TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/4 W117 2132141-1

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Veröffentlicht am 04.12.2020
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Entscheidungsdatum

04.12.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W117 2132141-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Andreas Druckenthaner über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Georgien, vertreten durch den Verein Menschenrechte, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.07.2016, Zl. 1087837400/151384055, nach mündlicher Verhandlung am 24.06.2019 zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. und II. wird gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 idgF. als unbegründet abgewiesen.

II. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBI I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, ist gemäß § 9 Abs. 3 1. Satz BFA Verfahrensgesetz, BGBI I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, auf Dauer unzulässig. Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt.

III. Die übrigen Spruchteile des Bescheides werden gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG ersatzlos behoben.

IV. Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein georgischer Staatsangehöriger griechisch-orthodoxen Glaubens, stellte am 18.09.2015 gemeinsam mit seinem minderjährigen Sohn (Beschwerdeführer zu W117 2132139-1) den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag wurde er von einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes unter Zuziehung eines Dolmetschers zum Antrag auf internationalen Schutz niederschriftlich erstbefragt. Als Fluchtgrund brachte er vor, dass ihm eines Abends zu Hause von drei Männern aufgelauert worden sei, weil er als Mitglied der Partei „Freie Zone“ an sehr vielen Protesten gegen die nunmehrige Regierung teilgenommen habe. Sie hätten ihn aufgefordert, nicht mehr an solchen Demonstrationen teilzunehmen und ihn mit einem stumpfen Gegenstand auf den Kopf geschlagen. Außerdem habe er erfahren, dass ihm sein Sohn weggenommen hätte werden sollen. Die Polizei habe ihm nicht geglaubt. Nachweise habe er nicht. Er habe sich bereits 2013 in Polen und Deutschland aufgehalten und Asyl beantragt, ehe er am 19.05.2015 wieder nach Georgien zurückgekehrt sei. Er legte einen georgischen Personalausweis vor und gab an, dass sein älterer Bruder ( XXXX , geb. XXXX ) in Österreich mit einem Arbeitsvisum als Arzt tätig sei. Seine Eltern und seine beiden jüngeren Kinder würden noch in Georgien leben.

Am 24.06.2016 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch einen Organwalter der Verwaltungsbehörde unter Zuziehung eines Dolmetschers für die Sprache Georgisch. Nach seinen Angaben wurde er im XXXX von XXXX , geb. XXXX , geschieden. Er habe insgesamt drei Kinder. Wegen eines Schädeltraumas im Jahr 2015 wolle er demnächst einen Neurologen aufsuchen. Er legte einen georgischen Befund vom 28.07.2015 samt Übersetzung vor, wonach er wegen „S02.0 Schädelfraktur Ventils, S06.3 fokale Gehirntraume, Prellung“ infolge eines Sturzes im Juli 2015 stationär im Krankenhaus behandelt wurde. Medikamente nehme er nicht. Er stamme aus XXXX und habe dort im Haus seiner Eltern mit diesen, seiner Großmutter und seiner Familie gelebt. Sein Bruder lebe in Österreich. Seine geschiedene Frau lebe vermutlich noch in Georgien, seine beiden jüngeren Kinder habe sie im Kinderheim gelassen. Sein Reisepass befinde sich in Polen. Er sei in Georgien von 2005 bis 2015 nur Anhänger der Partei „Freie Zone“ gewesen, kein Mitglied. Er habe keine Funktion innegehabt, er habe bei verschiedenen Demonstrationen insbesondere gegen die Kriminalität in Georgien protestiert. Er habe 11 Jahre die Schule besucht und die Matura erlangt; eine weitere Ausbildung habe er nicht. In Georgien habe er in einem Geschäft tonnenweise Gemüse verkauft. Finanzielle Probleme habe er nicht gehabt. Er habe 2013 in Deutschland Asyl beantragt und eine negative Entscheidung erhalten. Zu seinen Fluchtgründen brachte er vor, dass er von Kriminellen um Schutzgeld erpresst worden sei. Die Kriminalität habe seit dem Regierungswechsel in Georgien zugenommen, weshalb er Anhänger der Partei „Freie Zone“ gewesen sei. Er sei im Sommer 2015 von Kriminellen bedroht worden. Er habe sich oft an die Polizei gewendet und elf Anzeigen erstattet, welche ohne Reaktion geblieben seien. Er sei von den Kriminellen damit bedroht worden, dass sein Sohn als Geisel genommen werde. Es habe dann einen Übergriff auf ihn gegen ein Uhr in der Nacht gegeben. Er wisse nicht, ob er von Kriminellen oder den von ihm der Zusammenarbeit mit Kriminellen beschuldigten Polizisten überfallen worden sei. Er habe das Gefühl bekommen, unbeschützt zu sein und denke, dass es für ihn und seinen Sohn in Georgien gefährlich sei. Auf Nachfrage brachte er ergänzend vor, dass ihm die Angreifer gedroht hätten, er solle nicht weiter an Demonstrationen gegen die Zusammenarbeit von Polizei und Kriminellen teilnehmen. Er sei von den Angreifern danach mit Gummistöcken geschlagen worden. Er sei anschließend mit dem Rettungswagen in die Klinik gebracht worden. Im Befund des Krankenhauses sei fälschlicherweise von einem Sturz die Rede, weil die Polizei dies so angegeben habe. Er selbst sei erst später von der Polizei dazu befragt worden. Er sei von XXXX in Begleitung zweier weiterer Personen unter Vorhalt einer Pistole um Schutzgeldzahlungen von monatlich 1.400.- Euro erpresst und bespuckt worden, weil er in XXXX auf einem Marktstand Gemüse verkaufen habe lassen. Sie hätten ihm auch gedroht, seinen Sohn als Geisel zu nehmen, weshalb er 11 Anzeigen bei der Polizei erstattet habe. Dies sei von 25.06.2015 bis zu seiner Ausreise der Fall und der Grund für seine Ausreise gewesen – die Schutzgelderpressung und die Angst um das Leben seines Sohnes. Er könne sich in Georgien nicht verstecken und sein Kind wegen den Kriminellen auch nicht in den Kindergarten bringen. Er habe schon einmal in XXXX aufgeben müssen. Er werde zurückkehren, wenn es in Georgien keine Kriminalität mehr gebe. Er verzichtete auf die Länderfeststellungen, weil er sie nicht glaube, ebenso wenig wie er an die georgische Regierung und die Polizei glaube. In Österreich lebe er von der Grundversorgung. Sein Bruder habe in Österreich ein Arbeitsvisum. Der Beschwerdeführer besuche Deutschkurse, habe sich gut eingelebt und Bekannte und Freunde. Mitglied in einem Verein oder einer Organisation sei er nicht. In seiner Freizeit sei er mit seinem Sohn beschäftigt (Fahrrad fahren, Spielplatz, Ausflüge zum Fluss). Für seinen Sohn legte er eine georgische Geburtsurkunde vor. Sein Sohn sei gesund. Sein Sohn habe in Georgien bereits den Kindergarten besucht. Das Leben seines Sohnes sei in Georgien in Gefahr gewesen, dies sei sein Fluchtgrund. Abschließend brachte der Beschwerdeführer vor, dass seine Ex-Frau zusammen mit ihrem kriminellen Liebhaber versucht habe, ihn finanziell zu ruinieren, und er glaube, dass sie auch daran schuld sei, dass ihm ein Trauma zugefügt worden sei. Den Dolmetscher habe er einwandfrei verstanden. Er spreche auch noch Russisch.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen, dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 kein subsidiärer Schutz in Bezug auf den Herkunftsstaat zuerkannt und ihm ein Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Herkunftsstaat zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Das Bundesamt stellte die Identität des Beschwerdeführers fest und ging davon aus, dass der Beschwerdeführer keine besonderen Bindungen zu Österreich habe, zumal er hier nicht erwerbstätig und damit nicht selbsterhaltungsfähig sei und auch nicht über ein anderes Aufenthaltsrecht verfüge, demgegenüber jedoch im Herkunftsland noch seine Eltern, Großeltern und zwei seiner Kinder lebten. Eine lebensbedrohliche Erkrankung des Beschwerdeführers wurde nicht festgestellt. Eine Gefährdung oder Verfolgung im Herkunftsland habe ebenfalls nicht festgestellt werden können. Angesichts seiner Arbeitsfähigkeit werde er bei einer Rückkehr auch nicht in eine aussichtslose Lage geraten. Er habe elf Jahre die Schule besucht und die Matura erlangt sowie in ein Gemüsegeschäft betrieben. Er sei geschieden und habe insgesamt drei Kinder. Er stamme aus XXXX . Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es bleibe in erster Linie ungeklärt, warum er im Krankenhaus einen „falschen Befund“ erhalten habe, welcher einen Sturz als Ursache seines Traumas ausweise und keinen Übergriff mit Gummistöcken. Es erscheine nicht glaubwürdig, dass dies entgegen seinen Angaben von der Polizei so vermerkt worden sei. Aus der Übersetzung gehe nämlich hervor, dass der Befund vom Krankenhaus ausgestellt worden sei, in dem er vom 22.07.2015 bis 27.07.2015 aufhältig gewesen sei, und werde die Polizei darin nicht genannt. Auch habe er am 24.06.2016 (Seite 9 des Protokolls) zum Zeitpunkt, an dem die Befragung durch die Polizei stattgefunden habe, widersprüchliche Angaben gemacht. Auch sei befremdlich, dass er anlässlich seiner Erstbefragung angegeben habe, mit einem stumpfen Gegenstand geschlagen worden zu sein, dies jedoch bei der Einvernahme dahingehend präzisiert habe, dass er mit Gummistöcken geschlagen worden sei und die Aussage anlässlich der Erstbefragung nicht richtig sei. Ebenso habe er bei der Erstbefragung angegeben, Mitglied der Partei „Freie Zone“ zu sein, habe aber bei seiner Einvernahme ausdrücklich nur von einer Anhängerschaft gesprochen. Während er bei der Erstbefragung seine Parteimitgliedschaft als Grund für seine behauptete Verfolgung genannt habe, habe er anlässlich seiner Einvernahme die kriminelle Erpressung von Schutzgeld für sein Geschäft als Grund für seine Bedrohung angegeben. Die Angreifer seien nach seinen Angaben zunächst Kriminelle gewesen, welche er später als Regierungsbeamte bzw. Polizeibeamte bezeichnet habe. Letztlich habe er seine Angaben revidiert und angegeben, dass seine Exfrau zusammen mit ihrem kriminellen Liebhaber versucht habe, ihn finanziell zu ruinieren, und Schuld an seinem Trauma sei. Das Bundesamt ging demzufolge davon aus, dass die geschilderten Ereignisse erfunden waren. Auch die von ihm behauptete Bedrohung seines Sohnes habe er somit nicht glaubhaft darlegen können. Rechtlich wurde ausgeführt, dass er keine Verfolgung aus den in der GFK genannten Gründen vorgebracht habe. Es sei aber auch nicht glaubhaft, dass er in Georgien einer Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt sei. Die in Georgien bestehende wirtschaftlich schwierige Situation stelle keine lebensbedrohliche Notlage, welche die reale Gefahr einer unmenschlichen Behandlung iSd Art. 3 EMRK indiziere, dar. Auch aus der allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation sowie der allgemeinen Sicherheitslage in Georgien ergebe sich derartiges nicht. Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz lägen nicht vor. Seine Ausweisung stelle keinen Eingriff in sein Familienleben dar. Angesichts des offensichtlich unbegründeten Antrags, seines erst kurzen Aufenthalts im Bundesgebiet und dem Fehlen irgendwelcher Integrationsaspekte würden die öffentlichen Interessen an der Beendigung seines Aufenthalts im Bundesgebiet seine privaten Interessen an der Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens im Bundesgebiet überwiegen. Seine Ausweisung sei nicht unzulässig im Sinne von Art. 8 EMRK. Eine Gefährdung im Sinne von § 50 FPG liege nicht vor. Die Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 FPG sei mangels Gründen zu Recht mit 14 Tagen ab Rechtskraft des Bescheides festgesetzt worden.

