TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/11 W103 2196145-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.11.2020
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Entscheidungsdatum

11.11.2020

Norm

AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §60 Abs1
AsylG 2005 §60 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs2
IntG §9
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W103 2196145-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Auttrit als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch XXXX , Rechtsanwalt in XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2018, Zl. 1106054307/160268054, zu Recht erkannt:

A)

I. In Erledigung der Beschwerden gegen den Spruchpunkt IV. wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG idgF iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG idgF auf Dauer unzulässig ist.

II. Gemäß §§ 54 und 55 AsylG 2005 iVm §§ 9 Abs 3 BFA-VG jeweils idgF, wird XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

III. In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt V. und VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsbürgerin der Ukraine, stellte infolge Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 15.02.2016 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem sie am 19.02.2016 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt wurde. Dabei gab sie im Wesentlichen zu Protokoll, der Volkgruppe der Ukrainer sowie dem orthodoxen Christentum anzugehören und ausgebildete Ärztin zu sein. Ihr Ehemann und eine volljährige Tochter hielten sich in der Russischen Föderation auf, eine weitere volljährige Tochter lebe in Österreich. Sie habe von einer in Österreich lebenden russischen Familie ein Angebot erhalten, sich um die Betreuung deren kranken Kindes zu kümmern. Diese Familie hätte ihre Reise nach Österreich organisiert. Zu ihrem Fluchtgrund führte die Beschwerdeführerin an, sie habe ursprünglich für diese russische Familie arbeiten wollen, um Geld zu verdienen. Es habe dann aber Probleme mit der Familie gegeben, da sie die Beschwerdeführerin als Sklavin gehalten hätten. Sie sei im Keller eingesperrt worden und habe nach vier Monaten fliehen können. Daraufhin hätte diese russische Familie die Familie der Beschwerdeführerin bedroht. Im Falle einer Rückkehr hätte sie Angst vor dieser russischen Familie, zumal diese wüsste, wo sie wohne. Sie habe außerdem Angst, dass sie als Ärztin im Krieg in einem Lazarett eingesetzt werden würde.

Sichergestellt wurden der im September 2011 abgelaufene ukrainische Reisepass sowie der ukrainische Personalausweis der Beschwerdeführerin.

Nach Zulassung ihres Verfahrens wurde die Beschwerdeführerin am 13.03.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die ukrainsiche Sprache sowie ihres rechtsfreundlichen Vertreters niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte sie auf entsprechende Befragung hin zusammenfassend vor, sich psychisch und physisch zur Durchführung der Einvernahme in der Lage zu fühlen; sie leide seit dem 28. Lebensjahr unter sehr XXXX und nehme diesbezügliche Medikamente ein, darüber hinaus sei sie gesund. In der Ukraine habe sie Grund- und Mittelschule sowie eine Universität absolviert und 23 Jahre lang als Ärztin in der Rettung gearbeitet. Im Heimatland habe sie keine Angehörigen mehr. In Österreich lebe sie von staatlicher Unterstützung, würde jedoch gerne in der Pflege arbeiten. Ihr Heimatland habe sie im Jahr 2001 verlassen, um die Ausbildung ihrer Tochter finanzieren zu können. Damals habe sie ein Angebot von einer privaten Familie erhalten, als Pflegerin für ihr Kind zu arbeiten. Sie sei im Jahr 2001 nach Österreich gekommen und habe sich dann vier Monate lang bei dieser Familie aufgehalten. Nach Ablauf ihres Visums sei sie von jener Familie nicht weggelassen worden und habe auch nie eine Bezahlung erhalten. Als das Kind in der Schule gewesen wäre und die Frau zur Arbeit gegangen wäre, sei die Beschwerdeführerin in den Keller gesperrt worden. Anfang Februar 2002 habe sie flüchten können. In Österreich befänden sich ihre Tochter und ihr Enkelkind, mit denen sie zusammenwohne. Die Tochter halte sich seit sechs oder sieben Jahren in Österreich auf und habe ebenfalls die weiße Karte. Ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis bestünde nicht.

Zu den Gründen ihrer Asylantragstellung führte die Beschwerdeführerin aus, sie sei Ärztin und in der Ukraine herrsche gerade Krieg. Sie habe gehört, dass alle Ärzte angerufen würden. Das Gesetz besage, dass diejenigen, die sich weigern würden, zur Verantwortung gezogen würden. Ihre Tochter habe zudem politische Gründe für ihre Flucht nach Österreich aufgewiesen, die Wohnung, in der sie gelebt hätten, sei ihnen weggenommen worden. Weitere Fluchtgründe habe sie nicht. Zu ihren Rückkehrbefürchtungen erklärte die Beschwerdeführerin, ihr ukrainischer Reisepass sei bereits seit 14 Jahren abgelaufen. Die Polizei werde sie nach ihrem Verbleib fragen; dies bedeute eine Strafe für sie. Zudem habe sie Angst, als Ärztin einberufen zu werden. Auf die Frage, ob sie einen Einberufungsbefehl erhalten hätte, meinte die Beschwerdeführerin, zu glauben, dass sie einberufen worden wäre, sie sei jedoch nicht zu Hause gewesen. Es könne sein, dass sie gesucht werde. Einen Einberufungsbefehl habe sie nicht erhalten, bei Ausbruch des Krieges sei sie bereits in Österreich gewesen. Der Beschwerdeführerin wurden im Anschluss die Länderberichte zur Thematik von Wehrdienst in der Ukraine vorgehalten, wozu sie angab, dass medizinische Kräfte mitgenommen werden würden. Auf Befragung durch die anwesende gewillkürte Vertreterin schilderte die Beschwerdeführerin die Umstände ihrer Flucht aus dem Haus ihrer Abreitgeberin im Jahr 2002. Diese hätte infolge der Flucht die Tochter und den Ehemann der Beschwerdeführerin in der Ukraine angerufen und diesen gedroht. Dieser Vorfall habe sich im Februar 2002 ereignet, seither hätte es keine weiteren Vorfälle und keinen Kontakt mehr zu der Arbeitgeberin gegeben. Sie nehme an, dass die Drohungen deshalb aufgehört hätten, da sie im Gegenzug für die Rückgabe ihrer Dokumente nicht zur Polizei gegangen wäre. Sie denke, dass die Arbeitgeberin ihr gegenüber, auch nach einer Rückkehr in die Ukraine, gefährlich werden könnte, da sie eine einflussreiche Frau wäre.

