TE Bvwg Beschluss 2020/11/10 L501 2163558-1

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Veröffentlicht am 10.11.2020
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Entscheidungsdatum

10.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


L501 2163558-1/15E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene Altendorfer als Einzelrichterin über die Beschwerde von Herrn XXXX XXXX , geboren XXXX , StA. Irak, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.06.2017, Zl. XXXX , beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid im Umfang seines Spruchpunktes I. gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die beschwerdeführende Partei (im Folgenden: "bP") stellte im Gefolge ihrer unrechtmäßigen und schlepperunterstützten Einreise in das Bundesgebiet am 22.9.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Erstbefragung am selben Tag gab die bP an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehörige des Irak zu sein. Sie sei am XXXX in XXXX geboren und habe dort zuletzt im Stadtviertel XXXX gelebt. Sie gehöre der Volksgruppe der Araber an und bekenne sich zum sunnitischen Islam.

Im Hinblick auf ihren Reiseweg brachte die bP vor, dass sie mit einem Pkw von XXXX nach Raqqa, Syrien, gefahren und danach schlepperunterstützt in die Türkei gegangen sei. Nach einem Aufenthalt in Izmir sei sie zusammen mit weiteren 50 Personen mit einem Schlauchboot nach Griechenland gefahren und schließlich über Mazedonien, Serbien, Kroatien und Ungarn nach Österreich gelangt. Ihr Reisepass befinde sich in der Türkei bei einem Freund.

Zur den Gründen ihrer Ausreise befragt, gab die bP an, sie habe als Fliesenlegerin mit einem Baumeister gearbeitet; dieser habe seine Aufträge von der Regierung bekommen und sei sie deswegen am 1.7.2015 vom IS bedroht worden. Die Islamisten hätten ihnen auch ihr Haus in XXXX weggenommen. Ihre Rückkehrbefürchtungen äußerte die bP dahingehend, dass der IS sie zur Todesstrafe verurteilt habe; sie hätten behauptet, dass sie mit den ungläubigen Behörden Geschäfte mache. Weiters habe sie einen Drohbrief vom IS erhalten.

I.2. Aus einem im Verwaltungsakt erliegenden Aktenvermerk des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden kurz: "BFA") vom 10.10.2016 geht hervor, dass der Behörde nach telefonischer Rückfrage in der Sonderbetreuung XXXX mitgeteilt worden sei, dass bei der bP die Diagnose paranoide Schizophrenie gestellt worden sei.

Laut einem im Verwaltungsakt erliegenden Befund der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin des Landesklinikums XXXX vom 25.5.2016 wurde betreffend die bP die Diagnose "Paranoide Schizophrenie (akustische Halluzinationen)" gestellt.

I.3. Mit Schreiben vom 17.10.2016 regte das BFA beim Bezirksgericht XXXX die Bestellung eines Verfahrenssachwalters gemäß § 11 AVG für die bP an.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 19.12.2016, GZ: XXXX , wurde XXXX zum Verfahrenssachwalter und zum einstweiligen Sachwalter der bP für die Angelegenheiten Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträger, insbesondere im Asylverfahren, bestellt.

I.4. Mit Schreiben vom 7.4.2017 teilte das BFA dem Sachwalter der bP mit, dass aufgrund der Erkrankung der bP eine Einvernahme zum Antrag auf internationalen Schutz nicht vorgesehen sei, weshalb anhand der vorliegenden Aktenlage entschieden werde. Das BFA beabsichtige, der bP subsidiären Schutz gemäß § 8 AsylG zu gewähren; für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Sinne des § 3 AsylG sehe das BFA mangels Vorliegen einer offensichtlichen Verfolgung im Sinne der GFK keinen Grund. Dem Sachwalter wurde die Möglichkeit der Stellungnahme binnen drei Wochen mit dem Hinweis eingeräumt, dass in dem Falle, wenn keine Stellungnahme einlange, ein Bescheid über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ergehen werde. Eine Stellungnahme ist nicht aktenkundig.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 1.6.2017 wurde der Antrag der bP auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Der bP wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 1.6.2018 erteilt.

