Entscheidungsdatum
01.12.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W189 2126462-1/24E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch RA Mag. Nadja LORENZ, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 9 BFA-VG wird festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, und gemäß §§ 54 Abs. 1 Z 1, 55 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 9 und § 10 IntG wird XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.
III. In Erledigung der Beschwerde werden die Erledigung zu § 55 AsylG 2005 in Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides sowie der Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein ukrainischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler, schlepperunterstützter Einreise in das Bundesgebiet am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am XXXX durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt (AS 1 ff). Zu seinem Ausreisegrund gab er an, dass er Zeuge eines Mordes in der Ukraine geworden sei. Dies sei am XXXX gewesen. Er habe die Anzeige „bei der Polizei/Gericht“ erstattet. Danach sei er von der Behörde, der Polizei verfolgt und bedroht worden. Der BF habe sein Land verlassen müssen und sei geflüchtet. Es sei ihm von einem Polizisten gesagt worden, dass er das Leben des BF beenden werde, wie beim Freund des BF. Dieser sei umgebracht worden, der BF sei Zeuge des Mordes gewesen.
Nach erfolgter Rückübersetzung des Protokolls korrigierte der BF, dass er nicht direkt gesehen habe, wie sein Freund umgebracht worden sei. Der BF habe aber gesehen, wie sein Freund von der Polizei geschlagen worden sei. Dies sei am XXXX gewesen. Am XXXX habe der BF vom Mitbewohner seines Freundes erfahren, dass dieser durch die Schläge der Polizei verstorben sei.
Der BF legte im Rahmen der Stellung seines Antrags auf internationalen Schutz seinen – echten (AS 35) – ukrainischen Reisepass vor (AS 23 f).
2. Am XXXX wurde der BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen (AS 79 ff). Zu seinem Fluchtgrund gab er in freier Erzählung im Wesentlichen an, dass er mit einem Bekannten am XXXX im XXXX Park an einer Demonstration gegen die Regierung teilgenommen habe. Beide seien dort durch die Polizisten misshandelt, festgenommen und zur Polizeistation gebracht worden. Der BF sei dort verhört und erneut misshandelt worden. Der BF sei danach von Polizisten zum Stadtrand gefahren und aus dem Auto geworfen worden. Eine Frau habe dort die Rettung alarmiert und der BF sei ins Krankenhaus gebracht worden. Er habe dem dort anwesenden Polizisten alles erzählt, dieser habe aber gelacht und die Aussage des BF nicht in ein offizielles Protokoll aufgenommen. Später sei der BF aus dem Spital entlassen worden. Da er seinen Bekannten nicht mehr erreicht habe, habe er am XXXX in dessen Wohnung Nachschau gehalten, wo ihm sein Mitbewohner gesagt habe, dass er nicht mehr am Leben sei. Der Mitbewohner habe den Bekannten am XXXX in sehr schlechtem Zustand vor der Wohnungstür gefunden und er sei in der Folge verstorben. Der BF habe danach die Staatsanwaltschaft eingeschalten, die eine Anzeige aufgenommen und ihm eine Kopie ausgehändigt habe. Der BF sei zudem mit seinen medizinischen Unterlagen zu einem Gerichtsgutachter gegangen. Am XXXX sei die Polizei zum BF gekommen und habe ihn aufgefordert, mit allen Unterlagen zur Polizeistation zu kommen, um seinen Peiniger zu identifizieren. Der BF habe keinen Verdacht geschöpft, sei dann aber im Auto erneut geschlagen worden und aufgefordert worden, alles zu unterschreiben. Auf der Polizeistation sei der BF wiederum misshandelt worden. Der BF habe daraufhin acht bis zehn Zettel ohne Kenntnis des Inhalts unterschrieben und sei am nächsten Tag freigelassen worden, nachdem die Polizisten ihm die Dokumente abgenommen und sein Telefon zerstört hätten. Der BF habe den Staatsanwalt angerufen, doch habe dieser so getan, als würden sie sich nicht kennen. Der BF habe dann versucht, einen Rechtsanwalt zu finden. Diese hätten sich aber geweigert und angeboten, die Sache mit Geld zu lösen. Am XXXX sei der BF vor seiner Wohnung von zwei Personen überfallen und beschimpft worden. Der BF habe verstanden, dass diese von der Polizei Informationen bekommen hätten. Aus Angst sei der BF daraufhin zu einem Freund gegangen und habe sich dort bis zur Flucht versteckt. Am XXXX sei die Polizei in die Wohnung des BF eingedrungen, wahrscheinlich um nach ihm zu suchen. Die Polizei habe seine Datenträger und seinen Computer mitgenommen.
Im Rahmen der Einvernahme legte der BF ein Konvolut an ukrainischen Dokumenten und Unterlagen, sowie ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor (AS 93 ff).
3. Aufgrund einer Anfrage des BFA an die Staatendokumentation berichtete diese am XXXX unter anderem, dass es laut Auskunft des Verbindungsbeamten am XXXX keine Demonstration im XXXX Park gegeben habe (AS 153 ff).
4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom XXXX wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gem. §§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung in die Ukraine zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.) (AS 171 ff).
5. Mit Schriftsatz vom XXXX erhob der BF durch seine Rechtsvertreterin binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und machte im Wesentlichen geltend, dass das Vorbringen des BF detailliert sei und im Einklang mit den Länderberichten stehe. Es sei durch dort genannte Internetseiten belegbar, dass die Demonstration, an der der BF teilgenommen habe, tatsächlich stattgefunden habe. Der BF legte im Rahmen der Beschwerde ein Konvolut an Screenshots eines Videos, einen (leeren) Screenshot einer Website, eine handschriftliche Erklärung eines Demonstrationsteilnehmers und ein Zertifikat einer bestandenen Deutschprüfung auf dem Niveau A2 vor (AS 257 ff).
6. Mit Schriftsatz vom XXXX legte der BF ein weiteres Schreiben einer Demonstrationsteilnehmerin vor (OZ 2).
7. Mit Schriftsatz vom XXXX teilte der BF mit, dass die vorgenannten Demonstrationsteilnehmer bereit seien, etwa im Rahmen einer Skype-Konferenz als Zeugen auszusagen (OZ 3).
8. Mit Schriftsätzen vom XXXX und XXXX legte der BF ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor (OZ 7 und 8).
9. Mit Schriftsatz vom XXXX übermittelte das BFA ein Anschreiben von Interpol XXXX , wonach der BF wegen Verstoßes gegen die Verkehrsnormen, welcher den Tod oder eine schwere Körperverletzung zufolge hat, nach Art. 286 des ukrainischen Strafgesetzbuches gesucht werde (OZ 9).
10. Mit Schriftsatz vom XXXX übermittelte das BFA eine dem BF vom AMS erteilte Beschäftigungsbewilligung (OZ 13).
11. Mit Schriftsatz vom XXXX legte der BF ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor (OZ 16 und 17).
12. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX eine öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer geeigneten Dolmetscherin der russischen Sprache durch, an welcher der BF, seine Rechtsvertretung und ein Vertreter des BFA teilnahmen. Der BF wurde ausführlich zu seiner Person und den Fluchtgründen befragt, und es wurde ihm Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen, sich zu seinen Rückkehrbefürchtungen und der Integration im Bundesgebiet zu äußern, sowie zu den im Rahmen der Verhandlung in das Verfahren eingeführten und ihm mit der Ladung zugestellten Länderberichten Stellung zu nehmen.