Mit Schreiben vom 27.07.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

Gegen den genannten Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen bevollmächtigten Vertreter mit Schriftsatz vom 05.08.2016 innerhalb offener Frist Beschwerde. Darin wurde die Beweiswürdigung bekämpft sowie ausgeführt, dass auch eine nichtstaatliche Verfolgung asylrelevant sei, wenn der Heimatstaat nicht willens oder in der Lage sei, den Betroffenen vor Verfolgung durch private Dritte zu schützen. Zudem hätten sich die Beschwerdeführer trotz ihres kurzen Aufenthalts in Österreich bereits bemerkenswert gut integriert (Freude, Deutschkenntnisse, freiwillige Aktivitäten, Integrationswille). Es wurde ua. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Am 24.06.2019 fand beim Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer (BF1) und seine drei minderjährigen Kinder (BF2 bis BF4) vertreten durch den Beschwerdeführer und dessen Vertreter sowie eine Vertrauensperson teilnahmen. Ein Vertreter der Behörde ist nicht erschienen. Diese Verhandlung nahm entscheidungswesentlich folgenden Verlauf:

„(…)

R: Sie haben Ihre Angaben in deutscher Sprache getätigt. Welche Kurse haben Sie abgeschlossen?

BF1 (auf Deutsch): Leider habe ich nicht so viel Zeit. Ich habe die B1-Prüfung gemacht.

BF: Ich habe die BF1-Prüfung gemacht, weiß aber aktuell noch nicht, ob ich sie bestanden habe.

BF1 legt eine Bestätigung der Volkshochschule XXXX über die Ablegung einer entsprechenden Prüfung vor. Es lägen aber noch keine Prüfungsergebnisse vor.

BF1: Ich habe 2015 in XXXX schon A1 gemacht und habe mir gleich B1 zugetraut und deswegen B1 gemacht. Ich bin sicher, dass ich die Prüfung geschafft habe.

Dem BF1 wird aufgetragen, innerhalb von zwei Wochen den Nachweis über B1 vorzulegen.

RI: Haben Sie irgendwie in der Zwischenzeit etwas gearbeitet und sei es nur im Rahmen der Möglichkeiten von Asylwerbern?

BF1: Ich habe freiwillig beim Schneeschaufeln geholfen und im Sommer mache ich Gartenarbeit. Das mache ich in XXXX . Ich wohne aktuell in einem Privathaus und zwar gegenüber jenen Vertrauenspersonen, die auch im Gerichtssaal anwesend sind.

Ich lege einen entsprechenden Mietvertrag vor.

Der Mietvertrag wird in Kopie zum Akt genommen.

Ich bekomme aus der Grundversorgung 815 EUR für uns alle und davon zahle ich die Miete. Meine Mutter wohnt in Griechenland und zahlt zwischen 50 und 100 EUR pro Monat nach Österreich. Mein Bruder wohnt in Salzburg, er ist Neurologe, und heißt XXXX , geboren am XXXX . Er arbeitet seit zehn Jahren in Österreich.

Mein Bruder hat folgende Telefonnummer: XXXX

Mein Bruder schickt manchmal 100, manchmal 150 EUR, dann schickt er mir ein Guthaben für das Handy und überweist auch immer wieder Geld auf mein Konto.

RI: Wie oft haben Sie mit dem Bruder Kontakt?

BF1: Meist haben wir Kontakt über Internet. Er hat leider nicht so viel Zeit, aber eigentlich alle drei Monate haben wir auch persönlichen Kontakt.