Hinsichtlich ihrer Freizeitgestaltung in Österreich antwortete die Beschwerdeführerin auf Deutsch, viele Freunde in Österreich zu haben, Museen und verschiedene Plätze in Österreich besucht zu haben. Sie habe Interesse an der österreichischen Kultur, höre Radio und lese Zeitung. Die gewillkürte Vertreterin beantragte in der Folge die Einvernahme der Tochter der Beschwerdeführerin als Zeugin.

Die Beschwerdeführerin legte Unterstützungsschreiben aus ihrem privaten Umfeld, Bestätigungen über den Besuch von Deutschkursen sowie ihren Kulturpass vor.

Im Rahmen einer durch ihren gewillkürten Vertreter eingebrachten schriftlichen Stellungnahme vom 15.03.2018 wurde zusammengefasst ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe vor ihrer Ausreise als Notärztin gearbeitet und habe als solche zusätzlich zu ihrem Medizinstudium eine militärische Grundausbildung absolviert, in der sie unter anderem den Umgang mit Waffen gelernt hätte. Im Jahr 2001 sei ihr das Angebot gemacht worden, in Österreich als private Pflegerin für das kranke Kind einer russisch-stämmigen Frau zu arbeiten; die Beschwerdeführerin sei im Herbst 2001 auf Grundlage eines Touristenvisums legal in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Die Beschwerdeführerin habe bis heute kein Gehalt für ihre Tätigkeit erhalten, zudem sei es ihr nicht erlaubt gewesen, das Haus alleine zu verlassen. Wenn sie sich alleine in der Wohnung befunden hätte, sei sie in einen kleinen Raum im Keller eingesperrt worden. Nach etwa vier Monaten Gefangenschaft und Zwangsarbeit sei der Beschwerdeführerin unter näher dargestellten Umständen die Flucht gelungen. In weiterer Folge habe die ehemalige Abreitgeberin mehrfach die Familie der Beschwerdeführerin in der Ukraine kontaktiert und gedroht, kriminelle Personen mit einem Angriff auf diese zu beauftragen. Ihr sei es, gegen Zusage, sich nicht an die Polizei zu wenden, und unter Verzicht auf ihr Gehalt schließlich gelungen, ihren Reisepass wiederzuerlangen. Aus heutiger Sicht bereue es die Beschwerdeführerin, sich nach Erhalt ihres Reisepasses nicht an die österreichische Polizei gewandt zu haben bzw. in die Ukraine zurückgekehrt zu sein. So habe sie sich zunächst mit der Unterstützung mehrerer in Österreich lebender russischsprachiger Personen im Bundesgebiet installiert. Ab dem Jahr 2009 sei die Tochter der Beschwerdeführerin aufgrund der politischen Tätigkeit ihres ehemaligen Lebensgefährten sowie ihrer eigenen öffentlich bekundeten politischen Einstellung in der Ukraine verfolgt worden und sei daher zur Flucht nach Österreich gezwungen gewesen, wo sie einen Asylantrag gestellt hätte. Auch die Beschwerdeführerin habe ab diesem Zeitpunkt Übergriffe aufgrund der Verwandtschaft zu ihrer Tochter befürchtet. Zusätzlich sei in Folge der Proteste ab November 2013 in der Ukraine ein Krieg ausgebrochen, die Beschwerdeführerin befürchte nun, aufgrund ihrer militärischen Ausbildung als Ärztin zum Wehrdienst eingezogen zu werden. Ob ein entsprechender Einberufungsbefehl bereits erlassen worden wäre, sei der Beschwerdeführerin wegen der langen Ortsabwesenheit nicht bekannt. Sie wolle jedoch festhalten, dass sie der Einberufung keine Folge leisten wolle, da sie einerseits befürchte, selbst zum Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen zu werden, andererseits möchte sie die von der ukrainischen Armee begangenen Menschenrechtsverletzungen nicht durch ihren eigenen aktiven Dienst unterstützen. Im Falle einer Weigerung habe sie jedoch strafrechtliche Folgen zu befürchten. Als Frau mit militärisch nutzbaren Spezialkenntnissen, konkret einem abgeschlossenen Medizinstudium und einem abgeleisteten Grundwehrdienst, müsse vor dem Hintergrund der durch das BFA ausgehändigten Länderberichte auch die Beschwerdeführerin befürchten, als Militärärztin zum aktiven Dienst einbezogen zu werden bzw. bereits einberufen worden zu sein. Auch die Möglichkeit einer Strafverfolgung im Fall der Rückkehr in die Ukraine werde im LIB ausdrücklich angeführt. Die im Länderinformationsblatt ersichtliche Information, wonach Frauen lediglich im Alter von 20 bis 50 Jahren Wehrdienst ableisten müssten, stütze sich auf eine nicht