TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/9 W195 2203355-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.12.2020
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Entscheidungsdatum

09.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch


W195 2203355-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.07.2018 XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.12.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 23.09.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen einer am gleichen Tag vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgten niederschriftlichen Erstbefragung gab der BF zu seinen Fluchtgründen an, er sei Mitglied bei der politischen Partei Hifa Jote Islam. Wegen einer politischen Tätigkeit, nämlich Teilnahme an einer Demonstration am 05.03.2013, bei der es zu einer Schießerei zwischen Polizei und Demonstranten gekommen sei, sei der BF von der Polizei wegen Brandstiftung und Randalierens angezeigt worden. Da der BF nicht beweisen könne, dass er das nicht gemacht habe, habe er das Land verlassen.

I.2 In der Einvernahme vor dem BFA am 09.02.2016 gab der BF zu seiner Person an: er sei am XXXX in XXXX , Bangladesch, geboren und Moslem/Sunnit. Er sei ledig und habe keine Kinder.

Seine Eltern und seine beiden Geschwister leben in Bangladesch. Sein Bruder habe eine Zeit lang in London gelebt, sei dann aber nach Bangladesch zurückgekehrt. Er habe regelmäßigen telefonischen Kontakt.

Er habe einen Mittelschulabschluss, aber keine Berufsausbildung. Er habe auch einen Führerschein. Sein Vater hatte eine Auto-Rikscha-CNG-Werkstatt, wo er zeitweilig ausgeholfen habe.

Er habe aus politischen Gründen (Mitglied bei der Hefajat e Islam) sein Heimatland am XXXX verlassen, es lägen vier Anzeigen (vom XXXX ) und (vermutlich) ein oder zwei Haftbefehl(e) (einer vom XXXX ) gegen den BF vor.

Es werde ihm vorgeworfen: Verstoß gegen das Waffengesetz; Brandstiftung; Widerstand gegen die Staatsgewalt, Raufhandel, Sachbeschädigung. Er würde als „Mitglied der Jamaat e Islam“ eingestuft, obwohl er mit dieser Partei nichts zu tun habe.

Der BF hat in der Zwischenzeit in Österreich B1 absolviert und arbeitet als Zeitungszusteller. Verwandte habe er keine in Österreich.

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF zu Protokoll, dass er wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt worden sei. Er sei durch Mitglieder der regierenden Awami League verletzt worden, er habe Knochenbrüche und Messerstiche erlitten. Er sei auch einmal festgenommen und im Gefängnis psychisch, physisch und sexuell (in der Zelle nackt auf das Gesäß geschlagen und an den Genitalien gepackt) missbraucht worden. Er sei ärztlich in Bangladesch behandelt worden.

Als weiteren Fluchtgrund gab der BF an, dass in der Nacht vom 05.03.2013 auf den 06.05.2013 mehr als 2.000 Menschen, darunter auch Parteikollegen, von den Sicherheitsbehörden gewaltsam ermordet wurden. Der BF sei zu diesen Tagen in XXXX aufhältig gewesen. Gegen den BF gäbe es die genannten vier Anzeigen. Der Bezirksvorsteher, der sein Nachbar sei, würde der AL angehören und habe ihn öfters bedroht.

Seine Partei sei erst 2010 gegründet worden, es gab damals noch keine klaren Strukturen, er hätte keinen Beweis für seine Mitgliedschaft. Seine Gruppierung sei strenggläubig, der BF selbst nicht. Seine Gruppierung sei auch nicht für eine Gleichstellungspolitik. Da der BF herausgefunden habe, dass sie eine fundamentalistische Einstellung haben, konnte er dies mit seiner liberalen Einstellung nicht vereinbaren. Allerdings sei der Ausweg schwer, weil die Behörden schon hinter ihm her gewesen seien. Einen Ausstieg aus der Gruppierung würde ihm jedoch die AL nicht glauben.

I.3. Das BFA holte daraufhin eine Stellungnahme der Staatendokumentation sowie eine Recherche durch einen Vertrauensanwalt vor Ort ein. Diese kam – zusammengefasst – zu folgendem Ergebnis:
- Case No XXXX Fälschung
- Case No XXXX Fälschung
- Case No XXXX : Fälschung
- Case No XXXX : Fälschung
- Case No XXXX : Fälschung
- Medical Report of XXXX : im XXXX : Das Spital existiert, wegen Auslandsaufenthaltes des Arztes keine Verifizierung möglich.
- Lokale Nachforschung:

Angaben des Vaters: zwei Söhne, eine Tochter; ein Sohn halte sich seit drei Jahren in Österreich auf; er sei nicht nach Bangladesch auf Besuch gekommen; der BF habe vor seinem Aufenthalt in Österreich für sieben oder acht Monate in Malaysia gelebt; der BF hätte auch seit einem Jahr keinen Kontakt gehabt; er sei bei der Hefajat-e-Islam gewesen, weshalb drei Anzeigen gegen ihn erhoben wurden; die Polizei sei gekommen und habe ihn gesucht; es sei auch ein Vorfall in XXXX gewesen, als der BF mit Freunden dorthin ging; er wisse nichts von einer Funktion in der Hefajat e Isalm; derzeit würde die Polizei den BF nicht suchen; sein Sohn sei einmal von Mitgliedern der AL mit Messern attackiert worden; AL Mitglieder hätten auch die Familie bedroht, würden dies aber nicht mehr tun; der BF sei niemals von der Polizei festgenommen worden noch sei er in einem Gefängnis gewesen; nach der Attacke der AL habe der BF versteckt gelebt; der BF sei unverheiratet; der Vater würde kein Haus in XXXX besitzen.