RI: Was habe Sie für eine Ausbildung?

BF1: Ich habe in Georgien als Autoservicemanager gearbeitet. Ich war auch für mein Land zweimal im Krieg. Ich war aber auch Gemüse-/Obsthändler.

RI: Warum haben Sie Ihre offizielle Arbeit Autoservicemanager nicht schon bei der Verwaltungsbehörde angegeben?

BF1: Ich hatte damals großen Stress, weil ich zusammengeschlagen wurde. Vier oder fünf Personen haben mich geschlagen. Ich habe 2009, 2010, 2011 als Autoservicemanager gearbeitet und ich habe auch gute Erfahrungen als Automechaniker. Ich habe elf Jahre die Schule besucht und das war es dann. Dann habe ich Automechaniker gelernt und war dann eben Autoservicemanager.

(…)

RI: Was haben Sie sonst noch gemacht, außer diesen Gelegenheitsarbeiten, sind Sie irgendwo sozial engagiert? Wie kann ich mir Ihren Alltag vorstellen?

BF1: In XXXX gibt es eine „Tafel“ – Lebensmittelversorgung für Arme – und dort helfe ich mit. Ich mache das gerne und natürlich bekomme ich Lebensmittel. Ich mache das jeden Samstag. Wenn die Schule von XXXX einen Ausflug macht, engagiere ich mich auch und stelle mich als Begleitperson zur Verfügung.

BF1 legt auch noch die Teilnahmebestätigung am Werte- und Orientierungskurs des österreichischen Integrationsfonds vor, im Original. Diese wird nach Einsichtnahme wieder retourniert.

BF1: Meine Situation ist schlecht, weil ich Alleinerzieher für meine drei Kinder bin.

RI: Was machen Ihre drei Kinder?

BF2: Ich gehe in die 1C der Volksschule in XXXX ; dem BF1 wird aufgetragen, das Zeugnis des BF2 innerhalb von zwei Wochen vorzulegen; In Deutsch bekomme ich eine 2, in Rechnen bekomme ich eine 1. Wenn ich nicht in die Schule gehe, spiele ich Fußball, ab September bin ich im Fußballverein XXXX eingeschrieben;

BF1: Die zwei anderen Kinder sind im Kindergarten XXXX . Die Kinder können alle nicht Georgisch. Die kleinen Kinder am 24.12.2017 gekommen.

RI: Wer hat Ihnen die Kinder gebracht?

BF1: Meine Ex-Frau hatte mir die Kinder gebracht und ist dann wieder nach Hause gefahren. Sie überließ mir die Kinder mit den Worten: „Ich kann mich nicht um die kümmern. Ich habe keine Arbeit, kein Haus und nichts.“ Die kleinen Kinder kommen vom Kindergarten XXXX in den Stadtkindergarten von XXXX im Herbst dieses Jahres.

RI: Haben Sie außer Ihrem Bruder sonst noch Verwandte in Österreich?

BF1: Nein.

RI: Welche Verwandten von Ihnen leben noch in Georgien?

BF1: Ich habe eigentlich nur noch eine Oma in Georgien, die ist 86 Jahre alt. Meine Mutter lebt in Griechenland. In Bezug auf meinen Vater hatte ich als letzte Info, dass er nach Russland gegangen ist. Ich habe nur einen Bruder und der ist in Österreich.

BF2: Nach der Schule gehe ich in den Hort bis 16:00 Uhr. Dort lerne ich die Sprache noch besser.

BF1: Das bezahlt die Jugendwohlfahrt. Die Jugendwohlfahrt ist auch bereit, ab September dies weiter zu bezahlen. Der Kindergarten für die Kleinen ist halbtags und nachmittags sind sie in meiner Obhut und beschäftige ich mich mit ihnen. Ich sorge für sie, mit Waschen, Kochen und eben Kinderbetreuung. Ich versuche, mit ihnen auch zu lernen, zum Beispiel Deutsch und ich mache natürlich auch viele Spiele mit ihnen.

Festgehalten wird, dass der BF1 mit zwei Vertrauenspersonen erschienen ist. Diese geben ihre Personalien wie folgt bekannt: XXXX (VP1), geboren XXXX , Pensionistin, manchmal „Leihoma“ und ich und mein Lebensgefährte, XXXX (VP2), geboren XXXX , Vollzeit Rettungssanitäter beim Roten Kreuz, beide wohnhaft in XXXX , genau vis-á-vis von der Familie des BF1.

VP1: Ich kenne den BF1, seitdem er in XXXX untergebracht. Ich war ehrenamtliche Mitarbeiterin im Flüchtlingsheim XXXX und habe dort die Kinderbetreuung übriggehabt und da habe ich den BF1 und seinen Sohn (BF2) kennengelernt. Die beiden waren die einzigen, die immer in dieser Kindergruppe anwesend und der BF1 war der einzige, der immer mitgeholfen hat. Es gab nämlich in dem Flüchtlingsheim 30-40 Kinder. Das war natürlich eine Herausforderung, aber der BF1 hat das mit mir immer super gemeistert. Es War ja nicht einfach, 20 ausländische, ohne jede Sprachkenntnisse, zusammenzuhalten und mit der Gruppe irgendetwas Sinnvolles zu entnehmen. Wir haben gebastelt, gezeichnet und der BF1 hatte sich immer mit der gesamten Gruppe auch sehr engagiert, beispielsweise beim Fußball. Beim Fußball engagiert er sich auch jetzt.

RI: Wenn Sie dableiben könnten, was würden Sie dann arbeiten? Wie würde Ihr Leben hier aussehen?

BF1: Zum Beispiel habe ich schon einen Brief von einer Firma, wo ich arbeiten könnte.

BF1 legt eine mögliche Einstellungszusage der Firma XXXX vor. Ich würde dort als Elektriker-Helfer arbeiten.

VP1: Eventuell könnte er auch als Buschauffeur für Kindergartenbusse tätig sein, weil da braucht er keinen Führerschein für Busse, sondern kann mit der Gruppe B fahren; In Georgien hatte er den B-Führerschein. Wenn er dann arbeiten könnte, würden wir, VP1 und VP2, schauen, dass die Kinder auch nachtmittags betreut werden würden. Im Krankheitsfall würden sogar wir uns um die Kinder kümmern.

RI: Kommen wir zur Frage des subsidiären Schutzes und des Asyls.

[…]

Festgehalten wird, dass nach Ansicht des zuständigen Einzelrichters in der Beschwerde, Asyl und subsidiären Schutz betreffend, den Ausführungen der Verwaltungsbehörde im erstinstanzlichen negativen Bescheid nicht wirklich entgegengetreten wird und die diesbezügliche Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde unpräjudiziell angemerkt nicht unschlüssig erscheint. Im Übrigen ist Georgien ein sicherer Herkunftsstaat.

Verlesen wird das aktuelle Länderdokumentationsmaterial des Auswärtigen Amtes und der Staatendokumentation und bekanntgegeben, dass diese als Grundlage dienen.

BF1: Ich habe alles gesagt, was zu sagen war.

(…)

Festgehalten wird, dass die Verhandlung in deutscher Sprache durchgeführt wurde, der BF1 sämtliche Antworten in nachvollziehbarem Deutsch abgegeben hat.

RV bringt dazu vor, dass dies auch die Beantwortung komplexer Fragen betraf.