13. Am XXXX legte der BF einen Ausdruck einer Karte sowie einer Nachrichtensendung vor (OZ 20).
14. Mit Schriftsatz vom XXXX gab der BF eine Stellungnahme zu seinen Fluchtgründen, dem Schreiben von Interpol und seiner Integration ab (OZ 21).
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Zur Person des BF
Die Identität des BF steht fest.
Der BF ist ukrainischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der XXXX an und ist XXXX . Der BF ist volljährig und im erwerbsfähigen Alter. Er spricht Russisch, Ukrainisch und ein wenig Englisch. Er hat XXXX Jahre die Grundschule sowie anschließend XXXX Jahre eine höhere Schule besucht und die Ausbildung zum XXXX und XXXX abgeschlossen. Er war zuletzt als Selbständiger in der XXXX tätig und hat gut verdient.
Der BF ist in XXXX geboren und hat dort bis zu seiner Ausreise gelebt.
Sein Vater ist verstorben. Seine Mutter, seine Schwester und seine Großmutter leben in XXXX in einer Drei-Zimmer-Wohnung, in der auch der BF vor seiner Ausreise gewohnt hat. Seine Schwester ist XXXX , seine Mutter arbeitet als XXXX . Der BF hat wöchentlich Kontakt zu seinen Angehörigen. Der BF hat weiters eine Tante in XXXX und zwei Freunde, mit denen er in Kontakt steht.
Der BF ist gesund, ledig und kinderlos.
Er ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF
Der BF wurde in der Ukraine nicht infolge der Teilnahme an einer Demonstration von Polizisten verfolgt. Es besteht im Falle einer Rückkehr keine asylrelevante Bedrohungslage.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in der Ukraine
1.3.1. Sicherheitslage
In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 29.2.2020). Die Sicherheitslage außerhalb der besetzten Gebiete im Osten des Landes ist im Allgemeinen stabil (FH 4.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine
1.3.2. Rechtsschutz und Justizwesen
Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering. Trotz der Bemühungen um eine Reform der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft ist Korruption bei Richtern und Staatsanwälten weiterhin ein Problem. Zivilgesellschaftliche Gruppen bemängeln weiterhin die schwache Gewaltenteilung zwischen der Exekutive und der Judikative. Einige Richter behaupten Druckausübung durch hochrangige Politiker. Einige Richter und Staatsanwälte erhielten Berichten zufolge Bestechungsgelder. Andere Faktoren, welche das Recht auf ein faires Verfahren behindern, sind langwierige Gerichtsverfahren, insbesondere bei Verwaltungsgerichten, unterfinanzierte Gerichte und mangelnde Möglichkeiten Urteile durchzusetzen (USDOS 11.3.2020).
Die ukrainische Justizreform trat im September 2016 in Kraft, der langjährige Prozess der Implementierung der Reform dauert weiter an. Bereits 2014 startete ein umfangreicher Erneuerungsprozess mit der Annahme eines Lustrationsgesetzes, das u.a. die Entlassung aller Gerichtspräsidenten sowie die Erneuerung der Selbstverwaltungsorgane der Richterschaft vorsah. Eine im Februar 2015 angenommene Gesetzesänderung zur „Sicherstellung des Rechtes auf ein faires Verfahren“ sieht auch eine Erneuerung der gesamten Richterschaft anhand einer individuellen qualitativen Überprüfung („re-attestation“) aller Richter vor, die jedoch von der Zivilgesellschaft als teils unzureichend kritisiert wurde. Bislang wurden laut Informationen von ukrainischen Zivilgesellschaftsvertretern rund 2.000 der insgesamt 8.000 in der Ukraine tätigen Richter diesem Prozess unterzogen, wobei rund 10% entweder von selbst zurücktraten oder bei der Prozedur durchfielen. Ein wesentliches Element der Justizreform ist auch der vollständig neu gegründete Oberste Gerichtshof, der am 15. Dezember 2017 seine Arbeit aufnahm. Allgemein ist der umfassende Erneuerungsprozess der Richterschaft jedoch weiterhin in Gange und schreitet nur langsam voran. Die daraus resultierende häufige Unterbesetzung der Gerichte führt teilweise zu Verfahrensverzögerungen. Von internationaler Seite wurde die Annahme der weitreichenden Justizreform weitgehend begrüßt (ÖB 2.2019).
2014 wurde auch eine umfassende Reform der Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt. In erster Linie ging es dabei auch darum, das schwer angeschlagene Vertrauen in die Institution wieder herzustellen, weshalb ein großer Teil dieser Reform auch eine Erneuerung des Personals vorsieht. Im Juli 2015 begann die vierstufige Aufnahmeprozedur für neue Mitarbeiter. Durchgesetzt haben sich in erster Linie jedoch Kandidaten, die bereits in der Generalstaatsanwaltschaft Erfahrung gesammelt hatten. Weiters wurde der Generalstaatsanwaltschaft ihre Funktion als allgemeine Aufsichtsbehörde mit der Justizreform 2016 auf Verfassungsebene entzogen, was jedoch noch nicht einfach gesetzlich umgesetzt wurde. Jedenfalls wurde in einer ersten Phase die Struktur der Staatsanwaltschaft verschlankt, indem über 600 Bezirksstaatsanwaltschaften auf 178 reduziert wurden. 2017 wurde mit dem Staatsanwaltschaftsrat („council of prosecutors“) ein neues Selbstverwaltungsorgan der Staatsanwaltschaft geschaffen. Es gab bereits erste Disziplinarstrafen und Entlassungen, Untersuchungen gegen die Führungsebene der Staatsanwaltschaft wurden jedoch vorerst vermieden. Auch eine spezialisierte Antikorruptions-Staatsanwaltschaft wurde geschaffen. Diese Reformen wurden vor allem wegen der mangelnden personellen Erneuerung der Staatsanwaltschaft kritisiert. Auch erhöhte die Reform die Belastung der Ankläger, die im Durchschnitt rund je 100 Strafverfahren gleichzeitig bearbeiten, was zu einer Senkung der Effektivität der Institution beiträgt. Allgemein bleibt aber, trotz einer signifikanten Reduktion der Zahl der Staatsanwälte, diese im europäischen Vergleich enorm hoch, jedoch ineffizient auf die zentrale, regionale und lokale Ebene verteilt (ÖB 2.2019).