Angaben der Nachbarn, Ortsansässigen: Einige erkannten den BF an Hand des Fotos; viele von diesen berichteten, dass der BF nicht in politischen Angelegenheiten involviert gewesen sei, einige hielten es für möglich, niemand konnte es als gesichert angeben. Niemand wusste etwas über kriminelle Anzeigen; es wusste auch niemand darüber Bescheid, dass der BF in einem Gefängnis gewesen sein soll; der BF sei unverheiratet, er habe einen Bruder und eine Schwester.

I.4 Am 23.05.2018 folgte eine weitere Einvernahme des BF vor dem BFA.

Dieser legte Zeugnisse hinsichtlich der Berufsschule XXXX vor; er mache seit dem XXXX eine Kochlehre.

Seine Familie wohne weiterhin in Bangladesch, der Bruder lebe mittlerweile in XXXX .

Konfrontiert mit dem Ergebnis, dass der Vertrauensanwalt der Republik keinerlei politische Tätigkeit des BF vor Ort feststellen konnte – mit Ausnahme einer Aussage des Vaters, welcher jedoch keine Angaben zur Position des BF machen konnte – meinte der BF, dass „ein Herr, der weder Namen noch Telefonnummer hinterließ“ 500.000 Taka verlangt habe, um einen für den BF positiven Bericht zu verfassen; seine Familie habe sich jedoch geweigert, zu zahlen.

Eine vom BF angekündigte Stellungnahme durch seinen Rechtsvertreter wurde innerhalb der gewährten Frist nicht vorgelegt; knapp sechs Wochen später entschied das BFA über den Antrag auf internationalen Schutz.

I.5. Mit dem angefochtenen und im Spruch bezeichneten Bescheid vom 10.07.2018 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (ebenfalls Spruchpunkt III.) und darüber hinaus gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (ebenfalls Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, der BF habe eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten. Für die freiwillige Ausreise werde eine Frist von 14 Tagen nach Abwägung aller Gründe als angemessen angesehen.

Konkret führte das BFA aus, dass die divergierenden Aussagen in den Einvernahmen des BF voneinander abwichen und damit die Glaubwürdigkeit erschüttern. Während der BF anfangs noch aussagte, er würde seine Partei von Österreich aus nicht unterstützen, weil er nicht die finanziellen Möglichkeiten habe, änderte er seine Aussage und vermeinte, er sei – noch in Bangladesch - nicht mehr mit den Zielsetzungen der Partei konformgegangen. Dies habe er jedoch dem ihm bekannten Bezirksvorsteher der AL nicht sagen können.

Der BF hätte auch nicht darlegen können, welche und wie viele Anzeigen bzw. Strafverfahren jetzt tatsächlich gegen ihn erhoben worden seien; es seien auch der inhaltliche Umfang dieser Verfahren im Laufe der Zeit erheblich vom BF gesteigert worden.

Hinsichtlich des Vorwurfes, dass der Vertrauensanwalt der Republik ein Bestechungsgeld anlässlich des Besuches und Interviews mit der Familie verlangt habe, vermeinte das BFA, dies sei insoferne wenig glaubwürdig, weil der BF bzw. dessen Familie nicht einmal den Namen oder Kontaktdaten der Person wiedergeben könnten. Wenn jemand Geld gefordert hätte, dann hätte die Familie zweifelsohne den Namen oder zumindest eine Telefonnummer der Person verlangt.

Da der Asylwerber dem BFA gegenüber keinen glaubhaften Eindruck erweckte und sich die vom BF vorgelegten Dokumente allesamt als Fälschungen herausstellten wurden die Anträge abgewiesen.

I.6. Mit Schriftsatz vom 09.08.2018 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des – zum Beschwerdezeitpunkt durch XXXX vertretenen – BF wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze angefochten.

Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensverlaufes wurde dabei zusammengefasst begründend ausgeführt, das BFA habe den Sachverhalt nicht ausreichend gründlich ermittelt. Es wäre verpflichtet gewesen, Widersprüche, etwa hinsichtlich der Ausführungen des Vertrauensanwaltes, von Amtswegen aufzuklären. Die Länderberichte zeigen ein korruptes und wenig rechtsstaatliches Bild von Bangladesch und wäre das BFA verpflichtet gewesen, dies auch im Sinne des BF entsprechend zu würdigen. Auch die Begründungspflicht sei verletzt worden, weil sie nicht auf das Parteivorbringen entsprechend eingegangen sei. Es seien die Länderfeststellungen sowie die Begründung zur innerstaatlichen Fluchtalternative mangelhaft, weil nicht auf den Einzelfall bezogen. Die Beweiswürdigung habe insbesondere nicht die Rückkehrmöglichkeiten des BF richtig beleuchtet.

Es wurden die Anträge gestellt, dem BF Asyl zu gewähren, in eventu, den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung an die erste Instanz zurückzuverweisen, in eventu, dem BF einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen, sowie, eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen.

I.7. Mit Schreiben vom 10.08.2018 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

I.8. Mit der Ladung zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem BF auch das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch (Stand November 2020) zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.

I.9. Am 03.12.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Vertreters des BF – nunmehr XXXX - eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.

Eingangs bestätigte der BF, dass er wöchentlichen Kontakt zu Familienangehörigen in Bangladesch habe. Seine Eltern und seine Schwester leben in Bangladesch, sein Vater betreibe einem GNC-Handel (GNC sind kleine, einfache Motorfahrzeuge). Der BF selbst habe einen Auto-Führerschein. Seiner Familie ginge es finanziell mittelmäßig.

Der BF ist seit 23.09.2013 in Österreich. Er habe hier eine Kochlehre gemacht und diese abgeschlossen. Der sehr gute Sprachwortschatz ermöglichte eine Konversation, welche in der Antwort zumeist volle Sätze beinhaltete. Der BF hat ein B1 Zertifikat und will sich noch weiterbilden.

Derzeit arbeitet der BF in Kurzarbeit in einem Restaurant in XXXX . Er verdient € 1.600 brutto und legt diverse Unterlagen vor, die dies bestätigen.