(…)

Vorbehaltlich des Einlangens der Stellungnahme und der Beweismittel innerhalb von zwei Wochen, gerechnet ab dem Zeitpunkt dieser Verhandlung, erfolgt der Schluss des Beweisverfahrens.“

In der am 02.07.2019 eingelangten Stellungnahme führte der Vertreter des Beschwerdeführers aus, dass der – bis auf einen mehrmonatigen Aufenthalt in Deutschland seit September 2015 in Österreich aufhältige – älteste Sohn des Beschwerdeführers sein erstes Volksschuljahr mit sehr guten Noten abgeschlossen habe und auch seine seit Dezember 2018 ebenfalls in Österreich wohnhaften Zwillingsgeschwister auf Grund ihres Kindergartenbesuchs in Österreich schon derart gut verankert seien, dass eine Abschiebung ins Herkunftsland ihren weiteren menschlichen Werdegang beeinträchtigen würde. Nach der höchstgerichtlichen Judikatur (VfSlg 16.657/2002; VwGH 19.10.1999, 99/18/0342 ua.) werde bei Kindern häufig schon eine kürzere Zeit als bei Erwachsenen ausreichen, um eine Verwurzelung im Gastland festzustellen. Der Beschwerdeführer selbst spreche Deutsch auf dem Niveau B1 und habe bereits eine Einstellungszusage vorgelegt. Bis auf die beinahe 90-jährige Großmutter des Beschwerdeführers seien keine Verwandten mehr in Georgien aufhältig. Der Bruder des Beschwerdeführers lebe in Österreich und die Bindung seiner Kinder zu Georgien sei als äußerst schwach zu bezeichnen. Der Beschwerdeführer sei unbescholten. Die Beschwerdeführer hätten sich ein soziales Netzwerk in Österreich aufgebaut. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die Interessensabwägung gemäß Art. 8 EMRK somit zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfallen müssen.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 13.12.2029, 1 Ps 194/ 19a-5, wurde dem Beschwerdeführer die Obsorge über seine Kinder übertragen.

In einem abschließenden Parteiengehör vom 17.08.2020 wurde dem Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Person und seiner Kinder die Gelegenheit gegeben, sich abschließend zu äußern.

Mit Schreiben der Rechtsvertretung legte der Beschwerdeführer sämtliche Zeugnisse seiner schulpflichtigen Kinder vor und wies darauf hin, dass das jüngste Kind noch in den Kindergarten ginge und deshalb keine Zeugnisse vorgelegt werden könnten.

Vorgelegt wurden auch eine Stellungnahme einer Klassenlehrerin aus XXXX , die dem Beschwerdeführer ein ausgezeichnetes Zeugnis als alleinerziehenden Vater bescheinigt sowie bestätigt, dass er als elterliche Begleitperson bei schulischen Ausflügen und Veranstaltungen fungiert; weiters eine persönliche Unterstützungserklärung der Besitzerin eines niederösterreichischen Übersetzungsbüros, die sowohl dem Beschwerdeführer als auch den Kindern hervorragende Deutschkenntnisse und wiederum dem Beschwerdeführer dessen vorbildliches Erfüllen seiner Alleinerzieheraufgaben bescheinigen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Sachverhalt:

Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Georgiens und orthodoxen Glaubens. Seine Identität steht fest. Das Vorliegen einer Verfolgungs- oder sonstigen Bedrohungssituation im Herkunftsstaat kann nicht festgestellt werden und besteht daher eine solche auch im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht.

Er reiste im September 2015 gemeinsam mit seinem ältesten Sohn (Beschwerdeführer W117 2132139-1) nach Österreich ein und stellte am 18.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Seit Dezember 2017 leben auch seine beiden jüngeren Kinder (Beschwerdeführer W117 2192526-1 und Beschwerdeführerin W117 2192524-1) nach Einreise als Asylwerber im österreichischen Bundesgebiet. Im Herkunftsstaat lebt nur noch die Großmutter des Beschwerdeführers. Seine Mutter lebt in Griechenland, sein Vater und seine geschiedene Frau leben in Russland und sein Bruder arbeitet seit 10 Jahren als Neurologe in Österreich. Der Beschwerdeführer ist gesund. Er absolvierte im Herkunftsstaat seine elfjährige Schulausbildung samt Matura und erlernte den Beruf eines Automechanikers. Er verfügt auch über Berufserfahrung als Autoservicemanager und Gemüsehändler.

Er lebt seit seiner Antragstellung im September 2015 als Asylwerber im österreichischen Bundesgebiet; aktuell mit allen seinen drei minderjährigen Kindern im gemeinsamen Haushalt.

Der Beschwerdeführer hat bereits Deutschkurse besucht und am 08.06.2019 die Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 abgelegt, betreut jedoch derzeit ausschließlich seine drei minderjährigen Kinder und geht aktuell – auch aufgrund der entsprechenden Rechtslage – noch keiner Erwerbstätigkeit nach. Er pflegt laufend Kontakt zu seinem in Österreich als Neurologen tätigen Bruder, welcher ihn auch finanziell regelmäßig unterstützt. Er hat aber glaubwürdig vorgebracht, zusätzlich bereits über eine Einstellungszusage als Elektrikerhelfer zu verfügen. Auch könnte er künftig als Chauffeur tätig sein.

Der Beschwerdeführer wird insbesondere von jener Volksschule, welche seine schulpflichtigen Kinder besuchen, als vorbildlicher alleinerziehender Vater beurteilt, der auch als Begleitperson für schulische Ausflüge und Veranstaltungen eingesetzt wird.

Darüber hinaus hat er auch bereits intensive Kontakte zu österreichischen Staatsbürgern geknüpft und sich in der Wohngemeinde bereits intensiv ehrenamtlich (Tätigkeit bei der Lebensmittelversorgung für Bedürftige, Gartenarbeit, Schneeschaufeln, Kinderbetreuung im Asylwerberheim) betätigt.

Der Beschwerdeführer ist unbescholten.

Zur Situation im Herkunftsstaat:


1.         Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

KI vom 11.12.2018, Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt: 2. Politische Lage

Die ehemalige Außenministerin Salome Zurabishvili wurde am 28.11.2018 zur Präsidentin des Landes gewählt. Offiziell als unabhängige Kandidatin, jedoch unterstützt von der Regierungspartei „Georgischer Traum“, setzte sie sich in der Stichwahl mit fast 60% gegen ihren Konkurrenten Grigol Vashadze durch, welcher insbesondere von der oppositionellen Vereinigten Nationalen Bewegung von Ex-Präsident Saakashvili unterstützt wurde (FAZ 29.11.2018; vgl. CW 29.11.2018). Die OSZE beurteilte den Wahlgang als kompetitiv und gut administriert, wobei der Wahlkampf von einer scharfen Rhetorik und Demonstrationen begleitet war. Hauptkritikpunkte waren allerdings die einseitige Verwendung staatlicher Verwaltungsressourcen sowie die Berichterstattung des öffentlichen Rundfunks zugunsten von Zurabishvili (OSCE/ODIHR 29.11.2018). Am 1.12.2018 demonstrierten rund 25.000 Menschen in Tiflis und warfen der von der Regierungspartei unterstützten neuen Präsidentin Zurabishvili Wahlbetrug vor. Gemeinsam mit dem unterlegenen Kandidaten Vashadze und dem im Exil lebenden Ex-Präsidenten Saakashvili forderten sie vorgezogene Parlamentswahlen (Standard 2.12.2018).

Quellen:

?        CW - Caucasus Watch (29.11.2018): Surabischwili gewinnt Wahl: Georgien bekommt erstmals eine Präsidentin, http://caucasuswatch.de/news/1190.html, Zugriff 11.12.2018

?        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (29.11.2018): Georgien bekommt eine Präsidentin, https://www.faz.net/aktuell/salome-surabischwili-wird-neue-praesidentin-in-georgien-15915289.html, Zugriff 11.12.2018

?        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, European Parliament, OSCE Parliamentary Assembly, Parliamentary Assembly of the Council of Europe (30.10.2016): International Election Observation Mission, Georgia – Presidential Election, Second Round, 28 November 2018 - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, Preliminary Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/georgia/404642?download=true, Zugriff 11.12.2018

?        Der Standard (2.12.2018): 25.000 Georgier wegen angeblichen Wahlbetrugs auf den Straßen – derstandard.at/2000092965067/25-000-Georgier-wegen-angeblichen-Wahlbetrugs-auf-den-Strassen, https://derstandard.at/2000092965067/25-000-Georgier-wegen-angeblichen-Wahlbetrugs-auf-den-Strassen?ref=rec, Zugriff 11.12.2018

KI vom 25.6.2018, Regierungsumbildung (relevant für Abschnitt: 2. Politische Lage).