Die jüngsten Reforminitiativen, die sich gegen korrupte und politisierte Gerichte wenden, sind ins Stocken geraten oder blieben hinter den Erwartungen zurück. Das neue Hohe Anti-Korruptionsgericht, das im September 2019 seine Arbeit aufgenommen hat, hat noch keine Ergebnisse erzielt. Obwohl es Garantien für ein ordnungsgemäßes Verfahren gibt, können Personen mit finanziellen Mitteln und politischem Einfluss in der Praxis einer Strafverfolgung wegen Fehlverhaltens entgehen (FH 4.3.2020). Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis orientieren sich an westeuropäischen Standards. Untersuchungshaft wird nach umfassender Reform des Strafverfahrensrechts erkennbar seltener angeordnet als früher (AA 29.2.2020). Nach den 2019 veröffentlichten Statistiken des World Prison Bureau sind etwa 36% der Gefangenen in der Ukraine Untersuchungshäftlinge (FH 4.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Ukraine
- ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine
1.3.3. Sicherheitsbehörden
Das Innenministerium ist für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Ordnung zuständig. Das Ministerium beaufsichtigt das Personal der Polizei und anderer Strafverfolgungsbehörden. Der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) ist für den Staatsschutz im weitesten Sinne, den nicht-militärischen Nachrichtendienst sowie für Fragen der Spionage- und Terrorismusbekämpfung zuständig. Das Innenministerium untersteht dem Ministerkabinett, der SBU ist direkt dem Präsidenten unterstellt. Das Verteidigungsministerium schützt das Land vor Angriffen aus dem In- und Ausland, gewährleistet die Souveränität und die Integrität der Landesgrenzen und übt die Kontrolle über die Aktivitäten der Streitkräfte im Einklang mit dem Gesetz aus. Der Präsident ist der oberste Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Das Verteidigungsministerium untersteht direkt dem Präsidenten. Der Staatliche Steuerfiskus übt über die Steuerpolizei Strafverfolgungsbefugnisse aus und untersteht dem Ministerkabinett. Der dem Innenministerium unterstellte Staatliche Migrationsdienst setzt die staatliche Politik in Bezug auf Grenzsicherheit, Migration, Staatsbürgerschaft und Registrierung von Flüchtlingen und anderen Migranten um (USDOS 11.3.2020).
Die Sicherheitsbehörden unterstehen generell effektiver ziviler Kontrolle. Die Regierung hat es jedoch im Allgemeinen versäumt, angemessene Schritte zu unternehmen, um Missbräuche durch Beamte strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen stellten erhebliche Mängel bei den Ermittlungen zu mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte fest. Zuweilen wenden die Sicherheitskräfte selbst übermäßige Gewalt an, um Proteste aufzulösen (USDOS 11.3.2020), oder verabsäumen es in einzelnen Fällen, Opfer vor Belästigung oder Gewalt zu schützen. Dies betrifft vor allem Hassverbrechen gegen ethnische Minderheiten, insbesondere Roma, LGBT-Personen, Feministinnen oder Personen, die von ihren Angreifern als „anti-ukrainisch“ wahrgenommen werden. Auch die Misshandlung von Festgenommenen durch die Polizei ist weiterhin ein Problem (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 16.4.2020).
Während der Maidan-Proteste 2013/2014 kam es zu Menschenrechtsverletzungen durch die gewaltsame Unterdrückung der Proteste durch Sicherheitskräfte, mehr als 100 Menschen wurden getötet, hunderte verletzt. Die laufende Untersuchung zu diesen Verbrechen ist langsam und ineffektiv (AI 16.4.2020). Es wurden dennoch einige Fortschritte erzielt, 422 Menschen wurden angeklagt, 52 verurteilt und 9 davon mit einer Gefängnisstrafe belegt. Die Gesellschaft fordert jedoch, dass auch diejenigen, die die Befehle zur Tötung gaben, zur Rechenschaft gezogen werden, und nicht nur jene, die diesen Befehlen folgten (BTI 2020).
In den letzten Jahren wurden u.a. Reformen im Bereich der Polizei durchgeführt (AA 29.2.2020). Das sichtbarste Ergebnis der ukrainischen Polizeireform ist die Gründung der Nationalen Polizei nach europäischen Standards, mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan. Mit November 2015 ersetzte die Nationale Polizei offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte „Militsiya“. Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Truppe aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen „Re-Attestierungsprozess“ samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritätsprüfungen durchlaufen. Im Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses, in dessen Zuge 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen, 4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft wurden. Zentrale Figur der Polizeireform war die ehemalige georgische Innenministerin Khatia Dekanoidze, die jedoch am 14. November 2016 aufgrund des von ihr bemängelnden Reformfortschrittes, zurücktrat. Zu ihrem Nachfolger wurde, nach einem laut Einschätzung der EU Advisory Mission (EUAM) offenen und transparenten Verfahren, im Februar 2017 Serhii Knyazev bestellt. Das Gesetz „Über die Nationalpolizei“ sieht eine Gewaltenteilung zwischen dem Innenminister und dem Leiter der Nationalen Polizei vor. Der Innenminister ist ausschließlich für die staatliche Politik im Rechtswesen zuständig, der Leiter der Nationalen Polizei konkret für die Polizei. Dieses europäische Modell soll den Einfluss des Ministers auf die operative Arbeit der Polizei verringern. Dem Innenministerium unterstehen seit der Reform auch der Staatliche Grenzdienst, der Katastrophendienst, die Nationalgarde und der Staatliche Migrationsdienst. Festzustellen ist, dass der Innenminister in der Praxis immer noch die Arbeit der Polizei beeinflusst und die Reform somit noch nicht vollständig umgesetzt ist. Das nach dem Abgang von Khatia Dekanoidze befürchtete Zurückrollen diverser erzielter Reformen, ist laut Einschätzung der EUAM, jedenfalls nicht eingetreten. Das im Juni 2017 gestartete Projekt „Detektive“ – Schaffung polizeilicher Ermittler/Zusammenlegung der Funktionen von Ermittlern und operativen Polizeieinsatzkräften, spielt in den Reformen ebenfalls eine wichtige Rolle. Wie in westeuropäischen Staaten bereits seit langem praktiziert, soll damit ein- und derselbe Ermittler für die Erhebung einer Straftat, die Beweisaufnahme bis zur Vorlage an die Staatsanwaltschaft zuständig sein. Bislang sind in der Ukraine, wie zu Sowjetzeiten, immer noch die operative Polizei für die Beweisaufnahme und die Ermittler für die Einreichung bei Gericht zuständig. Etwas zögerlich wurde auch die Schaffung eines „Staatlichen Ermittlungsbüros (SBI)“ auf den Weg gebracht und mit November 2017 ein Direktor ernannt. Das SBI hat die Aufgabe, vorgerichtliche Erhebungen gegen hochrangige Vertreter des Staates, Richter, Polizeikräfte und Militärangehörige durchzuführen, sofern diese nicht in die Zuständigkeit des Nationalen Antikorruptions-Büros (NABU) fallen. Die Auswahl der Mitarbeiter ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Mit Unterstützung der EU Advisory Mission (EUAM) wurde 2018 auch eine „Strategie des Innenministeriums bis 2020“ sowie ein Aktionsplan entwickelt (ÖB 2.2019). Kritiker bemängeln, dass bei den Reformen der Strafverfolgung ab 2015 systemische Fragen im Innenministerium und im Strafrechtssystem nicht behandelt wurden, und dass sich das weit verbreitete kriminelle Verhalten von Polizisten, Ermittlern und Staatsanwälten fortsetzt bzw. sich in einigen Fällen sogar verschlechtert hat (AC 30.6.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)
- AC – Atlantic Council (30.6.2020):Ukraine’s powerful Interior Minister Avakov under fire over police reform failures
- AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Eastern Europe and Central Asia - Review of 2019 - Ukraine [EUR 01/1355/2020]
- BTI – Bertelsmann Transformation Index (2020): Ukraine, Country Report 2020
- ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukrai
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Ukraine
1.3.4. Folter und unmenschliche Behandlung
Folter sowie grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Bestrafungen, die gegen die Menschenwürde verstoßen, sind gemäß Artikel 28 der ukrainischen Verfassung verboten. Die Ukraine ist seit 1987 Mitglied der UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) und seit 1997 Teilnehmerstaat der Anti-Folter-Konvention des Europarats (AA 29.2.2020).
