TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/25 L510 2133324-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.11.2020
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Entscheidungsdatum

25.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L510 2133324-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.07.2016, Zahl XXXX , nach mündlicher Verhandlung am 28.08.2020, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte am 17.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 19.07.2015 fand die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt (AS 9ff). Am 14.03.2016 wurde der Beschwerdeführer durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen (AS 93ff).

2. Das BFA wies den Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 29.07.2016 (I.) gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (AS 181ff).

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde in vollem Umfang (AS 263ff).

4. Am 28.08.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers sowie im Beisein seines bevollmächtigten Vertreters eine Verhandlung durch. Das BFA blieb entschuldigt fern.

Mit der Ladung wurde der Beschwerdeführer auch umfassend auf seine Mitwirkungsverpflichtung im Beschwerdeverfahren hingewiesen und er zudem auch konkret aufgefordert, insbesondere seine persönlichen Fluchtgründe und sonstigen Rückkehrbefürchtungen durch geeignete Unterlagen bzw. Bescheinigungsmittel glaubhaft zu machen, wobei eine Bestätigung von UNHCR vom 15.9.2014 vorgelegt wurde, wonach der Beschwerdeführer in der Türkei einen Asylantrag stellen möchte (OZ 12).

Zugleich mit der Ladung wurden dem Beschwerdeführer ergänzend Berichte zur aktuellen Lage im Irak übermittelt bzw. namhaft gemacht, welche das BVwG in die Entscheidung miteinbezieht. Eine schriftliche Stellungnahmefrist bis zum Verhandlungstermin oder eine Stellungnahmemöglichkeit in der Verhandlung wurden dazu eingeräumt. Eine schriftliche Stellungnahme wurde nicht abgegeben und wurde auch in der mündlichen Verhandlung den Berichten nicht entgegen getreten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen im Irak:

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch genannten Namen und das dort angeführte Geburtsdatum. Er ist Staatsangehöriger des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist sunnitisch muslimischen Glaubens. Seine Identität steht fest (Foto Reisepass AS 107, OZ 8).

Der Beschwerdeführer stammt aus Bagdad. Er war dort zunächst Schüler, absolvierte die Matura und arbeitete nebenbei sowie nach der Matura in einer Bar. Er ist ledig und hat keine Kinder. Vor seiner Ausreise in Richtung Österreich im Juli 2015 hielt sich der Beschwerdeführer zwischen 2013 und 2015 mehrere Monate in der Türkei auf und suchte dort um Asyl an, bevor er wieder in den Irak zurückkehrte (AS 98, VHS, S 5). Der Beschwerdeführer lebte in Bagdad mit seinen Eltern und Geschwistern in einem Mietshaus. Seine gesamte Familie, bis auf einen Bruder der in der Türkei lebt, wohnt nach wie vor in jenem Haus in Bagdad. Auch die Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen leben nach wie vor in Bagdad. Die Verwandten des Beschwerdeführers beziehen entweder Pension, sind selbständig erwerbstätig bzw. als Ingenieure tätig. Der Beschwerdeführer hat etwa einmal pro Monat Kontakt mit seiner Familie (VHS, S 6).

Beim Beschwerdeführer liegen aktuell keine relevanten behandlungsbedürftigen Krankheiten vor (VHS, S 14).

1.2. Zu den Lebensverhältnissen des Beschwerdeführers in Österreich:

Im Juli 2015 reiste der Beschwerdeführer in Österreich ein. Der Beschwerdeführer kann sich auf Deutsch verständigen (VHS, S 6), er absolvierte mehrere Deutschkurse und am 31.01.2019 die Integrationsprüfung A1 (OZ 12, AS 113).

Seit seiner Einreise im Juli 2015 bis zum 01.06.2020 bezog der Beschwerdeführer in Österreich Leistungen aus der Grundversorgung (GVS). Seit November 2019 arbeitet der Beschwerdeführer als Küchenhilfe bzw. Hilfskraft (Auszug Dachverband OZ 10; Lohnabrechnungen OZ 12). Seine Freizeit verbringt der Beschwerdeführer mit einer Gruppe von Flüchtlingen mit denen er singt und musiziert (VHS, S 4).

Strafrechtliche Verurteilungen liegen in Österreich nicht vor (Strafregister). Er wurde in Österreich wegen „Schwarzarbeitens“ zu einer Verwaltungsstrafe verurteilt und verbrachte deshalb mehrere Tage in Ersatzfreiheitsstrafe (VHS, S 5; GVS, ZMR). Es wurde am 25.08.2020 Strafantrag gegen den Beschwerdeführer hinsichtlich des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB erhoben (OZ 16, 17).

Der Beschwerdeführer hat seit etwa fünf Jahren eine Freundin die deutsche Staatsangehörige ist; die beiden leben voneinander getrennt und es besteht kein Abhängigkeitsverhältnis zwischen ihnen (VHS, S 4).

Im Jahr 2016 wurden mehrere Unterstützungsschreiben für den Beschwerdeführer von mehrheitlich österreichischen Staatsbürgern verfasst (AS 143-151; OZ 5, 6). Es befinden sich auch Bestätigungen eines XXXX Pfarrers darunter, der die Zuwendung des Beschwerdeführers zum Christentum und das außerordentliche Interesse des Beschwerdeführers für die Gemeinschaft mit Christen bestätigt (OZ 5).

Der Beschwerdeführer wurde am 28.08.2016 in der XXXX XXXX nach dem Ritus jener Kirche getauft (OZ 5).

1.3. Zur Begründung seines Antrages auf internationalen Schutz brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor:

Vor dem BFA im Rahmen der Einvernahme vom 14.03.2016 (AS 93-106) brachte der Beschwerdeführer vor, dass sie zuerst 2013 bedroht worden seien, weshalb sie für zwei Jahre in der Türkei gewesen seien. 2015 seien sie zurückgekehrt. Das Haus würde nach ihrer Ausreise verbrannt worden sein und nach der Rückkehr 2015 würden sie es renoviert haben.

Bedroht worden sei er am Freitag, den 03.07.2015; verlassen habe er den Irak am 04.07.2015. Am 03.07.2015 sei er um etwa 21:00 Uhr aus den Lokal in dem er gearbeitet habe hinausgegangen, sein Motorrad sei vor dem Lokal gestanden. Er habe einen Drohbrief mit einer Patrone gefunden, habe den Brief gelesen und ihn zerrissen. Er habe Essen für seine Familie von einem Restaurant mitnehmen wollen. Als er vom Motorrad abgestiegen sei, seien drei maskierte Personen mit einem Auto gekommen. Sie würden den Beschwerdeführer geschlagen haben und gezwungen haben, in das Auto zu steigen. Sie würden die Augen des Beschwerdeführers verbunden haben. Er sei zu einem Haus gebracht worden, wo er bis 24 Uhr gefoltert worden sei. Sie würden ihn gefragt haben, weshalb er in einer Bar arbeite, und hätten gesagt, dass es eine Sünde sei, Alkohol auszuschenken. Mit einem Eisenrohr sei er an der rechten Hand geschlagen worden, sein Finger sei gebrochen worden. Als die drei Maskierten die Tätowierungen des Beschwerdeführers (Kreuz, Blume, Rosenkranz) gesehen haben würden, sei er auf die Tätowierungen geschlagen worden. Er sei auf alle Arten gefoltert worden. Ein Eisenstab sei in seinen Fuß gerammt worden und an der Nase sei er geschlagen worden. Auf seiner Hand seien Zigaretten ausgedrückt worden. Die drei Maskierten würden mit ihrem Anführer telefoniert haben, dieser sei zum Glück aber nicht erschienen. Er habe im Irak heimlich Kirchen besucht und sich für das Christentum interessiert, jedoch sei er Moslem gewesen. Die Personen würden ihn töten haben wollen. Danach seien ihm die Augen wieder verbunden worden und er sei ins Auto gebracht worden. Handy und Geld seien ihm abgenommen worden. Er sei auf der Straße entlassen worden und sei zum Haus seiner Tante mütterlicherseits gegangen. Am nächsten Tag habe ihm seine Familie den Reisepass gebracht und er habe den Irak verlassen. Vor diesem Vorfall habe er keine Probleme gehabt, da er heimlich zur Arbeit gegangen sei. Die Personen würden gewusst haben, dass er in einer Bar gearbeitet habe, da er dort sehr bekannt sei.