Der BF ist in bengalisch-orientierten Vereinen tätig und hat zwei österreichische Freunde, mit denen er Fahrrad fahre. Darüber hinaus habe er bengalische Freunde, mit denen er ab und zu die Zeit verbringe. Eine Beziehung habe er nicht, auch keine Kinder.

Zu seinem Fluchtgrund führte der BF anfänglich weitschweifend die allgemeine politische Situation in Bangladesch aus; konkret nach seinen persönlichen Fluchtgründen befragt meinte der BF, dass er aus politischen Motiven sein Land verlassen habe. Er sei vom örtlichen „councelor“, der ein Mitglied der regierenden Awami League gewesen sei, verfolgt worden. Der BF selbst gehörte als Mitglied „von 2012 bis Mitte 2013“ der Hefajot-Islam-Partei an. Er wurde politisch „verfolgt“, indem sie ihn immer anriefen und wollten, dass er ihrer Partei beitreten solle, was er aber nicht gemacht habe. Aber auch die Polizei habe ihn verfolgt. Er habe sogar einmal einen Tag dort verbringen müssen, er sei misshandelt worden und seine Hand sei gebrochen worden. Gefragt, wann dies gewesen sei, meinte der BF: „Mitte 2013, im April oder Mai“. Als Grund dafür wiederholte der BF, dass er nicht zu ihrer Partei gegangen sei, sondern er Mitglied einer anderen Partei gewesen sei. Der „councelor“ habe der Polizei gesagt, dass es Anzeigen gegen den BF gäbe.

Da es vier Anzeigen gegen ihn gegeben habe, habe der „councelor“ die Polizei verständigt, welche ihn festgenommen habe. In weiterer Folge zählte der BF die Daten der Anzeigen und eines Haftbefehles auf. Er habe sich sehr gegen dies Anzeigen gewehrt, auch sein Vater. „Auch mit Geld konnte man nicht erfolgreich werden“. In den Anzeigen seien ihm Brandstiftung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Waffenbesitz und Aneignung staatlichen Vermögens vorgeworfen worden. Er habe diese Straftaten nicht begangen.

Der BF habe diese streng islamische Partei über einen Freund kennengelernt. Seitdem er in Österreich ist, habe er mit niemanden dieser Partei Kontakt, auch nicht mit Freunden. Mittlerweile habe er bemerkt, was für einen Fehler er begangen habe. Seitdem er in diesem Land sei, sei er aus dieser Partei ausgetreten. Er könne nicht sagen, dass die Hefajot-Islam eine extremistische Partei sei, sie habe sich vor wenigen Tagen mit der Jamad-e-Islam verbunden. Deshalb werde sie in Bangladesch als eine etwas extremistische Partei angesehen.

Beginnend am Nachmittag des 05.03.2013 über die Nacht bis zum 06.03.2013 habe es in Dhaka eine große Demonstration gegen die islamfeindlichen Blogger der Partei „Shahabak“ gegeben. Gegen halb drei Uhr nachts habe dann die Polizei mit Misshandlungen an den Demonstranten begonnen, es seien über 2.000 Menschen ums Leben gekommen. Auch der BF sei bei diesen Ausschreitungen dabei gewesen, er habe friedlich demonstriert.

Angesprochen auf die Aussage des BF zum Ergebnis der Recherchen des Vertrauensanwaltes der Republik Österreich, dass dieser Anwalt angeblich Geld verlangte um für den BF ein positives Ergebnis weiterzugeben, führte der BF aus, dass 500.000 Taka verlangt worden seien. Das zutage geförderte Ergebnis, dass die vorgelegten Anzeigen und das Strafverfahren allesamt Fälschungen seien, stimme nicht, die Anzeigen seien echt. Weil der Vater sich weigerte zu zahlen, sei das Überprüfungsergebnis negativ geworden. Gefragt, wie die Person, welche beim Vater gewesen sei, geheißen habe, meinte der BF, „er gab keinen echten Namen an. Er gab auch keine Telefonnummer an.“. Erst nach Wiederholung der Frage sagte der BF, dass die Person den Namen „ XXXX “ angegeben habe. Gefragt, woher er denn wisse, dass dies „kein echter Name“ sei, meinte der BF, dies sei deswegen so, weil der BF auch keine Telefonnummer oder Adresse angegeben hätte. Der Vater hätte ihn „einige Male gebeten, aber er gab nichts an“. Am Ende hätte er seinem Vater ein Foto des BF gezeigt und gesagt, „das ist Dein Sohn, wenn Du das Geld nicht zahlst, bekommt er eine negative Entscheidung“.

Weiters schilderte der BF einen Messerangriff Ende 2012, es sei dies Mitte November, gegen 20 Uhr 30 gewesen, unterhalb seiner Wohnung. Er habe die Angreifer erkannt, es seien ihm bekannte Personen gewesen. Er wollte eine Anzeige erstatten, es sei aber keine aufgenommen worden.

In weiterer Folge wurde noch auf die aktuellen Länderberichte eingegangen sowie auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Der BF meinte – zusammengefasst – dass die Zahlen aus Bangladesch nicht der Wirklichkeit entsprächen, wären doch die Zahlen für Österreich vergleichsweise höher, was nicht der Realität entsprechen könnte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali (gleichlautende Angaben bei der Erstbefragung sowie in der Einvernahme vor dem BFA und vor dem BVwG).

Der BF wurde in XXXX geboren und hat bis zuletzt dort gelebt. Er hat in seinem Heimatland für zehn Jahre die Schule besucht; er hatte in Bangladesch keinen Beruf, er hat einen Führerschein.

Der BF ist ledig, hat keine Beziehung und hat keine Kinder. In Bangladesch halten sich die Eltern des BF auf. Zwischen dem BF und seinen Verwandten besteht aufrechter regelmäßiger, wöchentlicher Kontakt.