öffentlich abrufbare Quelle und könne daher hinsichtlich ihres Wahrheitsgehaltes nicht nachgeprüft werden. Zudem werde ergänzend auf einen aktuellen Bericht von Human Rights Watch verwiesen, aus welchem sich ergebe, dass beide Konfliktparteien im Krieg in der Ostukraine regelmäßig Menschenrechtsverletzungen begehen sowie internationales Völkerrecht verletzen würden. Sowohl die Befürchtung der Beschwerdeführerin im Fall des Einzugs zur Armee Opfer des Konflikts zu werden, als auch die Befürchtung, sich durch den aktiven Dienst gezwungenermaßen an Menschenrechtsverletzungen beteiligen zu müssen, seien vor dem Hintergrund dieser Informationen durchaus berechtigt. Aus einem weiters angeführten Bericht ergebe sich, dass laut ukrainischem Meldegesetz für die Meldung einer Unterkunft zwingend unter anderem Unterlagen dazu vorgelegt werden müssten, ob der Wehrdienst abgeleistet bzw. einer Einberufung Folge geleistet worden wäre. Ohne offizielle Registrierung bestünde kein Zugang zu medizinsicher Versorgung und staatlicher Sozialhilfe. Aus weites angeführten Nachrichtenberichten ergebe sich, dass die ukrainische Armee bereits in einem früheren Stadium des Krieges große Probleme gehabt, ausreichend Personen für den Militärdienst zu rekrutieren. Daher liege die Vermutung nahe, dass zunehmend auch Frauen bzw. ältere Personen, welche über eine militärische Grundausbildung verfügen, zum aktiven Dienst einberufen würden. Beantragt werde, die Staatendokumentation bzw. einen Ländersachverständigen mit der Beantwortung der Frage zu beauftragen, in wie fern Frauen bzw. Ärztinnen mit militärischer Grundausbildung zum Wehrdienst einbezogen würden. Aufgrund der dargelegten Umstände sei der Beschwerdeführerin der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen. Die Genannte habe infolge der Freiheitsberaubung durch ihre ehemalige Arbeitgeberin ein massives Trauma erlitten und lebe bis heute in Furcht vor Übergriffen. Grundsätzlich plane sie jedoch, in Zukunft eine Strafanzeige gegen ihre ehemalige Arbeitgeberin zu erstatten, sofern ihre Sicherheit sowie jene ihrer Familie ausreichend gewährleistet werde.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 13.04.2018 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und den Antrag gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Behörde stellte die Staatsbürgerschaft, Identität, Volksgruppenzugehörigkeit sowie Religion der Beschwerdeführerin fest und legte ihrer Entscheidung ausführliche Feststellungen zur aktuellen Situation in deren Herkunftsstaat zu Grunde. Die Beschwerdeführerin sei im Jahr 2001 unter Verwendung eines Visums C in das Bundesgebiet eingereist. Seit Ablauf jenes Visums am 02.11.2001 bis zum Zeitpunkt ihrer Asylantragstellung am 19.02.2016 sei die Beschwerdeführerin illegal in Österreich aufhältig gewesen bzw. es stünde nicht fest, wo sie sich in diesem Zeitraum aufgehalten hätte. Das Vorliegen einer schweren psychischen oder physischen Erkrankung könne nicht festgestellt werden. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführerin in der Ukraine asylrelevanter Verfolgung oder Gefährdung durch staatliche Organe oder Privatpersonen ausgesetzt gewesen sei oder eine solche zukünftig zu erwarten hätte. Die Beschwerdeführerin, welche in der Ukraine laut ihren Angaben über keine familiären Anknüpfungspunkte mehr verfüge, sei arbeitsfähig, die elementare Grundversorgung in ihrem Herkunftsland sei gewährleistet. Es habe unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden können, dass ihr im Herkunftsstaat die Lebensgrundlage gänzlich entzogen gewesen wäre oder sie in eine existenzbedrohende Notlage gedrängt werden würde.

Im Bundesgebiet lebe die Beschwerdeführerin in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrer volljährigen Tochter, deren Antrag auf internationalen Schutz durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ebenfalls abgewiesen worden wäre. Die Beziehung zu ihrer Tochter ginge nicht über das übliche Maß hinaus und es lägen keine gegenseitigen Abhängigkeiten vor. Außergewöhnliche Umstände, beispielsweise eine außergewöhnlich tiefe Verwurzelung in Österreich, seien im Verfahren nicht hervorgekommen.

