TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/3 L521 2233772-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.12.2020
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Entscheidungsdatum

03.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §55

Spruch


L521 2233772-1/31E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Kurt KULAC, Rechtsanwalt in 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2020, Zl. 1259605503-200123555, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und III. wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat: „Ihr Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Türkei gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen.“

II. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV. und V. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und werden die Spruchpunkte IV. und V. des angefochtenen Bescheides behoben.

B) Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste nach Erhalt eines vom italienischen Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und internationale Zusammenarbeit in Ankara am 22.01.2019 ausgestellten und von 30.01.2019 bis 18.02.2019 gültigen Visums C Ende Winter 2018/19 bzw. Anfang Frühling 2019 von Italien ausgehend für eine nicht feststellbare Dauer in das österreichische Bundesgebiet ein. Am 01.02.2020 stellte der Beschwerdeführer vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am Tag der Antragstellung legte der Beschwerdeführer dar, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger der Türkei zu sein. Er sei am XXXX in einem Dorf im Landkreis XXXX in der südostanatolischen Provinz Gaziantep geboren und habe dort zuletzt auch gelebt, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und des islamischen Glaubens sowie ledig. Er habe die Grundschule und eine allgemeinbildende höhere Schule besucht. Zuletzt sei er als Landwirt beruflich tätig gewesen. Seine Eltern und sieben Schwestern seien in der Türkei oder einem anderen Drittstaat aufhältig. Eine Schwester befinde sich aufgrund eines bis 15.10.2020 gültigen Aufenthaltstitels in Österreich.

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, die Türkei am 30.01.2020 illegal von seinem Heimatdorf im Landkreis XXXX ausgehend verlassen zu haben. Er sei auf dem Landweg schlepperunterstützt mit einem türkischen Lastkraftwagen nach Österreich gelangt.

Zu den Gründen seiner Ausreise befragt führte der Beschwerdeführer aus, sich auf Facebook mit Freunden über die Lage der Kurden in Syrien und Erdo?an unterhalten zu haben. Sie hätten vielleicht etwas übertrieben und auch etwas gegen Erdo?an geschrieben. Daraufhin seien seine Freunde gegen vier Uhr in der Früh von zu Hause abgeholt worden, weshalb er und seine Familie nur mehr die Lösung gesehen hätten, dass er die Türkei verlassen müsse. Des Weiteren seien alle Bekannten in seinem Alter zum Militär einberufen worden und würde er vermuten, dass auch er bald einrücken hätte müssen. Schließlich würden die Kurden in der Türkei unterdrückt werden. Er hätte öfters beobachtet, dass türkische Soldaten die Kurden unterdrückt haben. Daher würden vielen Tanten und Onkel in Europa leben. Bei einer Rückkehr würde er höchstwahrscheinlich verhaftet und dann im Gefängnis schlecht behandelt werden. Kurden würden meistens als Terroristen behandelt werden, weshalb er sicher auch so behandelt werde. Zudem habe er Angst, dass er zum Militär und dann gegen unschuldige Kurden kämpfen müsse. Es gebe keine konkreten Hinweise, dass ihm bei einer Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohe. Er könne dies nicht genau sagen, aber da seine Facebook-Freunde aus seinem Dorf alle verhaftet worden seien, würde er glauben, dass ihm dies auch passiere.

2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark Außenstelle Graz, richtete am 27.02.2020 bezüglich der vorgelegten türkischen ID-Card an die Landespolizeidirektion Steiermark ein Ersuchen, das Dokument auf Echtheit zu überprüfen. Das Ergebnis der Dokumentenuntersuchung langte am 23.09.2020 bei der belangten Behörde ein.
3. In der Folge wurde der Beschwerdeführer am 26.05.2020 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark Außenstelle Graz, im Beisein seiner rechtsfreundlichen Vertretung und einer geeigneten Dolmetscherin in türkischer Sprache niederschriftlich vor der zur Entscheidung berufenen Organwalterin einvernommen.

Eingangs legte der Beschwerdeführer dar, der türkischen Sprache mächtig zu sein und der Einvernahme in gesundheitlicher Hinsicht folgen zu können. Er habe bislang im Verfahren wahrheitsgemäße Angaben getätigt. Es sei alles richtig protokolliert und rückübersetzt worden.

Zur Person legte der Beschwerdeführer insbesondere dar, den im Spruch genannten Namen zu führen. Er sei am XXXX in einem Dorf im Landkreis XXXX in der südostanatolischen Provinz Gaziantep geboren und habe dort - abgesehen vom letzten Monat vor seiner Ausreise - gewohnt. Glaublich Oktober oder November 2019 habe er bei einer Tante mütterlicherseits verbracht. Er sei Staatsangehöriger der Türkei, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, ledig bzw. einer Frau versprochen und kinderlos. Er bekenne sich zum Islam sunnitischer Prägung. Er habe fünf Jahre die Volksschule, drei Jahre die Mittelschule und ein Jahr eine Oberstufe ohne Abschluss besucht. Im Anschluss habe er in der familieneigenen Landwirtschaft mitgearbeitet und seinen Vater unterstützt. Seine Familie besitze Ländereien und zwei Etagenwohnungen in Gaziantep. Letztere beabsichtige seine Familie zu vermieten. Seine Familie habe 200 Stück Vieh (150 Schafe und 50 Ziegen) und baue Pistazien, Weizen und anderes Getreide an. Seine Familie habe die Hälfte der Produkte für den Eigengebrauch behalten und die andere Hälfte verkauft. Es sei ihnen wirtschaftlich gut gegangen.

Gegenwärtig würden sich seine Eltern und sieben Schwestern in der Türkei aufhalten. Seine Eltern und drei Schwestern würden an seiner letzten Wohnadresse in seinem Heimatdorf leben. Des Weiteren befänden sich seine Großmutter mütterlicherseits, eine Tante und ein Onkel mütterlicherseits, eine Tante und drei Onkel väterlicherseits sowie Cousinen und Cousins in der südostanatolischen Provinz Gaziantep. In der Bundesrepublik Deutschland seien eine Tante väterlicherseits und zwei Cousins und in Italien sowie der Schweizerischen Eidgenossenschaft entfernte Verwandte aufhältig. Er stehe mit seiner Familie in Kontakt. Seiner Familie gehe es gut.

Hinsichtlich des Grundes für das Verlassen des Heimatstaates führte der Beschwerdeführer aus, dass er und seine Freunde per Internet über Erdo?an geschimpft bzw. diesen beschimpft hätten. Er habe sich damals im Landkreis XXXX aufgehalten. Nicht einmal ein oder zwei Tage nach diesen Schimpfereien im Internet hätten die Soldaten die Häuser gestürmt. Diese hätten alle seine Freunde, die eben auch im Internet über Erdo?an geschimpft haben, gesammelt und mitgenommen. Daraufhin habe ihn sein Vater angerufen und ihm erzählt, dass die Soldaten auch bei ihnen gewesen seien. Sein Vater habe ihn aufgefordert, nicht nach Hause zu kommen. Ab diesem Zeitpunkt habe er alle Kontakte nach XXXX unterbrochen. Sein Vater habe ihm verboten, mit irgendjemandem in XXXX Kontakt aufzunehmen oder zu reden. Es sei auch sein Vater gewesen, der beschlossen habe, dass er sofort zu seiner Tante mütterlicherseits gehen und dort bleiben solle. Einen Monat sei er bei seiner Tante aufhältig gewesen und anschließend ausgereist.