Für das Christentum interessiere er sich seit 2013, er sei im Herzen getauft, er habe sich in Wien taufen lassen, habe aber keinen Taufschein. Im Irak gebe es wenige Kirchen, in der Türkei habe er viele Kirchen gesehen und diese habe er besucht. In Österreich gehe er jeden Sonntag in die Kirche. Er wisse alles über das Christentum. Er wolle mehr über das Christentum erfahren.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 28.08.2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht brachte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen vor, dass er seine Ausreise am 02.07.2015 in der Nacht begonnen habe. Er sei von der Arbeit gleich zu seiner Tante mütterlicherseits gegangen, sei eine Nacht bei ihr geblieben und habe von dort das Land verlassen. Als er mit der Arbeit in der Nacht fertig gewesen sei, sei er zu seinem Motorrad gegangen. Darauf sei ein Kuvert geklebt gewesen, in dem eine Kugel und ein Zettel gelegen seien, worauf gestanden sei, dass er nicht in einer Bar arbeiten dürfe; wenn er dort wieder arbeiten würde, würde er getötet. Bereits 2014 sei das ganze Geschäft bedroht worden, weshalb der Beschwerdeführer damals in die Türkei gegangen war. Nachdem der Beschwerdeführer den Drohbrief gelesen gehabt habe, habe er diesen zerrissen und sei mit dem Motorrad weggefahren. Er habe Essen für seine Familie mit nach Hause bringen sollen und sei zu einem Restaurant gefahren. Am Parkplatz seien drei Personen, schwarz gekleidet und mit schwarzer Maske zu ihm gekommen. Diese würden ihn stark geschlagen und mit dem Auto mitgenommen haben. Sie würden ihm die Augen verbunden haben und in ein leeres Haus gebracht haben. Sie würden ihn mit einer Bierflasche gefoltert haben, da sie gewusst haben würden, dass er Bier verkauft habe. Sie würden ihm die Hände nach hinten gebunden haben und ihn an einen Eisenhaken in der Decke gehängt haben und ihn dort weitergeschlagen haben. Sie würden immer auf den Befehl ihres Chefs gewartet haben, wie sie ihn weiterschlagen sollen. Als sie das tätowierte Kreuz auf seinem Körper gesehen haben würden, sei die Folter stärker geworden. Die Augenbinden würden sie ihm nicht abgenommen haben, er habe sie nur am Anfang als sie ihn überfallen haben würden, gesehen haben, danach nicht mehr. Nach drei Stunden würden sie ihn mit dem Auto zehn Minuten irgendwohin gefahren haben, danach würden sie ihn auf die Straße geworfen haben. Er habe dann ein Auto gestoppt und habe dem Fahrer gesagt, er solle ihn zu seinen Tanten mütterlicherseits bringen. Seine Eltern würden ihm dann den Reisepass gebracht haben und er sei am nächsten Tag in die Türkei geflogen. Würde es seine Fluchtgründe nicht geben, würde er schon in Bagdad leben können.

Tief religiös sei der Beschwerdeführer nicht. Er habe Gott versprochen, dass er Christ werde und bleibe bei seinem Wort. Er sei sehr interessiert am Christentum. Er sei „nicht wirklich tief religiös“. Im Islam sei alles ein Muss, im Christentum sei alles Liebe. Im Christentum solle man sich lieben und helfen, das sei sehr schön.

Da er in Österreich einen Führerschein machen wolle, benötige er seinen Reisepass. Seine Eltern würden ihm den Pass daher mit der Post aus dem Irak geschickt haben.

1.4. Zur Glaubhaftigkeit der vorgebrachten Antragsgründe und Rückkehrbefürchtung

Das vom Beschwerdeführer gegenüber dem BFA und in der hg. Verhandlung dargetane Fluchtvorbringen, wonach er aufgrund dessen, dass er in einem Lokal Alkohol verkauft habe und deshalb gefoltert worden sei und mit dem Tod bedroht worden sei, ist nicht glaubhaft. Der Beschwerdeführer konnte auch nicht glaubhaft machen, dass er aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert wäre. Es ist auch nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Irak aufgrund der Sicherheits- und Versorgungssituation in eine ausweglose Lage geraten würde.

1.5. Zur Lage im Irak

Im Juni 2014 startete der sog. Islamische Staat Irak (IS) oder Da'esh, einen erfolgreichen Angriff auf Mossul, die zweitgrößte Stadt des Irak. Der IS übernahm daraufhin die Kontrolle über andere Gebiete des Irak, einschließlich großer Teile der Provinzen Anbar, Salah al-Din, Diyala und Kirkuk. Im Dezember 2017 erklärte Premierminister Haider al-Abadi den endgültigen Sieg über den IS, nachdem die irakischen Streitkräfte die letzten Gebiete, die noch immer an der Grenze zu Syrien unter ihrer Kontrolle standen, zurückerobert hatten. Der IS führt weiterhin kleine Angriffe vorwiegend auf Regierungstruppen und Sicherheitspersonal an Straßenkontrollpunkten aus. Am 25. September 2017 hat die kurdische Regionalregierung (KRG) ein unverbindliches Referendum über die Unabhängigkeit der kurdischen Region im Irak sowie über umstrittene Gebiete, die unter Kontrolle der KRG stehen, abgehalten. Das Referendum wurde für verfassungswidrig erklärt. Bei den nationalen Wahlen im Mai 2018 gewann keine Partei die Mehrheit, obwohl die meisten Stimmen und Sitze an die Partei des schiitischen Klerikers Muqtada al-Sadr gingen, ein ehemaliger Anti-US-Milizenführer (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 09.10.2018, S. 6).

Genaue, aktuelle offizielle demographische Daten sind nicht verfügbar. Die letzte Volkszählung wurde 1987 durchgeführt. Das US-Außenministerium schätzt die Bevölkerung im Irak auf rund 39 Millionen. Araber (75 Prozent) und Kurden (15 Prozent) bilden die beiden wichtigsten ethnischen Gruppen. Andere Ethnien sind Turkmenen, Assyrer, Yazidis, Shabak, Beduinen, Roma und Palästinenser. 97 Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Schiiten machen 55 bis 60 Prozent der Bevölkerung aus und umfassen Araber, Shabak und Faili-Kurden. Der Rest der Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Sunniten, einschließlich der sunnitischen Araber, die schätzungsweise 24 Prozent der Gesamtbevölkerung des Irak ausmachen. Die meisten Kurden sind auch Sunniten und machen etwa 15 Prozent der nationalen Bevölkerung aus. Die schiitischen Gemeinden leben in den meisten Gebieten des Irak, konzentrieren sich jedoch im Süden und Osten. Die Mehrheit der Bevölkerung von Bagdad sind Schiiten, insbesondere Vororte wie Sadr City, Abu Dashir und Al Dora. Sunniten leben hauptsächlich im Westen, Norden und im Zentralirak. Die Anzahl der in Bagdad als gemischt betrachteten Gebiete nimmt ab. In einigen Bezirken Bagdads gibt es immer noch bedeutende sunnitische Gemeinden, darunter Abu Ghraib. Die Bezirke A'adamia, Rusafa, Za'farania, Dora und Rasheed haben kleinere Gebiete sunnitischer Gemeinschaften. Gemischte sunnitische-schiitische Gemeinden leben in den Bezirken Rusafa und Karada, kleinere gemischte Gemeinden auch in den Bezirken Doura, Rasheed, Karkh, Mansour und Kadhimiya (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 09.10.2018, S. 7).

