TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/25 L514 2163121-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.11.2020
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Entscheidungsdatum

25.11.2020

Norm

AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52

Spruch


L514 2163121-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. KLOIBMÜLLER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA Irak, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.06.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 20.11.2020, zu Recht erkannt:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides mit der Maßgabe geändert, dass der Spruch zu lauten hat:

„Die Rückkehrentscheidung in den Irak ist gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig. Gemäß §§ 54 iVm 55 Abs. 1 AsylG wird XXXX eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.“

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, Sunnite und der Volksgruppe der Araber angehörig, reiste illegal in Österreich ein, wo er am XXXX 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Hiezu wurde er am 11.07.2015 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

Am 09.05.2016 und 14.06.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Im Wesentlichen führte er im Rahmen der Befragung aus, dass er im Irak ein Militärangehöriger gewesen sei und am Flughafen XXXX gearbeitet habe. Schiitische Milizen seien an ihn herangetreten und hätten ihn zur Zusammenarbeit aufgefordert. Dies habe er verweigert und sei in weiterer Folge sein Bruder getötet worden. Aus Angst habe er in der Folge das Land verlassen.

2.       Mit gegenständlich in Beschwerde gezogenen Bescheid des BFA vom 07.06.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Beweiswürdigend führte das BFA aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers ob der Widersprüchlichkeiten und Unplausibilitäten nicht glaubwürdig sei. Auch eine Gefährdung im Falle der Rückkehr in den Heimatstaat könne nicht wahrgenommen werden.

Das BFA hielt auch fest, dass bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen, keine Hinweise gefunden werden könnten, welche den Schluss zulassen würden, dass durch die Rückkehrentscheidung auf unzulässige Weise im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in das Recht des Beschwerdeführers auf Schutz des Familien- und Privatlebens eingegriffen werden würde.

Mit Verfahrensanordnung vom 12.06.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtberater amtswegig zu Seite gestellt.

3.       Gegen den dem Beschwerdeführer am 14.06.2017 ordnungsgemäß zugestellten Bescheid wurde mit Schreiben vom 21.06.2017 des Vertreters des Beschwerdeführers fristgerecht Beschwerde erhoben.

4.       Zur Vorbereitung der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden mit Schreiben vom 16.11.2020 zahlreiche integrationsbegründende Unterlagen in Vorlage gebracht.

Am 20.11.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des Beschwerdeführers und seines Vertreters durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben, die der Antragstellung zugrundeliegenden Umstände neuerlich umfassend darzulegen. Weiters wurde die Möglichkeit eingeräumt zu den vorab übermittelten Länderfeststellungen eine Stellungnahme abzugeben, wovon kein Gebrauch gemacht wurde.

In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 20.11.2020 wurde die Beschwerde zu den Spruchpunkten I. und II. des bekämpften Bescheides zurückgezogen.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Sachverhalt:

1.1.    Feststellungen zur Person:

Der Beschwerdeführer, ein arabischstämmiger Sunnite, ist iraksicher Staatsbürger und stellte am XXXX 2015 in Österreich, nach illegaler Einreise, einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer wurde in XXXX geborgen, wo er auch aufgewachsen ist. Bis zu seiner Ausreise aus dem Irak hat der Beschwerdeführer mit seiner Familie in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Der Beschwerdeführer arbeitete seit dem Jahr 2012 bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015 als Soldat am Flughafen XXXX .

Im familieneigenen Haus in XXXX sind nach wie vor die Eltern sowie eine Schwester und ein Bruder des Beschwerdeführers aufhältig, wobei der Bruder an der Universität Philosophie studiert und die Schwester die Mittelschule besucht. Eine weitere Schwester ist bereist verheiratet und ein Bruder wurde am XXXX 2015 getötet. Der Vater des Beschwerdeführers arbeitet im Kommunikationsministerium und die Mutter ist Hausfrau. Mit seiner Familie im Irak steht der Beschwerdeführer in einem regelmäßigen Kontakt.