Weitere Angaben zum behaupteten Ausreisegrund tätigte der Beschwerdeführer nach entsprechenden Fragen durch die Leiterin der Amtshandlung. Im Übrigen wurden dem Beschwerdeführer Fragen bezüglich seiner Integration in Österreich gestellt.

Abschließend wurden der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers die aktuellen landeskundlichen Feststellungen zur Türkei ausgehändigt und eine dreiwöchige Frist zur Stellungnahme eingeräumt. Ferner wurden der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers im Rahmen der Akteneinsicht ein Bericht der Landespolizeidirektion Steiermark vom 02.02.2020 und mehrere Fotografien ausgehändigt.

4. Am 26.06.2020 langte – nach Gewährung von Fristerstreckung – im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung eine schriftliche Stellungnahme des Beschwerdeführers zu dem ihm im Zuge der Einvernahme vor der belangten Behörde vorgehaltenen Bericht der Landespolizeidirektion Steiermark vom 02.02.2020, wonach sich aus den auf dem vom Beschwerdeführer herausgegebenen Mobiltelefon befindlichen Fotografien ergebe, dass sich der Beschwerdeführer bereits seit März 2019 in Graz befinde, bei der belangten Behörde ein. Zunächst verweist die rechtsfreundliche Vertretung darauf, dass das fragliche Mobiltelefon nicht im Eigentum des Beschwerdeführers, sondern des Bruders des angeheirateten Onkels stünde. Zwar seien in der Bildergalerie des Mobiltelefons tatsächlich auch einige Aufnahmen zu sehen, die den Beschwerdeführer - auch in Österreich bzw. in Graz - zeigen würden. Jedoch seien die Schlüsse, die seitens der Landespolizeidirektion Steiermark aus der Fotodokumentation gezogen werden würden, nicht nachvollziehbar und scheinen übereilt. In der Bildergalerie würden die einzelnen Aufnahmen zwar tatsächlich gewissen Daten zugeordnet. Diese Angaben würden aber nichts über den tatsächlichen Aufnahmezeitpunkt der Fotografien bzw. der Videoaufnahme aussagen. Vielmehr würden die Daten den Zeitpunkt angeben, an dem die Lichtbilddatei auf das Mobiltelefon geladen worden sei. Dies könne entweder durch das Herunterladen eines Bildes von Facebook oder anderen Netzwerken passiert sein oder aber auch durch den Empfang eines solchen Bildes auf dem besagten Mobiltelefon, nachdem die Dateien von anderer Stelle aus an dieses gesendet worden seien. In solchen Fällen könne das in der Bildergalerie angeführte Datum von dem tatsächlichen Erstellungszeitpunkt teils erheblich abweichen. In der Gesamtschau zeige sich überdies, dass der Beschwerdeführer auf einigen Bildern, die vom Galeriedatum her der zweiten Hälfte des Jahres 2019 zuzuordnen seien, deutlich jünger aussehen würde als auf Bildern, die nach dem Datum einem früheren Zeitpunkt zugeordnet seien, an dem er allerdings älter aussehen würde. Dies könne er auch anhand seiner unterschiedlichen Frisuren nachweisen. Fotografien, die einem jüngeren Datum zugeordnet seien, würden ihn mit Frisuren zeigen, die er schon seit langer Zeit nicht mehr tragen würde, was wiederum zeige, dass es sich bei der Anordnung der Bilder um keine nach dem Aufnahmedatum chronologische Reihenfolge, sondern um eine Bildersammlung handle, die wahllos durchmischt sei.

5. Mit dem hier angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2020, Zl. 1259605503-200123555, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 6 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wider den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für eine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt V.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – soweit für das Beschwerdeverfahren von Relevanz – nach der Wiedergabe der Einvernahmen des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person und zu dessen Privat- und Familienleben insbesondere aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer konkreten persönlichen asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung in der Türkei ausgesetzt gewesen sei bzw. eine solche zukünftig zu befürchten hätte. Dem Beschwerdeführer sei eine Rückkehr in die Türkei möglich und zumutbar.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte seiner Entscheidung zum damaligen Zeitpunkt aktuelle Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zugrunde (vgl. die Seiten 21 bis 54 des angefochtenen Bescheides).

Beweiswürdigend erwog die belangte Behörde im Wesentlichen, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf den Ausreisegrund angeblicher Beschimpfungen des türkischen Staatspräsidenten auf Facebook als nicht glaubhaft erachtet werde, zumal die Auswertung der Daten eines beim Beschwerdeführer sichergestellten Mobiltelefons ergeben habe, dass sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Verfassens der kritischen Postings nicht mehr in der Türkei, sondern in Österreich aufgehalten habe. Die Darlegungen des Beschwerdeführers vor dem belangten Bundesamt bezüglich der in den sozialen Medien getätigten kritischen Äußerungen hätten sich zudem als vage und widersprüchlich erwiesen, sodass daraus kein den Beschwerdeführer individuell betreffendes Geschehen glaubhaft abgeleitet werden könne. Ein glaubhaftes Motiv für die Ausreise stelle hingegen die möglicherweise nahende Einberufung des Beschwerdeführers zum Grundwehrdienst dar. Der Beschwerdeführer verfüge in der Türkei nach wie vor über nahe Verwandte sowie über Schulbildung und Berufserfahrung, sodass ihm eine Rückkehr möglich und zumutbar wäre.

In der rechtlichen Beurteilung wurde begründend dargelegt, warum der seitens des Beschwerdeführers vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG 2005 biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt wurde, weshalb gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen, weshalb festgestellt wurde, dass die Abschiebung in die Türkei zulässig sei und weshalb die Frist für eine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

6. Mit Verfahrensanordnungen vom 29.06.2020 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben und der Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

7. Gegen den dem rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers am 02.07.2020 rechtswirksam zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2020 wurde im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 30.07.2020 innerhalb offener Frist in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht, insbesondere wegen Vorliegens von Verfahrensfehlern, mangelhafter Ermittlung der materiellen Wahrheitsfindung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

Zunächst wird das ausreisekausale Vorbringen wiederholt und moniert, dass sich die belangte Behörde inhaltlich nicht mit dem vorgebrachten Fluchtgrund auseinandergesetzt habe und in Verletzung des § 54 Absatz 1 AVG die Aussagen des Beschwerdeführers als „nicht glaubhaft … würdigt“. Darüber hinaus wendet sich der Beschwerdeführer in mehreren Punkten gegen die Beweiswürdigung des belangten Bundesamtes. Insoweit der Beschwerdeführer bei der Schilderung seiner Fluchtgründe bei der belangten Behörde am 01.02.2020 (richtig: 26.05.2020) angegeben habe, dass die geschilderten Ereignisse etwa Ende des Jahres 2018 bzw. Anfang des Jahres 2019 stattgefunden hätten, so habe der Beschwerdeführer immer wieder darauf hingewiesen, dass er sich hinsichtlich der Zeiträume nicht ganz sicher wäre und er die Ereignisse im turbulenten Jahr 2019 nicht eindeutig bestimmten Daten zuordnen könnte. Er habe das fluchtauslösende Ereignis jedoch mit Dezember 2018 bis Jänner 2019 eingrenzen können.

