohnung in der Ostukraine verkaufen oder vermieten könnte, bliebe ebenfalls im Dunklen. Der Verweis auf eine mögliche Unterstützung durch die Tochter und Enkeltochter zeige keine Änderung im Vergleich zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status auf. Völlig unberücksichtigt seien das fortgeschrittene Alter der Beschwerdeführerin und die Frage, in wie weit dieser eine Erwerbstätigkeit in der Ukraine noch zumutbar sei, geblieben. Aus dem Umstand, dass diese im Vorfeld der Ausreise zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes in der Lage gewesen wäre, könne nicht darauf geschlossen werden, dass diese zum jetzigen Zeitpunkt (nach den kriegerischen Ereignissen in der Ukraine und dem nunmehr fortgeschrittenen Lebensalter) dazu in der Lage sein würde. Angesichts der in der Beschwerde angeführten Berichte sei zudem zu befürchten, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in die Ukraine auf Schwierigkeiten beim Bezug ihrer Rente stoßen würde. Die belangte Behörde habe im angefochtenen Bescheid nicht darlegen können, inwiefern sich die Lage in der Ukraine oder die persönliche Situation der Beschwerdeführerin im Vergleich zur letzten Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte maßgeblich geändert hätte und habe zudem das Bestehen einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative nicht konkret aufgezeigt. Eine vergleichende Darstellung des Sachverhaltes, der ursprünglich zur Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten und zur Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung geführt hätte, und der aktuellen Situation der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr fehle gänzlich. Da eine Änderung der individuellen Gefährdungsprofile der Beschwerdeführerin und eine maßgebliche Änderung der allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage nicht festgestellt werden könne, seien die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nicht erfüllt und der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben.

Zudem sei der mit der Rückkehrentscheidung einhergehende Eingriff in das schützenswerte Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin als unverhältnismäßig und Dauer auf Dauer unzulässig zu qualifizieren. Die Beschwerdeführerin habe in Österreich eine schützenswerte familiäre Beziehung mit ihrer Tochter und Enkeltochter und deren Familie. Es bestünde ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis und eine enge emotionale Bindung zu ihren Angehörigen. Die Beschwerdeführerin lebe seit mittlerweile fast fünf Jahren rechtmäßig in Österreich und sei hier bestens integriert. Sie arbeite auf Basis von Dienstleistungschecks, betreue zwei ältere Damen, lerne Deutsch und habe viele Freunde gefunden. Insgesamt habe sie in Österreich wesentlich stärkere Bindungen als zur Ukraine.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt.

Anbei wurden Unterstützungsschreiben aus dem privaten Umfeld der Beschwerdeführerin übermittelt.

7. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 21.06.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Eingabe vom 14.10.2019 übermittelte die Beschwerdeführerin eine Bestätigung über ihre seit 15.07.2019 bestehende Gewerbeberechtigung im Bereich Personenbetreuung.

Infolge einer diesbezüglichen Aufforderung durch das Bundesverwaltungsgericht übermittelte die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 22.07.2020 Belege über ihre aktuellen Integrationsbemühungen. In Vorlage gebracht wurden Aufwandbestätigungen aus Jänner und Februar 2020, ein unbefristeter Betreuungsvertrag aus Jänner 2020, ein Antrag auf Ausnahme für Kleinunternehmer an die SVA sowie eine Integrationserklärung vom 06.03.2020.

Mit Eingabe vom 24.07.2020 wurden Aufwandbestätigungen aus Mai und Juni 2020 sowie die bereits zu früheren Zeitpunkten in Vorlage gebrachten Kursbesuchsbestätigungen übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführerin ist eine aus der Stadt XXXX stammende Staatsangehörige der Ukraine, Angehörige der weißrussischen Volksgruppe und bekennt sich zum orthodoxen Christentum. Ihre Muttersprache ist Russisch. Sie hält sich seit ihrer Einreise und Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz am 26.08.2014 durchgehend im Bundesgebiet auf.

Mit unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.04.2016 wurde der Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen, dieser gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und es wurde ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Begründend wurde ausgeführt, dass eine der Beschwerdeführerin im Heimatland konkret drohende Verfolgung nicht habe festgestellt werden können; diese sei aufgrund der allgemeinen Krisensituation in der Ostukraine geflohen. Aufgrund der Länderfeststellungen könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach XXXX einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen des innerstaatlichen Konfliktes in der Ostukraine ausgesetzt wäre. Zudem könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Herkunft aus der Ostukraine als Binnenflüchtling im Westen der Ukraine eine erniedrigende Behandlung erfahren müsste.