Der BF ist im September 2013 in das Bundesgebiet eingereist. Er ist nicht in die staatliche Grundversorgung einbezogen. Der BF absolvierte erfolgreich eine Kochlehre und arbeitet in einem Restaurant, derzeit in Kurzarbeit. Der BF verdient ca € 1.600 brutto pro Monat.

Der BF hat österreichische und bengalische Freunde. Der BF ist in Vereinen tätig. Der BF ist gesund und strafrechtlich unbescholten.

Der BF verfügt über sehr gute Deutschkenntnisse (Niveau B1) und will diese weiter ausbauen.

Der BF ist gesund und strafrechtlich unbescholten.

I.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:

Festgestellt wird, dass der BF behauptet, aus politischen Gründen, nämlich wegen seiner Mitgliedschaft bei einer islamisch orientierten Partei, politisch verfolgt zu werden. Der BF behauptet, dass die politische Verfolgung darin bestand, dass Mitglieder einer anderen Partei ihn zu einem Parteiwechsel überreden wollten, später ihn aber auch physisch attackiert hätten. Darüber hinaus habe es Anzeigen und einen Haftbefehl gegeben sowie Misshandlungen im Zuge einer eintägigen Inhaftierung.

Festgestellt wird, dass die vom BF vorgelegten Dokumente, nämlich die Anzeigen XXXX sowie der Haftbefehl XXXX allesamt durch den Vertrauensanwalt der Republik Österreich falsifiziert wurden und als Fälschung ausgewiesen werden.

Es wird festgestellt, dass das Bundesverwaltungsgericht dem Ergebnis der vor-Ort-Recherchen des Vertrauensanwaltes der Republik Österreich im vollen Umfang als gegebenen Sachverhalt annimmt.

Festgestellt wird somit, dass den Angaben des BF hinsichtlich einer politischen Verfolgung mittels Anzeigen und Haftbefehl keine Glaubwürdigkeit zukommt, weil er sich auf gefälschte Dokumente beruft. Damit sind aber auch die Aussagen hinsichtlich sonstiger politischer Verfolgungshandlungen wenig glaubwürdig.

Festgestellt wird, dass der Vater des BF gegenüber dem Vertrauensanwalt folgende Aussagen (zusammengefasst) getroffen hat: Er habe zwei Söhne, eine Tochter; ein Sohn halte sich seit drei Jahren in Österreich auf; er sei nicht nach Bangladesch auf Besuch gekommen; der BF habe vor seinem Aufenthalt in Österreich für sieben oder acht Monate in XXXX gelebt; der BF hätte auch seit einem Jahr keinen Kontakt gehabt; er sei bei der Hefajat-e-Islam gewesen, weshalb drei Anzeigen gegen ihn erhoben wurden; die Polizei sei gekommen und habe ihn gesucht; es sei auch ein Vorfall in XXXX gewesen, als der BF mit Freunden dorthin ging; er wisse nichts von einer Funktion in der Hefajat e Isalm; derzeit würde die Polizei den BF nicht suchen; sein Sohn sei einmal von Mitgliedern der AL mit Messern attackiert worden; AL Mitglieder hätten auch die Familie bedroht, würden dies aber nicht mehr tun; der BF sei niemals von der Polizei festgenommen worden noch sei er in einem Gefängnis gewesen; nach der Attacke der AL habe der BF versteckt gelebt; der BF sei unverheiratet; der Vater würde kein Haus in XXXX besitzen.

Festgestellt wird, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht alle Aussagen des Vaters des BF in allen Aspekten für wahr erachtet, sondern nur, dass der Vater gegenüber der nachforschenden Person diese Aussagen getätigt hat.

Festgestellt wird, dass die vom BF behauptete Inhaftierung und Misshandlung auf der Polizeistation nicht für wahr angenommen wird, weil diese weder vom Vater noch von den Nachbarn oder Ortsansässigen bestätigt wurde.

Festgestellt wird, dass der Vater des BF eine andere Aussage über den Aufenthalt des BF vor seinem Eintritt ins Bundesgebiet tätigte, nämlich, dass sich der BF über Monate in XXXX aufgehalten habe (andere Aussage des BF bei Asylantragstellung: er sei über XXXX geflohen).

Festgestellt wird, dass gegenüber dem Vertrauensanwalt die Nachbarn und Ortsansässigen folgende Aussagen (zusammengefasst) tätigten: Einige erkannten den BF an Hand des Fotos; viele von diesen berichteten, dass der BF nicht in politischen Angelegenheiten involviert gewesen sei, einige hielten es für möglich, niemand konnte es als gesichert angeben. Niemand wusste etwas über kriminelle Anzeigen; es wusste auch niemand darüber Bescheid, dass der BF in einem Gefängnis gewesen sein soll; der BF sei unverheiratet, er habe einen Bruder und eine Schwester.

Festgestellt wird, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht die Aussagen der befragten Nachbarn und Ortsansässigen in allen Aspekten für wahr erachtet, sondern nur, dass diese Personen ihre Aussagen gegenüber der nachforschenden Person getätigt haben.

Festgestellt wird, dass der BF behauptet, dass der Vertrauensanwalt 500.000 Taka verlangt habe, um eine für den BF günstige Aussage darzulegen. Festgestellt wird, dass der BF vor dem BFA behauptete, dass der BF „weder Namen noch Telefonnummer“ herausgab. Festgestellt wird, dass der BF sich jedoch in der Aussage vor dem BFA widerspricht, wenn er vor dem BVwG angibt, dass die Person, die die Nachforschungen betrieb, seinen Namen mit „ XXXX “ angab.