Trotzdem gibt es Berichte, dass Strafverfolgungsbehörden an solchen Misshandlungen beteiligt waren. Obwohl Gerichte keine unter Zwang zustande gekommene Geständnisse mehr als Beweismittel verwenden, gibt es Berichte über von Exekutivbeamten durch Folter erzwungene Geständnisse. Die Misshandlung von Gefangenen durch die Polizei blieb ein weit verbreitetes Problem. In einem Bericht des UN-Sonderberichterstatters über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von Jänner 2019 heißt es, dass der Sonderberichterstatter zahlreiche Vorwürfe von Folter und Misshandlung durch die Polizei erhalten habe, darunter auch gegen Jugendliche, fast immer während der Festnahme und des Verhörs. Die meisten Insassen berichteten, dass die Untersuchungsbeamten eine solche Behandlung einsetzten, um sie einzuschüchtern oder sie zu zwingen, ein angebliches Verbrechen zu gestehen. Der Sonderberichterstatter stellte ferner fest, dass es Rechtsanwälten, Polizeibeamten, Staatsanwälten und Richtern an grundlegenden Kenntnissen mangelte, um Anschuldigungen von Folter und Misshandlung angemessen zu untersuchen und zu dokumentieren. Folglich erhielten Opfer von Folter oder anderen Misshandlungen im Allgemeinen keine Hilfe von staatlichen Behörden. Nach Angaben der Charkiwer Menschenrechtsgruppe berichteten diejenigen, die bei der Generalstaatsanwaltschaft Folterbeschwerden eingereicht hatten, dass Strafverfolgungsbeamte sie oder ihre Angehörigen eingeschüchtert und gezwungen hätten, ihre Beschwerden zurückzuziehen. Menschenrechtsorganisationen und Medien berichteten über Todesfälle aufgrund von Folter oder Vernachlässigung durch Polizei oder Gefängnispersonal (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Ukraine
1.3.5. Korruption
Die Ukraine wird im 2019 Corruption Perceptions Index von Transparency International mit 30 (von 100) Punkten bewertet (0=highly corrupt, 100=very clean) (TI 2019). Die Gesetze sehen strafrechtliche Sanktionen für Korruption vor, aber die Behörden setzen diese nicht effektiv um, und viele Beamte sind ungestraft korrupt, weniger in der Regierung, aber auf allen Ebenen der Exekutive, Legislative und der Justizbehörden. Trotz Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption durch die Regierung, bleibt diese ein Problem für Bürger und Unternehmen (USDOS 13.3.2019).
Korruption ist in der Ukraine weit verbreitet und stellt seit vielen Jahren ein inhärentes Problem dar. Korruption war ein zentrales Thema während der Proteste in Kiew im Herbst/Winter 2013/2014, die im Februar 2014 mit einem Regimewechsel endeten. In den Jahren 2014 und 2015 wurden im Rahmen einer nationalen Antikorruptionsstrategie mehrere neue Gremien zur Bekämpfung der Korruption auf verschiedenen Ebenen des Regierungsapparats eingerichtet. Darüber hinaus wurden Reformen in Polizei und Justiz eingeleitet, die beide stark von Korruption betroffen sind. Bis heute gibt es je nach Zuständigkeitsbereich eine Reihe von Stellen, die Korruptionsfälle untersuchen und strafrechtlich verfolgen. Es kam jedoch, wenn überhaupt, nur zu sehr wenigen Verurteilungen (Landinfo 2.3.2020). Bis vor kurzem gab es keine separaten Gesetze zum Schutz von Informanten, weshalb viele Bürger Korruption nicht anzeigen wollten. Im Jänner 2020 trat ein neues bzw. geändertes Gesetz zum Schutz von Informanten bezüglich Korruption in Kraft (Landinfo 2.3.2020; vgl. RFE/RL 14.11.2019).
Im Juni 2018 unterzeichnete der Präsident das Gesetz über das Hohe Antikorruptionsgericht (HACC) (USDOS 13.3.2019). Das HACC nahm im September 2019 seine Arbeit auf. Mit der Schaffung des HACC wurde das System der Organe des Landes zur Bekämpfung der Korruption auf hoher Ebene vervollständigt und zwei zuvor geschaffene Antikorruptionsbehörden, das Nationale Antikorruptionsbüro (NABU) und die Sonderstaatsanwaltschaft für Korruptionsbekämpfung, ergänzt. Die neuen unabhängigen Antikorruptionsbehörden sehen sich politischem Druck ausgesetzt, der das Vertrauen der Öffentlichkeit untergräbt, Bedenken hinsichtlich des Engagements der Regierung im Kampf gegen die Korruption aufkommen ließ und die Zukunftsfähigkeit der Institutionen bedroht (USDOS 11.3.2020). Mit der Errichtung des Hohen Antikorruptionsgerichts wurde der Aufbau des institutionellen Rahmens für die Bekämpfung der endemischen Korruption abgeschlossen (AA 29.2.2020). Das HACC hat jedoch bisher noch keine Ergebnisse erzielt (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Ende Februar 2019 hat das ukrainische Verfassungsgericht Artikel 368-2 des ukrainischen Strafgesetzbuches, welcher illegale Bereicherung durch ukrainische Amtsträger kriminalisierte, aufgehoben, weil er gegen die Unschuldsvermutung verstoßen habe. In der Folge musste NABU 65 anhängige Ermittlungen gegen Parlamentarier, Richter, Staatsanwälte und andere Beamte einstellen, die teilweise schon vor Gericht gekommen waren. Die EU zeigte sich über diese Entscheidung besorgt (Hi 3.3.2019). Am 26. November 2019 unterzeichnete Präsident Selenskyj ein Gesetz, das die strafrechtliche Verantwortung für die unrechtmäßige Bereicherung von Regierungsbeamten wieder einführte (USDOS 11.3.2020).
Das Gesetz schreibt vor, dass hohe Amtsträger Einkommens- und Ausgabenerklärungen vorlegen müssen und diese durch die Nationale Agentur für Korruptionsprävention (NAPC) geprüft werden. Die NAPC überprüft neben diesen Finanzerklärungen auch die Parteienfinanzierung. Beobachter stellen jedoch zunehmend infrage, ob die NAPC die Fähigkeit und Unabhängigkeit besitzt, diese Funktion zu erfüllen (USDOS 11.5.2020; vgl. ÖB 2.2019).
Durch den Reformkurs der letzten Jahre wurden mehr Transparenz und gesellschaftliches Bewusstsein für Korruption erreicht. Dennoch sind Korruption, Oligarchie und teilweise mafiöse Strukturen weiterhin Teil des Alltags der Menschen in der Ukraine, ob im Gesundheits- oder Bildungsbereich, in der Wirtschaft, im Zollwesen sowie in der Medienlandschaft (KAS 2019). Korruption ist nach wie vor ein ernstes Problem und trotz des starken Drucks der Zivilgesellschaft ist der politische Wille gering, dagegen anzugehen. Antikorruptionsagenturen wurden wiederholt in politisch belastete Konflikte mit anderen staatlichen Stellen und gewählten Vertretern verwickelt (FH 4.3.2020). Im Mai 2020 wurde bekannt, dass die Spezialstaatsanwaltschaft für Korruptionsbekämpfung gegen den ehemaligen ukrainischen Generalstaatsanwalt Ruslan Ryaboshapka, der zwei Monate zuvor in einem parlamentarischen Misstrauensvotum aus dem Amt gezwungen wurde, ermittelt (RFE/RL 6.5.2020).