Des Weiteren wird moniert, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, den Beschwerdeführer darauf hinzuweisen, dass ihr Vorhaben, seinen Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, mit den angeblich mangelhaften zeitlichen Angaben zu tun hätte. So habe sie es unter Verletzung ihrer Anleitungspflicht unterlassen, den Beschwerdeführer darauf hinzuweisen und gegebenenfalls konkret nachzufragen. Damit habe sie auch gegen das Überraschungsverbot verstoßen.

Es drohe dem Beschwerdeführer eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit. Der Nachweis der Wahrscheinlichkeit sei erreicht worden, zumal der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach judiziert habe, dass ein Irrtum über das Datum bzw. bloß über eine Jahreszahl jedem durchschnittlich begabten Menschen unterlaufen könne (VwGH 11.11.2997, 97/01/0256). Hinsichtlich des zentralen Fluchtvorbringens seien die Aussagen des Beschwerdeführers weder vage noch ungenau und überdies auch nicht widersprüchlich gewesen. Bei den beweiswürdigenden Ausführungen im bekämpften Bescheid handle es sich um textbausteinartige Wendungen, deren Konkretisierung sich für den zu entscheidenden Fall darauf beschränkt habe, dass der Beschwerdeführer die im mitteleuropäischen Raum übliche Fixierung und Konkretisierung auf genaue Daten und Zeiten nicht von sich aus vorgebracht hätte, während dies im Herkunftsland des Beschwerdeführers grundsätzlich unbeachtlich sei und nicht der Lebensrealität entspreche.

In der Folge wird auf ein mangelndes Ermittlungsverfahren, insbesondere habe es die belangte Behörde unterlassen, Anstrengungen zu unternehmen, die Hintergrundhistorie aller namentlich genannten Mitbeteiligten der Facebook-Unterhaltung zu erforschen und zu würdigen, hingewiesen. In diesem Zusammenhang wird der Antrag gestellt, die in Österreich lebende Schwester des Beschwerdeführers als Zeugin zu befragen, zumal die zeugenschaftliche Einvernahme geeignet wäre, die Bedenken der belangten Behörde hinsichtlich des ausreisekausalen Ereignisses und der gesamten zeitlichen Abfolge der Geschehnisse seit dem Jahre 2018 auszuräumen.

Ferner wird darauf verwiesen, dass die belangte Behörde das Bestehen eines Eingriffes in das Familienleben mit der Begründung verneint habe, es bestünden keine Hinweise auf bestehende familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich, sodass kein schützenswertes Familienleben im Sinne der EMRK vorliegen würde. Dem sei zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer in Österreich gemeinsam mit seiner Schwester lebe. Seit seiner Einreise lebe er auch mit dieser in einem gemeinsamen Haushalt und werde von dieser in allen Belangen unterstützt. Die beiden Geschwister hätten ihre gesamte Kindheit zusammen verbracht und würden eine intensive Beziehung pflegen. Zudem habe der Beschwerdeführer versucht, sich während seines Aufenthalts in Österreich bestmöglich zu integrieren, die deutsche Sprache zu erlernen und ein neues Leben frei von Diskriminierung und Furcht vor Verfolgung aufzubauen.

Abschließend wird beantragt, eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durchzuführen. Des Weiteren wird beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge in der Sache selbst entscheiden, der Beschwerde Folge geben und den angefochtenen Bescheid aufheben und dem Beschwerdeführer den Status eines international Schutzberechtigten bzw. eines Asylberechtigten zuerkennen bzw. einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen. Schließlich wird eventualiter ein Aufhebungsantrag gestellt.

8. Die Beschwerdevorlage langte am 06.08.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurden in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zugewiesen.

9. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.08.2020 wurden dem rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers zur Vorbereitung der für den 07.09.2020 anberaumten mündlichen Verhandlung aktuelle länderkundliche Dokumente zur allgemeinen Lage in der Türkei, insbesondere die Country Policy and Information Note - Turkey: Military service des britischen Home Office vom September 2018, die Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zur Türkei: Zugang für Familienangehörige zu Hausdurchsuchungs-, Beschlagnahmungs- und Haftbefehlen vom 01.02.2019 und die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation der belangten Behörde zur Thematik „Gewährleistung medizinischer Betreuung während Covid-19“ vom 04.08.2020, zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu bis zur Verhandlung schriftlich und in der Verhandlung mündlich Stellung zu nehmen.

10. Am 07.09.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein eines Vertreters der belangten Behörde und eines Dolmetschers für die türkische Sprache durchgeführt. Der Beschwerdeführer und die im Rahmen des Beschwerdeschriftsatzes als Zeugin beantragte Schwester blieben der mündlichen Verhandlung unentschuldigt fern. Ebenso wenig erschien der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers zur mündlichen Verhandlung. Im Verlauf der Verhandlung wurde die aktuelle Lageentwicklung in der Türkei anhand der dem Beschwerdeführer im Vorfeld übermittelten Länderdokumentationsunterlagen erörtert. Da eine Einvernahme des Beschwerdeführers in Anbetracht der Sachlage zweckmäßig erschien, wurde die Verhandlung auf den 14.09.2020 vertagt.

11. Am 07.09.2020 teilte der Beschwerdeführer im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung mit schriftlicher Eingabe nochmals – wie bereits telefonisch vor Verhandlungsbeginn um etwa 09.00 Uhr – mit, dass bei Familienmitgliedern grippeähnliche Symptome aufgetreten seien, er sich unsicher sei, ob er selbst möglicherweise mit dem Coronavirus infiziert sei und er daher nicht zur mündlichen Verhandlung erscheinen könne bzw. nicht erschienen sei. Ein ärztliches Attest über eine Erkrankung brachte der Beschwerdeführer nicht in Vorlage. Sein rechtsfreundlicher Vertreter legte keinen eigenen Entschuldigungsgrund dar.

12. Die die im Rahmen des Beschwerdeschriftsatzes als Zeugin beantragte Schwester des Beschwerdeführers wurde mit Ladungsbeschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.09.2020 im gegenständlichen Verfahren als Zeugin zur für den 14.09.2020 anberaumten mündlichen Verhandlung geladen.

13. Im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung teilte der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 11.09.2020 zunächst mit, dass sich der rechtsfreundliche Vertreter insoweit entschuldigen müsse, als ihm nicht bekannt gewesen sei, dass die beantragte Zeugin eine Ladung für den Termin erhalten habe, weshalb diese seitens der rechtsfreundlichen Vertretung nicht entschuldigt worden sei. Bei den in der Mitteilung vom 07.09.2020 genannten Familienmitgliedern handle es sich um die beantragte Zeugin und eines ihrer Kinder. Zumindest Erstere weise weiterhin Krankheitssymptome auf und sei aufgrund dessen eine Untersuchung durch einen Allgemeinmediziner aufgrund einer Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus abgelehnt worden. Betreffend die sodann kontaktierte Hotline 1450 sei mitgeteilt worden, dass sich die beantragte Zeugin sozial isolieren solle und sich erst bei Verschlechterung der Symptome erneut bei der Hotline melden solle. Dementsprechend könnten auch bislang keine ärztlichen Atteste etc. vorgelegt werden.