Der Beschwerdeführer lebt im Bundesgebiet in einer Privatunterkunft und erhält Grundversorgung. Er spricht die deutsche Sprache auf gutem Niveau (A1 und A2 Prüfungen wurden bereits erfolgreich abgelegt). Weiters hat er im Jahr 2017 an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen sowie das Modul „Polizei und Sicherheit“ absolviert. Seit 12.10.2020 nimmt der Beschwerdeführer an einem Deutschkurs B1 teil. Darüber hinaus verfügt er über Einstellungszusagen der XXXX datiert mit XXXX 2020 als Hilfsarbeiter sowie des XXXX und der Firma XXXX . Des Weiteren verfügt der Beschwerdeführer über eine Gewebeberechtigung „Hausbetreuung“, welche derzeit jedoch ruhend gestellt wurde. Der Beschwerdeführer engagiert sich auch sozial, indem er ehrenamtlich von 06.10.2020 bis 06.12.2020 den Verein „SozialShop“ unterstützt. Darüber hinaus vermochte sich der Beschwerdeführer einen stabilen Freundeskreis aufzubauen und hat er seit drei Jahren eine türkischstämmige Freundin, mit der er jedoch nicht zusammenlebt. Eine Heirat ist in diesem Zusammenhang für die Zukunft geplant. Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner chronischen sowie schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung. Er ist arbeitsfähig.

1.2.    Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen des Heimatstaates:

Der Beschwerdeführer hat im Rahmen und nach Rücksprache mit seinem Vertreter in der Beschwerdeverhandlung vom 20.11.2020 die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des bekämpften Bescheides zurückgezogen.


2.       Beweiswürdigung:

2.1.    Zum Verfahrensgang und zum Sachverhalt:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Der oben unter Punkt II. 1. angeführte Sachverhalt ergibt sich durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, insbesondere unter Berücksichtigung der niederschriftlichen Einvernahmen vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und dem BFA, durch Einsichtnahme in den bekämpften Bescheid der belangten Behörde sowie den Beschwerdeschriftsatz. Darüber hinaus konnten Feststellungen aufgrund der mündlichen Beschwerdeverhandlung getroffen werden.

2.2.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Abstammung, zur Religionszugehörigkeit und zu den familiären und privaten Verhältnissen des Beschwerdeführers gründen sich auf in diesen Punkten gleichbleibenden und glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers während des gesamten Verfahrens.

Die Ermordung des Bruders ergeben sich aus der vom Beschwerdeführer vorgelegten irakischen Sterbeurkunde.

Die Feststellung zum Zeitpunkt der Antragstellung auf internationalen Schutz ergeben sich aus der Einsicht in den Akt.

Aus den vorgelegten Deutschnachweisen A1 und A2 ergeben sich die guten Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers. Überdies stellte der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht seine guten Deutschkenntnisse unter Beweis. Das Absolvieren des Moduls „Polizei und Sicherheit“ und des Werte und Orientierungskurses bzw der Besuch des Deutschkurses B1 basiert auf den diesbezüglich in Vorlage gebrachten Unterlagen.

Dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer seinen Unterhalt seit seiner Einreise in Österreich durch die Grundversorgung bestreitet.

Aus dem Schreiben des Vereins „SozialShop“ ist ersichtlich, dass sich der Beschwerdeführer aktiv sozial engagiert.

Auch vermochtes es der Beschwerdeführer durch zahlreiche Unterstützungsschreiben zu belegen, dass er auch in der Lage ist, sich einen stabilen Freundeskreis aufzubauen und sich in die Gesellschaft zu integrieren.

Der Beschwerdeführer verfügt über eine Einstellungszusage der XXXX datiert mit XXXX 2020 als Hilfsarbeiter sowie des XXXX und der Firma XXXX . Die Einstellungen bedingen eine Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung in Österreich. Es wird daher davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer sobald er in Besitz eines Aufenthaltstitels ist, alsbald auch eine Beschäftigung nachgehen wird.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem Auszug aus dem österreichischen Strafregister.

Die Zurückziehung der Beschwerde zu Spruchpunkt I. und II. ergibt sich aus dem Verhandlungsprotokoll der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 20.11.2020. Mit Beschluss vom heutigen Tag wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes diesbezüglich das Verfahren eingestellt.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1.1.    Zur Erteilung eines Aufenthaltstitels und dem Ausspruch das eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist (Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides):

1.2.    Gesetzliche Grundlagen:

Der mit „Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme“ betitelte § 10 AsylG 2005 lautet wie folgt:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1.       wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2.       zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3.       wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit XXXX 2015 im Bundesgebiet, wobei sein Aufenthalt nicht in obigem Sinne geduldet ist. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde behauptet wurde.

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger vom Irak und somit kein begünstigter Drittstaatsangehörige und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

Gemäß § 55 Abs.1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet wie folgt:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

1.3.    Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

1.4.    Zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers iSd Art 8 EMRK (gemäß den Kriterien des § 9 Abs. 2 BFA-VG) ist folgendes auszuführen:

Nach erfolgter Interessenabwägung ist das erkennende Gericht der Ansicht, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers in sein Heimatland einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben in Österreich darstellen würde. Leitendes Kriterium bei der Abwägung ist der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer engagiert und aktiv einbringt. So zeigt er sein soziales Engagement etwa dadurch, dass er ehrenamtlich in einem Sozialshop arbeitet.