Das BFA stellte zur Person der bP unter anderem fest, dass diese an paranoider Schizophrenie leide und nicht in der Lage sei, ihre Interessen am Verfahren wahrzunehmen, weshalb sie einen Verfahrenssachwalter zur Seite gestellt bekommen habe. Zu den Gründen für das Verlassen ihres Herkunftsstaates und ihrer Situation im Fall einer Rückkehr stellte das BFA im Wesentlichen fest, dass nicht festgestellt werden habe können, dass die bP den Irak aufgrund einer konkreten Verfolgung oder einer Furcht vor solcher verlassen habe. Eine Rückkehr in ihre Heimat könne der bP derzeit nicht zugemutet werden.

Beweiswürdigend führte das BFA aus, dass die niederschriftliche Aussage eines Asylwerbers unzweifelhaft die zentrale Erkenntnisquelle sei. Aufgrund der psychischen Erkrankung der bP hätten ihre Aussagen nicht als Quelle herangezogen werden können, weshalb die Feststellungen rein auf der allgemeinen Lange im Heimatland der bP beruhen würden.

In rechtlicher Hinsicht folgerte das BFA, dass die bP aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht in der Lage gewesen sei, verwertbare Angaben zu einer etwaig vorliegenden Verfolgung im Irak im Sinne der GFK zu machen. Im Fall der bP sei aufgrund ihrer Erkrankung und damit im Zusammenhang stehend der Unmöglichkeit, ihre Aussagen auch nur ansatzweise zu beurteilen, keine Verfolgung feststellbar. Aus der allgemeinen Lage im Irak lasse sich nicht ableiten, dass die bP konkrete Verfolgungsmaßnahmen zu gewärtigen hätte oder einer individuellen Verfolgung ausgesetzt wäre.

I.5. Mit Verfahrensanordnung vom 2.6.2017 wurde der bP gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

I.6. Gegen den am 8.6.2017 zugestellten Bescheid des BFA richtet sich die im Wege der der bP beigegebenen und von ihrem Sachwalter bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation fristgerecht erhobene Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht vom 29.6.2017. Die Beschwerde richtet sich ausschließlich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides.

In der Beschwerde wird zusammengefasst geltend gemacht, dass es das BFA unterlassen habe, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen. Die bP sei in ihrem subjektiven Recht auf rechtliches Gehör verletzt worden. Gemäß § 19 Abs. 2 AsylG sei ein Fremder zumindest einmal nach Zulassung des Verfahrens einzuvernehmen. Die bP leide zwar an einer psychischen Erkrankung, sei jedoch sehr wohl in der Lage, sich zu artikulieren und wäre in der Lage gewesen, ihr asylrelevantes Vorbringen, welches sie bereits in der Erstbefragung vorgebracht habe, zu konkretisieren und glaubhaft darzulegen. Die Mitteilung des BFA an den Sachwalter mit der Möglichkeit zur Stellungnahme reiche nicht aus, um der bP rechtliches Gehör zu verschaffen und hätte der bP die Möglichkeit gegeben werden müssen, ihre Fluchtgründe, auch im Beisein ihres Sachwalters, ausreichend darzulegen. Das BFA habe es außerdem unterlassen, genauere Untersuchungen zum Vorbringen der bP anzustellen. Die bP habe in ihrer Erstbefragung sehr wohl ihre asylrelevante Verfolgung geltend gemacht; sie habe als "Bauunternehmer" im Irak gearbeitet und Bauaufträge für die Regierung durchgeführt, weshalb sie in das Blickfeld des IS geraten sei und nun gesucht werde. Ihre Familie sei vom IS aufgesucht worden und nach dem Aufenthalt der bP befragt und anschließend aus dem Haus vertrieben worden, weshalb die Familie flüchten habe müssen. Der bP werde vom IS eine regierungsfreundliche Gesinnung unterstellt und drohe ihr in ihrem Heimatland unter anderem dadurch Verfolgung. Die Beweiswürdigung des BFA sei mangelhaft, es hätte eine Einvernahme durchgeführt und von der Behörde als Beweismittel herangezogen und ausreichend gewürdigt werden müssen. Die Behörde habe es außerdem verabsäumt, Länderberichte zur Situation der Personen mit psychischer Erkrankung einzuholen. Bei richtiger rechtlicher Würdigung hätte das BFA zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die bP aufgrund ihrer Arbeit und ihrer psychischen Erkrankung eine asylrelevante Verfolgung aufgrund ihrer politischen Gesinnung sowie der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der psychisch Erkrankten ausgesetzt sei.

I.7. Am 6.7.2017 wurde der Akt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

I.8. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 18.5.2018, GZ: XXXX , wurde die Sachwalterschaft für die bP als betroffene Person aufgehoben.