14. Am 14.09.2020 wurde die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein des Beschwerdeführers, eines Vertreters der belangten Behörde und eines Dolmetschers für die türkische Sprache fortgesetzt. Der rechtsfreundliche Vertreter und die im Rahmen des Beschwerdeschriftsatzes als Zeugin beantragte Schwester sind der mündlichen Verhandlung entschuldigt ferngeblieben. Im Verlauf der Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer die Gelegenheit eingeräumt, seine Ausreisegründe und seine Rückkehrbefürchtungen neuerlich umfassend darzulegen. Des Weiteren folgte der erkennende Richter des Bundesverwaltungsgerichtes dem Beschwerdeführer die Country Policy and Information Note - Turkey: Kurds des britischen Home Office vom Februar 2020 und die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 09.05.2017 bezüglich der Konsequenzen bei negativen Äußerungen über den Staatspräsidenten in sozialen Netzwerken in der Türkei aus und stellte ihm hiezu innerhalb von zwei Wochen eine Stellungnahme frei. Im Übrigen wurde dem Beschwerdeführer der Auftrag erteilt, binnen vier Wochen bzw. bis zur nächsten Verhandlung das Kennwort für seinen Zugang zum türkischen E-Government-System e-devlet zu erlangen. Zur neuerlichen Ladung des Beschwerdeführers und der beantragten Zeugin wurde die Verhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt.

15. Das Bundesverwaltungsgericht richtete am 22.09.2020 einen Rechercheauftrag an die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bezüglich des vom Beschwerdeführer geschilderten ausreisekausalen Vorbringens.

16. Am 24.09.2020 langte eine erste Rückmeldung der zuständigen Sachbearbeiterin der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl beim Bundesverwaltungsgericht ein, wonach eine Recherche mit dem Namen der im Rechercheauftrag genannten Personen weitgehend erfolglos geblieben sei. Aus diesem Grunde wurde im Folgenden um weitere Informationen bezüglich des ausreisekausalen Sachverhaltes, etwa den Zeitpunkt und Ort der angeblichen Verhaftung der Freunde, deren ungefähres Alter oder ob die genannten Personen und der Beschwerdeführer Mitglieder irgendeiner Organisation gewesen seien, ersucht.

17. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte mit Note vom 28.09.2020 die erste Rückmeldung der zuständigen Sachbearbeiterin der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bezüglich des Rechercheauftrages des Bundesverwaltungsgerichtes an den Beschwerdeführer und ersuchte um Äußerung zu den in der Rückmeldung angesprochenen Punkten innerhalb von zwei Wochen ab Zugang dieses Schreibens.

18. Mit Eingabe vom 12.10.2020 gab der Beschwerdeführer im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung bekannt, dass er über kein Kennwort bezüglich des türkischen E-Government Systems (e-devlet) verfüge (oder ihm ein solches nicht mehr erinnerlich sei) und für eine Neuausstellung ein persönliches Erscheinen notwendig sei, was ihm nicht möglich sei. Des Weiteren vermute er, dass zumindest ein Ermittlungsverfahren in der Türkei gegen ihn geführt werde. Hiezu habe er aber nichts Näheres in Erfahrung bringen können. Schließlich würden die in der mündlichen Verhandlung am 14.09.2020 ausgehändigten Länderinformationsquellen zur Kenntnis genommen und keine ergänzende Äußerung hiezu abgegeben.

19. Laut Anzeige des zuständigen Finanzamtes vom 15.10.2020 in Zusammenschau mit dem entsprechenden Finanzpolizeibericht wurde der Beschwerdeführer am 29.09.2020 im Lokal seiner Schwester arbeitend beim Schneiden von Tomaten in der Küche ohne arbeitsmarktrechtliche Bewilligung und ohne Anmeldung zur Sozialversicherung betreten.

20. Am 16.10.2020 langte im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers eine Stellungnahme bezüglich des mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.09.2020 an den Beschwerdeführer gerichteten Ersuchens beim Bundesverwaltungsgericht ein. Demnach würden in der ersten Rückmeldung der zuständigen Sachbearbeiterin der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zahlreiche Fragen aufgeworfen werden, wobei man beim Versuch, diese Thematiken mit dem Beschwerdeführer zu besprechen, seitens der rechtsfreundlichen Vertretung aufgrund der Komplexität der Themen und Fragestellungen auf unüberwindbare Sprachbarrieren gestoßen sei, zu deren Überwindung ein neuer Termin und somit mehr Zeit benötigt werde. Insoweit wurde um eine Erstreckung der Frist zur Äußerung zu den angesprochenen Punkten um weitere zwei Wochen ersucht.

21. In der Folge teilte der Beschwerdeführer im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung mit Schreiben vom 29.10.2020 mit, dass der Zeitpunkt des Vorfalles nicht genauer, als um den Jahreswechsel des Jahres 2018 zum Jahr 2019 angegeben werden könne. Jedenfalls habe sich dieser in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der begonnenen türkischen Offensive gegen die syrischen Kurden ereignet. Aufgrund dessen sei die besagte Unterhaltung geführt worden und wenige Tage später habe der Beschwerdeführer von seinem Vater die Mitteilung erhalten, dass seine Freunde verhaftet worden seien. Die Freunde des Beschwerdeführers seien alle im ungefähren Alter des Beschwerdeführers, zumal diese mit ihm auch in die gleiche Schule gegangen seien. Der Beschwerdeführer würde davon ausgehen, dass seine Freunde an deren Wohnorten verhaftet worden seien. Er hätte aber keine konkreten eigenen Wahrnehmungen. Sowohl der Beschwerdeführer als auch seine Freunde seien niemals in irgendeiner Organisation oder anderweitig politisch tätig gewesen. Die besagte Diskussion sei aus der immer stärker werdenden Eskalation des Syrien-Konfliktes und des Angriffes der Türkei auf die Kurden resultiert, bei der zumindest der Beschwerdeführer für sich nicht gewusst habe, wie weit dieser Konflikt noch gehen könnte und habe sich dessen Ohnmacht bzw. Entsetzen in dieser Diskussion entladen.

22. Die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bezüglich der vom Bundesverwaltungsgericht in Auftrag gegebenen Recherche langte am 02.11.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein. In den öffentlich zugänglichen Quellen seien im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche auf Deutsch und Türkisch keine Informationen zu anhängigen Strafverfahren oder Verurteilungen bezüglich des Beschwerdeführers gefunden worden. Auf Facebook hätten mehrere Profile mit dem Namen des Beschwerdeführers gefunden werden können, welche die Heimatprovinz des Beschwerdeführers bzw. den Landkreis XXXX als Wohn- oder Herkunftsort angegeben hätten. Die meisten dieser Profile seien nicht öffentlich zugänglich gewesen und hätten nur eine geringe Aktivität aufgewiesen. Es habe hiebei nicht festgestellt werden können, ob es sich tatsächlich um den Beschwerdeführer handle. Was Berichte über die Festnahme der im Rechercheauftrag namentlich genannten Freunde des Beschwerdeführers bzw. hinsichtlich anhängiger Strafverfahren und/ oder Verurteilungen wegen Beleidigung des Staatspräsidenten betrifft, so sei den Quellen zu entnehmen, dass eine Person mit dem Namen XXXX in Izmir aufgrund von Twitter-Beiträgen festgenommen und im Juli 2017 wieder freigelassen worden sei. Im Februar 2017 sei ferner berichtet worden, dass ein Polizist mit diesem Namen in XXXX festgenommen und aufgrund des Vorwurfes, den Kommunikationsdienst Bylock zu verwenden, angeklagt worden sei.

23. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.11.2020 wurden der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 30.09.2020 bezüglich des Beschwerdeführers und die Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project von ACCORD hinsichtlich der Türkei betreffend das 2. Quartal vom 28.10.2020 zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu bis zum 27.11.2020 einlangend schriftlich oder am 24.11.2020 in der Verhandlung mündlich Stellung zu nehmen.

25. Am 24.11.2020 wurde die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein des Beschwerdeführers, eines Vertreters der belangten Behörde und eines Dolmetschers für die türkische Sprache fortgesetzt. Die zur Einvernahme im Wege einer Videokonferenz mit dem Bezirksgericht Graz-West geladene Zeugin und Schwester des Beschwerdeführers, XXXX , blieb der Verhandlung ohne hinreichende Entschuldigung fern.

Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen mündlich verkündet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen

Gemäß § 27 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

2. Feststellungen:

2.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angegebenen Namen und ist Staatsangehöriger der Türkei. Er wurde am XXXX in einem Dorf im Landkreis XXXX in der südostanatolischen Provinz Gaziantep geboren und lebte dort vor seiner Ausreise. Er ist Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, bekennt sich zum Islam sunnitischer Prägung, ist seit Mitte August 2020 in einer Beziehung und kinderlos. Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprachen Kurdisch und Türkisch auf muttersprachlichem Niveau. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Der Beschwerdeführer besuchte in der Türkei die Grundschule im Ausmaß von fünf Jahren sowie die Hauptschule im Ausmaß von drei Jahren. Das Lyzeum in der Kreisstadt XXXX verließ er nach einem Jahr, ohne einen Abschluss zu erlangen. Im Anschluss trat der Beschwerdeführer in das Berufsleben ein. Er arbeitete in der familieneigenen Landwirtschaft mit und unterstützte seinen Vater. Seine Familie besitzt Ländereien und zwei Etagenwohnungen in Gaziantep. Letztere beabsichtigt seine Familie zu vermieten. Seine Familie verfügt über 200 Stück Vieh, konkret 150 Schafe und 50 Ziegen, und baut Pistazien, Weizen und anderes Getreide an. Die Familie behält die Hälfte der Produkte für den Eigengebrauch und verkauft die andere Hälfte. Es ging dem Beschwerdeführer bzw. seiner Familie vor seiner Ausreise wirtschaftlich gut. Die Familie des Beschwerdeführers ist wohlhabend.

Gegenwärtig halten sich seine Eltern und sieben Schwestern in der Türkei auf. Seine Eltern und drei Schwestern leben an seiner letzten Wohnadresse in seinem Heimatdorf. Zwei Schwestern betreiben ein Universitätsstudium und eine Schwester besucht ein Lyzeum. Vier seiner Schwestern sind bereits verheiratet. Des Weiteren befinden sich eine Großmutter mütterlicherseits, eine Tante und ein Onkel mütterlicherseits, eine Tante und drei Onkel väterlicherseits sowie Cousinen und Cousins in der südostanatolischen Provinz Gaziantep. In der Bundesrepublik Deutschland sind eine Tante väterlicherseits und zwei Cousins und in Italien sowie der Schweizerischen Eidgenossenschaft entfernte Verwandte aufhältig. Der Beschwerdeführer steht mit seiner Familie in Kontakt. Der Familie geht es in der Türkei gut.

Der Beschwerdeführer reiste nach Erhalt eines vom italienischen Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und internationale Zusammenarbeit in Ankara am 22.01.2019 ausgestellten und von 30.01.2019 bis 18.02.2019 gültigen Visums C Ende Winter 2018/19 bzw. Anfang Frühling 2019 von Italien ausgehend für eine nicht feststellbare Dauer in das österreichische Bundesgebiet ein. Abseits davon kann nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Schengen-Visums seiner Pflicht zum Verlassen des österreichischen Bundesgebietes nachkam. Am 01.02.2020 stellte der Beschwerdeführer vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes den hier gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2.2. Der Beschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seines Religionsbekenntnisses oder aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu gewärtigen.

Der Beschwerdeführer entfaltete während seines Aufenthaltes in Österreich kein
(exil-)politisches Engagement und schloss sich auch keiner hier tätigen kurdischen Organisation an.

Der Beschwerdeführer gehört nicht der Gülen-Bewegung an und war nicht in den versuchten Militärputsch in der Nacht vom 15.07.2016 auf den 16.07.2016 verstrickt.

Der Beschwerdeführer unterlag vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat keiner individuellen Gefährdung und war keiner psychischen und/oder physischen Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt und wird im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat einer solchen individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt sein. Der Beschwerdeführer tätigte insbesondere vor seiner Ausreise keine Beschimpfungen des türkischen Staatsoberhauptes in sozialen Medien und wurde auch nicht deshalb von Sicherheitskräften gesucht.

Der Beschwerdeführer unterliegt bei einer Rückkehr in die Türkei auch nicht der Gefahr einer von staatlichen Organen oder von Privatpersonen ausgehenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt im Hinblick auf seine Zugehörigkeit zur kurdischen Ethnie.

Ferner kann – selbst im Falle hypothetischer Wahrunterstellung des Vorbringens des Beschwerdeführers bezüglich der in sozialen Medien getätigten Äußerungen über Repräsentanten des türkischen Staates oder des Teilens von kritischen Nachrichten dritter Personen – nicht festgestellt werden, dass allfällige polizeiliche Maßnahmen im Rahmen der Strafrechtspflege und eine wider den Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang allenfalls erhobene Anklage aus einem in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund erhoben werden würde oder dass die strafrechtliche Verfolgung des Beschwerdeführers auf anderen unsachlichen Motiven beruhen würde. Zum Entscheidungszeitpunkt kann zudem weder festgestellt werden, ob bzw. wann ein (erstinstanzliches) Urteil infolge einer wider den Beschwerdeführer allenfalls erhobenen Anklage ergehen würde. Ebenso wenig kann gegenwärtig festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer ihm in diesem Zusammenhang zur Last gelegten strafbaren Handlung ganz oder teilweise schuldig erkannt wird oder ein gänzlicher oder teilweiser Freispruch ergeht bzw. zu welcher Strafe er im Fall eines Schuldspruches verurteilt werden würde. Ausgehend davon kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer (mehrjährigen) Haftstrafe verurteilt oder ihm gar eine unverhältnismäßige Bestrafung drohen würde. Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Anhaltung in Haft mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit gefoltert würde.

Der Beschwerdeführer konnte schließlich mit seinem Vorbringen, in der Türkei den Wehrdienst ableisten zu müssen, keine ihm im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat drohende Verfolgungsgefahr aus den in der GFK genannten Gründen, die dem Herkunftsstaat zurechenbar wäre, glaubhaft machen. Der Beschwerdeführer wird im Fall einer Rückkehr in der Türkei seinen Wehrdienst ableisten müssen, wenn er für tauglich befunden werden sollte. Er wurde bislang allerdings weder der Musterung unterzogen, noch erhielt er einen Einberufungsbefehl. Es kann darüber hinaus nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer die Ableistung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen verweigert.