Mit – gemäß § 58 Abs. 2 AVG nicht näher begründetem – Bescheid vom 20.03.2017 erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine bis zum 07.04.2019 gültige Aufenthaltsberechtigung. Am 10.12.2018 ersuchte die Beschwerdeführerin abermals um Verlängerung ihrer befristeten Aufenthaltsberechtigung.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine und Niederlassung in einem unter Kontrolle der ukrainischen Regierung stehenden Landesteil in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Die Beschwerdeführerin liefe dort nicht (mehr) Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Die Beschwerdeführerin leidet an keinen behandlungsbedürftigen Erkrankungen. Sie verfügt über Schulbildung, Berufserfahrung und Fremdsprachenkenntnisse und war im Vorfeld ihrer Ausreise Bezugsberechtigte einer Alterspension, daneben war sie als Verkäuferin auf einem Markt tätig. Im Herkunftsstaat halten sich noch entfernte Verwandte der Beschwerdeführerin auf.

Der Beschwerdeführerin ist es möglich, sich in Kiev oder einem anderen Teil der Zentral- oder Westukraine niederzulassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen. Die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage in der Zentral- und Westukraine ist stabil. Die persönliche Situation Beschwerdeführerin hat sich verglichen mit dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid vom 07.04.2016 bzw. der letztmaligen Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid vom 20.03.2017 insofern maßgeblich geändert, als die Beschwerdeführerin im Bundesgebiet ihre eigene Anpassungsfähigkeit und Selbsterhaltungsfähigkeit unter Beweis gestellt hat, sodass es dieser auch bei einer Rückkehr in den vertrauten Herkunftsstaat und Niederlassung in der Zentral- oder Westukraine möglich sein wird, dort neuerlich eine Beschäftigung aufzunehmen oder den Lebensunterhalt mit zusätzlicher Unterstützung durch ihre in Österreich lebenden Angehörigen sowie den Rückgriff auf Leistungen des ukrainischen Sozialsystems zu erwirtschaften.

1.4. Die unbescholtene Beschwerdeführerin lebt im Bundesgebiet in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrer volljährigen Tochter, welche die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und zu der sie eine enge familiäre Beziehung verbindet, welche von gegenseitiger Unterstützung geprägt ist. Zudem leben im Bundesgebiet die Enkeltochter der Beschwerdeführerin, welche verheiratet ist und eine minderjährige Tochter hat. Auch zu diesen Angehörigen, welche ebenfalls die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, steht die Beschwerdeführerin in einer engen familiären Bindung. Sie hat während ihres rund sechsjährigen Aufenthalts eine vertiefte Integration im Bundesgebiet erlangt. Die Beschwerdeführerin hat die deutsche Sprache auf grundlegendem, jedoch zur eigenständigen Bestreitung ihres Alltatages und Ausübung einer Erwerbstätigkeit ausreichendem, Niveau erlernt. Diese war zunächst auf Basis von Dienstleistungschecks im Bereich der Personenbetreuung beschäftigt, seit Mitte Juli 2019 verfügt diese über eine Gewerbeberechtigung im Bereich der Personenbetreuung und erzielt laufend Einkünfte aus ihrer selbständigen Erwerbstätigkeit. Die Beschwerdeführerin lebte im Bundesgebiet bislang unabhängig von staatlichen Unterstützungsleistungen. Diese wurde zunächst durch ihre Tochter und Enkeltochter unterstützt und ist nunmehr – angesichts eines unbefristeten Betreuungsvertrages mit monatlichen Einkünften von EUR 1.600,- zzgl. SVA – zur eigenständigen Finanzierung ihres Lebensunterhaltes in der Lage. Die Beschwerdeführerin hat sich einen Freundes- und Bekanntenkreis im Bundesgebiet aufgebaut.

