Entscheidungsdatum
25.11.2020Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L502 2231321-2/22E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über den Antrag des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch Rechtsanwälte XXXX , der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.10.2020, GZ. XXXX , erhobenen außerordentliche Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, beschlossen:
Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird gemäß § 30 Abs 2 VwGG nicht stattgegeben.
Text
Begründung:
1. Verfahrensgang:
1.1. Der Revisionswerber (RW) stellte nach illegaler Einreise am 12.07.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 22.04.2020 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, zugleich wurde ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen, seine Abschiebung in die Türkei für zulässig erklärt, gegen ihn ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen, ihm keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt.
Mit Erkenntnis vom 12.10.2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA als unbegründet ab mit Ausnahme dessen, dass das gegen ihn verhängte Einreiseverbot aufgehoben wurde und ihm eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung für die freiwillige Ausreise eingeräumt wurde.
Der RW verblieb bis dato im Bundesgebiet und reiste nicht aus.
1.2. Gegen das Erkenntnis des BVwG erhob er durch seine anwaltliche Vertretung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 23.11.2020 dem zugleich gestellten Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde keine Folge gab.
Mit Schriftsatz vom 20.11.2020 erhob er außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof und beantragte zugleich, der außerordentlichen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Die Revision führte als Begründung zum Antrag auf aufschiebende Wirkung lediglich aus, dass sich der RW in Österreich wohl verhalten habe und weder zwingende öffentliche Interessen einer Bewilligung der aufschiebenden Wirkung entgegenstehen noch aus einer solchen dritten Personen Nachteile erwachsen.
1.3. Am 24.11.2020 teilte das BFA dem BVwG mit, dass die Abschiebung des zwischenzeitig festgenommenen RW für 25.11.2020 um 19.45 nach Istanbul geplant sei.
Zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der ao. Revision wurde angemerkt, dass aus den im erstinstanzlichen Bescheid genannten Gründen, aus denen auch die Erlassung eines unbefristeten Einreiseverbots resultierte, gewichtige öffentliche Interessen für die sofortige Außerlandesbringung des RW gegeben seien.
Schließlich wurde mitgeteilt, dass der RW im Zuge der Festnahme einen Folgeantrag gestellt habe.
1.4. Mit Urgenzschreiben vom 25.11.2020 teilte die Vertretung des RW dem BVwG mit, dass einem zugleich übermittelten Videobeitrag eines Fernsehsenders in türkischer Sprache zu entnehmen sei, dass der RW mit heutigem Tag in die Türkei überstellt werde, wo sein Haftantritt bevorstehe.
Nach Vorliegen dieses Schreibens übermittelte das BVwG den Internetlink zum genannten Videobeitrag an einen gerichtsbekannten Dolmetscher für die türkische Sprache, der nach Einsichtnahme in den Beitrag eine telefonische Inhaltsangabe an das BVwG verfasste, deren Inhalt in einem Aktenvermerk des zuständigen Richters festgehalten wurde.
2. Feststellungen/Beweiswürdigung:
Der gg. Verfahrensgang steht im Lichte des Akteninhalts als unstrittig fest.
Dass sich der RW ungeachtet seiner Ausreiseverpflichtung bis dato weiterhin im Bundesgebiet aufhielt bzw. aufhält, war dem vom BvwG eingesehenen Zentralen Melderegister sowie der Mitteilung des BFA vom 24.11.2020 zu entnehmen.
Dass er am 24.11.2020 einen Folgeantrag stellte, war dem vom BVwG eingesehenen Zentralen Fremdenregister zu entnehmen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Die Revision hat gemäß § 30 Abs 1 Satz 1 VwGG keine aufschiebende Wirkung. Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat jedoch bis zur Vorlage der Revision das Verwaltungsgericht, ab Vorlage der Revision der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.
Gemäß § 30a Abs 3 VwGG hat das Verwaltungsgericht über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung unverzüglich mit Beschluss zu entscheiden. Nach § 30a Abs 7 VwGG sind Abs 1 bis 6 leg cit nicht anzuwenden, wenn das Verwaltungsgericht in seinem Erkenntnis oder Beschluss ausgesprochen hat, dass die Revision nicht gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Das Verwaltungsgericht hat den anderen Parteien sowie im Fall des § 29 VwGG dem zuständigen Bundesminister bzw. der Landesregierung eine Ausfertigung der außerordentlichen Revision samt Beilagen zuzustellen und dem Verwaltungsgerichtshof die außerordentliche Revision samt Beilagen unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen.
Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass das Verwaltungsgericht (auch) in Fällen außerordentlicher Revisionen zur Entscheidung über die aufschiebende Wirkung so lange zuständig ist, bis die Revision dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wird (vgl. etwa den B des VwGH vom 20.04.2017, Ra 2017/19/0113).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist im Verfahren über einen Antrag auf aufschiebende Wirkung nach § 30 VwGG die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht zu überprüfen, sondern – wenn das in der Revision selbst erstattete Vorbringen nach der Aktenlage nicht etwa von vornherein als zutreffend zu erkennen ist – zunächst, im Provisorialverfahren, von den Annahmen in der angefochtenen Entscheidung auszugehen. Demnach ist die aufschiebende Wirkung nur zuzuerkennen, wenn der Fehler in der angefochtenen Entscheidung nicht bloß ein potenzieller, sondern ein evidenter ist (vgl. mwN VwGH 31.10.2019, Ra 2019/19/0493).
In dieser Entscheidung hat der Verwaltungsgerichtshof ferner zum wiederholten Male ausgesprochen, dass der Revisionswerber – um die vom Gesetz geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können – schon im Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darzulegen hat, aus welchen tatsächlichen Umständen sich der von ihm behauptete unverhältnismäßige Nachteil ergibt, es sei denn, dass sich nach Lage des Falls die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ohne Weiteres erkennen lassen.