Der Beschwerdeführer würde im Fall einer Einberufung zu den türkischen Streitkräften im Rahmen der Wehrpflicht nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei Kampfhandlungen eingesetzt. Er müsste sich im Rahmen seines Wehrdienstes nicht an völkerrechtswidrigen Militäraktionen beteiligen. Ferner kann nicht festgestellt werden, dass in der Türkei derzeit großflächige Kampfhandlungen oder eine Generalmobilmachung stattfinden würde. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass Rekruten systematischen Misshandlungen durch Vorgesetzte bzw. Offiziere unterliegen bzw. der Beschwerdeführer im Zuge der Verrichtung seines Militärdienstes mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit solche zu erwarten hat. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer – sollte er sich weigern, seinen Militärdienst abzuleisten – eine unverhältnismäßig hohe Strafe droht bzw. dass die Verbüßung einer Haftstrafe in der Türkei an sich schon eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellt.

2.3. Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder terroristische Anschläge im der Türkei.

2.4. Der Beschwerdeführer ist ein arbeitsfähiger Mensch mit bestehenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherten Existenzgrundlage. Er verfügt über Berufserfahrung in der familieneigenen Landwirtschaft. Dem Beschwerdeführer ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung. Er ist gesund und bedarf – abgesehen von Schmerztabletten gegen Kopfschmerzen – keiner medikamentösen oder ärztlichen Behandlung.

Der Beschwerdeführer verfügt für den Fall der Rückkehr über ein türkisches Identitätsdokument (ID-Card) im Original und über eine Wohnmöglichkeit bei Verwandten in der Türkei, insbesondere auch bei seinen Eltern im Heimatdorf im Landkreis XXXX in der südostanatolischen Provinz Gaziantep.

2.5. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Sein Aufenthalt war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Z. 3 FPG 2005 geduldet. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Der Beschwerdeführer wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

2.6. Zur gegenwärtigen Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

1.       Aktuelles

20.04.2020: Wegen der Corona-Krise hat die Türkei am 15.04.20 mit der Entlassung von Häftlingen begonnen. Das Gesetz war am Vortag vom Parlament in Ankara verabschiedet worden und ermöglicht die Entlassung von bis zu 90.000 Gefangenen. Ausgenommen davon sind wegen Terrorvorwürfen Inhaftierte, darunter Regierungskritiker und Journalisten, sowie Gefangene, die wegen vorsätzlichen Mordes, Gewalt gegen Frauen, Sexualstraftaten und Drogendelikten in Haft sind (vgl. BN v. 06.04.20). Die Oppositionspartei CHP will den Straferlass vom Verfassungsgericht überprüfen lassen, weil keine politischen Häftlinge freikommen.

Seit zwei Wochen sind die türkischen Städte, darunter Ankara und Istanbul, wegen der COVID-19-Pandemie nach außen weitgehend abgeschottet. Die Bewohner brauchen für Reisen in andere Städte eine Genehmigung. Am 18.04.20 verlängerte die Regierung die Reisebeschränkungen für 31 Städte und Provinzen um zwei Wochen. Ausgenommen ist der Transport unverzichtbarer Güter. In den 31 Städten und Provinzen galt am Wochenende zudem erneut eine zweitägige Ausgangssperre. Bis Anfang März 2020 hatte die Türkei nur wenige hundert Coronafälle verzeichnet, seitdem stieg die Zahl der Infizierten sprunghaft auf über 82.000 Fälle an. Die Zahl der Toten liegt inzwischen bei über 2.000 Personen. Trotz der COVID-19-Krise sollen Gläubige nach Ansicht der türkischen Religionsbehörde im Ramadan fasten. Präsident Erdo?an lehnte am 12.04.20 das Rücktrittsgesuch von Innenminister Süleyman Soylu ab. Dessen Ministerium hatte am 10.04.20 kurzfristig eine 48-stündige Ausgangssperre angekündigt und war dafür scharf kritisiert worden. Da die Ausgangssperre erst zwei Stunden vor Beginn verkündet worden war, war es in Geschäften zu Panikkäufen, Gedränge und teilweise chaotischen Zuständen gekommen.

04.05.2020: Ausgangsperre Der türkische Präsident Erdogan hat wegen der Corona-Krise eine weitere dreitägige weitgehende Ausgangssperre für 31 Städte und Provinzen vom 01. bis 03.05.20 verhängt. Am 1. Mai war es Supermärkten aber erlaubt, zwischen 9 und 14 Uhr zu öffnen. Weitere Ausgangssperren an Wochenenden sind noch mindestens bis zum Ende des Fastenmonats Ramadan Ende Mai geplant.

Ali Erba?, der Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet, sagte am 24.04.20 in seiner Predigt zu Beginn des Fastenmonats Ramadan, dass Homosexualität Krankheiten mit sich bringe. Er bezeichnete Homosexuelle als islamfeindliche Ketzer und kritisierte zudem den Ehebruch und das Zusammenleben unverheirateter Paare. Die Anwaltskammer Ankara sowie eine türkische Menschenrechtsorganisation reichten deshalb bei der Generalstaatsanwaltschaft von Ankara eine Beschwerde gegen Erba? wegen Homophobie und Volksverhetzung ein. Daraufhin schaltete sich Staatspräsident Erdogan in die Auseinandersetzung ein und erklärte, Ali Erba?‘ Äußerungen seien völlig korrekt, da für den Islam Homosexualität eine schwere Sünde sei. Da Erba? der Vorsitzende der Religionsbehörde ist, sei ein Angriff auf ihn auch ein Angriff auf den Staat. Religiöse Fragen lägen in der Hand des Diyanet und nicht in der von Rechtsanwaltsverbänden. In dem Zusammenhang leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die Anwaltskammer ein, weil die Juristenvertretung die religiösen Gefühle des Volkes verletzt hätte. Homosexualität ist in der Türkei nicht verboten. Aktivisten beklagen jedoch immer wieder Diskriminierungen.

11.05.2020: Da langsam ein Abflachen der Neuinfektionen mit dem Coronavirus in der Türkei zu beobachten sei, plant die Regierung eine schrittweise Lockerung der zahlreichen bestehenden Einschränkungen. Am vergangenen Wochenende galt eine weitgehende Ausgangssperre nur noch in 24 Städten und Provinzen statt zuvor in 31. Zudem durften Senioren ab 65 Jahren zum ersten Mal seit dem 21.03.20 wieder für vier Stunden das Haus verlassen. Ab 11.05.20 sollen unter anderem Läden, Einkaufszentren und Friseure unter Auflagen wieder öffnen können. Beabsichtigt sei, dass nach der Sitzung des Corona-Wissenschaftsrats am 11.05.20 Reisebeschränkungen für weitere Provinzen aufgehoben werden könnten. In einer zweiten Phase vom Juni bis in den August 2020 sollen Ausgangssperren schrittweise verringert werden und die Zahl der Tage, an denen Bürger über 65 Jahren nach draußen dürfen, erhöht werden. Dann sollen auch wieder die Moscheen unter Einhaltung der Mindestabstände öffnen. Die Schutzmaskenpflicht bestehe weiterhin. Im Juni 2020 sollen dann auch Restaurants und Cafés mit Einschränkungen wieder öffnen dürfen, ebenso Bibliotheken. Sportveranstaltungen könnten wieder durchgeführt werden, allerdings ohne Zuschauer und nur unter bestimmten Sicherheits- und Hygienestandards. Kinos, Theater und Open-Air-Bühnen sollen eventuell im Juli 2020 wieder in Betrieb genommen werden dürfen. Überlegt werde auch, dann größere Veranstaltungen, wie beispielsweise Hochzeiten, unter bestimmten Auflagen wieder zu erlauben. Eine dritte Phase laufe von September 2020 bis zum Jahresende. Dafür würden detaillierte Pläne ausgearbeitet, um Schulen und Universitäten unter Einhaltung der Sicherheits- und Hygienemaßnahmen wiederzueröffnen. Danach sollen in einer vierten Phase alle Reise- und Flugbeschränkungen sowie die Maskenpflichten wieder aufgehoben werden. Es werde zudem bereits über Einreisemöglichkeiten für Touristen unter Durchführung von Coronatests an Flughäfen ab Juni 2020 nachgedacht.