Der Lebensmittelpunkt der Beschwerdeführerin befindet sich zwischenzeitlich in Österreich, wohingegen sie zu ihrem Herkunftsstaat nur mehr vergleichsweise geringe Bindungen aufweist. Eine Rückkehr in die ihr vertraute, von Separatisten kontrollierte, Herkunftsregion wäre dieser faktisch nicht möglich. Aufgrund der seitens der beschwerdeführenden Parteien gesetzten Integrationsschritte sowie des aufrechten Familienlebens mit ihrer Tochter und Enkeltochter würde eine Rückkehrentscheidung einen ungerechtfertigten Eingriff in deren Privat- und Familienleben darstellen.

1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat:

KI vom 24.04.2019, Präsidentschaftswahlen (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage)

Der ukrainische Schauspieler, Jurist und Medienunternehmer Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj gewann laut vorläufigem Endergebnis am 21. April die Präsidentschaftsstichwahl der Ukraine gegen den Amtsinhaber Petro Poroschenko mit 73,2% zu 24,5% der abgegebenen Stimmen (Wahlbeteiligung: 61,4%) (DS 21.4.2019; ZO 21.4.2019; ZDF 23.4.2019). Beobachtern zufolge verlief die Wahl im Großen und Ganzen frei und fair und entsprach generell den Regeln des demokratischen Wettstreits. Kritisiert wurden unter anderem die unklare Wahlkampffinanzierung und die Medienberichterstattung in der Wahlauseinandersetzung (KP 22.4.2019).

Es ist ziemlich unklar, wofür der designierte Präsident Selenskyj steht, bzw. was man politisch von ihm erwarten darf. Bekannt geworden ist Selenskyj durch die beliebte ukrainische Fernsehserie „Diener des Volkes“, in der er einen einfachen Bürger spielt, der eher zufällig Staatspräsident wird und dieses Amt mit Erfolg ausübt. Tatsächlich hat Selenskyj keine nennenswerte politische Erfahrung, ist dadurch jedoch auch unbefleckt von politischen Skandalen. Eigenen Aussagen zufolge will er den Friedensplan für den umkämpften Osten des Landes wiederbeleben und strebt wie Poroschenko einen EU-Beitritt an. Über einen Nato-Beitritt der Ukraine soll jedoch eine Volksabstimmung entscheiden (DS 21.4.2019; ZO 21.4.2019). Selenskyj hat sich vor allem den Kampf gegen die Korruption auf seine Fahnen geschrieben (UA 27.2.2019).

Kritiker sehen Selenskyj als Marionette des Oligarchen Igor Kolomojskyj, dessen weitgehende Macht unter Präsident Poroschenko stark beschnitten wurde, und auf dessen Fernsehsender 1+1 viele von Selenskyjs Sendungen ausgestrahlt werden. Diesen Vorwurf hat Selenskyj stets zurückgewiesen (UA 27.2.2019; CNN 21.4.2019; Stern 23.4.2019).

Quellen:

- CNN – Cable News Network (21.4.2019): Political newcomer Volodymyr Zelensky celebrates victory in Ukraine's presidential elections, https://edition.cnn.com/2019/04/21/europe/ukraine-election-results-intl/index.html, Zugriff 24.4.2019

- DS – Der Standard (21.4.2019): Politikneuling Selenski wird neuer Präsident der Ukraine, https://derstandard.at/2000101828722/Politik-Neuling-Selenski-bei-Praesidenten-Stichwahl-in-der-Ukraine-vorn, Zugriff 24.4.2019

- KP – Kyiv Post (22.4.2019): Election watchdog Opora: Presidential election free and fair, https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/election-watchdog-opora-presidential-election-free-and-fair.html, Zugriff 24.4.2019

- Stern (23.4.2019): Ihor Kolomojskyj, der milliardenschwere Strippenzieher hinter der Sensation Selenskyj, https://www.stern.de/politik/ausland/ukraine—ihor-kolomojskyj--der-strippenzieher-hinter-der-sensation-selenskyj-8678850.html, Zugriff 24.4.2019

- UA – Ukraine Analysen (27.2.2019): Präsidentschaftswahlen 2019, per E-Mail

- ZDF – Zweites Deutsches Fernsehen (23.4.2019): Ukraine: Vorläufiges Ergebnis. Selenskyj gewinnt Wahl mit 73 Prozent, https://www.zdf.de/nachrichten/heute/nach-der-wahl-in-der-ukraine-vorlaeufiges-ergebnis-steht-fest-100.html, Zugriff 24.4.2019