Die irakische Verfassung garantiert grundlegende Menschenrechte einschließlich Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Chancengleichheit, Privatsphäre und Unabhängigkeit der Justiz. Die Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Nationalität, der Herkunft, der Hautfarbe, der Religion, der Meinung, des wirtschaftlichen oder sozialen Status. Die Verfassung macht den Islam zur offiziellen Religion des Staates. Es garantiert die Glaubens- und Religionsfreiheit für alle Personen, einschließlich Christen, Yazidis und Sabäer-Mandäer. Auf der Scharia beruhende Regelungen verbieten zwar eine Konversion vom islamischen Glauben, doch ist keine Strafverfolgung hierfür bekannt. Nach irakischem Recht wird ein Kind unter 18 Jahren automatisch zum Islam konvertiert, wenn auch einer seiner nicht-muslimischen Eltern konvertiert ist. Nach der Absetzung von Saddam Hussein und der (von Sunniten dominierten) Ba'ath-Partei aus der Regierung fühlten sich viele Sunniten ausgegrenzt (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 09.10.2018, S. 9,14, 16).

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt. Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen. Im Juli 2019 begann die „Operation Will of Victory“, an der irakische Streitkräfte (ISF), Popular Mobilizations Forces (PMF), Trival Mobilization Forces (TMF) und Kampfflugzeuge der US-geführten Koalition teilnahmen. Die mehrphasige Operation hat die Beseitigung von IS-Zellen zum Ziel. Die zivilen Todesopfer im gesamten irakischen Gebiet belaufen sich im Jahr 2017 auf 13.183, im Jahr 2018 auf 3.319 und von Jänner bis inkl. September 2019 auf 1.542. Es handelt sich dabei im vorläufige Zahlen, andere sind nicht verfügbar.

Im Gesamtirak wurden im Laufe des Monats Juli 2019 82 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 65 Tote und 119 Verletzten registriert; im August 2019 waren es 104 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 93 Toten und 141 Verletzten und im September 2019 123 Vorfälle mit 122 Toten und 131 Verletzten (Kurzinformation der Staatendokumentation, Irak, Sicherheitsupdate 3. Quartal 2019 und jüngste Ereignisse, 30.10.2019).

Der IS hat im April 2020 eine neue Gewaltoffensive gestartet, die in der dritten Woche des Mai ihren Höhepunkt erreichte. Es wurden dabei die gleich hohe Anzahl von Attacken wie zuletzt zur selben Zeit 2018. In der vierten Mai-Woche gingen die Attacken wieder zurück (Musings on Iraq, 01.06.2020).

Die Gewalt im Irak erreichte in der vierten Juniwoche einen Tiefpunkt. Die Angriffe des Islamischen Staates waren dort einstellig. Vom 22. bis 28. Juni 2020 wurden in den Medien im Irak insgesamt 10 Sicherheitsvorfälle gemeldet. Einer davon war ein Raketenangriff auf den Internationalen Flughafen Bagdad von pro-iranischen Gruppen, die hoffen, inmitten der amerikanisch-irakischen Verhandlungen um eine neue Sicherheitsvereinbarung, eine Nachricht an die USA zu senden. Das waren nur 9 Vorfälle des Islamischen Staates. Dies war die niedrigste Zahl seit 8 Vorfällen in der zweiten Woche im November 2019.

Gewalt trat nur in vier Provinzen auf. Es gab jeweils einen Vorfall in Kirkuk und Salahaddin, zwei in Bagdad und sechs in Diyala. 8 Menschen starben und 13 wurden verwundet. Das waren 2 Hashd al-Shaabi und 6 Polizisten, die ihr Leben verloren haben, zusammen mit 5 Polizisten und 8 Hashd, die verletzt wurden. Die Sicherheitskräfte waren weiterhin das Hauptziel der Militanten. Jetzt versucht der IS, seine militärische Dominanz über die ländlichen Gebiete, in denen er arbeitet, durch Einschüchterung der Armee, Polizei und Hashd zu behaupten. Alle Opfer gab es in Salahaddin mit 10 und Diyala mit 11. Anbar bleibt ein Schwerpunkt der Regierung. In der vergangenen Woche gab es 7 Sicherheitsoperationen. In der folgenden Woche gab es gerade eine in der Wüstenregion Nukhaib im Süden an der Grenze zu Nadschaf. Die Provinz sieht relativ wenig aufständische Aktivitäten, ist aber die Hauptschmuggelroute des IS.

Es gab zwei Zwischenfälle in Bagdad. Neben dem Raketenangriff warf ein Polizist zwei Granaten auf sein Haus im Adhamiya Distrikt im Norden. Im Juni wurden fast alle Angriffe, 8 von 10, im Gouvernement der Hauptstadt von proiranischen Gruppen durchgeführt, die Raketen in Bereichen abfeuerten, in denen amerikanisches Personal untergebracht ist. Dies führte dazu, dass die Regierung die Büros der Kataib Hisbollah überfiel, die dafür verantwortlich gemacht wurde.

Diyala ist die Hauptbasis für den Aufstand im Irak. Es war diesen Monat relativ ruhig, weil die Regierungstruppen anwesend waren. Während der Woche gab es sechs Vorfälle, die meisten in diesem Monat. Dazu gehörten zwei Städte im Waqf-Becken, welche von Mörsern getroffen wurden, zwei Angriffe auf Kontrollpunkte, ein Angriff auf ein Dorf und es wurde ein Polizist erschossen. All dies geschah im Muqdadiya Bezirk in der Mitte. Die Regierung startete außerdem sechs Operationen im Norden, Süden, Nordosten und Zentrum. Die Hälfte davon war auf wenige Dörfer beschränkt, während die anderen größere Regionen abdeckten. Die Kerngebiete des Islamischen Staates in Muqdadiya und Khanaqin wurden jede Woche durchsucht, was erklärt, warum die Vorfälle relativ gering waren. Die stetigen Operationen in letzter Zeit haben dazu geführt, dass nicht so viele Angriffe wie üblich ausgeführt werden konnten.

Im südlichen Makhmour-Distrikt von Erbil gab es eine Sicherheitsoperation. Seit einigen Monaten trifft der IS diesen Bereich, weil es ein umstrittenes Gebiet ist und es Lücken in der Berichterstattung zwischen den irakischen Streitkräften und Peshmerga gibt.

Die dritte Phase der Heroes of Iraq-Kampagne begann Anfang der Woche in Salahaddin. Vier verschiedene Bereiche in der Mitte und im Osten waren betroffen. Es wurden mehrere IEDs entdeckt, die 2 Hashd töteten und 8 weitere verwundeten.