Festgestellt wird, das der BF unglaubwürdig ist, wenn er auf der einen Seite behauptet, dass die nachforschende Person keinen Namen angab, der BF später jedoch den Namen der Person nennt. Unglaubwürdig ist der BF, wenn er darlegt, dass sein Vater ohne Hemmung private Auskünfte über den angeblich geflüchteten, weil angeblich „politisch verfolgten“ Sohn an eine ihm wildfremde Person weitergegeben habe, von der er weder Namen noch Telefonnummer wisse.

Festgestellt wird, dass der BF offensichtlich Bestechungsgelder als einen gangbaren Weg ansieht, um bei Behörden und Gerichten Veränderungen zu bewirken (so gab der BF an, dass versucht worden sei, die angeblichen Anzeigen mit Bestechung abzuwenden, „aber auch mit Geld konnte man nicht erfolgreich werden“).

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in Bangladesch aufgrund seiner politischen Gesinnung behördlich gesucht wird.

Festgestellt wird, dass der BF behauptet, nicht mehr mit den Zielen seiner früheren Partei konform zu gehen.

Der BF würde im Falle einer Rückkehr von niemanden gesucht werden und hätte um allenfalls Behelligungen aus dem Weg zu gehen die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen Bangladeschs niederzulassen.

II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:

COVID-19

Letzte Änderung: 11.11.2020

Die COVID-Krise trifft Bangladesch sehr hart, nachdem am 8.3.2020 die ersten Fälle nachgewiesen wurden. Die Regierung verhängte ab dem 22.3.2020 einen umfassenden Lockdown, der jedoch de facto immer brüchig war und einmal mehr und einmal weniger eingehalten wurde. Am 30.5.2020 wurde der Lockdown wieder aufgehoben, da eine weiter Fortsetzung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war (ÖB 9.2020). Die bangladeschische Regierung hat im April 2020 Hilfspakete mit einem Volumen in Höhe von 12 Milliarden USD beschlossen. Die Konjunkturmaßnahmen zielen unter anderem auf eine Stützung von für die Wirtschaft bedeutende Industriezweige wie die Textil- und Bekleidungsherstellung sowie den Agrar- und Nahrungsmittelsektor ab (GTAI 21.9.2020a). Im Zuge der COVID-Krise 2020 verloren nach Schätzungen der Bangladesh Economic Association etwa 36 Mio. Menschen während des Lockdowns ihre Arbeit, 25 Mio. rutschen zurück in die absolute Armut (ÖB 9.2020).

Das ohnehin schwache Gesundheitssystem Bangladeschs ist mit der Pandemie völlig überlastet (ÖB 9.2020). Durch die Coronakrise gerät das seit Jahrzehnten unterfinanzierte staatliche Gesundheitswesen in Bangladesch enorm unter Druck und die Versorgung von Covid-19-Patienten stößt an ihre Grenzen (GTAI 21.9.2020b). So sind landesweit nur etwas mehr als knapp 1.000 Intensivbetten verfügbar (GTAI 21.9.2020; vgl. WKO 4.2020). Davon sind 400 für die Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen ausgerüstet. Während es in der Hauptstadt Dhaka 400 Intensivbetten gibt, stehen in 47 der insgesamt 64 Verwaltungsbezirke überhaupt keine zur Verfügung (GTAI 21.9.2020).

Eine weitere Problemstellung für das Land stellen die zahlreichen Rückkehrer aus den Ländern des Nahen Ostens dar. Auf Grund der beengten Arbeits- und Lebensverhältnissen in den Gastländern sind diese Arbeiter besonders von Ansteckungen mit dem Virus betroffen. Darum, aber auch wegen des mit COVID verbundenen weltweiten Wirtschaftsabschwungs, schicken vor allem die Staaten des Nahen Osten tausende Arbeiter wieder zurück nach Bangladesch. Viele bringen so das Virus auf ihrem Heimweg mit ins Land. Da viele Migranten aus Bangladesch im Nahen Osten im Zuge der COVID-Krise ihre Arbeit verloren haben und ausgewiesen wurden, ist in den kommenden Jahren mit einem vermehrten Aufkommen von AsylwerberInnen aus Bangladesch in (West-)Europa zu rechnen (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020a): Covid-19: Maßnahmen der Regierung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/covid-19-massnahmen-der-regierung-260866, Zugriff 5.11.2020

?        GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020b): Covid-19: Gesundheitswesen in Bangladesch: https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/bangladeschs-wirtschaft-behauptet-sich-trotz-coronakrise-260868, Zugriff 5.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich (25.4.2020): Coronavirus: Situation in Bangladesch, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-bangladesch.html, Zugriff 8.5.2020

Politische Lage

Letzte Änderung: 16.11.2020

Bangladesch ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Auf einer Fläche von ca. 148.000 km² leben etwa 163 Millionen Einwohner (CIA 4.11.2020; vgl. GIZ 5.2020, AA 6.11.2020).

Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 492 Polizeidistrikte (Thana/Upazila), mehr als 4.500 Gemeindeverbände (Unions) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (ÖB 9.2020). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 9.2020). Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).

Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 direkt gewählten Abgeordneten (ÖB 9.2020) sowie zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 11.2019a). Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 9.2020).

Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien AL und BNP bestimmt (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020, BS 29.4.2020). Klientelismus und Korruption sowie mafiöse Strukturen sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 21.6.2020; vgl. DGVN 2016). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 2020). Wie in der Region üblich, geht es bei politischen Parteien weniger um Ideologie, als um einzelne Persönlichkeiten und deren Netzwerke, die im Falle eines Wahlsieges auch finanziell profitieren, in dem sie mit wichtigen Staatsposten versorgt werden (ÖB 9.2020).

Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen überragenden Sieg (ÖB 9.2020) mit 96 Prozent der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. DT 27.1.2019, DW 14.2.2019).