Am 13.6.2018 erklärte Premierminister Giorgi Kvirikashvili seinen Rücktritt. Als Grund wurden Meinungsverschiedenheiten mit dem Parteivorsitzenden Ivanishvili genannt, der am 11.5.2018 das Amt des Parteivorsitzenden des „Georgischen Traums“ von Kvirikashvili übernommen hatte und damit in die Politik Georgiens zurückgekehrt war. Begleitet war Kvirikashvilis Rücktritt zudem von Massenprotesten (RFE/RL 20.1.2018, vgl. civil.ge 20.6.2018).

Das georgische Parlament hat am 20.6.2018 den bisherigen Finanzminister Mamuka Bakhtadze zum neuen Premierminister von Georgien gewählt und das von ihm vorgeschlagene Kabinett als Übergangsregierung bestätigt. Die parlamentarische Opposition blieb der Abstimmung geschlossen fern. Aus den eigenen Reihen erhielt Bakhtadze sechs Gegenstimmen, bei 99 Ja-Stimmen. Bakhtadze kündigte an, dass das neue Kabinett geschlossen an einem Neuzuschnitt einiger Ressorts und damit auch einer Verringerung der Zahl der Ministerien arbeiten werde (GA 21.6.2018, vgl. RFE/RL 20.6.2018). Überdies betonte Bakhtadze, dass er die Bestrebungen nach einer Mitgliedschaft sowohl in der NATO als auch der EU fortsetzen werde (RFE/RL 20.6.2018).

Quellen:

?        Civil.ge (20.6.2018): Bakhtadze’s Cabinet Wins Confidence, https://civil.ge/archives/244788, Zugriff 25.6.2018

?        GA - Georgien aktuell (21.6.2018): Mamuka Bakhtadze zum Premierminister von Georgien gewählt, http://georgien-aktuell.info/de/politik/article/13762-premierminister, Zugriff 25.6.2018

?        RFE/RL – Radion Free Europe/Radio Liberty (20.1.2018): Georgian Parliament Approves Bakhtadze As Prime Minister, https://www.rferl.org/a/georgia-parliament-approves-bakhtadze-as-prime-minister/29307191.html, Zugriff 25.6.2018
2.         Politische Lage

Im Jahr 2017 begann Georgien mit einer grundlegenden Reform der Verfassung, mit welcher der Übergang von einem gemischten zu einem parlamentarischen System abgeschlossen wurde. Die Reform, die insgesamt positiv von der Venediger-Kommission des Europarates bewertet wurde, zielt darauf ab, die verfassungsmäßige Ordnung des Landes zu festigen, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und des Schutzes der Grundrechte beruht. Der vom Parlament angenommene Entwurf wurde von der Opposition nicht unterstützt, weil vor allem das rein-proportionale Wahlsystem erst bis 2024 eingeführt werden soll. NGOs und Oppositionsparteien sahen den Entscheidungsprozess als nicht inklusiv und zu voreilig (EC 9.11.2017).

Georgien hat eine doppelte Exekutive, wobei der Premierminister als Regierungschef und der Präsident als Staatsoberhaupt fungiert. Der Präsident wird durch Direktwahl für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Der Präsident ernennt den Premierminister, der vom Parlament ernannt wird. Nach den im Jahr 2017 beschlossenen Verfassungsänderungen wird der Präsident indirekt von einem Gremium, bestehend aus nationalen, regionalen und lokalen Gesetzgebern, gewählt, wobei diese Änderungen erst nach der Wahl 2018 wirksam werden (FH 1.2018). Nach der geänderten Verfassung wird Georgien ab 2024 auf ein Verhältniswahlsystem mit einer Fünf-Prozent-Hürde umstellen. Ab 2025 wird der Präsident nicht mehr vom Wahlvolk, sondern von einem speziellen Gesetzgebungsrat gewählt (RFE/RL 20.10.2017).

Bei den Präsidentschaftswahlen 2013 gewann Giorgi Margvelashvili, ein von der Partei „Georgischer Traum“ unterstützter unabhängiger Kandidat, 62% der Stimmen, vor dem Kandidaten der Vereinigten Nationalen Bewegung (UNM), David Bakradze, der 22% gewann. Während Beobachter über einige Verstöße berichteten, bezeichneten sie den Wahlgang als kompetitiv und und vertrauenswürdig und lobten dabei die Zentrale Wahlkommission für ihre Professionalität. Giorgi Kvirikashvili von der Partei Georgischer Traum kehrte nach den Parlamentswahlen 2016 als Premierminister zurück; er war seit Ende 2015 in dieser Funktion tätig (FH 1.2018).

Am 8.10. und 30.10.2016 fanden Parlamentswahlen in Georgien statt. Die bislang regierende Partei „Georgischer Traum“ sicherte sich die Verfassungsmehrheit, indem sie 115 der 150 Sitze gewann. Die „Vereinigte Nationale Bewegung“ (UNM) des Expräsidenten Mikheil Saakashvili errang 27 und die „Allianz der Patrioten Georgiens“ (APG) sechs Sitze (RFE/RL 1.11.2016). Mit der APG, die im ersten Wahlgang am 8.10.2016 knapp die Fünf-Prozent-Hürde schaffte, ist erstmals eine pro-russische Partei im Parlament vertreten. In der notwendigen Stichwahl am 30.10.2016 in 50 Wahlkreisen, die nach dem Mehrheitswahlrecht bestimmt werden, gewann der „Georgische Traum“ 48 Wahlkreise (Standard 31.10.2016). Die übrigen zwei Sitze gingen jeweils an einen unabhängigen Kandidaten und einen Vertreter der „Partei der Industriellen“ (VK 31.10.2016).

Die Wahlbeobachtungsmission der OSZE bewertete gemeinsam mit anderen internationalen Beobachtern die Stichwahl als kompetitiv und in einer Weise administriert, die die Rechte der Kandidaten und Wähler respektierte. Allerdings wurde das Prinzip der Transparenz sowie das Recht auf angemessene Rechtsmittel bei der Untersuchung und Beurteilung von Disputen durch die Wahlkommissionen und Gerichte oft nicht respektiert (OSCE/ODIHR 30.10.2016).

Am 21.10. und 12.11.2017 fanden Gemeinde- und Bürgermeisterwahlen statt. In der ersten Runde am 21.10.2017 gewann die Regierungspartei, Georgischer Traum, in allen Wahlkreisen und sicherte sich 63 von 64 Bürgermeisterämter, darunter in der Hauptstadt Tiflis (RFE/RL 12.11.2017). Bei der Bügermeisterstichwahl am 12.11.2017 gewannen in fünf der sechs ausstehenden Städte ebenfalls die Kandidaten des Georgischen Traums. Nur in Ozurgeti siegte ein unabhängiger Kandidat (Civil.ge 13.11.2017). Die Wahl verlief reibungslos und professionell, wobei die Stimmabgabe, die Auszählung und das Wahlermittlungsverfahren von Beobachtern positiv beurteilt wurden, obwohl Hinweise auf mögliche Einschüchterungen und Druck auf die Wähler Anlass zur Besorgnis gaben (OSCE 13.11.2017).