Es gab keine Zwischenfälle in Kirkuk oder Ninewa und keine Regierungsaktivitäten. Dies war ein weiteres Zeichen dafür, dass sich der IS im Juni reduzierte. Der Rückgang der Ereignisse im Juni zeigt, dass der Aufstand militärisch immer noch sehr begrenzt ist und große Operationen nicht lange aufrechterhalten werden können. Die Regierung war auch sehr aggressiv (Musings on Iraq, 30. Juni 2020 ).

Die Gewalt im Irak ist auf ein sehr niedriges Niveau zurückgekehrt. In der dritten Woche in Folge gab es kaum Vorfälle. Das kam nachdem der Islamische Staat von April bis Mai eine neue Offensive angekündigt hatte, bei der die Angriffe auf das Niveau von 2018 stiegen. Die Regierung startete auch eine aggressive Reihe von Sicherheitsmaßnahmen, die auch die Operationen der Aufständischen niedrig gehalten haben.

Vom 15. bis 21. Juni wurden in den Medien nur 16 Sicherheitsvorfälle gemeldet. Das war die gleiche Zahl wie in der Woche zuvor. Zwei von den Vorfällen waren pro-iranische Gruppen, die Raketen auf Ziele in Bagdad abfeuerten, in denen Amerikaner untergebracht waren, sowie ein Dritter, bei welchem Raketen entdeckt wurden, bevor sie ins Leben gerufen wurden. Diese Art von Angriffen entstand, als die irakische Regierung Gespräche über eine neue Sicherheitsvereinbarung mit den Vereinigten Staaten aufgenommen hat. Teheran versucht die Botschaft zu senden, dass die Amerikaner jederzeit ins Visier genommen werden können und das Land verlassen sollten. Damit blieben 13 Vorfälle durch den IS wahrscheinlich, gegenüber 12 in der Woche zuvor und 17 in der ersten Juniwoche.

Die Vorfälle verteilten sich auf nur fünf Provinzen, eine in Kirkuk, vier in Bagdad und Diyala, zwei in Ninewa und fünf in Salahaddin. Diese führten zu 11 Todesfällen und 19 Verwundeten. 1 Zivilist, 4 irakische Sicherheitskräfte (ISF) und 6 Hashd al-Shaabi kamen ums Leben, weitere 5 Sicherheitskräfte, 7 Zivilisten und 7 Hashd wurden verletzt. Salahaddin hatte mit 19 die meisten Verluste, gefolgt von 6 in Diyala, 4 in Ninewa und 1 in Bagdad. Obwohl die Verluste gering waren, litten die Sicherheitskräfte mehr als die Zivilbevölkerung darunter, was in den letzten zwei Monaten eine entscheidende Veränderung war. Es scheint, dass der IS versucht, die militärische Überlegenheit gegenüber den ländlichen Gebieten, in denen sie tätig sind, zu etablieren, indem sie danach streben die Polizei, Armee und Hashd einzuschüchtern. Seit der IS letztes Jahr sein letztes Stück Territorium in Syrien verloren hat, zieht er Männer und Material aus dem Land in den Irak, weitgehend über Anbar. Als Reaktion darauf tätigt die Regierung ständige Sicherheitsoperationen in den großen unbewohnten Gebieten der Provinz. Dort gab es sieben solche während der Woche durch die Wüstengebiete, die Grenze und das Hit-Viertel.

In Diyala gab es während der Woche vier Zwischenfälle. Eine Militärpatrouille wurde von einem IED getroffen, eine Gruppe von Zivilisten wurde angegriffen, ein IS-Scharfschütze tötete einen Hashd und verwundete einen Soldaten, alles im Bezirk Muqdadiya im Zentrum. Ein Infiltrationsversuch wurde im Bezirk Khanaqin im Nordosten vereitelt. Diese Provinz ist das Zentrum der IS-Aktivitäten im Irak, weshalb es regelmäßig zu einer hohen Anzahl von Vorfällen kommt.

3 Personen, die Wochen zuvor entführt worden waren, wurden von den Sicherheitskräften in einem Dorf im Bezirk Daquq im Süden von Kirkuk gerettet. Der IS wurde nie aus der südlichen Region des Gouvernements vertrieben, weshalb sich dort fast alle Vorfälle ereignen.

In Ninewa führten zwei IEDs, die sich gegen Zivilisten richteten, zu insgesamt vier Verwundeten. Beide ereigneten sich im Bezirk Qayara südlich von Mosul.

Salahaddin war das gewalttätigste Gebiet im Irak. Es gab fünf Vorfälle, darunter IEDs, die auf einen Armeekonvoi und eine Hashd-Patrouille abzielten. Der Anführer von Hashd wurde ermordet und es wurde auf einen Kontrollpunkt geschossen. Das größte Ereignis war jedoch ein Angriff auf ein Hashd-Hauptquartier im Samarra Bezirk, der 6 Opfer hinterließ. Der IS hat in den letzten Wochen seine Aktivitäten in der Provinz stark aufgenommen. Als Antwort gab es eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen, drei im Osten, eine im Westen von Samarra im Zentrum und die letzte in Yathrib im Süden (Musings on Iraq, 23. Juni 2020).

Die meisten der Schutzmauern, die in den letzten zehn Jahren errichtet wurden, um öffentliche und private Gebäude zu sichern, wurden abgerissen. Stattdessen finden sich dort jetzt Parks und Grünflächen. Im Zuge der Veränderungen wurde in Bagdad auch das erste Frauencafé eröffnet. Dort können sich Frauen ohne Begleitung von Männern treffen und ihre Kopftücher und die lange Abaya ablegen, die auf den Straßen so verbreitet sind.

Im Café "La Femme" werden Wasserpfeifen angeboten und von einer Frau zubereitet. Es werden alkoholfreie Champagnercocktails, Softgetränke und Snacks serviert. Bisher haben sich noch keine Männer in dieses weibliche Heiligtum gewagt - obwohl sich das Café in einem Hochhaus zusammen mit anderen Restaurants, einer Sporthalle für Männer und nur einem Aufzug befindet. Der Kundenkreis von Adel-Abid umfasst vor allem Frauen aus der Mittel- und Oberschicht. Für ihre jungen Kundinnen organisiert sie reine Frauenfeste zu Geburtstagen, Verlobungen und Abschlussfeiern. Die ältere Generation trinkt lieber Kaffee und hört den alten irakischen Sängern zu, die auf der Musikanlage bevorzugt gespielt werden.

Frauen können jetzt Unternehmen führen. Da der "Islamische Staat" verdrängt und die gegenwärtige politische Stabilität zu spüren ist, fordern irakische Frauen immer mehr ihren Anteil am öffentlichen Raum der Stadt. In Mansour, dem Stadtviertel, in dem sich "La Femme" befindet, sind die meisten Cafés und Restaurants heute gemischt, und auch Frauen rauchen dort Wasserpfeife. Der frische Wind des Wandels hat auch das Straßenbild verändert.

Frauen kleiden sich wieder bunter, anstatt sich hinter schwarzen Schleiern zu verstecken. Die Entwicklung geht so weit, dass junge Frauen sich immer seltener ein Kopftuch umbinden. Ehen zwischen Sunniten und Schiiten erleben ein Comeback im Irak; unter den Jugendlichen in Bagdad sind sie sogar zum neuen Standard geworden. So wie bei Merry al-Khafaji, die kürzlich Mustafa al-Ani geheiratet hat. Gemeinsam sitzen die beiden Mittzwanziger bei einer Wasserpfeife in einem beliebten Bagdader Garten, sie trägt ihr dunkles Haar offen und ein grünes T-Shirt mit Jeans. Traditionell wählen Eltern die Partner ihrer Kinder, aber Merry al-Khafaji und Mustafa al-Ani lernten sich in dem Telekommunikationsunternehmen kennen, für das sie beide arbeiten. Mittlerweile entwickeln sich immer mehr Liebesbeziehungen bei der Arbeit, im Studium oder in Workshops. Auch soziale Medien haben eine starke Wirkung. Sie eröffnen jungen Menschen einen neuen Weg, neue Freunde in der konservativen irakischen Gesellschaft zu finden (Die neuen Freiheiten von Bagdad, qantara.de 01.07.2019).