I.9. Am 10.10.2018 wurden dem erkennenden Gericht von Seiten der Rechtsberatungsorganisation der bP Befunde hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes (Fachärztliche Stellungnahmen der XXXX vom 1.6.2018 und 9.10.2018) vorgelegt.

I.10. Aus einem vom erkennenden Gericht am 5.10.2020 eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister geht hervor, dass die bP seit dem 23.9.2020 über keinen behördlich gemeldeten Wohnsitz im Bundesgebiet mehr verfügt.

I.11. Mit Schreiben vom 30.9.2020 teilte die Rechtsberatungsorganisation der bP dem erkennenden Gericht mit, dass die Vertretungs- und Zustellvollmacht zurückgelegt werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

Die belangte Behörde hat relevante Ermittlungen bzw. die Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts unterlassen.

Die bP brachte in ihrer Erstbefragung am 22.9.2015 vor, dass sie im Irak als Fliesenleger mit einem Baumeister gearbeitet; dieser habe seine Aufträge von der Regierung bekommen und sei die bP deswegen am 1.7.2015 vom IS bedroht worden. Die Islamisten hätten ihnen auch ihr Haus in XXXX weggenommen. Ihre Rückkehrbefürchtungen äußerte die bP dahingehend, dass der IS sie zur Todesstrafe verurteilt habe; sie hätten behauptet, dass die bP mit den ungläubigen Behörden Geschäfte mache. Weiters habe die bP einen Drohbrief vom IS erhalten.

Die bP litt zum Zeitpunkt der Entscheidung durch die belanget Behörde an paranoider Schizophrenie und war ihr ein Vereinssachwalter beigegeben.

Die bP wurde im Verfahren vor der belangten Behörde nicht einvernommen; die Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten erfolgte ausschließlich aufgrund der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat der bP. Sonstige Ermittlungen hat die belangte Behörde nicht durchgeführt.

Im Übrigen wird auf den unter I. beschriebenen Verfahrensgang verwiesen.

II.2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben wurde durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verfahrensakt. Die getroffenen Feststellungen ergeben sich unmittelbar aus dem Akteninhalt.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

II.3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, anzuwendendes Verfahrensrecht:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Zu A)

II.3.2. Aufhebung des angefochtenen Bescheides im Umfang seines Spruchpunktes I. und Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde:

II.3.2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

II.3.2.2. Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. dazu ausführlich das Erk. des VwGH vom 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).

II.3.2.3. Im gegenständlichen Fall liegt eine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor:

Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG haben das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Gemäß § 18 Abs. 3 AsylG ist im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers auf die Mitwirkung im Verfahren Bedacht zu nehmen.

Gemäß § 19 Abs. 2 erster Satz AsylG ist ein Asylwerber vom Bundesamt, soweit er nicht auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, zumindest einmal im Zulassungsverfahren und – soweit nicht bereits im Zulassungsverfahren über den Antrag entschieden wird – zumindest einmal nach Zulassung des Verfahrens einzuvernehmen.

Die belangte Behörde hat es im konkreten Fall verabsäumt, eine dem Gesetz entsprechende Ermittlungstätigkeit zu entfalten, insbesondere die nach § 19 Abs. 2 AsylG 2005 gebotene Einvernahme der bP durchzuführen:

Gemäß § 19 Abs. 2 erster Satz AsylG kann eine Einvernahme dann unterbleiben, wenn ein Asylwerber auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen. Im angefochtenen Bescheid wird diesbezüglich beweiswürdigend lediglich ausgeführt, dass "aufgrund Ihrer psychischen Erkrankung" die "Aussagen" der bP "nicht als Quelle herangezogen werden" könnten, "weshalb die Feststellungen rein auf der allgemeinen Lage in Ihrem Heimatland beruhen". In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten, dass "aufgrund Ihrer Erkrankung und damit im Zusammenhang stehend der Unmöglichkeit, Ihre Aussagen auch nur ansatzweise zu beurteilen, keine solche Verfolgung feststellbar" gewesen sei.

Das erkennende Gericht hält in diesem Zusammenhang fest, dass keinerlei Aussagen der bP vor der belangten Behörde aktenkundig sind, die der obgenannten Beweiswürdigung bzw. rechtlichen Beurteilung durch die Behörden unterzogen werden konnten; im Gegenteil ist eine Einvernahme der bP vor der belangten Behörde gänzlich unterblieben.