Das politische Leben in Georgien ist lebendig. Die Menschen sind in der Regel in der Lage, politische Parteien zu gründen und ihre eigenen Kandidaturen mit wenig Einmischung durch Dritte umzusetzen. Allerdings hat ein Muster der Einparteiendominanz in den letzten zehn Jahren die Entwicklung und Stabilität konkurrierender Gruppen gehemmt. Die Partei Georgischer Traum dominiert den politischen Raum. Entscheidend dafür ist die Rolle von Ivanishvili, dem Schöpfer und Finanzgaranten der Partei, der maßgeblichen Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung in Georgien hat. Die finanziellen und geschäftlichen Interessen von Ivanishvili sind auch im politischen Bereich von großer Bedeutung (FH 1.2018).

Quellen:

?        Civil.ge (13.11.2017): GDDG Wins Most Mayoral Runoff Races, http://www.civil.ge/eng/article.php?id=30622, Zugriff 26.3.2018

?        EC - European Commission (9.11.2017): Association Implementation Report on Georgia [SWD(2017) 371 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/1419205/1226_1512477382_171109-association-implementation-report-on-georgia.pdf, Zugriff 9.4.2018

?        FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 – Georgia, https://www.ecoi.net/en/document/1426297.html, 26.3.2018

?        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, European Parliament, OSCE Parliamentary Assembly, Parliamentary Assembly of the Council of Europe (30.10.2016): International Election Observation Mission, Georgia – Parliamentary Elections, Second Round - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, Preliminary Conclusions, http://www.osce.org/odihr/elections/georgia/278146?download=true, Zugriff 26.3.2018

?        OSCE/ODIHR – Organization for Security and Co-Operation in Europe/ Office for Democratic Institutions and Human Rights (13.11.2017): Election Observation Mission Georgia, Local Elections, Second Round, 12 November 2017, http://www.osce.org/odihr/elections/georgia/356146?download=true, Zugriff 26.3.2018

?        RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (20.10.2017): Georgia's President Reluctantly Signs Constitutional Amendments, 26.3.2018

?        RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (1.11.2016): Georgia's Ruling Party Wins Constitutional Majority, http://www.rferl.org/a/georgia-elections-second-round-georgian-dream-super-majority/28085474.html, Zugriff 26.3.2018

?        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (12.11.2017): Georgians In Six Municipalities Vote In Local Election Runoffs, https://www.rferl.org/a/georgia-local-elections-second-round/28849358.html, Zugriff 26.3.2018

?        Der Standard (31.10.2016): Regierungspartei kann Georgien im Alleingang regieren, http://derstandard.at/2000046738001/Wahlsieg-von-Regierungspartei-in-Georgien-in-zweiter-Runde-bestaetigt, Zugriff 26.3.2018

?        Vestnik Kavkaza (31.10.2016): Georgian Dream wins 48 districts out of 50, http://vestnikkavkaza.net/news/Georgian-Dream-wins-48-districts-out-of-50.html, Zugriff 26.3.2018


3.         Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Georgien hat sich seit der militärischen Auseinandersetzung zwischen georgischen und russischen Truppen vom August 2008 weitgehend normalisiert. Die Konflikte um die beiden separatistischen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien sind indes ungelöst und verursachen Spannungen. Im Gali-Distrikt Abchasiens kommt es immer wieder zu Schusswechseln, Entführungen und anderen Verbrechen mit teilweise kriminellem Hintergrund. Trotz vordergründiger Beruhigung der Lage kann ein erneutes Aufflammen des Konfliktes zwischen Abchasien und Georgien nicht ausgeschlossen werden. Gleiches gilt im Falle Südossetiens. In den städtischen Zentren kann es gelegentlich zu Demonstrationen und Protestaktionen kommen, vor allem im Zusammenhang mit Wahlen. Straßenblockaden und Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften sind nicht ausgeschlossen. Das Risiko von terroristischen Anschlägen kann auch in Georgien nicht ausgeschlossen werden (EDA 6.6.2018).

Die Kriminalitätsrate ist in Georgien in den letzten Jahren deutlich gesunken. Auto- und andere Diebstähle sowie Einbrüche kommen vor, und sind gelegentlich von Gewalt begleitet. Übergriffe gegen Personen, die sich in der Öffentlichkeit als homosexuell zu erkennen geben, können vorkommen (AA 6.6.2018a, vgl. EDA 6.6.2018).

Bei einem Anti-Terroreinsatz in Tiflis sind am 22.11.2017 ein Polizist und drei mutmaßliche Terroristen getötet worden. Mehrere mutmaßliche Anhänger einer terroristischen Gruppe hatten sich der Festnahme widersetzt, indem sie das Feuer mit automatischen Waffen eröffneten und Handgranaten auf die Anti-Terror-Einheit warfen (Standard 23.11.2017). Einer der getöteten Terroristen war offenbar Achmed Tschatajew, ein tschetschenischer Befehlshaber des sog. Islamischen Staates (IS), der den georgischen Behörden bekannt war. Tschatajew stand seit 2015 auf der Terroristenliste der Vereinigten Staaten von Amerika und wurde auch von Russland und der Türkei wegen der Organisation des tödlichen Bombenanschlags auf den Flughafen von Istanbul im Juli 2016 gesucht. Die Prognose, dass sich die terroristische Bedrohung in Georgien auf die einheimischen und zurückkehrenden Kämpfer verlagert hat, wurde durch die Operation in Tiflis drastisch bestätigt (Jamestown 29.11.2017, GA 1.12.2017):

Die EU unterstützt aktiv die Bemühungen um Konfliktlösung durch die Arbeit des EU-Sonderbeauftragten für den Südkaukasus und die Krise in Georgien und die EU-Beobachtermission (EUMM), die zu Stabilität und Frieden beitragen. Georgien hat sich weiterhin den internationalen Gesprächen in Genf verschrieben. Der sog. „Incident Prevention Mechanisms (IPRM)“, der 2009 geschaffen wurden, um Risiko- und Sicherheitsfragen zu erörtern, die die Gemeinden in Abchasiens bzw. Südossetiens betreffen, und die EUMM-Hotline arbeiten weiterhin effizient als wesentliche Instrumente, um lokale Sicherheitsfragen anzugehen und, um die weitere Vertrauensbildung zwischen den Sicherheitsakteuren zu fördern (EC 9.11.2017).

Anfang März 2018 wiederholte Premierminister Giorgi Kvirikashvili Georgiens Interesse, bei den internationalen Gesprächen in Genf konkrete Fortschritte zu erzielen. Hierzu erklärte er sich auch bereit, in einen direkten Dialog mit Vertretern der separatistischen Regionen Abchasien und Südssetien zu treten (Jamestown 26.3.2018, vgl. Civil.ge 9.3.2018).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (6.6.2018a): Landesspezifische Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/georgien-node/georgiensicherheit/201918#content_0, Zugriff 6.6.2018

?        Civil.ge (9.3.2018): Prime Minister Appeals to Russian Authorities, Offers Direct Dialogue with Sokhumi, Tskhinvali, http://www.civil.ge/eng/article.php?id=30935&search, Zugriff 12.4.2018

?        EC - European Commission (9.11.2017): Association Implementation Report on Georgia [SWD(2017) 371 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/1419205/1226_1512477382_171109-association-implementation-report-on-georgia.pdf, Zugriff 9.4.2018

?        EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (6.6.2018): Reisehinweise für Georgien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/georgien/reisehinweise-georgien.html, Zugriff 6.6.2018

?        GA – Georgien aktuell (1.12.2017): Anti-Terror-Einsatz: getötete Terroristen offenbar illegal ins Land gekommen, http://georgien-aktuell.info/de/politik/innenpolitik/article/13430-illegal, Zugriff 9.4.2018

?        Jamestown (26.3.2018): Georgian Government Insists on Direct Talk With Moscow-Backed Separatists, https://jamestown.org/program/georgian-government-insists-direct-talk-moscow-backed-separatists/, Zugriff 12.4.2018