Mitglieder rivalisierender irakischer Motorrad-Clubs, die in Leder mit Nieten und schwarzen Baskenmützen gekleidet waren, tanzten Breakdance und ließen mit ihren tätowierten Armen Neon-Leuchtstäbe kreisen. Der Tanzkreis des Mongols Motorcycle Club war einer von mehreren bei der ‚Riot Gear Summer Rush‘, einer Automobilshow samt Konzert in einem Sportstadion im Herzen von Bagdad. Die Szene hatte etwas ganz anderes als jene Bilder, die üblicherweise aus der Stadt der Gewalt und des Chaos ausgestrahlt wurden. Aber fast zwei Jahre, nachdem der Irak den islamischen Staat besiegte, hat die Hauptstadt ihr Image stillschweigend verändert. Seit die Explosionsschutzwände – ein Merkmal der Hauptstadt seit der US-geführten Invasion im Jahr 2003, bei der Saddam Hussein gestürzt wurde – gefallen sind, hat sich eine weniger restriktive Lebensweise etabliert. „Wir haben diese Party veranstaltet, damit die Leute sehen können, dass der Irak auch über diese Art von Kultur verfügt und dass diese Menschen das Leben und die Musik lieben“, sagte Arshad Haybat, ein 30-jähriger Filmregisseur, der die Riot Gear Events Company gründete. Riot Gear hat bereits zuvor ähnliche Partys im Irak veranstaltet, aber dies war die erste, die für die Öffentlichkeit zugänglich war. Der Tag begann damit, dass junge Männer importierte Musclecars und Motorräder vorführten. Bei Einbruch der Dunkelheit wurde die Show zu einer lebhaften Veranstaltung für elektronische Tanzmusik (EDM). Das irakische Hip-Hop-Kollektiv „Tribe of Monsters“ spielte eine Mischung aus EDM- und Trap-Musik, während junge Männer Verdampfer in ihren Händen hielten und neben Blitzlichter und Rauchmaschinen tanzten, während sie ihre Bewegungen live auf Snapchat und Instagram übertrugen. Es war eine berauschende Mischung aus Bagdads aufkeimenden Subkulturen: Biker, Gamer und EDM-Enthusiasten. Was die meisten gemeinsam hatten, war, dass sie im Irak noch nie einer solchen Veranstaltung beigewohnt hatten. Obwohl von jungen Männern dominiert, nahmen auch viele Frauen an der Veranstaltung teil. Einige von ihnen tanzten in der Nähe der Hauptbühne. Die Veranstalter stellten jedoch sicher, dass eine „Familiensektion“ zur Verfügung stand, damit Frauen, Familien und Liebespaare auch abseits der wilden Menschenmenge tanzen konnten (Tanzpartys kehren nach Bagdad zurück, mena-watch, 22.08.2019).

In Bagdad wurde ein neues deutsch-irakisches Beratungszentrum für Jobs, Migration und Reintegration eröffnet. Es ist das zweite seiner Art im Irak neben dem Beratungszentrum in Erbil, das seine Arbeit bereits im April 2018 aufgenommen hatte. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Schaffung attraktiver und langfristiger Bleibeperspektiven. Zu den angebotenen Leistungen gehören Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie die Unterstützung bei Existenzgründungen. Das Zentrum steht Rückkehrenden ebenso offen wie Binnenvertriebenen und der lokalen Bevölkerung und fördert damit auch die Stärkung des irakischen Privatsektors. In den kommenden Jahren soll das Beratungszentrum schrittweise in die lokalen Strukturen überführt werden, um den langfristigen und nachhaltigen Betrieb zu sichern (Neues deutsch-irakisches Beratungszentrum in Bagdad eröffnet, BMZ 13.06.2019).

Bis Ende April 2020 wurden etwa 4,7 Millionen Personen im Irak gezählt, die nach Vertreibung an ihren gewöhnlichen Wohnsitz rückkehrten; diese verteilten sich auf 8 Gouvernements, 38 Distrikte und über 2.000 Orte. In den Monaten März und April 2020 wurden über 44.000 neue Rückkehrer registriert. Diese Anzahl ist niedriger als zuletzt, was auf die von den Behörden erlassenen Mobilitätbeschränkungen aufgrund des Coronavirus zurückzuführen ist. Die meisten Rückkehrer wurden in den Gouvernements Anbar, Ninewa und Salah al-Din gezählt. Die Gesamtzahl der gezählten Binnenvertriebenen belief sich im März und April 2020 auf etwa 1,4 Millionen Personen, aufgeteilt auf 18 Gouvernements, 104 Bezirke und knapp 3.000 Orte. Trotz des kontinuierlichen Rückgangs von Binnenvertriebenen (etwa -9.600 Personen im Vergleich zur Zählung in den Monaten Jänner und Februar 2020) wurden in den Monaten März und April 2020 knapp 2.700 neue Binnenvertriebene gezählt, welche überwiegend bereits zum zweiten Mal vertrieben wurden. 60% der in den Monaten März und April 2020 gezählten Binnenvertriebenen stammten aus dem Gouvernement Ninewa (die meisten aus Mossul, Sinjar und Al-Ba’aj), jeweils 11% stammten aus den Gouvernements Salah al-Din und Anbar (Displacement Tracking Matrix, Iraq Master List Report 115, March-April 2020).

Bagdad – Die Quellen deuten auf mehrere Wirkungsfelder der Milizen in Bagdad hin. Sie konkurrieren mit offiziellen Sicherheitskräften, haben Mitglieder beziehungsweise Verbündete in wichtigen politischen Ämtern und sind teilweise für Übergriffe auf StadtbewohnerInnen verantwortlich:

Laut dem EASO-Bericht zur Sicherheitslage im Irak vom März 2019 befinden sich die Stadt Bagdad und ihre Vororte generell unter staatlicher Kontrolle, in der Praxis teilen sich jedoch die Behörden die Bereiche Verteidigung und Strafverfolgung mit den zumeist schiitischen PMF, was zu unvollständiger oder sich mit den Milizen überschneidender Kontrolle führt.

Laut einer Meldung auf Sumer Newsxxviii vom Juni 2019 ruft der Provinzrat von Bagdad dazu auf, die PMF zu Hilfe zu nehmen, um den Bagdad-Gürtel zu sichern. Im Dezember 2019 greifen bei gegen die Regierung gerichteten Protesten in Bagdad nicht identifizierte Milizen DemonstrantInnen an, wobei Dutzende getötet werden. Laut Angaben eines Koordinators der Proteste trugen ein paar Angreifer, die von DemonstrantInenn gefangen genommen wurden, Ausweise der Kata’ib Hisbollah bei sich. Anfang Februar 2020 setzt Muqtada Al-Sadr paramilitärische Gruppen, die auch „Blaue Schirmmützen“ genannt werden, ein, um Protestlager um den Tahrir-Platz in Bagdad gewaltsam zu überfallen und einzunehmen. Sadrs Miliz Saraya Al-Salam nimmt ebenfalls einen symbolträchtigen Patz der Protestbewegung ein (ACCORD, ecoi.net – Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen).