Die Ukraine hat einige Fortschritte bei der Förderung der Transparenz erzielt, zum Beispiel durch die Verpflichtung der Banken, die Identität ihrer Eigentümer zu veröffentlichen, und indem 2016 ein Gesetz verabschiedet wurde, das Politiker und Beamte dazu verpflichtet, elektronische Vermögenserklärungen abzugeben. Es ist jedoch möglich, einige Vorschriften zu umgehen, zum Teil, weil unterentwickelte Institutionen nicht in der Lage sind, Verstöße zu erkennen und zu bestrafen (FH 4.3.2020). Trotz der Bemühungen um eine Reform des Justizwesens und der Generalstaatsanwaltschaft bleibt Korruption unter Richtern und Staatsanwälten weit verbreitet (USDOS 11.3.2020).
Der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, der seit 2019 im Amt ist, hat sich vor allem den Kampf gegen die Korruption auf die Fahnen geschrieben (UA 27.2.2019; vgl. AA 29.2.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Ukraine
- Hi – Hromadske international (3.3.2019): You Can Now Get Rich Illegally in Ukraine. What Does This Mean?
- KAS – Konrad Adenauer Stiftung (2019): Die Ukraine – Transparent, aber korrupt?, KAS Auslandseinformationen 4/2019
- Landinfo (2.3.2020): Ukraina, Korrupsjonsbekjempelse og beskyttelse for varslere av korrupsjon
- RFE/RL – Radio Free Europe / Radio Liberty (11.4.2019): Ukraine's President Creates Anti-Corruption Court
- RFE/RL – Radio Free Europe, Radio Liberty (14.11.2019): Ukraine's Zelenskiy Signs Law On Corruption Whistle-Blowers
- RFE/RL – Radio Free Europe, Radio Liberty (6.5.2020): Ukrainian Ex-Prosecutor Ryaboshapka Under Investigation
- TI – Transparency International (2019): Corruption Perceptions Index 2019, Ukraine
- UA - Ukraine Analysen (27.2.2019): Präsidentschaftswahlen 2019, per E-Mail
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Ukraine
- USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Ukraine
1.3.6. Allgemeine Menschenrechtslage
Der Schutz der Menschenrechte durch die Verfassung ist gewährleistet (AA 29.2.2020; vgl. GIZ 3.2020a). Jedoch bestehen in der Ukraine gegenwärtig noch Unzulänglichkeiten in der Umsetzung und Gewährung der Menschenrechte, was insbesondere die Bereiche Folter, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Behandlung von Geflüchteten und sozialen (LGBTQ) bzw. ethnischen Minderheiten (Roma) betrifft. 2019 stufte Freedom House die Ukraine auf „partly free“ ab (GIZ 3.2020a). Zu den Menschenrechtsproblemen gehören darüber hinaus u.a. rechtswidrige oder willkürliche Tötungen; Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen durch Vollzugspersonal; schlechte Bedingungen in Gefängnissen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; Einschränkungen der Internetfreiheit und Korruption. Die Regierung hat es im Allgemeinen versäumt, angemessene Schritte zu unternehmen, um Fehlverhalten von Beamten strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen stellten erhebliche Mängel bei den Ermittlungen zu mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte fest (USDOS 11.3.2020).
Die Möglichkeit von NGOs, sich im Bereich Menschenrechte zu betätigen, unterliegt keinen staatlichen Restriktionen (AA 29.2.2020). Die Verfassung sieht eine vom Parlament bestellte Ombudsperson vor, den parlamentarischen Menschenrechtsbeauftragten. Das Amt wird derzeit von Lyudmila Denisova bekleidet. Ihr Büro arbeitet bei verschiedenen Projekten zur Überwachung von Menschenrechtspraktiken in Gefängnissen und anderen staatlichen Institutionen häufig mit NGOs zusammen. Die Ombudsperson bemühte sich in der Vergangenheit speziell um Krimtataren, IDPs, Roma, Menschen mit Behinderungen, und von Russland inhaftierte politische Gefangene. Sie ist auch bei Problemen mit der Justiz jederzeit ansprechbar (USDOS 11.3.2020).
Die Aktivitäten von Oppositionsparteien und -gruppen sowie die Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit unterliegen keinen rechtsstaatlichen Restriktionen (AA 29.2.2020). Die Medienlandschaft zeichnet sich durch einen beträchtlichen Pluralismus sowie offene Kritik an der Regierung aus (FH 4.3.2020). Meinungs- und Pressefreiheit leiden jedoch weiter hinunter der wirtschaftlichen Schwäche des unabhängigen Mediensektors und dem Übergewicht von Medien, die Oligarchen gehören oder von ihnen finanziert werden. Repressionen und Angriffe gegenüber Journalisten sind insgesamt rückläufig; besorgniserregend bleiben aber die oftmals fehlenden Ermittlungserfolge und die daraus resultierende Straflosigkeit – selbst in schwerwiegenden Fällen. Diverse russische soziale Medien und populäre Onlinedienste bleiben seit einem Dekret von Mai 2017 weiter verboten. Aus diesen Gründen verbleibt die Ukraine trotz großer Fortschritte gegenüber den Jahren vor dem Euromaidan im „Reporter ohne Grenzen“-Index auf Platz 102 von 180 Staaten (AA 29.2.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Im Jahr 2018 erneuerten die Behörden bestehende Maßnahmen gegen eine Reihe russischer Nachrichtenagenturen und ihre Journalisten. Verschiedene Sprachgesetze schreiben Nachrichtenagenturen vor, dass bestimmte Inhalte in ukrainischer Sprache verfasst sein müssen. Im Jahr 2019 bestätigte der Oberste Gerichtshof der Ukraine regionale Verbote für russischsprachige "Kulturprodukte", darunter Bücher und Filme (FH 4.3.2020). Die Regierung setzte die Praxis fort, bestimmte Werke russischer Schauspieler, Filmregisseure und Sänger zu verbieten und Sanktionen gegen pro-russische Journalisten zu verhängen (USDOS 11.3.2020).
Von einigen Ausnahmen abgesehen, können Einzelpersonen im Allgemeinen öffentlich und privat Kritik an der Regierung üben und Angelegenheiten von öffentlichem Interesse diskutieren, ohne offizielle Repressalien befürchten zu müssen. Das Gesetz verbietet jedoch Aussagen, die die territoriale Integrität bzw. nationale Sicherheit des Landes bedrohen, den Krieg fördern, einen Rassen- oder Religionskonflikt befeuern oder die russische Aggression gegen das Land unterstützen, und die Regierung verfolgt Personen nach diesen Gesetzen (USDOS 11.3.2020). Gewalt und Drohungen gegen Journalisten bleiben weiterhin ein Problem (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Das unabhängige Institut für Masseninformation registrierte von Januar bis Anfang Dezember 2019 226 Verstöße gegen die Medienfreiheit, darunter die Ermordung eines Journalisten. Weitere Verstöße waren 20 Fälle von Schlägen, 16 Cyberangriffe, 93 Fälle von Einmischung, 34 Fälle von Bedrohung und 21 Fälle von Einschränkung des Zugangs zu öffentlichen Informationen (FH 4.3.2020). Die Qualität des ukrainischen Journalismus leidet nicht nur unter russischer Propaganda, Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik sowie der wirtschaftlichen Krise, sondern auch unter einer nicht zufriedenstellenden Ausbildung und Einhalten von journalistischen Standards (GIZ 3.2020a). Die Strafverfolgungsbehörden überwachen das Internet, zeitweise ohne entsprechende rechtliche Befugnisse, und unternahmen 2019 schwerwiegende Schritte, um den Zugang zu Websites aufgrund von "nationalen Sicherheitsbedenken" zu blockieren. Gerichte sollen auch begonnen haben, den Zugang zu Websites aus anderen Gründen als der nationalen Sicherheit zu blockieren. Es gab Berichte darüber, dass die Regierung Einzelpersonen wegen ihrer Beiträge in sozialen Medien strafrechtlich verfolgte (USDOS 11.3.2020).