?        Jamestown (29.11.2017): Special Operation in Tbilisi Highlights Risk of Terrorism by Returning Fighters in Georgia, https://jamestown.org/program/special-operation-tbilisi-highlights-risk-terrorism-returning-fighters-georgia/, Zugriff 9.4.2018

?        Der Standard (23.11.2017): Vier Tote bei Anti-Terror-Einsatz in Tiflis, https://derstandard.at/2000068329714/Vier-Tote-bei-Anti-Terror-Einsatz-in-Tiflis, Zugriff 9.4.2018

3.1.    Regionale Problemzone: Abchasien

Abchasien (ca. 200.000 Einwohner) hat sich – unterstützt von Russland – als unabhängig erklärt und sucht die weitere Annäherung an Russland. Die Regierung in Tiflis hat keine Verwaltungshoheit über das Gebiet, in denen sich ein de-facto politisches System mit Regierung, Parlament und Justiz etabliert hat. Eigene Streitkräfte, unterstützt durch russisches Militär sichern die zunehmend von ihnen befestigte Verwaltungsgrenze zu Georgien. Diese ist nur zu sehr geringem Maße für Einwohner der Gebiete durchlässig. Militärische Auseinandersetzungen gibt es seit 2008 jedoch nicht mehr. Das Recht auf Rückkehr der vertriebenen Georgier wird von den abchasischen de facto-Behörden verwehrt. Nur der Verwaltungskreis Gali im südlichen Teil Abchasiens, nahe dem georgischen Hauptterritorium, ist noch stark georgisch/megrelisch besiedelt. Es liegen Hinweise vor, dass Bewohner dieses Gebiets bzw. Angehörige der georgischen/megrelischen Bevölkerung in Abchasien staatlich benachteiligt werden (z.B. beim Erwerb von Passdokumenten und damit Freizügigkeit, Ausübung des Stimmrechts bei de facto-Präsidentschaftswahlen 2014, Besetzung öffentlicher Stellen, Zugang zu Bildung und Gesundheitsfürsorge, Ermöglichung von „Grenz“-Übertritten nach Georgien, Arbeitserlaubnis). Die Diskriminierung dieser Bevölkerungsteile kann als zielgerichtet bewertet werden, um sie zum Verlassen zu bewegen. Von Abchasien aus war es bislang gängige Praxis, dass Kinder ethnischer Georgier die Administrative Boundary Line (ABL) zum Schulbesuch auf dem georgischen Hauptterritorium regelmäßig überqueren konnten. Nach der Schließung von mittlerweile drei der fünf offiziellen Übergangsstellen verlängert sich der tägliche Schulweg aber so sehr (z.T. ca. 100 km einfach), dass diese Möglichkeit inzwischen kaum noch genutzt wird (AA 11.12.2017).

Die abchasische Regierung ist finanziell von Russland abhängig, das eine militärische Präsenz auf dem Territorium unterhält und zu den wenigen Staaten gehört, die die Unabhängigkeit Abchasiens anerkennen. Dennoch weist das politische System eine starke Opposition und zivilgesellschaftliche Aktivität auf, und die meisten Einwohner sind Berichten zufolge gegen eine formelle Annexion durch Russland. Während die lokalen Rundfunkmedien weitgehend von der Regierung kontrolliert werden, gibt es einige unabhängige Print- und Online-Medien. Die Versammlungsfreiheit wird in der Regel respektiert. Zu den anhaltenden Problemen gehören ein zutiefst mangelhaftes Strafrechtssystem und die Diskriminierung von ethnischen Georgiern (FH 1.2017).

Die abchasischen Behörden inhaftieren weiterhin Personen, die die „Grenze“ illegal überquert haben sollen. Russische Grenzwächter entlang der Verwaltungsgrenze zwischen Abchasien und Georgien setzen normalerweise die Regeln der abchasischen Machthaber um, indem sie Individuen abstrafen und wieder freilassen. Es gab Berichte über willkürliche Verhaftungen von ethnischen Georgiern in den abtrünnigen Gebieten. Ihnen wurden weder die Gründe für die Haft noch für das Vorführen vor den Staatsanwalt mitgeteilt. In Abchasien verbietet das Rechtssystem Eigentumsansprüche von ethnischen Georgiern, die Abchasien vor, während oder nach dem Krieg von 1992-93 verlassen haben, wodurch Binnenvertriebenen ihre Eigentumsrechte in Abchasien entzogen werden (USDOS 20.4.2018).

Die Behörden in Abchasien lehnen weiterhin die Rückkehr von ethnischen georgischen Binnenvertriebenen an Orte ihrer Herkunft oder ihres gewöhnlichen Aufenthalts mit Ausnahme der Distrikte Gali, Ochamchira und Tkvarcheli ab. Das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) hat die Behörden wiederholt um Zusicherungen in Bezug auf die Rechte der Rückkehrer hinsichtlich des Daueraufenthalts, Freizügigkeit, Geburtenregistrierung und Eigentumsrechte gebeten. Generell haben die Vereinten Nationen gefordert, den Zugang der Rückkehrer zu politischen Rechten, gleichen Schutz vor dem Gesetz, soziale Sicherheit, Gesundheitsversorgung, Arbeit und Beschäftigung, Bildung, Gedanken-, Gewissens- und Meinungsfreiheit und kulturelles Leben zu gewährleisten. Im Dezember 2016 wurde das "Gesetz über die Rechtsstellung von Ausländern in Abchasien" geändert, um die Einführung einer "Aufenthaltserlaubnis für Ausländer" zu ermöglichen, die den in Abchasien lebenden ethnischen Georgiern die Ausübung ihrer Rechte erleichtern würde (UN-GA 3.5.2017).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (11.12.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien

?        FH – Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 – Abkhazia, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/abkhazia, Zugriff 13.4.2018

?        UN_GA - UN General Assembly (3.5.2017): Status of internally displaced persons and refugees from Abkhazia, Georgia and the Tskhinvali region/South Ossetia, Georgia [A/71/899], https://www.ecoi.net/en/file/local/1402817/1226_1499079794_n1712489.pdf, Zugriff 13.4.2018

?        USDOS – US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practces 2017 - Georgia, https://www.ecoi.net/en/document/1430256.html, Zugriff 6.6.2018

[…]


4.         Rechtsschutz / Justizwesen

Erhebliche Fortschritte gab es insbesondere im Justizwesen und Strafvollzug, wo eine menschenrechtswidrige Behandlung, die in der Vergangenheit systemisch vorhanden war, in aller Regel nicht mehr festgestellt werden kann. Der Aufbau eines unabhängigen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnden Justizwesens gehört zu den wichtigsten Zielen der aktuellen Regierung. Die dritte Reformwelle vom Dezember 2016 garantiert vor allem die unparteiische Zuteilung von Rechtsfällen an Richter. NGOs, die den Reformprozess sehr aktiv und sehr kritisch begleiten, mahnen weiterhin die Ernennung von Richtern aufgrund von Qualifikation und Eignung in einem transparenten Verfahren an. Demgegenüber neigen Politiker und andere prominente Interessenvertreter aus Wirtschaft und Medien dazu, Richtern bei Gerichtsentscheidungen in brisanten Fällen pauschal politische Motive bzw. Korruption zu unterstellen. In einigen Fällen wurde der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg angerufen. Seit 2012 laufende Ermittlungen oder mit rechtskräftigen Urteilen abgeschlossene Strafverfahren gegen hochrangige Mitglieder und nachgeordnete Mitarbeiter der ehemaligen Regierung werden nicht als politisch motiviert eingeschätzt, sondern beruhen auf rechtswidrigen bzw. strafrechtlich relevanten Handlungen durch Amtsträger oder Parteifunktionäre der Vorgängerregierung. Die Tatsache, dass Gerichte hierbei nicht immer den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgen, zeigt eine wachsende Unabhängigkeit der Justiz und deutliche Grenzen für eine etwaige politische Zielsetzung der Verfahren. Nach dem Regierungswechsel 2012/13 erfolgte eine kontinuierliche Liberalisierung des Strafrechts. Eine feststellbare niedrigere Verurteilungsrate ist auf eine stärkere Emanzipierung der Richterschaft von den Anträgen der Staatsanwaltschaft zurückzuführen, aber auch auf eine Stärkung der Rechte der Verteidigung im Strafprozess. Die Praxis lang andauernder Untersuchungshaft wurde im Fall Ugulava, des ehemaligen Bürgermeisters von Tiflis vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig beurteilt und verfassungskonform beschränkt (AA 11.12.2017).