Mit seinem Beschluss vom 04.11.2019, Ra 2019/21/0244, gab der Verwaltungsgerichtshof dem Antrag, der Revision gegen ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, betreffend insbesondere Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt unbefristetem Einreiseverbot, die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, nicht statt. Der Verwaltungsgerichtshof begründete seine Entscheidung damit, dass die für den Revisionswerber mit dem Abwarten der Entscheidung über die Revision in seinem Herkunftsstaat Türkei verbundenen Konsequenzen - nach der unter Bedachtnahme auf alle Umstände des vorliegenden Falles, insbesondere auch darauf, dass in Österreich kein Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK bestand, vorgenommenen Abwägung der wechselseitigen Interessen - keinen „unverhältnismäßigen Nachteil“ im Sinne des § 30 Abs 2 VwGG darstelle.
Schließlich kommt dem gewichtigen öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens für die nach § 30 Abs 2 VwGG vorzunehmende Interessenabwägung wesentliche Bedeutung zu; vgl. abermals VwGH 31.10.2019, Ra 2019/19/0493. In diesem Sinne sprach der Verwaltungsgerichtshof am 30.05.2019, Ra 2019/22/0104, bei der Interessenabwägung nach § 30 Abs 2 VwGG aus, die dortige Revisionswerberin beinträchtige durch ihren unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet das große öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens, und gab dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht statt.
3.2. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass entgegen der Anmerkung des BFA vom 24.11.2020 gegen den RW kein rechtskräftiges Einreiseverbot besteht (vgl. oben).
Soweit der RW am 24.11.2020 einen Folgeantrag stellte, ist darauf hinzuweisen, dass ihm gemäß § 12a Abs. 3 AsylG kein faktischer Abschiebeschutz zukommt.
Zutreffend wurde im gg. Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zwar ausgeführt, dass der RW bis dato in Österreich unbescholten ist. Demgegenüber kam er allerdings seiner aus dem Erkenntnis des BVwG vom 12.10.2020 resultierenden Verpflichtung zur freiwilligen Ausreise bis dato nicht nach. Daraus folgt im Sinne der Judikatur des VwGH, dass ein großes öffentliches Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens besteht, im gg. Fall auch ein maßgebliches öffentliches Interesse an der Durchsetzung der gegen ihn erlassenen Rückkehrentscheidung. Das Interesse des Revisionswerbers, den Ausgang des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof in Österreich abzuwarten, tritt daher hinter das öffentliche Interesse auf Einhaltung der fremdenrechtlichen Bestimmungen zurück. Familiäre Interessen, die der Durchsetzung der Rückkehrentscheidung entgegenstehen, hat der RW weder in seinem Antrag behauptet noch sind solche im Erkenntnis des BVwG vom 12.10.2020 festgestellt worden.
Das BVwG gelangte in seinem Erkenntnis vom 12.10.2020 u.a. zur Feststellung, dass dem RW im Fall einer Rückkehr in der Türkei keine Inhaftierung drohe, da gegen ihn keine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung vorliege. Demgegenüber wurde im jüngsten Urgenzschreiben behauptet, dass ihm gerade eine solche drohe, und wurde als Beweis dafür ein Internetlink zu einem türkischsprachigen Fernsehbeitrag übermittelt.
Die kurzfristige Einsichtnahme in diesen Beitrag durch einen dafür kontaktierten gerichtsbekannten Dolmetscher für die türkische Sprache brachte dessen Rückmeldung folgend (vgl. den dazu verfassten Aktenvermerk) hervor, dass der Beitrag durch einen „alevitischen“ TV-Sender ausgestrahlt wurde. Zusammengefasst dargestellt handelt es sich dabei um einen propagandistischen Beitrag, der sich gegen Abschiebungen in die Türkei richtet und im Hinblick auf die Festnahme des RW am 24.11.2020 und die Ausstrahlung des Beitrags noch am gleichen Tag als kurzfristig lancierte Aktion zur Verhinderung seiner Abschiebung zu interpretieren ist. Den RW betreffend wurde u.a. behauptet, dass ihm bei einer Rückkehr der Antritt zu einer 37-jährigen Haftstrafe drohe. Auch wurde behauptet, dass ihm in Österreich der Kontakt zu seinem anwaltlichen Vertreter verwehrt worden sei.
Im Lichte dieser Darstellung des Dolmetschers kam das Gericht zum Schluss, dass dem vorgelegten Beweismittel kein glaubhafter Hinweis darauf zu entnehmen war, dass dem RW – im Gegensatz zu den rechtskräftigen Feststellungen im Erkenntnis vom 12.10.2020 – tatsächlich der Haftantritt zu einer im Übrigen auch derart langen Freiheitsstrafe drohen würde. Vielmehr war der Videobeitrag als koordinierter medialer Versuch der bloßen Verhinderung der Abschiebung des RW zu interpretieren, der sich wiederum auf unbelegte Behauptungen stützte, die im Widerspruch zu den Feststellungen des Gerichts im Erkenntnis vom 12.10.2020 standen. Daraus folgte wiederum, dass auch aus diesem Vorbringen kein das öffentliche Interesse an der Durchsetzung der Rückkehrentscheidung überwiegendes persönlicher Interesse des RW zu gewinnen war.
3.3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
aufschiebende Wirkung - Entfall öffentliche Interessen RevisionEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L502.2231321.2.02Im RIS seit
08.03.2021Zuletzt aktualisiert am
08.03.2021