3. Mit Eingabe vom 17.05.2018 wurde durch den gewillkürten Vertreter der Beschwerdeführerin fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde erhoben, in welcher der dargestellte Bescheid vollumfänglich angefochten wurde. Begründend wurde infolge nochmaliger Darstellung des Vorbringens zusammengefasst ausgeführt, die Behörde habe ihre amtswegigen Ermittlungspflichten insofern verletzt, als sie die Beschwerdeführerin nicht zum gesamten entscheidungsmaßgeblichen Sachverhalt befragt hätte und ihrer Entscheidung keine hinreichend aktuellen und auf das konkrete Fluchtvorbringen abgestimmten Länderberichte zur Situation in der Ukraine zugrunde gelegt hätte. Eine Einschätzung dazu, ob der Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr eine Einberufung zur Armee drohe bzw. ob aufgrund ihrer langen Abwesenheit bereits ein Einberufungsbefehl erlassen worden sei, wäre demnach nicht möglich. Aus einem Artikel einer englischsprachigen Online-Zeitung aus Juni 2016 ergebe sich, dass es in der ukrainischen Armee 17.000 Soldatinnen gebe sowie 33.000 Frauen, die als Beamtinnen und Angestellte für die Armee arbeiten würden. Mehr als 1.500 Frauen hätten Aufgaben im Gebiet der Antiterror-Operation erfüllt. Die ergänzend beigebrachten Länderberichte würden das Vorbringen der Beschwerdeführerin stützen. Weiters habe die Behörde insofern einen wesentlichen Verfahrensfehler begangen, als die Tochter der Beschwerdeführerin als Zeugin für die gegen die Familie der Beschwerdeführerin gerichtete Drohung der ehemaligen Arbeitgeberin der Beschwerdeführerin sowie für das zwischen der Beschwerdeführerin, ihrer Tochter und ihrer Enkelin bestehende Familienleben zur Verfügung gestanden hätte. Auch dem zweiten Beweisantrag der Beschwerdeführerin bezüglich eines Ländersachverständigen-Gutachtens zur Ukraine sei, ebenfalls ohne diesbezügliche Erklärung, nicht entsprochen worden. Desweiteren sei auch dem Antrag des rechtsfreundlichen Vertreters, den nicht öffentlich zugänglichen Fact Finding Mission Report Ukraine, auf welchen die Behörde die Feststellung stütze, dass Frauen lediglich im Alter von 20 bis 50 Jahren zum Wehrdienst verpflichtet wären, vollständig vorzulegen, nicht entsprochen worden. Entgegen den beweiswürdigenden Ausführungen der Behörde sei die Beschwerdeführerin seit dem Jahr 2001 durchgehend in Österreich aufhältig gewesen. Die Tochter habe mit ihrer unrichtigen Angabe in deren Asylverfahren im Jahr 2013 ihre Mutter vor verwaltungsstrafrechtlichen Konsequenzen bzw. einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme schützen wollen, zumal sich die Beschwerdeführerin damals bekanntlich illegal in Österreich aufgehalten hätte. Zusätzlich habe die Tochter damals unter einer psychisch sehr schlechten Verfassung im Sinne von starken Depressionen gelitten. Sowohl die Beschwerdeführerin als auch ihre Tochter würden bedauern, dass dieser Umstand nicht früher offengelegt worden wäre, doch sei anzumerken, dass die Behörde es unterlassen hätte, der Beschwerdeführerin einen diesbezüglichen Vorhalt zu machen respektive die damals im Gebäude anwesende Tochter als Zeugin zu befragen. Zusätzlich sei festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin der Behörde ihren Reisepass vorgelegt hätte, welchem keine Sichtvermerke bezüglich einer Einreise in die USA zu entnehmen wären; dass der Pass nicht als ungültig markiert worden wäre, indiziere, dass der Beschwerdeführerin zwischenzeitlich auch kein anderer Reisepass ausgestellt worden wäre. Aus einem beiliegend übermittelten Mietvertrag ergebe sich, dass die Beschwerdeführerin ab Ende Juni 2012 über einen unbefristeten Mietvertrag im Bundesgebiet verfügt hätte, weiters beigelegten Schreiben von BIPA und Merkur aus dem Zeitraum 2011/2012 lasse sich entnehmen, dass sie zu diesem Zeitpunkt im Bundesgebiet aufhältig gewesen wäre. Soweit die belangte Behörde eine aktuelle Verfolgungsgefahr unter dem Hinweis verneint hätte, dass die Beschwerdeführerin zuletzt im Jahr 2002 Kontakt zu ihrer ehemaligen Arbeitgeberin gehabt hätte, lasse sie unberücksichtigt, dass die Tatsache eines in der Vergangenheit gelegenen letzten persönlichen Kontaktes keinen unmittelbaren Zusammenhang zur in der Gegenwart liegenden Gefährdung aufweisen müsse. So habe die Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde ausgeführt, dass ihre in der Ukraine verbliebene Familie mehrfach von der ehemaligen Arbeitgeberin bedroht worden wäre; diese Drohungen hätten nach dem letzten Kontakt der Beschwerdeführerin zur Abreitgeberin stattgefunden und erst aufgehört, als die Familie der Beschwerdeführerin ebenfalls die Ukraine verlassen hätte. Die ehemalige Arbeitgeberin verfüge nach Einschätzung der Beschwerdeführerin