Die Verfassung sieht die Versammlungsfreiheit vor und die Regierung respektiert dieses Recht im Allgemeinen. Gelegentlich wird berichtet, dass die Polizei übermäßige Gewalt anwendet, um Proteste aufzulösen. In Kiew, Odessa und Charkiw fanden groß angelegte LGBT-Veranstaltungen weitgehend friedlich und unter dem Schutz tausender Polizeibeamter statt. Bisweilen schützte die Polizei die Teilnehmer vor oder nach diesen Veranstaltungen nicht ausreichend vor Angriffen, und auch kleinere Demonstrationen, insbesondere von Minderheiten oder oppositionellen politischen Bewegungen, wurden nicht ausreichend geschützt. Veranstaltungen von Frauenrechtsaktivisten oder der LGBT-Gemeinschaft wurden regelmäßig von Mitgliedern gewalttätiger radikaler Gruppen gestört (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Zu den Pflichten des Veranstalters von friedlichen Versammlungen zählt unter anderem die Anmeldung der Veranstaltung im Vorfeld bei den örtlich zuständigen Behörden. Die Fristen, die in diesem Zusammenhang anzuwenden sind, sind jedoch nicht klar geregelt und variieren je nach vertretener Auffassung zwischen drei und zehn Tagen. Diese Unklarheit lässt den öffentlichen Behörden einen relativ großen Freiraum, Versammlungen zu untersagen (ÖB 2.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Tatsächlich wird die Abhaltung von friedlichen Versammlungen von den Behörden regelmäßig abgelehnt. Als gängige Begründungen dienen die zu späte Ankündigung der Demonstration, der Mangel an verfügbaren Polizisten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der gleichzeitige Besuch einer offiziellen ausländischen Delegation oder das gleichzeitige Stattfinden einer anderen Veranstaltung am gleichen Ort. Auch die Definition der „Friedlichkeit“ einer Versammlung ist nicht immer unstrittig (ÖB 2.2019).
Die Verfassung und das Gesetz sehen die Vereinigungsfreiheit vor und die Regierung respektiert dieses Recht im Allgemeinen. Menschenrechtsorganisationen berichten für 2019 über einen Rückgang der Angriffe auf Aktivisten, nachdem die Zahl der Angriffe 2018 sprunghaft angestiegen war (37 Angriffe 2019, gegenüber 66 im Jahr 2018). Einige zivilgesellschaftliche Organisationen geben jedoch an, dass dies aufgrund von mangelnder Berichterstattung sei, und dass sich Aktivisten gegen eine Beschwerde entscheiden würden, da sie Verfolgung fürchten. Menschenrechts-NGOs sind nach wie vor besorgt über die mangelnde Rechenschaftspflicht bei Angriffen auf Mitglieder zivilgesellschaftlicher Organisationen (USDOS 11.3.2020). Angriffe auf Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft und Angehörige von Minderheitengruppen sind häufig, und die Reaktion der Polizei ist oft unzureichend (FH 4.3.2020). Sowohl natürliche als auch juristische Personen können einen Verein gründen. Die Vereinsgründung kann nur aus im Gesetz eng definierten Gründen untersagt werden (ÖB 2.2019). Mit Ausnahme eines Verbots der Kommunistischen Partei gibt es keine formellen Hindernisse für die Gründung und den Betrieb politischer Parteien. In den letzten Jahren entstanden mehrere politische Parteien. Ein Gesetz aus dem Jahr 2016 regelt die staatliche Finanzierung im Parlament vertretener Parteien; die Regelung begünstigt etablierte Parteien gegenüber neu entstandenen. Oppositionsgruppen sind im Parlament vertreten und ihre politischen Aktivitäten werden im Allgemeinen nicht durch administrative Beschränkungen behindert. Neue Kleinparteien haben Schwierigkeiten mit etablierten Parteien zu konkurrieren, welche die Unterstützung politisch vernetzter Oligarchen genießen (FH 4.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Ukraine
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Länderinformationsportal, Ukraine, Geschichte & Staat
- ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Ukraine
1.3.7. Bewegungsfreiheit
In Gebieten unter Regierungskontrolle ist die Bewegungsfreiheit im Allgemeinen nicht eingeschränkt. Das komplizierte ukrainische System, das von Einzelpersonen verlangt, dass sie sich rechtmäßig an einer Adresse registrieren lassen müssen, um wählen und bestimmte Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können, stellt jedoch ein Hindernis für die volle Bewegungsfreiheit dar, insbesondere für Vertriebene und Personen ohne offizielle Adresse, wo sie für offizielle Zwecke registriert werden könnten (FH 4.3.2020).
Quellen:
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine
1.3.8. Grundversorgung
Die makroökonomische Lage hat sich nach schweren Krisenjahren stabilisiert. Ungeachtet der durch den Konflikt in der Ostukraine hervorgerufenen Umstände wurde 2018 ein Wirtschaftswachstum von 3,3% erzielt, das 2019 auf geschätzte 3,6% angestiegen ist. Die Staatsverschuldung ist in den letzten Jahren stark angestiegen und belief sich 2018 auf ca. 62,7% des BIP (2013 noch ca. ein Drittel). Der gesetzliche Mindestlohn wurde zuletzt mehrfach erhöht und beträgt seit Jahresbeginn 4.173 UAH (ca. 130 EUR) (AA 29.2.2020).
Die Existenzbedingungen sind im Landesdurchschnitt knapp ausreichend. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gesichert. Vor allem in ländlichen Gebieten stehen Strom, Gas und warmes Wasser zum Teil nicht immer ganztägig zur Verfügung (AA 29.2.2020; vgl. GIZ 12.2018). Die Ukraine gehört trotzt zuletzt deutlich steigender Reallöhne zu den ärmsten Ländern Europas. Das offizielle BIP pro Kopf gehört zu den niedrigsten im Regionalvergleich und beträgt lediglich ca. 3.221 USD p.a. Ein hoher Anteil von nicht erfasster Schattenwirtschaft muss in Rechnung gestellt werden (AA 29.2.2020). Die Mietpreise für Wohnungen haben sich in den letzten Jahren in den ukrainischen Großstädten deutlich erhöht. Wohnraum von guter Qualität ist knapp (GIZ 12.2018). Insbesondere alte bzw. schlecht qualifizierte und auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbare Menschen leben zum Teil weit unter der Armutsgrenze (GIZ 3.2020b). Ohne zusätzliche Einkommensquellen (in ländlichen Gebieten oft Selbstversorger, Schattenwirtschaft) bzw. private Netzwerke ist es insbesondere Rentnern und sonstigen Transferleistungsempfängern kaum möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sozialleistungen und Renten werden zwar regelmäßig gezahlt, sind aber trotz regelmäßiger Erhöhungen größtenteils sehr niedrig (Mindestrente zum 1. Dezember 2019: 1.638 UAH (ca. 63 EUR) (AA 29.2.2020). Nachdem die durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten weit hinter den Möglichkeiten im EU-Raum, aber auch in Russland, zurückbleiben, spielt Arbeitsmigration am ukrainischen Arbeitsmarkt eine nicht unbedeutende Rolle (ÖB 2.2019).