Bericht zu möglichen Fluchtbewegungen Nach einem Bericht vom 08.05.20 der Tageszeitung Die Welt erwarte die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) erneut eine hohe Zahl von Flüchtlingen an der griechisch-türkischen Grenze. Nach einem der Zeitung vorliegenden internen und vertraulichen Situationsbericht vom 05.05.20 aus dem Frontex Situation Centre, könnte es massive Bewegungen von Migranten aus der Türkei in Richtung Griechenland geben, sobald weitere türkische Provinzen ihre Coronavirus-Einschränkungen lockerten

18.05.2020: Es gab vergangene Woche mehr als 148.000 bestätigte COVID-19-Fälle, nach offiziellen Angaben starben bisher ca. 4.090 Infizierte, über 100.000 Menschen haben sich erholt. Die Türkei hat neben zahlreichen Lockerungen aktuell nochmals eine viertägige Ausgangssperre in 15 Städten und Provinzen verhängt, die am 16.05.20 begann und nach dem 19.05.20, einem nationalen Feiertag, enden soll. Kliniken, Apotheken, Bäckereien und andere als wichtig eingestufte Dienstleister bleiben geöffnet. Die Regierung erwägt zudem mögliche Maßnahmen, einschließlich einer viertägigen landesweiten Ausgangssperre, während des Bayram-Festes vom 24.05. bis 26.05.20, mit dem das Ende des Fastenmonats Ramadan begangen wird.

Tod nach Hungerstreik Der Musiker Ibrahim Gökçek ist am 14.05.20 nach über 300 Tagen Hungerstreik gestorben. Er hatte gefastet, um die Aufhebung des Auftrittsverbots seiner Band und die Freilassung inhaftierter Bandmitglieder zu erreichen. Seine Bandkollegin Helin Bölek war bereits vor ca. zwei Wochen nach 288 Tagen Hungerstreik gestorben. Ihren Hungerstreik hatten beide im vergangenen Jahr im Gefängnis begonnen, im November 2019 kamen sie zwar frei, setzten ihren Hungerstreik jedoch fort. Die Grup Yorum wurde 1985 in Istanbul gegründet. Die populäre Band ist für ihre regierungskritischen Protestsongs in türkischer und kurdischer Sprache bekannt und setzt sich aus wechselnden Mitgliedern zusammen. Die Regierung wirft der Band Verbindungen zur verbotenen militanten linksradikalen Untergrundorganisation Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) vor, die vor allem in den Achtzigerjahren zahlreiche Anschläge in der Türkei verübte und von der Türkei, den USA und der EU als Terrorgruppe eingestuft wird. Zwei Mitglieder von Grup Yorum, darunter Gökçeks Frau, befinden sich noch im Gefängnis.

25.05.2020: Die Regierung hat erstmals für das ganze Land eine viertägige Ausgangssperre über die Feiertage am Ende des Fastenmonats Ramadan verhängt. Sie begann am Vorabend des sogenannten Zuckerfests in der Nacht zum 23.05.20 und endet am 26.05.20. Die Reisebeschränkungen für 15 Städte, darunter Ankara und Istanbul, wurden zudem um 15 Tage bis zum 03.06.20 verlängert. Im Kampf gegen COVID-19 erlässt die Türkei seit Wochen weitgehende Ausgehverbote, bislang allerdings nur in ausgewählten Städten oder Provinzen. Staatspräsident Erdogan appellierte an die Bevölkerung, ihre Gewohnheiten den Regelungen anzupassen, und drohte mit neuen härteren Maßnahmen, falls sich die Situation wieder verschlechtern sollte. Zudem erklärte er das Schuljahr für beendet. Die Schulen, die seit dem 16.03.20 geschlossen sind, öffnen erst wieder im September 2020. In ausgewählten Moscheen sind ab dem 29.05.20 wieder Gebete zugelassen.

Am 15.05.20 wurden nach Medienberichten fünf weitere Bürgermeister der prokurdischen Demokratischen Volkspartei (HDP) aus dem Amt entlassen und durch staatliche Verwalter ersetzt. Ihnen wird vorgeworfen, die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) unterstützt zu haben. Bei den Kommunalwahlen im März 2019 hatte die HDP im Südosten des Landes in 65 Städten und Gemeinden gesiegt. Inzwischen sind nur noch 12 ihrer Bürgermeister im Amt.

15.06.2020: Medienberichten zufolge ordneten türkische Behörden am 09.06.2020 die Festnahme von 414 weiteren mutmaßlichen Regierungsgegnern an, denen eine Verbindung zur Gülen-Bewegung vorgeworfen wird. Bei einem landesweiten Polizeieinsatz sei gegen 191 Verdächtige in 22 Provinzen vorgegangen worden, von denen sich 160 inzwischen in Haft befänden. Unabhängig davon habe die Staatsanwaltschaft Istanbul die Festnahme von 158 Personen angeordnet, darunter Militärs, Ärzte und Lehrer. Zudem gebe es Razzien gegen Mitglieder der Luftwaffe und andere Sicherheitskräfte. Bereits am 08.06.2010 war die Festnahme von 149 Personen angeordnet worden. Die meisten von ihnen seien ehemalige oder aktive Polizisten. Den Verdächtigen werde vorgeworden, am gescheiterten Militärputsch 2016 beteiligt gewesen zu sein und in Verbindung zu Gülen-Bewegung zu stehen. Schon in der vorangegangenen Woche waren 118 Haftbefehle gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger erlassen worden.

22.06.2020: Die wegen der Covid-19-Pandemie verhängten Ausgangssperren im Land wurden aufgehoben. Ausnahmen gelten nur noch für Menschen ab 65 Jahren. Auch die inländischen Reisebeschränkungen gelten seit dem 01.06.20 nicht mehr. Die Türkei hat das Einreiseverbot für deutsche Staatsangehörige bereits am 11.06.20 aufgehoben. Auch die Land- und Seegrenzen der Türkei sind wieder offen, mit Ausnahme der Landgrenze zu Iran. Auf Marktplätzen, in Supermärkten und in öffentlichen Verkehrsmitteln gilt eine Schutzmasken-Pflicht, Abstandsregel (drei Schritte) sind einzuhalten. In einigen Städten und Gegenden muss im gesamten öffentlichen Raum eine Maske getragen werden, wie z.B. in den wieder offenen Friseurgeschäften und Einkaufszentren sowie den bis 24 Uhr geöffneten Restaurants und Cafés. Zwei Wochen nach der Lockerung nimmt die Zahl der erfassten Neuinfektionen wieder zu. Die Regierung prüft derzeit, inwiefern neue Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssen, die auch regional begrenzt sein können.