- ZO – Zeit Online (21.4.2019): Komiker Wolodymyr Selenskyj gewinnt Präsidentschaftswahl, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-04/ukraine-wahl-komiker-wolodymyr-selenskyj-liegt-laut-prognosen-vorne, Zugriff 24.4.2019

KI vom 09.01.2019, Kriegsrecht beendet (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat wie angekündigt, das für Teile der Ukraine verhängte 30-tägige Kriegsrecht, nicht verlängert. Es lief damit wie geplant am 26.12.2018 um 13 Uhr (MEZ) aus. Der Präsident betonte, das Kriegsrecht habe in keiner Weise den Alltag der Zivilbevölkerung beeinflusst (ZO 26.12.2018; vgl. DW 26.12.2018).

Quellen:

- DW – Deutsche Welle (26.12.2018): Poroschenko beendet das Kriegsrecht, https://www.dw.com/de/poroschenko-beendet-das-kriegsrecht/a-46868008, Zugriff 9.1.2019

- ZO – Zeit Online (26.12.2018): Kriegsrecht in der Ukraine ist beendet, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-12/petro-poroschenko-ukraine-kriegsrecht-beendet, Zugriff 9.1.2019

KI vom 28.11.2018, 30 Tage Kriegsrecht für bestimmte Oblaste verhängt (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Das ukrainische Parlament hat am 26. November dem Antrag von Präsident Poroschenko zugestimmt, in Teilen des Landes für 30 Tage das Kriegsrecht zu verhängen. Betroffen sind die „gegenüber russischer Aggression verwundbarsten Regionen“ des Landes (RFE/RL 26.11.2018).

Das Kriegsrecht ermöglicht in den genannten Oblasten eine teilweise Mobilisierung, eine Stärkung der Luftverteidigung sowie eine nicht näher spezifizierte Stärkung des Konterspionage-, Konterterrorismus- und Kontersabotage-Regimes und der Informationssicherheit. Von den 450 Abgeordneten der Obersten Rada (ukrainisches Parlament) stimmten nach hitziger Debatte 276 für und 30 gegen den Antrag. Zuerst hatte Poroschenko die Maßnahme noch für 60 Tage gefordert, das aber später reduziert (RFE/RL 26.11.2018).

Anlass für diesen in der ukrainischen Geschichte beispiellosen Schritt, war ein Vorfall in der Meerenge von Kertsch (der einzigen Zufahrt zum Asowschen Meer) vom vergangenen Wochenende, bei dem die russische Küstenwache Patrouillenboote der ukrainischen Marine erst beschoss, einen Schlepper rammte und die Boote danach festsetzte und insgesamt 23 ukrainische Seeleute inhaftierte. Russland behauptet, die ukrainischen Seefahrzeuge hätten illegal russische Gewässer befahren. Seit die ukrainische Krimhalbinsel von Russland annektiert worden ist, gibt es gehäuft Probleme beim freien Zugang zum Asowschen Meer und damit zum für die ukrainische Wirtschaft so wichtigen Hafen Mariupol. Mittlerweile hat Russland auch eine Brücke über die Meerenge von Kertsch gebaut (RFE/RL 26.11.2018).

Präsident Poroschenko sagte vor der Debatte im Parlament, die Verhängung des Kriegsrechts sei nötig, damit die Ukraine unverzüglich die Verteidigung stärken kann, um im Falle einer Invasion schnell reagieren zu können. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Ukraine offensive Operationen unternehmen wolle; es gehe ausschließlich um den Schutz des Territoriums und die Sicherheit der Bürger. Das Kriegsrecht sieht Dutzende Handlungsoptionen vor, die ergriffen werden können - aber nicht müssen. Diese müssen vor Inkrafttreten von der Regierung festgelegt werden. So gehen die Polizeiaufgaben in Kampfgebieten an die Armee über. Das Militär erhält erweiterte Rechte und ist beispielsweise berechtigt, Ausgangssperren zu verhängen sowie Wohnungsdurchsuchungen und Verkehrs- und Personenkontrollen vorzunehmen. Männer im wehrpflichtigen Alter unterliegen Meldeauflagen. Auch ist es während des Kriegsrechts verboten, Verfassungsänderungen, Parlaments- oder Präsidentenwahlen durchzuführen. Das Kriegsrecht lässt aber keine Folter zu. Bei Rechtsverstößen können nur reguläre Gerichte urteilen. Zusätzlich können weitere Maßnahmen getroffen werden wie Einschränkung der Pressefreiheit, Kontrollen oder Einschränkungen der Kommunikationsmittel usw. Im Gesetz ist festgehalten, dass das Kriegsrecht nach dem festgelegten Zeitraum enden muss. Eine Verlängerung würde dementsprechend einen erneuten Antrag des Präsidenten erfordern. Allerdings kann das Kriegsrecht auch frühzeitig beendet werden. Das derzeit geltende Kriegsrecht gilt für 30 Tage. Es trat am 28. November 2018, 9 Uhr morgens in Kraft und endet am 27. Dezember 2018 (SO 27.11.2018).