über ausgezeichnete Kontakte in der Ukraine und habe großes Interesse daran, sich an der Beschwerdeführerin zu rächen sowie sicherzustellen, dass diese sie nicht strafrechtlich zur Verantwortung ziehen könne. Als Frau mit militärisch nutzbaren Spezialkenntnissen, konkret einem abgeschlossenen Medizinstudium sowie einem abgeleisteten Grundwehrdienst, müsse die Beschwerdeführerin vor dem Hintergrund der durch das BFA ausgehändigten Länderberichte befürchten, zum aktiven Dienst einbezogen zu werden. Auch die Möglichkeit einer Strafverfolgung im Fall einer Rückkehr, sofern gegen die Beschwerdeführerin zuvor bereits ein nicht befolgter Einberufungsbefehl erlassen worden wäre, werde im Länderinformationsblatt ausdrücklich angeführt. Keine Auseinandersetzung sei schließlich mit den zahlreich vorgelegten Integrationsnachweisen vorgenommen geworden; die in Österreich aufhältige Enkelin, mit welcher die Beschwerdeführerin im gemeinsamen Haushalt lebe, werde überhaupt nicht berücksichtigt. Die Beschwerdeführerin würde einem Einberufungsbefehl keine Folge leisten, da sie nicht nur Angst um ihre eigene Sicherheit hätte, sondern den Krieg in der Ostukraine und die darin von der ukrainischen Armee begangenen Menschenrechtsverletzungen ablehne und daher nicht unterstützen möchte. Darin manifestiere sich die politische Gesinnung der Beschwerdeführerin, wodurch ein Zusammenhang zu einem Konventionsgrund vorliege. Es liege demnach eine asylrelevante Verfolgung vor, da das ukrainische Gesetz keine Möglichkeit einräume, einen Wehrdienst aus Gewissengründen zu verweigern bzw. einen Ersatzdienst abzuleisten. Für den Fall, dass das Bundesverwaltungsgericht davon ausginge, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihres Alters und ihrer gesundheitlichen Situation aktuell nicht zum Wehrdienst verpflichtet sein würde, sei darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Ausreise im Jahr 2001 lediglich 40 Jahre und zum Zeitpunkt des Kriegsbeginns 53 Jahre alt gewesen wäre. In Übereinstimmung mit den Länderfeststellungen der belangten Behörde sei eine zu diesem Zeitpunkt erfolgte Einberufung durchaus wahrscheinlich. Zusätzlich befürchte die Beschwerdeführerin Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie (bezüglich der Verfolgung ihrer Tochter) sowie aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der von privater Verfolgung einer einflussreichen Person Betroffenen. Alternativ werde der Beschwerdeführerin subsidiärer Schutz zuzuerkennen sein, zumal die Länderberichte eine mangelhafte medizinische Versorgung sowie äußerst prekäre Existenzbedingungen gerade für auf staatliche Unterstützung angewiesene ältere und kränkere Menschen darlegen würden. Die Beschwerdeführerin leide an XXXX , weshalb sie regelmäßig medizinische Behandlung benötige; zusätzlich bestünde der Verdacht, dass die Beschwerdeführerin an XXXX erkrankt wäre. Ohne Unterstützung von Familienmitgliedern sei die Beschwerdeführerin nicht mehr in der Lage, ihren Alltag zu bewerkstelligen und ihr Existenzminimum zu sichern. Durch eine Abschiebung der Beschwerdeführerin würde zudem Art. 8 EMRK verletzt werden; diese halte sich seit mehr als 17 Jahren durchgehend im Bundesgebiet auf, davon etwa zweieinhalb Jahre legal als Asylwerberin. In dieser Zeit habe sie sich vorbildlich integriert, zuletzt habe sie eine Deutschprüfung auf dem Niveau B1 abgelegt. Sie spreche jedoch deutlich besser Deutsch, sodass die Kontaktaufnahme mit der ausgewiesenen Vertretung ausschließlich in deutscher Sprache stattgefunden hätte. Die Beschwerdeführerin lebe mit ihrer Tochter und Enkelin in einem gemeinsamen Haushalt und führe mit diesen ein intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK. Die Tochter der Beschwerdeführerin sei aufgrund der traumatischen Ereignisse in der Ukraine immer wieder in psychisch schlechter Verfassung und daher – nicht nur, aber auch, bei der Erziehung ihrer Tochter – auf die tägliche Unterstützung ihrer Mutter angewiesen. Die Behörde hätte auch prüfen müssen, in wie fern sich die Trennung der Beschwerdeführerin von ihrer Enkelin auf deren Kindeswohl auswirke. Die Beschwerdeführerin habe zudem einen großen Freundeskreis in Österreich und nehme an verschiedenen kulturellen Aktivitäten teil. Sie sei strafgerichtlich unbescholten, würde aufgrund ihres abgeschlossenen Medizinstudiums rasch eine Arbeitsstelle (etwa als Pflegerin) finden und habe bereits während des laufenden Asylverfahrens immer wieder als Selbständige einen Verkaufsstand auf dem Flohmarkt betrieben. Weiters wurde beantragt, der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, sowie einen Ländersachverständigen zu beauftragen und eine mündliche Verhandlung abzuhalten.