COVID-19 – Aktuelle Lage im Irak

Die nächtlichen Ausgangssperren wurden komplett aufgehoben. Der Irak hat Anfang September seine Landgrenzen wieder geöffnet. Die internationalen Flughäfen Bagdad, Najaf und Basra wurden am 23. Juli für kommerzielle Linienflüge wiedereröffnet. Die dänische Regierung hat in Zusammenarbeit mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) dem Irak 6.000.000 DKK (ca. 870.000 USD) zugesagt, um die irakische Regierung bei der Bekämpfung der globalen COVID-19-Pandemie zu unterstützen. Die Regionalregierung Kurdistan (KRG) hat beschlossen, die Maßnahmen zu lockern und etwa die Wiedereröffnung der Märkte unter bestimmten Bedingungen zuzulassen. Im Irak sowie in Kurdistan arbeiten alle Ministerien mit 50% Kapazität. Apotheken und Bäckereien sind ohne Einschränkungen geöffnet. Die Weltbank hat, als Unterstützung für das irakische Gesundheitssystem, einer Umverteilung von USD 33,6 Mio. des aktuellen Projekts „Notfalloperation für Entwicklung“ (EODP-750 Mio. USD) zugestimmt. Die irakische Börse nahm den Handel mit 26.04.2020 wieder auf. Passagiere, die in den Irak einreisen wollen, müssen maximal 72 Stunden vor Abflug über einen negativen COVID-19-Test verfügen. Passagiere, die ein negatives COVID-19-Testergebnis haben, müssen den Test nicht am Flughafen ablegen. Sie werden jedoch unter Quarantäne gestellt. Alle Passagiere, die ohne PCR-Test ankommen, müssen sich dem Test des medizinischen Teams des Flughafens unterziehen und die Kosten sind vom Passagier zu tragen (USD 50). Wenn das Ergebnis positiv ist, muss der/die Reisende ein Formular ausfüllen, um zu erklären, dass er/sie in einer 14-tägigen Quarantäne bleiben wird (https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-situation-im-irak.html, Abruf 25.11.2020).

Laut worldometers.info, Stand 25.11.2020, gibt es im Irak 539.749 Coronavirus-Fälle. Es gibt 12.031 Todesfälle. 469.784 Personen sind wieder genesen.

2. Beweiswürdigung

Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des Bundesamtes unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, der von ihm vorgelegten Beweismittel, des bekämpften Bescheides, des Beschwerdeschriftsatzes, durch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und die Einsichtnahme in die vom Bundesverwaltungsgericht beigeschafften länderkundlichen aktuellen Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers, welche ihm und der Rechtsvertretung im Vorfeld der Verhandlung übermittelt wurden und welchen nicht entgegen getreten wurde. Es wird auf die bereits in den Feststellungen angeführten Fundstellen verwiesen. Die Feststellungen zur Lage im Irak in Bezug auf den Coronavirus COVID-19 werden aufgrund der übereinstimmenden Feststellungen einer Vielzahl von öffentlich zugänglichen Quellen als notorisch bekannt angesehen.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen im Irak (1.1)

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft waren auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht zu bezweifeln. Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinem im Verfahren im Original vorgelegten irakischen Reisepass.

Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinem Wohnort im Irak, seiner Schulbildung, zu seiner beruflichen Tätigkeit, zu seinem Aufenthalt in der Türkei, zu seinen Familienangehörigen in Bagdad und seinen weiteren Verwandten in Bagdad sowie zum Kontakt mit seiner Familie waren kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei, sodass auch dieses Vorbringen als glaubhaft erachtet werden konnte. Gleiches gilt für die Feststellung, dass beim Beschwerdeführer keine behandlungsbedürftigen Krankheiten vorliegen.

2.2. Zu seinen Lebensverhältnissen in Österreich (1.2)

Die Einreise des Beschwerdeführers im Juli 2015 ergibt sich aus der Antragstellung in diesem Zeitraum und den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers.

Die festgestellten Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers ergeben sich aus den in der hg. Verhandlung gewonnenen Eindrücken der Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers. Die Absolvierung der Integrationsprüfung A1 und die die Teilnahme an Deutschkursen ergeben sich aus den vorgelegten Bestätigungen des Beschwerdeführers bzw. aus den vorgelegten Fotos.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erfolgten Einsichtnahmen in das ZMR, das Strafregister, das Sozialversicherungsregister und das Grundversorgungssystem, woraus sich ergab, dass der Beschwerdeführer in Österreich strafrechtlich unbescholten ist, bis zum Juni 2020 von der Grundversorgung lebte sowie dass er seit November 2019 als Küchenhilfe bzw. als Hilfskraft arbeitet. Aus den Angaben des Beschwerdeführers, welche durch das GVS und das ZMR bestätigt wurden, ergab sich die verwaltungsstrafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers aufgrund von „Schwarzarbeit“ und das Verbüßen dieser Strafe durch Ersatzfreiheitsstrafe. Dass gegen den Beschwerdeführer Strafantrag wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung erhoben wurde, ergibt sich aus der diesbezüglichen Vorlage durch das Landesgericht.

Dass der Beschwerdeführer eine Freundin hat mit der er jedoch nicht zusammenwohnt, ergibt sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben.

Die festgestellten vorgelegten Unterstützungsschreiben befinden sich im Verfahrensakt, darunter auch die Bestätigungen des Pfarrers und der Taufschein des Beschwerdeführers.

2.3. Zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz und zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit und Rückkehrbefürchtung (oben 1.3 und 1.4)

Der Beschwerdeführer wurde drei Mal zu seinen Fluchtgründen befragt (Erstbefragung, Einvernahme durch das BFA, mündliche Verhandlung durch das BVwG) und er brachte Unterlagen zu Untermauerung seines Vorbringens ins Verfahren ein: Foto seines Reisepasses (AS 107), Kopien von Dokumenten seiner Familie (AS 107, 109, 111, 139, 141), Kopien von Anzeigen die sein Bruder im Irak erstattet habe (AS 119-133), Fotos des Hauses in Bagdad (AS 137), Röntgenbilder rechte Hand und Thorax (AS 157-166), Fotos von zerstörten Lokalen (AS 289-295), Bestätigung UNHCR vom 15.09.2014 (OZ 12), Taufschein 04.10.106 (OZ 5). Bei einem Vergleich der Protokolle der Einvernahme durch das BFA und der Angaben in der Verhandlung ergeben sich erhebliche Widersprüche, weshalb im Ergebnis das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers als nicht glaubhaft erachtet wird. Dazu im Einzelnen wie folgt:

