TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/4 W274 2197539-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.12.2020
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Entscheidungsdatum

04.12.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §29 Abs4
VwGVG §29 Abs5

Spruch


W274 2197539-1/17E

GEKÜRZTE AUSFERTIGUNG DES AM 16.11.2020 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Mag. LUGHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 4.5.2018, ZI. 1105300504 – 160225096/BMI-BFA_NOE_SP, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 2 AsylG der Asylstatus zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Der BF war bis zur einvernehmlichen Scheidung am 13.11.2018 vor dem Bezirksgericht Gänserndorf mit der BF zu W274 2197536-1, XXXX , verheiratet, wobei die Ehe im Iran geschlossen wurde.

Die Verfahren werden aufgrund der Ehescheidung getrennt geführt, aber zur Erleichterung der Begründung für den BF in diesem Verfahren die Abkürzung BF1 und für XXXX BF2 verwendet.

Beide BF beantragten am 11.02.2016 vor der PI Bischofshofen internationalen Schutz. Der BF1 gab im Wesentlichen an, immer Probleme mit seiner Religion und der Scharia gehabt zu haben. Die Radikalisierung und der Druck der Regierung sei ihm zu viel geworden. Er habe vom System die Nase voll und sich entschlossen, seine Heimat zu verlassen. Er sei kein strenggläubiger Mensch, was von seinem Vater sehr bekrittelt worden sei. Sein Interesse am Christentum sei mit der Zeit gewachsen. Er habe in seinem Land keine Möglichkeit gehabt, sich damit genau auseinanderzusetzen, wolle aber in einem freien Land leben.

Beide BF wurden am 20.06.2017 vor dem BFA befragt. Der BF1 gab im Wesentlich an, aufgrund von Hauskirchenbesuchen im Iran sei er zuhause in seiner Abwesenheit von Beamten aufgesucht worden, seine Skripten und Bücher seien gesucht worden. Sein Vater habe ihm das mitgeteilt. Er habe seine Frau angerufen und sie hätten beschlossen auszureisen.

In Österreich hätten sie bereits in Innsbruck und dann an den weiteren Wohnorten die katholische Kirche besucht. Er besuche jetzt mit seiner Frau die Taufvorbereitung.

Mit dem bekämpften Bescheid wurden die Anträge beider BF auf internationalen Schutz betreffend Asyl und Subsidiärschutz abgewiesen, kein Aufenthaltstitel erteilt, Rückkehrentscheidungen erlassen und die Zulässigkeit der Abschiebung in den Iran festgestellt.

Die Identitäten beider BF wurden als feststehend erkannt. Eine Konversion des BF1 sei nicht glaubhaft. Der BF habe im Laufe des Verfahrens seinen Fluchtgrund massiv gesteigert. Der BF1 habe die Behörde nicht davon überzeugen können, aus innerer Überzeugung konvertiert zu sein.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die mit jener der BF2 verbundene ausführliche Beschwerde mit dem primären Antrag, dem BF1 Asyl zu gewähren.

Folgender Sachverhalt wird festgestellt:

Der BF1 ist Lor und im schiitisch-islamischen Glauben in Esfahan aufgewachsen. Er war nach dem Schulabschluss sowohl in einer Limonadenerzeugung als auch als Handyverkäufer beruflich tätig. Er heiratete unter nicht näher feststellbaren Umständen am 02.09.2015 vor dem öffentlichen Notariat Esfahan (siehe Scheidungsbeschluss des BG Gänserndorf) die BF2.

Nicht festgestellt werden konnte, dass der BF1 bereits im Iran durch Freunde einen relevanten Kontakt zu Christen erlangte, Hauskirchen besuchte und idZ eine behördliche Verfolgung erfolgte, die einen Anlass zur Ausreise gegeben hätte.

In Österreich gelangte der BF1 nach kurzer Zeit in Innsbruck, wo er bereits einige Male mit der BF2 eine katholische Kirche besuchte, von Juli 2016 bis Oktober 2017 nach XXXX , von Oktober 2017 bis April 2018 nach XXXX und im April 2018 bis heute nach XXXX . Sowohl in XXXX , in XXXX , als auch in XXXX erlangten beide BF nahen Kontakt zu den katholischen Pfarrgemeinden, dies über eigene Initiative, absolvierten in XXXX eine Taufvorbereitung und ließen sich am 07.08.2017 durch den dortigen Pfarrmoderator XXXX taufen. Für den BF1 fungierte XXXX als Taufpate, für die BF2 XXXX .