Beiliegend übermittelt wurden ein Mammographie-Befundbericht vom 21.03.2018, eine MR-Zuweisung, ein im Juni 2012 von der Beschwerdeführerin als Mieterin abgeschlossener Mietvertrag sowie an diese Anschrift im Zeitraum 2012 übermittelte Schreiben, ein psychiatrischer Befund betreffend die Tochter der Beschwerdeführerin sowie eine Bestätigung über die Teilnahme an einer B1-Prüfung vom 03.04.2018 durch die Beschwerdeführerin.

4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 23.05.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

5. Mit EK des BVwG vom 06.05.2019 zur Zl W103 2196145-1/4E wurde die Beschwerde gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46 und 55 FPG 2005, jeweils idgF, als unbegründet abgewiesen.

Hinsichtlich der Rückkehrentscheidung wurde dies wie folgt begründet.

„Wie im angefochtenen Bescheid zutreffend dargelegt, ist es als nicht glaubhaft zu erachten, dass sich die Beschwerdeführerin bereits seit ihrer mittels Visum erfolgten Einreise im Jahr 2001 durchgehend (bis zu ihrer Antragstellung auf internationalen Schutz im Jahr 2016) illegal im Bundesgebiet aufgehalten hat; die Beschwerdeführerin, welche erstmals im Februar 2016 eine Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet aufgewiesen hat, hat keinerlei Nachweis bezüglich eines durchgehenden Aufenthalts im Bundesgebiet seit dem Jahr 2001 in Vorlage gebracht. Selbst wenn sie, wie in der Beschwerde unter der Vorlage eines entsprechenden auf ihren Namen lautenden Mietvertrages dargelegt, im Juni 2012 eine Wohnung im Bundesgebiet unbefristet angemietet und an diese Adresse Post zweier österreichischer Unternehmen erhalten haben sollte, kann hierin keinesfalls ein ausreichender Beleg für den nunmehr vorgebrachten über 17-jährigen durchgehenden Aufenthalt im Bundesgebiet erkannt werden. Auch die Beschwerdeführerin hat im gegenständlichen Verfahren keine nachvollziehbare Erklärung dafür aufgezeigt, weshalb sie sich für einen Zeitraum von rund 14 Jahren hätte illegal im Bundesgebiet aufhalten und erst dann – durch die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz – einen Versuch zur Legalisierung ihres Aufenthaltsstatus vornehmen sollte. Neben den fehlenden Belegen für einen derart langjährigen illegalen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet hat die Behörde auch zutreffend aufgezeigt, dass die Tochter der Beschwerdeführerin anlässlich einer in ihrem Verfahren auf internationalen Schutz abgehaltenen Einvernahme am 11.03.2013 ausführte, dass sich ihre Mutter seit 15 Jahren in den USA aufhalten würde, von einem Inlandsaufenthalt der Beschwerdeführerin in diesem Zeitraum hingegen nichts erwähnte. Die Behörde ging im angefochtenen Bescheid demnach zu Recht davon aus, dass ein durchgehender Aufenthalt im Bundesgebiet seit dem Jahr 2001 von der Beschwerdeführerin nicht glaubhaft dargelegt werden konnte.“

6. Mit EK des VwGH vom 07.08.2019 zur Zl RA 2019/18/0250-7 wurde das EK des BVWG hinsichtlich der Rückkehrentscheidung (nur diese wurde angefochten) behoben.

Begründet wurde dies wie folgt.

„Das BFA führte betreffend den bisherigen Inlandsaufenthalt der Revisionswerberin aus, die Revisionswerberin sei von 2. November 2001 bis zur Einbringung des vorliegenden Antrages auf internationalen Schutzes illegal in Österreich aufhältig gewesen „bzw.“ es stehe nicht fest, wo sie sich in diesem Zeitraum aufgehalten habe.

Den letztgenannten Ausführungen trat die Revisionswerberin in ihrer Beschwerde explizit entgegen. Sie erläuterte auch konkret, weshalb ihrer Ansicht nach die Zweifel der Behörde an ihrem Aufenthalt im Bundesgebiet seit dem Jahr 2001 nicht überzeugend seien. Mit diesem Vorbringen hat die Revisionswerberin die Beweiswürdigung des BFA substantiiert bekämpft, womit die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht mehr vorlagen.

Hinzu kommt, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht die mehrdeutigen Feststellungen des BFA zum bisherigen Aufenthalt der Revisionswerberin im Bundesgebiet übernahm, sondern diese dahin abänderte, es könne nicht festgestellt werden, dass sich die Revisionswerberin seit dem Jahr 2001 durchgehend im Bundesgebiet aufhalte.

Der Frage der Dauer des bisherigen Inlandsaufenthalts der Revisionswerberin, die nach ihrem Vorbringen bereits deutlich länger als zehn Jahre (wenn auch überwiegend illegal) in Österreich lebte, kam fallbezogen im Rahmen der durch das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 8 EMRK vorzunehmenden Interessenabwägung maßgebliche Bedeutung zu (zur ständigen Rechtsprechung, wonach bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist, sofern die in Österreich verbrachte Zeit für eine soziale und berufliche Integration nicht gänzlich ungenützt geblieben ist, siehe z.B. VwGH 4.8.2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253; zu einer Konstellation, in der die persönlichen Interessen der Fremden ungeachtet des mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthaltes im Bundesgebiet ausnahmsweise nicht überwogen, vgl. VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005). Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung war in der vorliegenden Konstellation somit unverzichtbar.“

7. Am 21.10.2020 wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt (siehe OZ 15Z).

8. Mit Schreiben vom 03.11.2020 wurden ein Zeugnis der BF über die Ablegung der Integrationsprüfung A2 beim ÖIF, am 02.10.2020, sowie zwei Einstellungszusagen übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Auf Grundlage des Verwaltungsakts der belangten Behörde und der in diesem Verfahren durchgeführten mündlichen Verhandlung wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Ukraine, sie gehört der ukrainischen Volksgruppe sowie dem orthodoxen Glauben an. Ihre Identität steht fest. Die Beschwerdeführerin reiste im Jahre 2001 in das österreichische Bundesgebiet ein, stellte am 15.02.2016 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz und hält sich seit diesem Zeitpunkt ununterbrochen im Bundesgebiet auf.. Die Beschwerdeführerin stammt aus einer Stadt im Westen der Ukraine, wo sie ihren unbelegten Angaben zufolge die Schule sowie ein Medizinstudium absolviert und im Anschluss als Rettungs-Ärztin gearbeitet hat, wodurch sie eigenständig für ihren Lebensunterhalt aufgekommen ist. Ihre ältere Tochter und ihre Enkelin befinden sich in Österreich, deren Verfahren im wurde bereits beendet (W189 1437565-1 und W189 2199841-1) – beide erhielten ein Aufenthaltsrecht in Österreich.