Präsidentschaftswahlen in der Ukraine sind für den 21. März 2019 angesetzt und sollen wie geplant stattfinden (RFE/RL 26.11.2018).

Quellen:

-        RFE/RL – Radio Free Europe / Radio Liberty (26.11.2018): Ukraine Backs Martial Law After Gunfire At Sea, https://www.rferl.org/a/ukrainian-lawmakers-to-consider-martial-law-proposal-after-russia-opens-fire-on-ships-in-black-sea/29620128.html?ltflags=mailer, Zugriff 28.11.2018

-        RFE/RL – Radio Free Europe / Radio Liberty (27.11.2018): Ukraine’s Martial Law, https://www.rferl.org/a/ukraines-martial-law/29623833.html?ltflags=mailer, Zugriff 28.11.2018

-        SO – Spiegel Online (27.11.2018): So weitreichend ist das ukrainische Kriegsrecht, http://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-was-bedeutet-das-kriegsrecht-a-1240658.html, Zugriff 28.11.2018

KI vom 19.12.2017, Antikorruption (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage, Abschnitt 4/Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7/Korruption)

Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).

Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).

Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine „parlamentarische Kontrolle“ über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).

Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).

Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. € an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).

Quellen:

-        DS – Der Standard (17.12.2017): Tausende fordern in Kiew Amtsenthebung von Poroschenko, http://derstandard.at/2000070553927/Tausende-fordern-in-Kiew-Amtsenthebung-von-Poroschenko?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-        DS – Der Standard (7.12.2017): Interventionen verhindern Gesetz gegen ukrainisches Antikorruptionsbüro, http://derstandard.at/2000069775196/Ukrainischer-Antikorruptionsbehoerde-droht-Verlust-an-Unabhaengigkeit, Zugriff 19.12.2017

-        DS – Der Standard (30.10.2017): Die ukrainische Justizfassade bröckelt noch immer, http://derstandard.at/2000066853489/Die-ukrainische-Justizfassade-broeckelt-noch-immer?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (18.12.2017): Das politische Risiko in der Ukraine ist zurück, https://www.nzz.ch/finanzen/das-politische-risiko-in-der-ukraine-ist-zurueck-ld.1340458, Zugriff 19.12.2017

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (9.11.2017): Der ukrainische Präsident verschleppt längst überfällige Reformen, https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-revolution-im-rueckwaertsgang-ld.1327374, Zugriff 19.12.2017

-        UA – Ukraine Analysen (13.12.2017): Ukraine Analysen Nr. 193, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen193.pdf?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Ukraine-Analysen+193&newsletter=Ukraine-Analysen+193, Zugriff 19.12.2017

Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten „Freiwilligen-Bataillone“ nehmen offiziell an der „Anti-Terror-Operation“ der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon 9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-        AA – Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-        AA – Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-        ÖB – Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

-        USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

Ostukraine

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die „Volksrepublik Donezk“ und die „Volksrepublik Lugansk“ aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines „Sonderstatus“ für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2.2017b).

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem „vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung“, von einem „unter den Bewohnern vorherrschenden Gefühl der Angst, besonders ausgeprägt in der Region Lugansk“, sowie einer durch „fortgesetzte Beschränkungen der Grundrechte, die die Isolation der in diesen Regionen lebenden Bevölkerung verschärft, sowie des Zugangs zu Informationen“ gekennzeichneten Menschenrechtslage. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür der Soldateska schutzlos ausgeliefert, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch suspendiert. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen umgekommen. Es sind rund 1,7 Mio. Binnenflüchtlinge registriert und ca. 1,5 Mio. Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt: Die Sicherheitslage hat sich verbessert, auch wenn Waffenstillstandsverletzungen an der Tagesordnung bleiben. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt jedoch trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt neben den Lokalwahlen im besetzten Donbas der Dezentralisierungsprozess für den Donbas, den die Rada noch nicht abgeschlossen hat. In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk wird die staatliche Ordnung erhalten oder wieder hergestellt, um Wiederaufbau sowie humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu ermöglichen (AA 7.2.2017).