Die Wahlen vom 30. Dezember 2018 waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und einem harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 31.12.2018). Frühzeitig wurde die Wahl durch die Wahlkommission als frei und fair bezeichnet. Unregelmäßigkeiten wurden nicht untersucht. Stattdessen wurden Journalisten wegen ihrer Berichterstattung verhaftet (HRW 14.1.2020). Es wurden rund 20 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet und Tausende verletzt (ÖB 9.2020; vgl. Reuters 1.1.2019). Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce“ und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen (ÖB 9.2020).

Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a).

Da die Politik in Bangladesch generell extrem korrupt ist, sind die Grenzen zwischen begründeter Strafverfolgung und politisch motivierter Verfolgung fließend. Sicherheitskräfte sind in jüngster Vergangenheit sowohl bei Demonstrationen von Anhängern der beiden Großparteien, als auch bei islamistischen oder gewerkschaftlichen Protesten mit Brutalität vorgegangen. Im Zuge des Wahlkampfes Ende 2018 wurden gegen Anhänger und KandidatInnen der oppositionellen BNP durch die Sicherheitsbehörden falsche Anzeigen verfasst (ÖB 9.2020).

Im Vorfeld der elften Parlamentswahl in Bangladesch wurden nach Angaben der Opposition seit Anfang November 2018 bis zu 21.000 ihrer Mitglieder und Aktivisten verhaftet. Mehrere Menschenrechtsgruppen haben seit Anfang 2018 einen dramatischen Anstieg von fingierten Klagen gegen Gegner der Regierungspartei festgestellt. Unter den Verhafteten befinden sich prominente Führer des Oppositionsbündnisses, wie Mainul Hosain wegen krimineller Diffamierung und Dr. Zaffrullah Chowdhury wegen Verrats, Erpressung und Fischdiebstahls (FIDH 9.1.2019). Die BNP-Vorsitzende, Khaleda Zia, war von März 2018 bis März 2020 aufgrund von Korruptionsvorwürfen im Gefängnis (AA 21.6.2020; vgl. NAU 25.3.2020). Seit Zia auf freiem Fuß ist, sind praktisch keine Aktivitäten der BNP mehr wahrnehmbar (ÖB 9.2020).

Nachdem die oppositionelle BNP nunmehr nicht existent ist und im politischen Prozess kaum bis gar keine Rolle mehr spielt, ist eine Verfolgung, bzw. Unterdrückung ihrer AnhängerInnen aus Sicht der Regierung offenbar nicht mehr nötig. Anzumerken ist, dass seit März 2020 das politische Geschehen vollständig von der COVID-Krise überlagert wird. Von einer staatlichen Überwachung der politischen Opposition ist auszugehen (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (6.11.2020): Bangladesch – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/-/206322, Zugriff 10.11.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        BBC – British Broadcasting Corporation (31.12.2018): Bangladesh election: PM Sheikh Hasina wins landslide in disputed vote, https://www.bbc.com/news/world-asia-46718393, Zugriff 11.11.2020

?        BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029402/country_report_2020_BGD.pdf, Zugriff 10.11.2020

?        CIA – Central Intelligence Agency (4.11.2020): The World Factbook – Bangladesh, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/bg.html, Zugriff 10.11.2020

?        DT – Dhaka Tribune (27.1.2019): Ruling party's Dr Younus Ali Sarker wins Gaibandha 3 by-polls, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2019/01/27/voting-in-gaibandha-3-by-polls-underway, Zugriff 10.11.2020

?        DW – Deutsche Welle (14.2.2019): Bangladesh PM Sheikh Hasina hints at last term as prime minister, https://www.dw.com/en/bangladesh-pm-sheikh-hasina-hints-at-last-term-as-prime-minister/a-47513555, Zugriff 10.11.2020

?        DGVN – Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (2016): EWP – Eine Welt Presse . Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, https://nachhaltig-entwickeln.dgvn.de/fileadmin/publications/PDFs/Eine_Welt_Presse/20170119_EWP_Arbeitsbedingungen_Nachdruck-web.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.11.2020

?        FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (9.1.2019): Joint statement [by AHRC - Asian Human Rights Commission; ANFREL - Asian Network for Free Elections; GNDEM - Global Network of Domestic Election Monitors; FIDH - International Federation for Human Rights; CMEV - Centre for Monitoring Election Violence, Sri Lanka] on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 10.11.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2019a): Bangladesch – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 10.11.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020): Bangladesch – Überblick, https://www.liportal.de/bangladesch/ueberblick/, Zugriff 10.11.2020

?        Guardian, The (31.12.2018): Bangladesh PM Hasina wins thumping victory in elections opposition reject as 'farcical', https://www.theguardian.com/world/2018/dec/30/bangladesh-election-polls-open-after-campaign-marred-by-violence, Zugriff 10.11.2020

?        Hindu, The (1.1.2019): Hasina’s triumph: on Bangladesh election results, https://www.thehindu.com/opinion/editorial/hasinas-triumph/article25874907.ece, Zugriff 10.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 11.11.2020

?        NAU – Schweizer Nachrichtenportal (25.3.2020): Bangladeschs Oppositionsführerin Zia aus Haft entlassen, https://www.nau.ch/politik/international/bangladeschs-oppositionsfuhrerin-zia-aus-haft-entlassen-65684195, Zugriff 10.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch, per E-Mail

?        Reuters (1.1.2019): Western powers call for probe into Bangladesh election irregularities, violence, https://www.reuters.com/article/us-bangladesh-election/western-powers-call-for-probe-into-bangladesh-election-irregularities-violence-idUSKCN1OV1PK, Zugriff 10.11.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 10.11.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 16.11.2020

Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere der Awami League (AL) und der Bangladesh Nationalist Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende AL hat ihre politische Macht durch anhaltende Schikanen gegenüber der Opposition und den als mit ihr verbündet wahrgenommenen Personen sowie gegenüber kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft gefestigt (FH 2020). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).