Das ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eingeführte ukrainische Sozialversicherungssystem umfasst eine gesetzliche Pensionsversicherung, eine Arbeitslosenversicherung und eine Arbeitsunfallversicherung. Aufgrund der Sparpolitik der letzten Jahre wurde im Sozialsystem einiges verändert, darunter Anspruchsanforderungen, Finanzierung des Systems und beim Versicherungsfonds. Versicherte Erwerbslose erhalten mindestens 1.440 UAH (ca. 45 EUR) und maximal 7.684 UAH (240 EUR) Arbeitslosengeld pro Monat, was dem Vierfachen des gesetzlichen Mindesteinkommens entspricht. Nicht versicherte Arbeitslose erhalten mindestens 544 UAH (ca. 17 EUR). In den ersten 90 Kalendertagen werden 100% der Berechnungsgrundlage ausbezahlt, in den nächsten 90 Tagen sind es 80%, danach 70% (ÖB 2.2019; vgl. UA 27.4.2018).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Länderinformationsportal, Ukraine, Wirtschaft & Entwicklung
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2018): Länderinformationsportal, Ukraine, Alltag
- ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine
- UA – Ukraine Analysen (27.4.2018): Rentenreform
1.3.9. Rückkehr
Es sind keine Berichte bekannt, wonach in die Ukraine abgeschobene oder freiwillig zurückgekehrte ukrainische Asylbewerber wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland behelligt worden wären. Neue Dokumente können landesweit in den Servicezentren des Staatlichen Migrationsdiensts beantragt werden. Ohne ordnungsgemäße Dokumente können sich – wie bei anderen Personengruppen auch – Schwierigkeiten bei der Wohnungs- und Arbeitssuche oder der Inanspruchnahme des staatlichen Gesundheitswesens ergeben (AA 29.2.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)
1.4. Zur Situation des BF im Falle einer Rückkehr
Dem BF ist die Rückkehr in die Ukraine, etwa nach XXXX oder XXXX , zumutbar.
Im Falle einer Rückkehr würde er in keine existenzgefährdende Notlage geraten bzw. es würde ihm nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden. Er läuft nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.
Im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat ist der BF nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.
Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.
1.5. Zur Situation des BF in Österreich
Der BF reiste im XXXX illegal in das Bundesgebiet ein und ist seither hier aufhältig.
Er spricht auf hohem Niveau Deutsch und hat zuletzt die Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 bestanden.
Der BF ging im Bundesgebiet bereits verschiedenen Erwerbstätigkeiten nach. Ihm wurden seitens des AMS für die Zeiträume XXXX Beschäftigungsbewilligungen für eine Vollzeittätigkeit als gastgewerbliche Hilfskraft zu EUR 2.200,- Bruttomonatslohn, als Küchengehilfe zur EUR 1.460,- Bruttomonatslohn, sowie als Schank und Kellnergehilfe zu EUR 1.580,- Bruttomonatslohn erteilt (OZ 10, 11, 13, 17). Der BF ging jedenfalls vom XXXX einer Erwerbstätigkeit nach (OZ 10, 11, 17). Der BF bezieht abhängig von seinen Arbeitsverhältnissen Leistungen aus der Grundversorgung. Der BF verfügt über zwei unverbindliche und eine verbindliche Einstellungszusage. Daneben verrichtete der BF im Jahr XXXX gemeinnützige Arbeiten im Ausmaß von gesamt 118 Stunden. Der BF ist unentgeltlich als XXXX tätig.
Der BF pflegt – teils bereits langjährige – freundschaftliche und bekanntschaftliche Kontakte zu österreichischen Staatsbürgern und ist in seiner örtlichen Umgebung gesellschaftlich integriert. Darüber hinaus konnten keine weiteren, familiären oder sonstig verwandtschaftlichen bzw. familienähnlichen sozialen Bindungen im Bundesgebiet festgestellt werden.
Es bestehen keine weiteren, substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens in Österreich.
2. Beweiswürdigung
2.1. Zur Person des BF
Die Identität des BF steht aufgrund des vorgelegten, polizeilich untersuchten ukrainischen Reisepasses fest (AS 23 f und 35).
Die Feststellungen zur Staats- und Volksgruppenzugehörigkeit (AS 1), dass er ohne Bekenntnis ist (AS 1), zu seinen Sprachkenntnissen (AS 1), seiner Schulbildung (AS 1), seiner abgeschlossenen Ausbildung (Verhandlungsprotokoll S. 5) und seiner Erwerbstätigkeit (AS 2, Verhandlungsprotokoll S. 5), gründen sich im Übrigen auf seine insoweit glaubhaften Angaben.
Ebenso hat der BF seinen Geburts- und Aufenthaltsort glaubhaft vorgebracht (AS 3), zumal sich dies ebenso aus seinem Reisepass ergibt.
Die Feststellungen zum Ableben seines Vaters (AS 3 und 83), dem Aufenthalt seiner Angehörigen (AS 83, Verhandlungsprotokoll S. 4), zur Tätigkeit seiner Schwester und seiner Mutter (Verhandlungsprotokoll S. 4), dass er Kontakt hat (Verhandlungsprotokoll S. 4) sowie zur weiteren Verwandtschaft und den Freunden bzw. zum Kontakt mit diesen (Verhandlungsprotokoll S. 20), stützen sich ebenso auf die nicht zu bezweifelnden Ausführungen des BF.
Dass der BF gesund (Verhandlungsprotokoll S. 3), ledig (AS 1 und 83, Verhandlungsprotokoll S. 4) und kinderlos (AS 83, Verhandlungsprotokoll S. 4) ist, hat er ebenso selbst vorgebracht.
Die Feststellung, dass der BF strafgerichtlich unbescholten ist, beruht auf einem aktuellen Strafregisterauszug.
2.2. Zum Fluchtvorbringen des BF
Das Vorbringen des BF, infolge der Teilnahme an einer Demonstration in der Ukraine von Polizisten verfolgt zu werden, ist nicht glaubhaft, da das Vorbringen widersprüchlich und nicht nachvollziehbar ist.