Es ist glaubhaft, dass der BF1 zwischenzeitlich soweit den christlichen Glauben angenommen hat, dass er auch im Falle geänderter Verhältnisse, wie einer Rückkehr in den Iran, das Bedürfnis hätte, diesen innerlich und äußerlich auszuüben.

Der BF1 und die BF2 leben derzeit nach ihrer Scheidung weiterhin im guten Einvernehmen in der gleichen Wohnung. Der BF1 ist nach einer zeitweisen Selbstständigkeit im Kleintransportgewerbe derzeit wieder in Grundversorgung, macht die Ausbildung zum Rettungssanitäter beim Roten Kreuz und ist dort ehrenamtliches Mitglied. Er bestand das ÖSD-Zertifikat B2 im Dezember 2019. Er ist in Österreich unbescholten.

Beweiswürdigung

Die Äußerlichen Umstände des Herkommens des BF1 im Iran beruhen auf dessen glaubwürdiger Aussage.

Betreffend eine relevante christliche Vorprägung im Iran waren die Angaben des BF1 im Verlauf und im Vergleich mit dem Vorprotokoll teilweise widersprüchlich und unplausibel.

Die etwa 4-jährige ununterbrochene Zugehörigkeit zur katholischen Kirche an den jeweiligen Wohnorten erschließt sich insbesondere aufgrund der sehr ausführlichen Stellungnahme des damaligen Dechants von XXXX , Mag. XXXX (AS 285 ff.) und dessen ausführlicher Vernehmung als Zeuge vor Gericht. Sie ist durch zahlreiche weitere vorgelegte Unterstützungs- und Bestätigungsschreiben untermauert. Persönliches Glaubenswissen und eine Motivation des Glaubenswechsels kam auch im Rahmen der Parteienvernehmung des BF1 hervor. Der Zeuge Mag. XXXX kennt beide BF glaubhaft über einen längeren Zeitraum und ist nach wie vor mit diesen in Kontakt. Seine Einschätzung betreffend der Ehrlichkeit der Glaubensüberzeugung war von merkbar persönlicher Kenntnis der BF getragen. Das Gericht hat keinen Grund, daran zu zweifeln.

Die Feststellungen zur Integration beruhen auf den vorliegenden Urkunden.

Rechtlich folgt:

Nach Ansicht des VfGH erfordert die Beachtung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Glaubens- und Gewissensfreiheit im Asylverfahren im konkreten Fall die Widerlegung, dass ein Religionswechsel aus innerer Überzeugung erfolgt ist, sobald aufgrund äußerer Tatsachen ein Wechsel der Religion aus innerer Überzeugung nicht unwahrscheinlich ist.

Die unzweifelhaft vorliegenden Umstände der Taufe und der etwa 4 Jahre umfassenden Aktivität der BF in katholischen Pfarrgemeinden mit Mitarbeit und individuellen Kontakten mit Gemeindemitgliedern, begründen solche äußere Tatsachen. Selbst angesichts der nicht feststellbaren christlichen Vorprägung im Iran kamen keine Umstände hervor, die diese Umstände widerlegt hätten.

Die belangte Behörde hat von ihrer Möglichkeit, den bekämpften Bescheid im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu verteidigen, nicht Gebrauch gemacht.

Vor dem Hintergrund der Situation im Iran begründet eine innere Konversion zum christlichen Glauben für Muslime einen Asylgrund, wobei es sich in konkreto um einen Nachfluchtgrund handelt.

Der Ausspruch der Unzulässigkeit der Revision folgt dem Einzelfallcharakter der Entscheidung.

Eine Ausfertigung des Erkenntnisses wurde innerhalb der Frist des § 29 Abs. 4 VwGVG nicht beantragt. Die Ausfertigung konnte daher gemäß § 29 Abs 5 VwGVG in gekürzter Form erfolgen.

Schlagworte

Asylgewährung gekürzte Ausfertigung Konversion Nachfluchtgründe Religion

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W274.2197539.1.00

Im RIS seit

08.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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