Die guten Sprachkenntnisse der Deutschen Sprache sind evident und konnte sich das erkennende Gericht selbst in der mündlichen Beschwerdeverhandlung von den Deutschkenntnissen ein Bild machen. Sein Eifer, die deutsche Sprache gut zu erlernen, zeigt sich auch in dem Umstand, dass der Beschwerdeführer mittlerweile die A1 und A2 Prüfungen erfolgreich absolviert hat und derzeit einen B1 Kurs belegt. Des Weiteren hat er das Modul „Polizei und Sicherheit“ und den Werte- und Orientierungskurs abgeschlossen.

Der Beschwerdeführer hat bereits versucht auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, indem er das Gewerbe für Hausbetreuungen angemeldet hat. Für die Zukunft verfügt er bereits über Einstellungszusage der XXXX datiert mit XXXX 2020 als Hilfsarbeiter sowie des XXXX und der Firma XXXX . Eine Arbeitsaufnahme ist lediglich durch eine Aufenthaltsberechtigung bedingt. Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in der Lage sein wird, seinen Unterhalt in Österreich in naher Zukunft durch eigene Arbeit zu bestreiten.

Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer in Österreich über soziale Kontakte verfügt, welche ihn schätzen und ihn als hilfsbereit und freundlich beschreiben. Darüber hinaus stellte er auch seine Zeit in den Dienst einer ehrenamtlichen Tätigkeit, indem er den Verein „SozialShop“ unterstützt.

Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang, dass der Beschwerdeführer seit drei Jahren eine Freundin hat und eine Heirat in naher Zukunft geplant ist.

Des Weiteren hält sich der Beschwerdeführer mittlerweile seit mehr als fünf Jahren im Bundesgebiet auf. Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist auch dieser Umstand in der Beurteilung einer bestehenden besonderen Integration mitberücksichtigen.

1.5.    Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist daher davon auszugehen, dass die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, überwiegen. Der Beschwerdeführer erfüllt somit aufgrund seines berücksichtigungswürdigen Privat- und Familienlebens die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005.

Gemäß der Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 36 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren.

Gemäß des mit Ablauf des 30. September 2017 außer Kraft getretenen § 14a Abs. 4 Z. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z. 1 ("Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur vertieften elementaren Sprachverwendung") vorlegt. Nähere Bestimmungen über die Durchführung von Deutsch-Integrationskursen und den Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über den erfolgreichen Abschluss des Deutsch-Integrationskurses gemäß Abs. 4 Z 1 sowie über Nachweise gemäß Abs. 4 Z. 2 hat der Bundesminister für Inneres gemäß des mit Ablauf des 30. September 2017 außer Kraft getretenen § 14a Abs. 6 NAG durch Verordnung festzulegen.

Die Integrationsvereinbarungs-Verordnung, BGBl. II Nr. 449/2005 idF BGBl. II Nr. 205/2011, sah bzw. sieht diesbezüglich in deren § 7 Abs. 1 vor, dass Ziel des Deutsch-Integrationskurses (Modul 1 der Integrationsvereinbarung) die Erreichung des A2-Niveaus des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, wie im Rahmencurriculum für Deutsch-Integrationskurse (Anlage A) beschrieben, ist. Als Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse im Sinne des § 14a Abs. 4 Z. 2 und § 14b Abs. 2 Z 2 NAG gelten gemäß § 9 Abs. 1 der Verordnung allgemein anerkannte Sprachdiplome oder Kurszeugnisse, etwa der Einrichtung Österreichisches Sprachdiplom Deutsch.

Der Beschwerdeführer hat das A2-Zertifikat des Österreichischen Sprachdiploms Deutsch am 05.12.2019 erworben. Des Weiteren hat er am 07.07.2017 an einem Werte – und Orientierungskurs teilgenommen. Er hat sohin das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt.

1.6.    § 54. (1) Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen werden Drittstaatsangehörigen erteilt als:

1. „Aufenthaltsberechtigung plus“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 berechtigt,

2. „Aufenthaltsberechtigung“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt,

3. „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.

(2) Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 sind für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen. Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 Z 1 und 2 sind nicht verlängerbar.

Dem Beschwerdeführer wird ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt. Dieser ist für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht weiters hervor, dass das erkennende Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben, abgeht. Darüber hinaus wird zu diesem Thema keine Rechtssache, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, erörtert.

Schlagworte

Arbeitswilligkeit Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltsdauer Deutschkenntnisse Integrationsvereinbarung Interessenabwägung Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L514.2163121.1.01

Im RIS seit

05.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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