Von nichtstaatlichen Akteuren (insbesondere der Opposition, Islamisten, Studenten) geht in vielen Fällen nach wie vor Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 21.6.2020).

Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020; vgl. AA 28.7.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 12.11.2020a).

Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna (UKFCO 12.11.2020b). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für solche Vorfälle sind (AA 21.6.2020).

In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 28.7.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Der inter-ethnische Konflikt in Myanmar wirkt sich auf Bangladesch aus. Er hat politische und soziale Spannungen insbesondere aufgrund der Ankunft von rund einer Million Rohingya-Flüchtlingen seit August 2017 verstärkt. Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben (HRW 18.9.2019; vgl. AnAg 5.11.2019, TDS 24.8.2019). Die Schutzfähigkeit staatlicher Behörden ist grundsätzlich gering. Die Behörden sind in der Regel keine neutralen Akteure, sondern unterstützen die politischen Ziele der jeweiligen Machthaber (ÖB 9.2020).

An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzsicherungsorganen. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKFCO 12.11.2020a). Auch wenn sich die dortige Lage zeitweise etwas entspannt, bleibt sie grundsätzlich labil (EDA 14.8.2020).

Das South Asia Terrorism Portal (SATP) verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2018 insgesamt 135 Vorfälle terrorismusrelevanter Gewalt im Land. Im Jahr 2019 wurden 104 solcher Vorfälle, bis zum 8.11.2020 wurden im Jahr 2020 insgesamt 82 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 8.11.2020).

Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) verzeichnet im Berichtzeitraum 2019 insgesamt 1.713 Konfliktvorfälle (angeführt werden beispielsweise Demonstrationen, Ausschreitungen, Kampfhandlungen, Gewalthandlungen gegen Zivilpersonen u.a.) bei denen 337 Personen getötet wurden (ACCORD 29.6.2020). 2020 wurden bis Ende Oktober in insgesamt 1.189 Konfliktvorfällen 244 Personen getötet (ACLED 4.11.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (28.7.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 9.11.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (29.6.2020): Bangladesh, year 2019: Update on incidents according to the Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2032553/2019yBangladesh_en.pdf, Zugriff 5.11.2020

?        ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (4.11.2020): South Asia Regional Overview: Bangladesh, https://acleddata.com/2020/11/04/regional-overview-south-asia25-31-october-2020/, Zugriff 5.11.2020

?        ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 5.11.2020

?        AnAg – Anadolu Agency (5.11.2019): Bangladesh rejects Amnesty report on Rohingya killings, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/bangladesh-rejects-amnesty-report-on-rohingya-killings/1636457, Zugriff 13.11.2020

?        AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023864.html, Zugriff 13.11.2020

?        BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres (6.8.2020): Bangladesch – Reiseinformation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 16.11.2020

?        EDA - Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (14.8.2020): Bangladesch, Spezifische regionale Risiken, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/bangladesch/reisehinweise-fuerbangladesch.html#par_textimage, Zugriff 10.11.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 16.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (18.9.2019): Spate of Bangladesh ‘Crossfire’ Killings of Rohingya, https://www.hrw.org/news/2019/09/18/spate-bangladesh-crossfire-killings-rohingya, Zugriff 16.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

?        SATP – South Asia Terrorism Portal (8.11.2020): Data Sheet – Bangladesh, Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 10.11.2020

?        TDS – The Daily Star (24.8.2019): Jubo League leader killed by ‘Rohingyas’, https://www.thedailystar.net/frontpage/news/jubo-league-leader-killed-rohingyas-1789726, Zugriff 16.11.2020

?        UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020a): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/safety-and-security, Zugriff 16.11.2020

?        UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020b): Foreign travel advice Bangladesh – Terrorism, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/terrorism, Zugriff 16.11.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 11.11.2020

Die Justiz ist überlastet. Überlange Verfahrensdauern, Korruption und politische Einflussnahme behindern die Unabhängigkeit. Presseberichten zufolge kommt es in ländlichen Gebieten zu Verurteilungen durch unbefugte Dorfälteste oder Geistliche nach traditionellem, islamischem "Scharia Recht". Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 8.2019). Nicht immer greifen die Behörden ein (AA 21.6.2020).

Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen Common Law. Die erstinstanzlichen Gerichte bestehen aus „Magistrates“, die der Exekutive zuzurechnen sind, sowie Session und District Judges, die der Judikative angehören. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem High Court, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem Appellate Court, dessen
Entscheidungen alle übrigen Gerichte, einschließlich des High Court, binden. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 9.2020).

Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 9.2020). Die Einflussnahme der Regierungspartei auf Parlament und Justiz haben deren Unabhängigkeit inzwischen weitgehend beseitigt (AA 21.6.2020).

Auf Grundlage des „Public Safety Act“, des „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, “Women and Children Repression Prevention Act” sowie des „Special Powers Act“ wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen – es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Speedy Trial Tribunals haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zu Tode verurteilt (ÖB 9.2020).

Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 2020). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom Dezember 2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018).

Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese "Gerichte" eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 5.8.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020

?        FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 3.4.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 16.11.2020

Die Polizei ist beim Ministerium für Inneres angesiedelt und hat das Mandat, die innere Sicherheit sowie Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Armee, die dem Büro des Ministerpräsidenten untersteht, ist für die äußere Sicherheit zuständig, kann aber auch für innerstaatliche Sicherheitsaufgaben herangezogen werden. Zivile Stellen hatten weiterhin effektive Kontrolle über die Streitkräfte und andere Sicherheitsbehörden. Die Regierung verfügt über Mechanismen, Missbrauch und Korruption zu untersuchen und zu bestrafen; sie werden aber nicht immer angewandt (USDOS 11.3.2020).