Im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA gab der Beschwerdeführer insbesondere an, auf alle möglichen Arten gefoltert worden zu sein, er sei mit einem Eisenrohr an der rechten Hand geschlagen worden, es sei ihm ein Eisenstab in seinen Fuß gerammt worden, er sei an der Nase geschlagen und es seien Zigaretten auf seiner Hand ausgedrückt worden (AS 100). In der Verhandlung brachte er weder vor mit einem Eisenrohr oder Zigaretten misshandelt worden zu sein, noch, dass er auf die Nase geschlagen worden sei, sondern gab er an, dass er mit einer Bierflasche gefoltert worden sei, dass er an einen Eisenhaken in der Decke gehängt worden sei und dass er dort weiter geschlagen worden sei (VHS, S 8, 9). Nach den Angaben des Beschwerdeführers habe dieser Vorfall im Juli 2015 stattgefunden, somit etwa fünf Jahre vor der Verhandlung bzw. etwa neun Monate vor der Einvernahme durch das BFA. Es wäre nachvollziehbar, dass sich der Beschwerdeführer nicht mehr an alle Details des Vorfalles im Jahr 2015 erinnern könnte bzw. dass er nicht bei jeder Befragung hinsichtlich jenes Vorfalles zur Gänze übereinstimmende Angaben machen würde. Nicht nachvollziehbar ist aber, dass er betreffend jenen Gegenstand mit dem ihm Schmerzen und Verletzungen zugefügt worden seien, derart unterschiedliche Angaben machte. Es ist auch eine Verwechslung der Gegenstände und eine nicht gleiche Übersetzung der Angaben des Beschwerdeführers ausgeschlossen, zumal der Unterschied zwischen einer Eisenstange und einer Bierflasche eklatant ist. Auch ist nicht nachvollziehbar, wieso der Beschwerdeführer vor dem BFA nicht angegeben hat, dass er an einen Haken in der Decke gehängt worden sei, jedoch schon angab, dass auf seiner Hand Zigaretten ausgedrückt worden seien. Das Hängen an einem Haken von der Decke erscheint für das Bundesverwaltungsgericht als massiv angsteinflößend. Es ist somit nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer, auf Nachfrage des BFA, ob er alles angeführt habe, die Zigaretten, nicht jedoch das Hängen an einem Haken, vorbrachte. Da die Einvernahme nur etwa neun Monate nach dem Vorfall stattfand, ist es auch nicht plausibel, dass der Beschwerdeführer vergessen habe könnte, dass er mit einer Bierflasche misshandelt worden sei, zumal dies einen direkten Zusammenhang mit dem vom Beschwerdeführer vorgebrachten Grund der Misshandlung an sich – das Ausschenken von Alkohol – aufweist. Diesen Zusammenhang stellte er jedoch erst etwa fünf Jahre nach dem vorgebrachten Vorfall, in der mündlichen Verhandlung, her. Dies ist nicht nachvollziehbar. In beiden dargestellten Befragungen (BFA und BVwG) wurde dem Beschwerdeführer ausreichend Zeit eingeräumt, alles darzulegen und es wurde sich jeweils durch mehrere Nachfragen vergewissert, dass der Beschwerdeführer auch vollständige Angaben machte. Bereits aufgrund der soeben dargestellten wesentlich unterschiedlichen Angaben des Beschwerdeführers konnte er nicht glaubhaft machen, dass er aufgrund seines Ausschenkens von Alkohol in einem Lokal misshandelt worden sei.

Ebenso machte der Beschwerdeführer hinsichtlich des Tragens einer Augenbinde wesentlich unterschiedliche Angaben. So gab er gegenüber dem BFA an, dass er gezwungen worden sei, in ein Auto einzusteigen und dass seine Widersacher ihm die Augen verbunden haben würden. Nach den Misshandlungen seien ihm „die Augen wieder verbunden“ worden (AS 100). Aus diesen Angaben des Beschwerdeführers ergibt sich, dass dem Beschwerdeführer zwischenzeitlich die Augenbinde abgenommen worden sei, da seine Widersacher ihm danach wieder die Augen verbunden haben würden. Als er in der Verhandlung vom erkennenden Richter gefragt wurde, ob ihm die Augenbinde abgenommen worden sei, verneinte der Beschwerdeführer dies. Er habe die drei Personen nur am Anfang, als sie ihn am Parkplatz überfallen haben würden gesehen, danach nicht mehr (VHS, S 9). Dieser Widerspruch wiegt insbesondere deshalb besonders schwer, da er ebenso in der Verhandlung den Eindruck erweckte, visuelle Wahrnehmungen zu schildern. So gab er etwa an, mit einer Bierflasche misshandelt worden zu sein, wobei nicht anzunehmen ist, dass seine Widersacher ihm erklärt haben würden, was sie machen. Die Bierflasche hätte er jedoch nicht sehen können mit verbundenen Augen und deshalb hätte es ebenso jede andere Flasche bzw. jedes Glas sein können. Ebenso gab er an, an einen Eisenhaken gehängt worden zu sein. Weshalb er wissen könnte, dass es sich um einen Haken und speziell aus einem aus Eisen gehandelt habe, ist nicht erklärlich, wenn er diesen nicht gesehen hätte. Somit ist festzuhalten, dass auch dieser Widerspruch in den Angaben des Beschwerdeführers dazu führt, dass er sein Fluchtvorbringen, wonach er aufgrund des Ausschenkens von Alkohol misshandelt worden sei, nicht glaubhaft machen konnte.

Ein weiterer Widerspruch im Vorbringen des Beschwerdeführers ist hinsichtlich seines Reisepasses festzustellen. Dazu ist zunächst auszuführen, dass der Beschwerdeführer ein Foto (AS 107) seines Reisepasses vorlegte sowie dass eine Kopie seines Reisepasses im Verfahren vorgelegt wurde (OZ 8) und diesen Ablichtungen zu entnehmen ist, dass der Reisepass am 29.04.2010 ausgestellt wurde und bis zum 27.04.2018 gültig war. Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung an, dass er in Österreich einen Führerschein beantragen habe wollen und dass der Reisepass vor jenem Antrag noch gültig gewesen sei. Es ist somit immer ein und derselbe Reisepass des Beschwerdeführers gemeint, wenn er von seinem Reisepass sprach. Gegenüber dem BFA gab der Beschwerdeführer an, dass er den Irak legal mit seinem Reisepass verlassen habe (AS 98). Gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht gab der Beschwerdeführer an, dass seine Eltern ihm seinen Reisepass aus dem Irak per Post zugeschickt haben würden. Somit ist festzuhalten, dass nicht nur im Vorbringen zu den konkreten fluchtauslösenden Gründen des Beschwerdeführers wesentliche Unterschiede hervortraten, sondern dass der Beschwerdeführer auch hinsichtlich seiner Ausreiseumstände keine einheitlichen Angaben abgegeben hat.

Dass der Beschwerdeführer zum Christentum konvertiert wäre und deshalb im Falle einer Rückkehr bedroht würde, konnte der Beschwerdeführer ebenso nicht glaubhaft machen. In der Einvernahme vor dem BFA im Jahr 2016 gab der Beschwerdeführer an, alles über das Christentum zu wissen, und noch mehr über das Christentum lernen zu wollen. Die ihm zum Christentum gestellten Fragen konnte der Beschwerdeführer nicht ausreichend beantworten (AS 102). In der mündlichen Verhandlung gab er an, dass er „nicht so tief religiös“ sei. Er habe Gott versprochen, dass er zum Christentum übergehe, wenn er die Folterung überlebe.

Zu dieser Angabe ist festzuhalten, dass die vorgebrachte Misshandlung als nicht glaubhaft qualifiziert wurde aufgrund der oben geschilderten Unterschiede in den Angaben des Beschwerdeführers. Dass der Beschwerdeführer also zum Christentum wechselte, da er ein Versprechen gegenüber Gott einlösen wolle, ist somit ebenso nicht glaubhaft.