2.2.1. Dies zeigt sich zunächst schon an den Angaben des BF zur Demonstration, an der er teilgenommen habe.
So machte der BF schon zum Ort, an dem die Demonstration stattgefunden habe, widersprüchliche Angaben. In der Einvernahme durch das BFA führte er aus, dass sie im XXXX Park in XXXX stattgefunden habe (AS 84). Im weiteren Verlauf des Verfahrens legte der BF eine schriftliche Erklärung einer Zeugin vor, wonach diese zwar nicht selbst an der Demonstration teilgenommen habe, aber bestätigen könne, dass besagte Demonstration „auf der zentralen Allee des XXXX -Parks“ stattgefunden habe, da sie die Ereignisse von der XXXX Straße aus beobachtet habe (OZ 2, Übersetzung in OZ 6). In der mündlichen Verhandlung wiederholte der BF, dass die Demonstration in jenem Park stattgefunden habe (Verhandlungsprotokoll S. 15). Nach der Verhandlung legte der BF schließlich zur Demonstration „im bzw. um“ den genannten Park einen Screenshot eines Aufrufs zu jener Demonstration auf VKontakte (vk.com) vor (OZ 21). Bemerkenswerterweise wird in diesem Aufruf jedoch nicht der XXXX Park, sondern der XXXX als Demonstrationsort angegeben. Mag dieser auch an den XXXX Park angrenzen, so ist doch äußerst verwunderlich, dass der BF über das gesamte Verfahren hinweg nie erwähnte, dass die Demonstration eigentlich am XXXX stattgefunden habe, sondern sogar nachdem ihm die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, wonach an jenem Tag im XXXX Park keine Demonstration stattgefunden habe (AS 153 ff), zur Kenntnis gelangte, nicht darauf hinwies, dass der Demonstration nicht direkt im Park stattgefunden habe. Im Gegenteil legte der BF das zuvor erwähnte Schreiben vor, wonach die Demonstration in der zentralen Allee des Parks – gemeint ist offenkundig die an die XXXX Straße angrenzende, vom XXXX ausgehende Allee – gewesen sei, die sich aber bereits in erheblicher Entfernung zum XXXX befindet. Dem vorgelegten Screenshot bzw. der weiterhin existierenden zugrundeliegenden Seite XXXX Zugriff am 26.11.2020), ist dabei zu entnehmen, dass die Demonstration bereits nach XXXX abgebrochen worden sei, sodass eine Bewegung des Demonstrationszuges ausgeschlossen werden kann, zumal der BF derartiges auch nie behauptete (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 14).
Weiters gab der BF in der mündlichen Verhandlung an, dass niemand die Demonstration organisiert habe (Verhandlungsprotokoll S. 16). Auch dies steht im Widerspruch zur sodann vorgelegten Website auf VKontakte, aus der eine Organisation der Demonstration sowie weiterer Aktivitäten durch die XXXX hervorgeht.
Dementsprechend erschien auch die Angabe des BF in der Einvernahme durch das BFA, dass sich die Demonstration gegen „Korruption, Krieg und die amtierende Regierung, die ihre Versprechen nicht gehalten hat“ gerichtete habe (AS 84), nicht gänzlich nachvollziehbar, da im von ihm vorgelegten Aufruf zu jener Demonstration auf der genannten Webseite grundlegende anarchistische bis kommunistische Gründe bzw. Ziele genannt werden, was der BF im Falle einer Teilnahme an jener Demonstration wohl bemerkt haben müsste.
Sodann wird bemerkt, dass auf dem vorgelegten Screenshot zwar wohl davon berichtet wird, dass die Demonstranten mit einem größeren Polizeiaufgebot konfrontiert gewesen seien, welches dazu aufgefordert habe, die Demonstration abzubrechen, von folgenden Gewaltausschreitungen wie vom BF in der Einvernahme beschrieben (AS 84, 90), ist in diesem Bericht jedoch nicht die Rede. Vielmehr habe man – wenn auch unfreiwillig – beschlossen, die Demonstration doch nicht durchzuführen. Auch in weiteren Beiträgen und Kommentaren auf jener Webseite ist an keiner Stelle von Gewaltausschreitungen die Rede, sondern wird vielmehr von anschließend erfolgreich abgehaltenen „Bildungsveranstaltungen“ berichtet. Es wäre aber anzunehmen gewesen, dass derart exzessive Gewaltausschreitungen durch die Polizei gegen Demonstrationsteilnehmer ein entsprechendes Echo gefunden hätten.
Da der BF sich somit zum Ort, zur Organisation, zu den Gründen und dem Ablauf der Demonstration widersprach und nicht nachvollziehbar Angaben machte, war das Vorbringen des BF schon insoweit unglaubhaft, weshalb bereits aus diesen Gründen dem weiteren Vorbringen einer daraus resultierenden Verfolgung durch ukrainische Polizisten die Glaubwürdigkeit zu versagen war.
Daran vermögen auch die in der Beschwerde vorgelegten Screenshots eines Videos (AS 263 ff) nichts zu ändern, da weder der BF auf diesen abgelichtet ist, noch eine bestimmte Örtlichkeit in XXXX , noch Polizeigewalt zu erkennen ist, vielmehr eine offenkundig friedliche Demonstration von Personen in entspannter Körperhaltung gezeigt wird. Ebenso wenig berichtet der vorgelegte Artikel von XXXX (AS 291, OZ 21: XXXX Zugriff am 26.11.2020) von tatsächlicher polizeilicher Gewaltanwendung und ist auch kein Bezug zum BF erkennbar. Nur der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass das dritte Bild auf jener Seite, auf der eine Demonstration zu sehen ist, nicht XXXX , sondern den an den Finnländischen Bahnhof angrenzenden Leninplatz in St. Petersburg zeigt.
2.2.2. Sodann ist das weitere Vorbringen des BF zwar durchaus relativ detailliert (AS 84 ff), aber nicht nachvollziehbar und teils widersprüchlich, somit auch insoweit unglaubhaft.
Obgleich im Asylverfahren nicht der Beweis des Vorbringens erforderlich ist, sondern bereits die bloße Glaubhaftmachung genügt, ist doch wenig verständlich, dass der BF, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, keinen Beleg für seine polizeiliche Misshandlung vorlegte. Der BF gab in der Einvernahme durch das BFA an, im Spital behandelt worden zu sein und später einen medizinischen Gutachter aufgesucht zu haben, der ihn ebenfalls untersucht habe (AS 85 f). Obgleich es dem BF sicherlich möglich gewesen wäre, sei es auch von Österreich aus, mit den betreffenden Personen, nicht zuletzt nämlich dem Gutachter, erneut in Kontakt zu treten, um sich Kopien der Untersuchungen übermitteln zu lassen, unterließ er dies. Vielmehr vermochte sich der BF in der mündlichen Verhandlung zunächst nicht zu erinnern, dass er einen Gutachter aufgesucht habe, und erklärte sodann auf die entsprechende Nachfrage, weshalb er mit diesem nicht neuerlichen Kontakt aufgenommen hat, dass er nach dem Überfall auf ihn keine Kontakte mehr unterhalten habe (Verhandlungsprotokoll S. 11). Dies steht jedoch im offenkundigen Widerspruch zur Aussage des BF, weiterhin in die Ukraine Kontakt zu halten (s. Punkt 1.1.) und zur Vorlage zweier auf die Demonstration bezugnehmender Schreiben von Privatpersonen, die er später gefunden habe (Verhandlungsprotokoll S. 16).
Sodann widersprach sich der BF zu seiner Rechtsschutzsuche. In der Einvernahme durch das BFA brachte er vor, mehrere Rechtsanwälte aufgesucht zu haben (AS 86), wohingegen er in der mündlichen Verhandlung nur mehr von einem Anwalt sprach (Verhandlungsprotokoll S. 7). Obgleich der BF mit jenem Gespräch nicht zufrieden gewesen sei, da der Anwalt ihm eine Bestechungssumme für ein gerichtliches Verfahren genannt habe, habe er keinen anderen Rechtsverteidiger aufgesucht. Dazu befragt, gab der BF lediglich an, keine Zeit mehr gehabt zu haben, da er nach dem XXXX nicht mehr in seiner Wohnung gewesen sei. Er habe Angst geh