1.2. Die unbescholtene Beschwerdeführerin verfügt in Österreich über ein schützenswertes Privat- oder Familienleben. Sie lebt im Bundesgebiet gemeinsam mit ihrer im Jahr 2012 eingereisten Tochter sowie ihrer im Jahr 2017 eingereisten Enkelin. Sie ist zum Entscheidungszeitpunkt noch nicht selbsterhaltungsfähig und bestreitet ihren Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung. Die Beschwerdeführerin verfügt über grundlegende Deutschkenntnisse, (Zeugnis über die Ablegung der Integrationsprüfung beim ÖIF am 02.10.2020 wurde vorgelegt). Die Beschwerdeführerin befindet sich seit 19 Jahren in Österreich und hat einen Bekanntenkreis im Bundesgebiet und ist kulturell interessiert. Eine die Beschwerdeführerin betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde einen ungerechtfertigten Eingriff in deren gemäß Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt der belangten Behörde, insbesondere in die niederschriftlichen Einvernahmen der Beschwerdeführerin. Weiters durch Durchführung einer mündliche Verhandlung am 21.10.2020 (siehe OZ 15Z).
2.2. Die Feststellung der Identität und Staatsbürgerschaft der Beschwerdeführerin erfolgte auf Grundlage ihres im Original vorgelegten (im Jahr 2011 abgelaufenen) ukrainischen Reisepasses sowie ihres ukrainischen Personalausweises, welche in Kopie in deren Verwaltungsakt einliegen in Zusammenschau mit ihren diesbezüglich glaubhaften Angaben.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht u.a. über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Z. 1) sowie über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG (Z. 3).

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 3 BFA-Einrichtungsgesetz – BFA-G, BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, obliegt dem Bundesamt die Vollziehung des BFA-VG (Z. 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 (Z. 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr.100 (Z. 3) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes – Bund 2005, BGBl. I Nr.100 (Z. 4).

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z. 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs.1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z. 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z. 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: „Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. §66 Abs.4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein.“

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

3.4. Zum Spruchpunkt hinsichtlich der Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung und Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung:

3.4.1. Das AsylG 2005 regelt in seinem 7. Hauptstück die Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie das Verfahren zur Erteilung derselben. Die darin enthaltenen Bestimmungen lauten auszugsweise:

„Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK

§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus‘ zu erteilen, wenn

1.       dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2.       der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung‘ zu erteilen.

[…]

Antragstellung und amtswegiges Verfahren

§ 58. […] (2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. (3) – (13) […]“

Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen

§ 60. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Drittstaatsangehörigen nicht erteilt werden, wenn

1.       gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 iVm 53 Abs. 2 oder 3 FPG besteht, oder

2.       gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht.

(2) …

(3) Aufenthaltstitel dürfen einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen widerstreitet dem öffentlichen Interesse, wenn

1.       dieser ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass dieser durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt oder

2.       im Falle der §§ 56 und 57 dessen Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. […]“

Die maßgeblichen Bestimmungen des 7. und 8. Hauptstücks des FPG lauten:

Rückkehrentscheidung

§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1.       nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2.       nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1.       dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2.       dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3.       ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4.       ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) – (8) [...]

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) – (11) […]

[...]

§ 9 BFA-VG lautet wie folgt:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) – (6) [...]“

3.4.2. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung – nunmehr Rückkehrentscheidung – nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

3.4.2.1. Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundene Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (EGMR 27. 10. 1994, Kroon u.a. gg. die Niederlande, ÖJZ 1995, 296; siehe auch VfGH 28. 6. 2003, G 78/00).

Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z.B. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. EGMR 8. 4. 2008, Nnyanzi gg. das Vereinigte Königreich, Appl. 21.878/06; 4. 10. 2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9. 10. 2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16. 6. 2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554).

3.4.2.2. Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen eines Menschen zu verstehen (vgl. EGMR 15.01.2007, Sisojeva ua. gegen Lettland, Appl. 60654/00). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass „der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwH).

Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen ist insbesondere das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17. 3. 2005, G 78/04, zu erwähnen. Demnach ist das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den privaten Interessen bei der Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern/ Asylwerberinnen, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen. Es ist auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216, mwH).

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sind Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0041 mit Hinweis auf E 30.08.2011, 2008/21/0605; E 14.04.2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032; E 30.06.2016, Ra 2016/21/0165; VwGH 04.08.2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253-12).