Die von Russland unterstützten Separatisten im Donbas verüben weiterhin Entführungen, Folter und unrechtmäßige Inhaftierung, rekrutieren Kindersoldaten, unterdrücken abweichende Meinungen und schränken humanitäre Hilfe ein. Trotzdem dies offiziell weiterhin abgestritten wird, kontrolliert Russland das Ausmaß der Gewalt in der Ostukraine und eskaliert den Konflikt nach eigenem politischen Gutdünken. Die separatistischen bewaffneten Gruppen werden weiterhin von Russland trainiert, bewaffnet, geführt und gegebenenfalls direkt im Einsatz unterstützt. Die Arbeit internationaler Beobachter wird dabei nach Kräften behindert. Geschätzte 70 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen in der Ostukraine wurden von den beiden Seiten vermint, speziell nahe der sogenannten Kontaktlinie. Diese Verminungen sind oft schlecht markiert und stellen eine Gefahr für Zivilisten dar. Bis zu 2.000 Zivilisten sollen im ostukrainischen Konfliktgebiet umgekommen sein, meist durch Artilleriebeschuss bewohnter Gebiete. Die Zahl derer, die durch Folter und andere Menschenrechtsverletzungen umgekommen sein dürften, geht in die Dutzende. 498 Personen (darunter 347 Zivilisten) bleiben vermisst. Die von Russland unterstützten Separatisten begingen systematisch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Schläge, Zwangsarbeit, Folter, Erniedrigung, sexuelle Gewalt, Verschwindenlassen aber auch Tötungen) sowohl zur Aufrechterhaltung der Kontrolle als auch zur Bereicherung. Sie entführen regelmäßig Personen für politische Zwecke oder zur Erpressung von Lösegeld, besonders an Checkpoints. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen von Zivilpersonen bei völligem Fehlen jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle. Diese Entführungen führen wegen ihrer willkürlichen Natur zu großer Angst unter der Zivilbevölkerung. Von einem „Kollaps von Recht und Ordnung“ in den Separatistengebieten wird berichtet. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise in die Separatistengebiete verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung. Journalisten werden willkürlich inhaftiert und misshandelt. Die separatistischen bewaffneten Gruppen beeinflussen direkt die Medienberichterstattung in den selbsternannten Volksrepubliken. Freie (kritische) Meinungsäußerung ist nicht möglich. Da die separatistischen Machthaber die Einfuhr von humanitären Gütern durch ukrainische oder internationale Organisationen stark einschränken, sind die Anwohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit starken Preisanstiegen konfrontiert. An Medikamenten herrscht ein erheblicher Mangel. Das erschwert auch die Behandlung von HIV und Tuberkulose. Mehr als 6.000 HIV-positive Personen in der Region leiden unter dem Mangel an Medikamenten und Medizinern (USDOS 3.3.2017a).

In den ostukrainischen Konfliktgebieten begingen Berichten zufolge auch Regierungstruppen bzw. mit ihnen verbündete Gruppen Menschenrechtsverletzungen. Der ukrainische Geheimdienst (SBU) soll Personen geheim festhalten bzw. festgehalten haben (USDOS 3.3.2017a). Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen SBU sowie durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Von der separatistischen Seite ist nichts dergleichen berichtet, obwohl deren Vergehen viel zahlreicher waren (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Trotz des Abkommens von Minsk ist in der Ostukraine immer noch kein tragfähiger Waffenstillstand zustande gekommen. Russland liefert weiterhin Waffen und stellt militärisches Personal als „Freiwillige“. 2016 haben sich die lokalen Verwaltungen in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk institutionell konsolidiert und der Aufbau russisch kontrollierter Staatsgebilde ist überwiegend abgeschlossen. Unabhängige politische Aktivitäten und politische Parteien sind jedoch verboten, NGOs arbeiten dort nicht, und eine freie Presse ist nicht vorhanden (FH 29.3.2017).