Das Vorbringen der bP im Rahmen ihrer Erstbefragung am 22.9.2015 lässt die dargestellten, von der belangten Behörde gezogenen Schlüsse allerdings nicht zu: Die Angaben der bP zu ihrer Person, zu ihrem Ausreisegrund und ihrer Fluchtroute stellen sich im Wesentlichen stringent und zielgerichtet dar. Die bP war offensichtlich dazu in der Lage, die ihr im Zuge der Befragung gestellten Fragen zu beantworten und ihren Fluchtgrund verständlich zu artikulieren. Die – unauffällig erscheinenden – Antworten der bP während ihrer Befragung unterscheiden sich nicht wesentlich von denen anderer Antragsteller in ähnlich gelagerten Fällen und lassen nicht darauf schließen, dass die bP nicht imstande wäre, ihre Ausreisegründe wahrheitsgemäß darzulegen. Soweit die belangte Behörde die im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung vorliegende Erkrankung der bP an paranoider Schizophrenie und die erfolgte Bestellung eines Sachwalters als Begründung für das Unterbleiben einer Einvernahme ins Kalkül zieht, ist darauf zu verweisen, dass weder das bisherige Aussageverhalten der bP noch die vorliegenden medizinischen Befunde eine mangelnde Aussage- bzw. Einvernahmefähigkeit der bP indizieren. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auch darauf, dass bereits mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 18.5.2018 die Sachwalterschaft für die bP aufgehoben und der Sachwalter der bP gleichzeitig seines Amtes enthoben wurde.

Indem die belangte Behörde aber allein aufgrund der psychischen Erkrankung der bP von Vornherein davon ausging, dass ihre Angaben nichts zur Wahrheitsfindung beitragen können, hat sie eine unzulässige antizipierende Beweiswürdigung vorgenommen (vgl. dazu VwGH vom 15.11.2007, 2006/12/0205) und es auf diese Weise unterlassen, ihren amtswegigen Ermittlungspflichten nachzukommen.

Vor diesem Hintergrund hat die belangte Behörde zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts keine geeigneten Ermittlungen gesetzt, wodurch der angefochtene Bescheid unter gravierenden Ermittlungsmängeln leidet. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen ein tragfähiges Ermittlungssubstrat, das einer Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zugrunde gelegt werden könnte. Die belangte Behörde hat aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts gegenständlich jegliche Ermittlungstätigkeiten unterlassen, die für die Beurteilung des Sachverhaltes unabdingbar sind, sodass gar keine Ermittlungsergebnisse vorliegen, welche allenfalls im Zusammenhalt mit einer durchzuführenden Verhandlung ergänzt und zu einer meritorischen Entscheidung herangezogen werden könnten (vgl. dazu VwGH vom 9.3.2016, Ra 2015/08/0025, mwN; vom 10.9.2014, Ra 2014/08/0005); es wäre vielmehr das gesamte erforderliche Ermittlungsverfahren erstmalig durch das Bundesverwaltungsgericht durchzuführen. Somit kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass zur Behebung der aufgezeigten Mängel (lediglich) "ergänzende" Ermittlungen durch das Bundesverwaltungsgericht vorzunehmen wären (vgl. VwGH vom 15.11.2018, Ra 2018/19/0268). Dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre, ist nicht ersichtlich und würde die Nachholung sämtlicher Ermittlungen durch das Bundesverwaltungsgericht zudem ein nicht dem Gesetz entsprechendes Unterlaufen des Instanzenzuges bedeuten.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde die bP daher gemäß § 19 Abs. 2 erster Satz AsylG einzuvernehmen haben und ihre Aussagen im Lichte ihrer psychischen Erkrankung zu beurteilen haben (vgl. VwGH vom 28.6.2005, 2005/01/0080). Wenn und soweit im fortgesetzten Verfahren allerdings begründete Zweifel an der Aussage- bzw. Einvernahmefähigkeit der bP zutage treten, wird die belangte Behörde diese durch Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens abzuklären und – wenn sich auf dieser Grundlage ergibt, dass die bP aus in ihrer Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen – gegebenenfalls von einer Einvernahme abzusehen haben.

Es war daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG mit einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides im Umfang seines Spruchpunktes I. und einer Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde vorzugehen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur kassatorischen Entscheidung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung:

Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Schlagworte

Einvernahme Einvernahmefähigkeit Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L501.2163558.1.00

Im RIS seit

05.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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