3.4.3. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) zwar grundsätzlich ein hoher Stellenwert zu (vgl. etwa VfGH 1. 7. 2009, U992/08 bzw. VwGH 17. 12. 2007, 2006/01/0216; 26. 6. 2007, 2007/01/0479; 16. 1. 2007, 2006/18/0453; 8. 11. 2006, 2006/18/0336 bzw. 2006/18/0316; 22. 6. 2006, 2006/21/0109; 20. 9. 2006, 2005/01/0699), im gegenständlichen Fall überwiegen aber aufgrund der dargestellten Umstände in einer Gesamtabwägung aller Umstände - insbesondere im Hinblick auf die lange 19 Jahre übersteigende Dauer des zwar nicht überwiegenden rechtmäßigen Aufenthalts der Beschwerdeführerin in Österreich - dennoch die privaten und familiären Interessen der beschwerdeführenden Partei an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

In der Verhandlung konnte aufgeklärt werden, dass die BF sich niemals in den USA aufgehalten hat (wie von der Tochter angegeben), sondern dies der Tochter vom Vater gesagt wurde um die Abwesenheit der Mutter im Jahre 2001 zu erklären.

Insgesamt kann im Falle der Beschwerdeführerin mit Blick auf die lange Dauer ihres Aufenthaltes von einem erreichten hohen Maß der Integration ausgegangen werden, die BF hat am 02.10.2020 die Integrationsprüfung A2 beim ÖIF positiv abgelegt und damit ihre Deutschkenntnisse nachgewiesen.

Die BF hat eine Einstellungszusage der Firma XXXX etabliert, vom 01.11.2020 vorgelegt. Daraus ergibt sich, dass diese Firma die BF unbefristet für 20 Wochenstunden als Raumpflegerin sowie Übersetzerin für russischsprachige Kunden anstellen wird (Voraussetzung mit Arbeitserlaubnis).

Weiters hat die BF eine Einstellungszusage der Firma XXXX etabliert, vom 22.10.2020 vorgelegt. Daraus ergibt sich, dass diese Firma die BF unbefristet für 20 Wochenstunden als Raumpflegerin sowie Übersetzerin für russischsprachige Kunden anstellen wird (Voraussetzung mit Arbeitserlaubnis).Mit diesen zwei Arbeitsplätzen würde die BF ihre Selbsterhaltungsfähigkeit erlangen.

Es würde daher eine Rückkehrentscheidung demnach einen massiven Eingriff in das Recht auf Privatleben des Beschwerdeführers begründen. Es beruhen die drohenden Verletzungen des Privat- und Familienlebens auf Umständen, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind.

Der BF ist lt. Anfrage im Strafregister in Österreich unbescholten.

Die Tochter der BF und die Enkeltochter der BF leben mit Aufenthaltsrecht in Österreich, die Enkeltochter mit dieser im gemeinsamen Haushalt.

Aufgrund der dargestellten stark ausgeprägten Bindungen der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet sowie deren bereits langjähriger Aufenthaltsdauer (ca. 19 Jahre) ist in einer Gesamtabwägung jedoch von einem aktuellen Überwiegen der Interessen der Beschwerdeführerin an einer Aufrechterhaltung ihres Familien- und Privatlebens im Bundesgebiet auszugehen, zumal eine mit einem weiteren Aufenthalt einhergehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auf Basis der zum Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Sachlage nicht zu prognostizieren ist.

Vor diesem Hintergrund kann eine von der Beschwerdeführerin aktuell ausgehende Gefährdung öffentlicher Interessen, in einem Ausmaß, welches einen Eingriff in privaten Bindungen des Beschwerdeführers rechtfertigen würde, nicht erkannt werden.

Es ist demnach das Interesse an der Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin als schützenswert anzusehen und überwiegt im konkreten Einzelfall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen. Daher liegen die Voraussetzungen für eine Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 fallgegenständlich vor. Da die Beschwerdeführerin zum Entscheidungszeitpunkt laut dem vorgelegten Zeugnis die Integrationsprüfung A2 positiv abgelegt hat (gem. § 9 IntegrationsG), sind die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs. 1 Z 2 erster Fall AsylG 2005 fallgegenständlich erfüllt.

Im Rahmen der erläuternden Bemerkungen zum FRÄG 2015 wurde klargesellt, dass auch das Bundesverwaltungsgericht – in jeder Verfahrenskonstellation – über einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 absprechen darf. Es handelt sich hiebei jedoch nicht um eine Einräumung einer amtswegigen Entscheidungszuständigkeit für das Bundesverwaltungsgericht, welche entsprechend dem Prüfungsbeschluss des VfGH vom 26. Juni 2014 (E 4/2014) als unzulässig zu betrachten wäre, da die Frage der Erteilung des Aufenthaltstitels diesfalls vom Prüfungsgegenstand einer angefochtenen Rückkehrentscheidung mitumfasst ist und daher in einem zu entscheiden ist. In diesem Sinne betonte auch der Verwaltungsgerichtshof in seinen Entscheidungen vom 30.06.2016, Ra 2016/21/0103, sowie vom 04.08.2016, Ra 2016/21/0203, dass das Bundesverwaltungsgericht den Aufenthaltstitel im Rahmen seiner Sachentscheidungspflicht im verfahrensabschließenden Erkenntnis selbst in konstitutiver Weise zu erteilen habe.

Da die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 im Falle der Beschwerdeführerin wie oben dargelegt gegeben sind, war spruchgemäß zu entscheiden und diesem der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten zu erteilen.

Sollte die Beschwerdeführerin künftig strafbare Handlungen begehen oder ein sonstiges Verhalten setzen, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nunmehr rechtfertigen würde, steht es dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl freilich offen, die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung neuerlich einer Prüfung zu unterziehen und gegebenenfalls eine anderslautende Entscheidung zu treffen (vgl. § 52 Abs. 11 FPG; VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0274-8, Rz 34).

3.5. Zur mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Grundlegend sprach der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und -0018, aus, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheid

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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