Nach wie vor kam es im Osten der Ukraine auf beiden Seiten zu sporadischen Verstößen gegen den vereinbarten Waffenstillstand. Sowohl die ukrainischen Streitkräfte als auch die pro-russischen Separatisten verübten Verletzungen des humanitären Völkerrechts, darunter Kriegsverbrechen wie Folter, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. In der Ukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurden Personen, die der Unterstützung der jeweils anderen Seite verdächtigt wurden, rechtswidrig inhaftiert, auch zum Zwecke des Gefangenenaustauschs. Sowohl seitens der ukrainischen Behörden als auch der separatistischen Kräfte im Osten der Ukraine kam es auf den von der jeweiligen Seite kontrollierten Gebieten zu rechtswidrigen Inhaftierungen. Zivilpersonen, die als Sympathisanten der anderen Seite galten, wurden als Geiseln für den Gefangenenaustausch benutzt. Wer für einen Gefangenenaustausch nicht in Frage kam, blieb häufig monatelang inoffiziell in Haft, ohne Rechtsbehelf oder Aussicht auf Freilassung. In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk setzten lokale "Ministerien für Staatssicherheit" die ihnen im Rahmen lokaler "Verordnungen" verliehenen Befugnisse dazu ein, Personen bis zu 30 Tage lang willkürlich zu inhaftieren und diese Haftdauer wiederholt zu verlängern. Die ukrainischen Behörden schränkten den Personenverkehr zwischen den von den Separatisten kontrollierten Regionen Donezk und Lugansk und den von der Ukraine kontrollierten Gebieten weiterhin stark ein (AI 22.2.2017).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk agieren lokale Sicherheitsdienste in einem vollkommenen rechtlichen Vakuum, wodurch die von ihnen festgenommenen Personen jeglicher Rechtssicherheit oder Beschwerdemöglichkeiten beraubt (HRW 12.1.2017).

In den von pro-russischen Kräften besetzten Gebieten im Osten der Ukraine kann in keinster Weise von einer freien, gar kritischen Presse die Rede sein. Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).

Pro-russische Separatisten in der Ostukraine entführen, inhaftieren, schlagen und bedrohen Mitglieder der ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats, Zeugen Jehovas und Angehörige protestantischer Kirchen. Auch antisemitische Rhetorik und Handlungen werden berichtet. Sie verwüsten oder beschlagnahmen weiterhin Kirchenvermögen und geben vor, nur „offizielle Kirchen“ dürften tätig werden. Faktisch werden religiöse Gruppen außer der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats systematisch diskriminiert (USDOS 10.8.2016).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-        AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336532/479204_de.html, Zugriff 1.6.2017

-        FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 1.6.2017

-        FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336975/479728_de.html, Zugriff 22.6.2017

-        HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/334769/476523_de.html, Zugriff 6.6.2017

-        ÖB – Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

-        USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

Rechtsschutz/Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering (USDOS 3.3.2017a).

Nach einer langen Phase der Stagnation nahm die Justizreform ab Juli 2016 mit Verfassungsänderungen und neuem rechtlichem Rahmen Fahrt auf. Für eine Bewertung der Effektivität der Reform ist es noch zu früh (FH 29.3.2017).

Die Reform der Justiz war eine der Kernforderungen der Demonstranten am sogenannten Euro-Maidan. Das größte Problem der ukrainischen Justiz war immer die mangelnde Unabhängigkeit der Richter von der Exekutive. Auch die Qualität der Gesetze gab stets Anlass zur Sorge. Noch problematischer war jedoch deren Umsetzung in der Praxis. Auch Korruption wird als großes Problem im Justizbereich wahrgenommen. Unter dem frisch ins Amt gekommenen Präsident Poroschenko machte sich die Regierung daher umgehend an umfassende Justizreformen. Mehrere größere Gesetzesänderungen hierzu wurden seither verabschiedet. Besonders hervorzuheben sind Gesetz Nr. 3524 betreffend Änderungen der Verfassung und Gesetz Nr. 4734 betreffend das Rechtssystem und den Status der Richter, die Ende September 2016 in Kraft traten. Mit diesen Gesetzen wurden die Struktur des Justizsystems reformiert und die professionellen Standards für Richte

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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