Das Parlament hat am 11.06.20 trotz scharfer Kritik der Opposition die Befugnisse der Hilfspolizei ausgeweitet, die vor allem abends und nachts in Wohnvierteln patrouilliert. Die auch als „Wächter“ oder „Nachtadler“ bezeichneten Ordnungskräfte dürfen nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu nun Schusswaffen tragen und anwenden, Fahrzeuge anhalten, Ausweise kontrollieren und Leibesvisitationen vornehmen. Darüber hinaus dürfen sie z.B. bis zum Eintreffen der Polizei Maßnahmen ergreifen, um Proteste und Märsche zu verhindern, die die öffentliche Ordnung stören. Verhaftungen und Verhöre sind ihnen aber nicht gestattet. Sie unterstehen wie Polizei und Gendarmerie dem Innenministerium. Ihre Ausbildungszeit beträgt drei Monate. Nach Angaben des Innenministers sind derzeit landesweit mehr als 20.000 Hilfspolizisten im Einsatz, zukünftig sollen es bis zu 30.000 werden. Eine ähnliche Institution hatte es bereits bis 2008 gegeben. Präsident Erdo?an hatte nach dem Putschversuch von 2016 die Wiederbelebung verkündet, die ersten Einsätze gab es dann 2017. Die Opposition sieht die Entwicklung mit Sorge, kritisiert die umfangreichen Befugnisse und wirft der Regierungspartei AKP vor, eine eigene Miliz gründen zu wollen

29.06.2020: Am 24.06.20 begann in Istanbul der Prozess gegen den Chefeditor von OdaTV, Muyesser Yildiz, und sieben weitere Angeklagte wegen Geheimnisverrates. Die Angeklagten hatten über die Tätigkeiten des türkischen Geheimdienstes in Libyen berichtet und dabei konkrete Personen benannt, denen sie illegale Aktivitäten vorwarfen. OdaTV mit Sitz in Ankara ist politisch kritisch gegenüber der derzeitigen Regierung eingestellt.

06.07.2020: Im Prozess gegen den ehemaligen Leiter der türkischen Sektion von Amnesty International (AI), Taner Kilic, und weitere Angeklagte sind am 03.07.20 die Urteile gefallen. Kilic wurde wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Ihm wird Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung und Beteiligung am Putsch 2016 vorgeworfen. Drei seiner Mitarbeiter wurden wegen Beihilfe zu einem Jahr und einem Monat Gefängnis verurteilt. Sieben weitere Mitarbeiter wurden für unschuldig befunden, unter ihnen der Deutsche Peter Steudtner und der Schwede Ali Gharavi. Der Prozess wie auch die Urteile wurden weitgehend als politisch motiviert wahrgenommen.

13.07.2020: Das Parlament verabschiedete am 11.07.20 eine umstrittene Gesetzesänderung zur Neuorganisation der Anwaltskammern. Seit Wochen protestierten Rechtsanwälte gegen Pläne der Regierung zur Zulassung alternativer Anwaltskammern. Mit einem symbolischen Marsch nach Ankara zum Parlament wollten Rechtsanwälte am 04.07.20 darauf aufmerksam machen. Polizisten stoppten die Kundgebung, mit der Begründung, die Teilnehmer verstießen gegen die Vorschriften des Social Distancing zur Bekämpfung des Coronavirus. Das bisherige System der türkischen Anwaltskammern verschaffte den Rechtsanwälten relativ viel Unabhängigkeit und Einfluss. Das neue Gesetz sieht sogenannte Multi-Anwaltskammern vor. Künftig sollen die Mitglieder von Kammern, in der mehr als 5000 Anwälte organisiert sind, dazu befugt sein, alternative Kammern zu gründen, sofern Unterschriften von mindestens 2.000 Anwälten zusammenkommen, die das wollen. Durch die Neuregelung wird auch die proportionale Vertretung in der nationalen Dachorganisation abgeschafft. In den drei größten Städten der Türkei - Istanbul, Ankara und Izmir - sind derzeit zwischen 10.000 und 50.000 Anwälte in einer Kammer organisiert. Allein in Istanbul residiert ein Drittel aller türkischen Advokaten. Theoretisch könnten in jeder dieser Städte mindestens fünf neue Kammern gegründet werden. Auch die Kammer in Antalya mit rund 5.000 Mitglieder könnte von der neuen Regelung betroffen sein. Bisher gibt es in jeder Provinz nur eine Anwaltskammer, in der jeder Anwalt Mitglied sein muss. Die Regierung, wolle nach Befürchtungen von Kritikern nun neue Kammern schaffen, deren Mitglieder auf der Linie der Regierungspartei AKP seien.

Durch die Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts in Ankara vom 10.07.20 wurde der Status der einstigen Kirche Hagia Sophia als Museum annulliert und damit der Weg für eine erneute Umwandlung in eine Moschee freigemacht. Nach Medienberichten begründete das Gericht seine Entscheidung damit, dass die Hagia Sophia Eigentum einer von Sultan Mehmet II. gegründeten Stiftung sei. Der Sultan hatte die Hagia Sophia 1453 in eine Moschee umgewandelt. Damit sei sie als Moschee definiert und dürfe nur zu diesem Zweck genutzt werden. Staatspräsident Erdo?an erklärte, dass die Hagia Sophia nun bereits in zwei Wochen als Moschee genutzt werden könne. Die Hagia Sophia wurde im 6. Jahrhundert n. Chr. erbaut und war Hauptkirche des Byzantinischen Reiches. Nach der Eroberung des damaligen Konstantinopels durch die Osmanen im Jahr 1453 wandelte sie Sultan Mehmet II. in eine Moschee um und ließ als äußeres Kennzeichen vier Minarette anfügen. Auf Betreiben des türkischen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk ordnete der Ministerrat im Jahr 1935 die Umwandlung der Hagia Sophia in ein Museum an.

20.07.2020: Am 16.07.20 wurde der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel von einem Gericht in Istanbul in Abwesenheit wegen Propaganda für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu zwei Jahren, neun Monaten und 22 Tagen Haft verurteilt. Der Journalist saß fast ein Jahr in der Türkei in Untersuchungshaft, ehe er im Februar 2018 freikam und nach Deutschland ausreiste. Hintergrund der Anklage waren unter anderem Artikel, die er in seiner Zeit als TürkeiKorrespondent für die Zeitung Die Welt veröffentlicht hatte. Nach Medienberichten sprach ihn das Gericht vom Vorwurf der Volksverhetzung und der Propaganda für die Gülen-Bewegung frei. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Yücel erklärte, in Berufung gehen zu wollen. Das Gericht gab zudem bekannt, dass zwei weitere Ermittlungen gegen Yücel liefen, dabei werde ihm Beleidigung des Präsidenten und des türkischen Staates vorgeworfen.

27.07.2020: Die größte Oppositionspartei der Türkei, die Republikanische Volkspartei (CHP), hielt am 25. und 26.07.20 ihren 37. Parteitag im Bilkent Odeon Kongresszentrum in Ankara ab. Am ersten Tag wählten die Delegierten den Parteivorsitzenden, am zweiten Tag die 60 Mitglieder der Fraktion. Dabei wurde der bisherige Parteivorsitzende Kemal Kilicdaroglu wiedergewählt. Er ist seit 2010 Parteivorsitzender und trat sein Amt auf dem 33. ordentlichen Parteitag an, der nach dem Rücktritt des ehemaligen Vorsitzenden Deniz Baykal stattfand. Aufgrund der COVID-19-Pandemie fand der Parteitag ohne Gäste statt. Die 1.356 stimmberechtigten Delegierten mussten sich am Einlass einer Temperaturkontrolle unterziehen, die Sitzordnung wurde so gestaltet, dass die Mi

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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