Im Dezember 2016 wurde ein Paket von Gesetzesänderungen zur Justizreform verabschiedet. Die Änderungen betrafen insbesondere die Veröffentlichung aller Entscheidungen, die schrittweise Einführung der elektronischen Zufallszuweisung von Fällen sowie das Auswahlverfahren der Richterkandidaten und das Disziplinarverfahren (Schaffung der Institution des Untersuchungsinspektors). Die Änderungen betrafen jedoch nicht andere, seit langem bestehende Punkte, einschließlich der Anwendung der Probezeit. Eine erste umfassende Justizstrategie und ihr fünfjähriger Aktionsplan wurden vom Hohen Rat der Justiz im Mai 2017 angenommen. Dieser sieht spezifische Maßnahmen und Indikatoren in den Kapiteln Unabhängigkeit, Rechenschaftspflicht, Qualität und Effizienz sowie Zugang zur Justiz vor. In Bezug auf den Zugang zur Justiz sind die vom Hohen Rat der Justiz (HCoJ) eingeführten Verfahren zur Ernennung von Richtern und Gerichtspräsidenten sowie die Disziplinarverfahren allerdings nicht vollständig transparent und rechenschaftspflichtig. Die neue Verfassung führte die Ernennung von Richtern des Obersten Gerichtshofs durch das Parlament auf Vorschlag des Obersten Gerichtshofs sowie die Ernennung von Richtern auf Lebenszeit ein. Im Januar 2017 wurden die Geschworenenprozesse, die 2010 beim Stadtgericht von Tiflis eingeführt wurden, auf andere Regionen Georgiens und auf weitere Arten von Vergehen ausgeweitet. Anfang 2017 wurden die Strafverfolgungsstrategie, der neue Ethikkodex und ein Beurteilungssystem für Staatsanwälte verabschiedet (EC 9.11.2018).

Die Einmischung der Exekutive und der Legislative in die Justiz ist nach wie vor ein erhebliches Problem, ebenso wie der Mangel an Transparenz und Professionalität bei den Verfahren. Im Jahr 2017 äußerten sich Oppositionelle und andere besorgt darüber, dass die politische Einmischung ein wesentlicher Faktor in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gewesen sei, so die Rückgabe des TV Senders „Rustavi 2“ an seinen ehemaligen Miteigentümer, der mit der Regierungspartei Georgischen Traum verbunden ist. Das Urteil wurde allerdings später vom Europäischen Gericht für Menschenrechte aufgehoben (FH 1.2018, vgl. AI 22.2.2018).

Ende Mai 2018 musste der Generalstaatsanwalt Georgiens vor dem Hintergrund von Protesten zurückgetreten, in denen tausende Demonstranten ihre Empörung über ein, ihrer Meinung nach, unfaires Gerichtsurteil im Mordfall von zwei Schülern in Tiflis zum Ausdruck brachten (CK 5.6.2018). Die Demonstranten glaubten, dass andere als die beiden Beschuldigten für den Tod verantwortlich waren und der Strafe entkamen, weil ihre Verwandten in der Generalstaatsanwaltschaft arbeiteten (RFE/RL 4.6.2018). Führende NGOs des Landes haben sich geweigert, sich an der Ernennung eines neuen Generalstaatsanwaltes unter der Leitung von Justizministerin Teya Tsulukiani zu beteiligen, sondern haben im Gegenteil deren Rücktritt gefordert (CK 5.6.2018, vgl. JAMnews 6.6.2018). Das Parlament hat am 31.5.2018 als Reaktion auf die Entlassung der Beschuldigten durch das Gericht in Tiflis eine Untersuchungskommission zum Mordfall eingerichtet (civil.ge 6.6.2018). Die Demonstrationen haben die Ansicht mancher Georgier über Korruption und eine Atmosphäre der Straflosigkeit in der herrschenden Elite des Landes widergespiegelt (RFE/RL 4.6.2018).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (11.12.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien

?        AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Georgia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425371.html, Zugriff 17.4.2018

?        Caucasian Knot (5.6.2018): Activists demand resignation of Georgia's MoJ head, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43375/, Zugriff 7.6.2018

?        Civil.ge (6.6.2018): Parliament Approves Teen Murder Probe Commission, https://civil.ge/archives/243789, Zugriff 7.6.2018

?        EC - European Commission (9.11.2017): Association Implementation Report on Georgia [SWD(2017) 371 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/1419205/1226_1512477382_171109-association-implementation-report-on-georgia.pdf, Zugriff 9.4.2018

?        FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 – Georgia, https://www.ecoi.net/en/document/1426297.html, 17.4.2018

?        JAMnews (6.6.2018): Georgian NGOs demand resignation of Minister of Justice, https://jam-news.net/?p=106350, Zugriff 7.6.2018

?        RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (4.6.2018): Georgian Protest Leader Gives Authorities Progress Ultimatum, https://www.rferl.org/a/tbilisi-subway-workers-strike-as-new-antigovernment-protests-expected/29270264.html, Zugriff 7.6.2018


5.         Sicherheitsbehörden

Seit dem Regierungswechsel im Oktober 2012 ist von Machtmissbrauch von Amtsträgern nicht mehr die Rede. Bis 2012 waren Exekutivorgane, z.B. Staatsanwaltschaft, Polizei oder Finanzbehörden, als Machtinstrument oder als Mittel zur rechtswidrigen Erlangung wirtschaftlicher Vorteile von Regierungsangehörigen oder ihnen nahestehenden Personen missbraucht worden. Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Polizisten sind allgemein nicht mehr zu verzeichnen. In ihrer Rolle als Hüter von Regeln werden sie öffentlich als zurückhaltend, aber auch als untätig wahrgenommen, was zu einem Verlust an Respekt geführt hat. Die Geheim- und Nachrichtendienste treten nicht als Repressionsinstrumente auf. Eine von NGOs angemahnte organisatorische Trennung der Sicherheitsdienste vom Innenministerium ist bisher aber nicht durchgeführt worden (AA 11.12.2017).

Meinungsumfragen zeigen einen Rückgang des Vertrauens der Öffentlichkeit in das Strafverfolgungssystem. Umfragen zufolge waren 2013 noch 60% der Georgier und Georgierinnen mit der Leistung der Polizei zufrieden. Dieser Wert fiel jedoch im April 2017 Jahres auf 38%. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der Unzufriedenen mit der Polizei von einem einstelligen Prozentwert auf 14% (NDI/CRRC 4.2017).

Hochrangige Zivilbehörden üben nicht immer eine wirksame Kontrolle über das Innenministerium und den Staatssicherheitsdienst aus. Die zivilen Behörden behielten jedoch die effektive Kontrolle über das Verteidigungsministerium bei. Die Wirksamkeit der staatlichen Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch durch Strafverfolgungs- und Sicherheitskräfte ist begrenzt, und die nationale und internationale Aufmerksamkeit für Straflosigkeit hat zugenommen (USDOS 20.4.2018).

Georgien verfügt nicht über einen wirksamen unabhängigen Mechanismus zur Unters

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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