Das Wirken der Polizei ist gekennzeichnet durch einen Mangel an Ressourcen inklusive mangelhafter Infrastruktur, Mangel an Personal, Ausbildung und Arbeitsmaterialien, Ineffizienz und Korruption (AA 21.6.2020). Die Regierung unternahm Schritte, um in der Polizei Professionalität, Disziplin, Ausbildung und Reaktionsfähigkeit zu verbessern und die Korruption zu verringern (USDOS 11.3.2020; vgl. ÖB 9.2020). Trotz dieser Bemühungen kommt es weiterhin zu Machtmissbrauch und unangebrachter Gewaltanwendung von Sicherheitskräften, insbesondere durch die Rapid Action Batallions (RAPs), die in weiterer Folge ungestraft bleiben (ÖB 9.2020).

Es gibt Hinweise auf willkürliche Festnahmen durch die Polizeikräfte, obwohl dies gesetzlich verboten ist, sowie auf willkürliche Nutzung der gesetzlich erlaubten präventiven Festnahmen. Die Festnahme ohne Angabe von Gründen ist für bis zu 30 Tagen zur Verhinderung von Taten, die die nationale Sicherheit, Verteidigung, Souveränität, öffentliche Ordnung oder auch wirtschaftliche Interessen des Landes gefährden, erlaubt. Die Arretierten haben kein Recht auf einen Verteidiger. Die hauptsächlich Betroffenen sind Aktivisten der politischen Parteien und NGO-Vertreter, die Kritik an der Regierung üben. Nach wie vor problematisch ist auch die in vielen Fällen unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft. Als Gründe hierfür werden bürokratische Ineffizienz, limitierte Ressourcen und Korruption genannt. Gegenwärtig geht man von über 2 Millionen ausständigen Zivil- und Strafverfahren aus (ÖB 9.2020).

Die Sicherheitskräfte lassen Personen weiterhin routinemäßig „verschwinden“ (AI 30.1.2020; siehe auch Abschnitt 5). Betroffene sehen aus Angst vor Vergeltung in der Regel davon ab, Mitglieder der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsvergehen anzuzeigen, sodass diese straflos bleiben. Auch im Falle einer Beschwerde herrscht weitestgehend Straffreiheit. Wenn allerdings die Medien Polizeiversagen öffentlich anprangern, werden durch die politische Ebene die zuständigen Polizisten oft bestraft (AA 21.6.2020).

Die Sicherheitsbehörden bestehen zum Hauptteil aus der dem Innenministerium unterstellten „Bangladesch Police“, die ca. 116.000 Mann zählt. Zur Unterstützung der Polizei stehen weitere Einheiten zur Verfügung (ÖB 9.2020).

Rapid Action Batallions (RABs): Es gibt etwa 15 RABs mit insgesamt ca. 9.000 Mann, die ebenfalls dem Innenministerium unterstellt sind. Ihre Aufgabe ist der Kampf gegen bewaffnete kriminelle Organisationen. Die RABs sind hauptsächlich in urbanen Zentren stationiert, rekrutieren sich hauptsächlich aus Polizei und Armee, sind gut ausgebildet und mit moderner Ausrüstung versehen (ÖB 9.2020). Ihnen werden schwere Menschenrechtsverstöße wie z.B. extralegale Tötungen zugeschrieben (AA 21.6.2020). Die RABs verfolgen eine aggressive Strategie gegen bewaffnete „Gang“-Mitglieder, was zu zahlreichen Toten durch Schießereien führt. Sie werden auch bei Demonstrationen eingesetzt, wobei exzessive Gewalt, Gummigeschosse aber auch scharfe Munition gegen Demonstranten zum Einsatz kam, welche wiederholt Todesopfer forderten. Es kam trotz zahlreicher Verhaftungen noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen gegen Mitglieder der RABs (ÖB 9.2020). Die Regierung streitet weiterhin das Verschwindenlassen von Personen, Folter und andere Verstöße durch Sicherheitskräfte, sowie außergerichtliche Tötungen, etwa durch Angehörige des RAB ab. Die Sicherheitskräfte versuchen seit langem, unrechtmäßige Tötungen zu vertuschen, indem sie behaupteten, dass es bei einem Schusswechsel oder im Kreuzfeuer zu Todesfällen gekommen ist. Hunderte Menschen wurden angeblich in solchen „Kreuzfeuer“ getötet (HRW 14.1.2020; vgl. ÖB 9.2020).

Bangladesh Ansar: Gegründet im Jahr 1948 und ebenfalls dem Innenministerium unterstellt, gibt es aktuell ca. 23.000 leicht bewaffnete Ansars, die zur Unterstützung der Polizei im ländlichen Raum eingesetzt werden und auch Zivilschutz-Aufgaben übernehmen (ÖB 9.2020).

Border Guard Bangladesh (BGB) – ehem. Bangladesh RiflesRifles (BDRs): Diese ca. 40.000 Mann starke paramilitärische Truppe untersteht dem Home Ministry [Innenministrium], wird aber hauptsächlich von Armee-Offizieren geführt und dient in erster Linie dem Grenzschutz. Die BGB ist auch für die Verhinderung von Schmuggel und Menschenhandel zuständig (ÖB 9.2020).

Village Defence Parties (VDP): Gegründet 1976, sollte es in jedem Dorf des Landes je ein männliches und weibliches „Platoon“ [Zug] mit jeweils 32 Personen geben, die der Unterstützung der Polizei bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie der Unterstützung der zivilen Behörden bei sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbauprogrammen und bei Naturkatastrophen dienen sollen. In Städten gibt es analog dazu sog. Town Defence Parties (ÖB 9.2020).

Special Branch of Police (SB): Sie ist beauftragt, die nationale Sicherheit zu gewährleisten, erfüllt die Funktion, nachrichtendienstliche Informationen zu sammeln und ist mit der Spionageabwehr betraut. Die SB ist überall in Bangladesch vertreten und besitzt die Fähigkeit, innerhalb und außerhalb des Landes zu agieren (AA 21.6.2020).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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