Der Beschwerdeführer gab an, er interessiere sich für die protestantische Richtung. Nach dem wesentlichen Unterschied zwischen der katholischen und der protestantischen Kirche gefragt, sagte der Beschwerdeführer: „Weil ich Leute kennen gelernt habe, die nach der Bibel gehen und an Maria und Josef glauben, deshalb bin ich mit denen mitgegangen.“. Nochmals wiederholte er, dass er „nicht wirklich tief religiös“ sei (VHS, S 11). Er sei ein logisch denkender und liberaler Mensch. Bereits aus diesen Angaben ergibt sich, dass der Glaube für den Beschwerdeführer keinen besonderen Stellenwert einnimmt und dass er sich nicht aus innerer Überzeugung dem Christentum zugehörig fühlt. Auch die Fragen des erkennenden Richters betreffend Wissen um das Christentum konnte der Beschwerdeführer lediglich unzureichend beantworten, so gab er beispielsweise an, dass man beim dritten Gebot vor Gott nicht lügen oder etwas Falsches sagen soll anstatt dass man den Tag des Herren bzw. den Feiertag heiligen soll. Das fünfte Gebot heißt für den Beschwerdeführer, dass er Liebe und Respekt vor den Eltern haben soll, damit man ein schönes Leben habe, anstatt dass man nicht töten soll. Eine nochmalige Frage des erkennenden Richters nach den Unterschieden zwischen dem Christentum und dem Islam beantwortete der Beschwerdeführer wiederum lediglich ausweichend: Im Islam sei die Moschee, das Fasten und alles andere ein Muss; hingegen sei im Christentum alles Liebe (VHS, S 12). Die Frage, wie die Bibel aufgebaut sei, beantwortete der Beschwerdeführer damit, dass die Bibel zu Maria durch den Engel Gabriel gekommen sei (VHS, S 13). Zwar vermochte der Beschwerdeführer auch einige Wissensfragen betreffend das Christentum richtig zu beantworten, etwa dass es zwölf Apostel gegeben habe oder dass Maria durch den Engel Gabriel erfahren habe, dass sie ein Kind erwarte, jedoch gab der Beschwerdeführer selbst an, dass der nicht tief religiös sondern ein logisch denkender und liberaler Mensch sei. Es ergibt sich somit in einer Gesamtschau, dass der Beschwerdeführer den christlichen Glauben nicht aus innerer, tiefer Überzeugung angenommen hat.

Dass der Taufe des Beschwerdeführers im Jahr 2016 eine nachhaltige innere Hinwendung zum Christentum zugrunde gelegen hätte, konnte somit nicht erkannt werden. Aus den Angaben des Beschwerdeführers ergibt sich nicht, dass er sich in der Zeit zwischen der Befragung durch das BFA 2016 und der mündlichen Verhandlung 2020 vertieft mit den Inhalten des christlichen Glaubens befasst hätte und er hat auch nicht den Eindruck erwecken können, dass christliche Glaubensinhalte für seine Lebensführung eine maßgebliche Relevanz erlangt hätten. Der Beschwerdeführer vermochte auch den Namen des Pfarrers seiner Kirche nicht richtig wiederzugeben, obwohl dieser ihn getauft hat (OZ 5) und jener Pfarrer ihn auch zur Einvernahme vor dem BFA begleitete (AS 93).

Insofern jener Pfarrer in einem Schreiben vom August 2016 (OZ 5) ausführte, dass sich der Beschwerdeführer dem Christentum zugewandt habe und ein außerordentliches Interesse für die Gemeinschaft mit Christen zeige und der Beschwerdeführer selbst darüber gesprochen habe, dass er im Herzen Christ sei, so ist dies nicht in Einklang zu bringen mit den eigenen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung. Dass der christliche Glaube eine wesentliche Rolle im Leben des Beschwerdeführers einnehmen würde, war aus den Angaben des Beschwerdeführers nicht ersichtlich. Es war auch nicht zu erkennen, dass er sich seit seiner Taufe im Jahr 2016 intensiv bzw. mit glaubhaftem Interesse mit dem Glauben beschäftigt hätte, denn in jenem Fall wäre er in der Lage gewesen, die gestellten Wissensfragen betreffend das Christentum richtig bzw. ausführlicher zu beantworten.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer ein tätowiertes Kreuz an seinem Körper trägt, lässt alleine auch nicht auf eine innere Hinwendung des Beschwerdeführers zum Christentum schließen. Der Beschwerdeführer selbst brachte auch nicht vor, dass diesem Kreuz eine wesentliche Bedeutung zukäme bzw. dass es Ausdruck seines Glaubens wäre.

Zudem legte der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem BFA dar, dass er im Irak heimlich Kirchen besucht und sich für das Christentum interessiert habe. In der Verhandlung führte er demgegenüber aus, dass er im Irak keine Kirchen besucht habe.

Zusammengefasst ist es dem Beschwerdeführer weder gelungen, eine Furcht vor der Bedrohung aufgrund seines Ausschenkens von Alkohol in einem Lokal glaubhaft zu machen, noch ist es ihm gelungen, eine aufrichtige und innere Zuwendung zum christlichen Glauben glaubhaft zu machen.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu A)

Zum Status eines Asylberechtigten (§ 3 AsylG 2005)

3.1. Rechtliche Grundlagen und Rechtsprechung

§ 3 AsylG

(1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1.         dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2.         der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.

(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (§ 5 BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist.

(4b) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Flüchtling im Sinne von Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist eine Person, die aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder die sich als Staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern, ob eine vernunftbegabte Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen aus Konventionsgründen wohlbegründete Furcht erleiden würde (VwGH 09.05.1996, 95/20/0380). Dies trifft auch nur dann zu, wenn die Verfolgung von der Staatsgewalt im gesamten Staatsgebiet ausgeht oder wenn die Verfolgung zwar nur von einem Teil der Bevölkerung ausgeübt, aber durch die Behörden und Regierung gebilligt wird, oder wenn die Behörde oder Regierung außerstande ist, die Verfolgten zu schützen (VwGH 04.11.1992, 92/01/0555 u.a.).

Gemäß § 2 Abs 1 Z 11 AsylG 2005 ist eine Verfolgung jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art 9 Statusrichtlinie. Demnach sind darunter jene Handlungen zu verstehen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art 15 Abs 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Recht auf Leben, Verbot der Folter, Verbot der Sklaverei oder Leibeigenschaft, Keine Strafe ohne Gesetz) oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon – wie in ähnlicher beschriebenen Weise – betroffen ist.

Nach der auch hier anzuwendenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Verfolgung weiters ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, 94/20/0858; 14.10.1998, 98/01/0262). Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, 95/20/0194).

Verfolgung kann nur von einem Verfolger ausgehen. Verfolger können gemäß Art 6 Statusrichtlinie der Staat, den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschende Parteien oder Organisationen oder andere Akteure sein, wenn der Staat oder die das Staatsgebiet beherrschenden Parteien oder Organisationen nicht in der Lage oder nicht Willens sind, Schutz vor Verfolgung zu gewähren.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes müssen konkrete, den Asylwerber selbst betreffende Umstände behauptet und bescheinigt werden, aus denen die von der zitierten Konventionsbestimmung geforderte Furcht rechtlich ableitbar ist (vgl. VwGH 08. 11. 1989, 89/01/0287 bis 0291 und 19.09.1990, 90/01/0113). Der Hinweis eines Asylwerbers auf einen allgemeinen Bericht genügt dafür ebenso wenig wie der Hinweis auf die allgemeine Lage, z.B. einer Volksgruppe, in seinem Herkunftsstaat (vgl. VwGH 29.11.1989, 89/01/0362; 05.12.1990, 90/01/0202; 05.06.1991, 90/01/0198; 19.09.1990, 90/01/0113).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

3.2. Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Der Antrag war nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG zurückzuweisen.

Nach Ansicht des BVwG sind die dargestellten Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, nämlich eine glaubhaft

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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