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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Gruber und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Beschwerde des P in L, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 12. November 1996, Zl. 12/147-5/1996, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird, soweit der Beschwerdeführer wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 11 Abs. 2 StVO 1960 schuldig erkannt und hiefür bestraft wurde, einschließlich des darauf bezüglichen Kostenausspruches wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Das Land Tirol ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.010,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 12. November 1996 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 18. März 1995 auf der B 314 einen nach dem Kennzeichen bestimmten PKW von Bichlbach in Fahrtrichtung Lermoos gelenkt, wobei er 1. um 8.52 bei km 38,7 einen PKW, welcher mit einer Geschwindigkeit von 85 km/h gefahren sei, vor einer unübersichtlichen Straßenstelle überholt habe und 2. um 8.54 bei km 36,4 einen PKW überholt und es nach diesem Überholvorgang unterlassen habe, den Fahrstreifenwechsel nach rechts durch Blinken anzuzeigen, obwohl sich andere Fahrzeuglenker darauf einzustellen hatten. Er habe dadurch Verwaltungsübertretungen zu 1. nach § 16 Abs. 2 lit. b StVO 1960 und zu 2. nach § 11 Abs. 2 StVO 1960 begangen, weshalb über ihn Geldstrafen in der Höhe von zu 1. S 1.000,-- und zu 2. S 500,-- (und Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt wurden.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zur Übertretung nach § 16 Abs. 2 lit. b StVO 1960
(Spruchpunkt 1 des angefochtenen Bescheides):
Die belangte Behörde ging nach der Begründung des angefochtenen Bescheides im wesentlichen - nach Einholung eines Sachverständigengutachtens - davon aus, daß der Beschwerdeführer (anläßlich des hier in Rede stehenden ersten Überholvorganges) mit seinem Fahrzeug ein anderes Kraftfahrzeug überholte, mit dem eine Geschwindigkeit von 85 km/h eingehalten wurde. Auf Grund der örtlichen Gegebenheiten - unübersichtliche Kurve - hätte ausgehend von der genannten Geschwindigkeit für den Beschwerdeführer eine Übersichtweite zwischen 428 und 443 m betragen müssen, um gefahrlos überholen zu können. Tatsächlich habe die Sichtweite aber nur 340 m betragen, sodaß dem Beschwerdeführer eine Überholsichtweite von rund 20 % gefehlt habe. Dennoch habe der Beschwerdeführer den Überholvorgang begonnen.
Insoweit der Beschwerdeführer einwendet, der anzeigende Gendarmeriebeamte habe erklärt, er könne sich an die Sachverhaltsumstände nicht mehr erinnern, sein Hinweis auf die Anzeige reiche nicht aus, ist ihm zu entgegnen, daß die belangte Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung hinreichend schlüssig dargelegt hat, warum sie den Angaben des Meldungslegers und nicht der Verantwortung des Beschwerdeführers gefolgt ist. Dagegen und insbesondere auch gegen die Ausführungen des Sachverständigen vermag der Beschwerdeführer nichts Stichhältiges vorzutragen.
Abgesehen davon, daß der anzeigende Gendarmeriebeamte entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch aus seiner Erinnerung anläßlich der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde Angaben machte, kann es auch nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die Behörde seine Angaben auch insoferne verwertete, als er auf die Anzeige verwies und damit die Angaben in der Anzeige zum Bestandteil seiner Aussage machte. Bedenken an der Glaubwürdigkeit des Gendarmeriebeamten zeigte der Beschwerdeführer nicht auf.
Daß es sich beim Tatort entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers tatsächlich um eine unübersichtliche Kurve und Kuppe handelte, ist nicht nur aus den Angaben des Anzeigers, sondern auch aus dem im Akt erliegende Lichtbild in Verbindung mit den Ausführungen im Sachverständigengutachten ersichtlich. Für den Standpunkt des Beschwerdeführers ist auch insofern nichts gewonnen, als er sich darauf bezieht, die für ihn erforderliche "Einsichtstrecke" sei insofern kürzer anzunehmen, als er von einem entgegenkommenden Fahrzeug bereits durch Sicht auf dessen obere Teile (Dach) die volle Sichtbarkeit auf die Kuppe erreicht hätte, weil als Fahrzeuge eines möglichen Gegenverkehrs auch solche mit extrem niedriger Bauweise bzw. ohne Dach (z.B. Kabrioletts) geschützt werden müssen. Dem diesbezüglichen Einwand fehlt daher die Relevanz.
Die vorliegende Beschwerde war demnach - soweit sie die Verwaltungsübertretung nach § 16 Abs. 2 lit. b StVO 1960 betrifft - gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Zur Übertretung nach § 11 Abs. 2 StVO 1960 (Spruchpunkt 2 des angefochtenen Bescheides):
Die belangte Behörde ging zu diesem Delikt im wesentlichen davon aus, daß der Beschwerdeführer, der zuvor den ihn später anzeigenden Gendarmeriebeamten überholt hatte, in weiterer Folge einen zweiten Überholvorgang durchführte und nach diesem, um sich wieder einzuordnen, einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen habe, ohne diesen anzuzeigen. Der Beschwerdeführer habe selbst angegeben, daß er nicht mehr genau wisse, ob er geblinkt habe oder nicht. Es sei daher als erwiesen anzunehmen, daß der Beschwerdeführer die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung begangen habe.
Gemäß § 11 Abs. 2 StVO 1960 hat der Lenker eines Fahrzeuges die bevorstehende Änderung der Fahrtrichtung oder den bevorstehenden Wechsel des Fahrstreifens so rechtzeitig anzuzeigen, daß sich andere Straßenbenützer auf den angezeigten Vorgang einstellen können. Zu Recht ist die belangte Behörde grundsätzlich davon ausgegangen, daß die Nichtanzeige des Fahrstreifenwechsels nach dem Überholvorgang ein Delikt nach § 11 Abs. 2 StVO 1960 darstellt. Sie hat jedoch verkannt, daß der diesbezügliche Fahrstreifenwechsel nicht in jedem Fall angezeigt werden muß, sondern nur dann, wenn andere Straßenbenützer in Betracht kommen, welche durch den Vorgang behindert oder gefährdet werden können. Die Anzeige des Wechsels des Fahrstreifens nach dem Überholen ist somit dann nicht erforderlich, wenn ein anderer Straßenbenützer, der sich auf den angezeigten Vorgang einzustellen hätte bzw. gefährdet oder behindert werden könnte, nicht gegeben ist. So hat der Verwaltungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 8. April 1964, Zl. 1210/63, ausgehend von einer Geschwindigkeit des überholten Fahrzeuges von 20 km/h und des überholenden Fahrzeuges von 50 km/h, ausgeführt, daß bei einem solchen Geschwindigkeitsunterschied der überholende Personenkraftwagen weder das überholte Kraftfahrzeug noch die entgegenkommenden Fahrzeuge behindern oder gefährden könnte. In gleicher Weise wäre aber auch zu berücksichtigen, in welcher Entfernung zu den zunächstbefindlichen Kraftfahrzeugen die Änderung des Fahrstreifenwechsels erfolgt. Nun hat die belangte Behörde wohl den Spruch des erstinstanzlichen Bescheides gebilligt, worin ausgeführt wurde, daß der Beschwerdeführer den Fahrstreifenwechsel nach rechts durch Blinken anzuzeigen unterlassen habe, "obwohl sich andere Fahrzeuglenker darauf einzustellen hatten", hat jedoch diesbezüglich keinerlei konkreten Feststellungen getroffen. Es ist nicht ersichtlich, ob sich dieser Ausspruch auf das überholte Fahrzeug oder auf das nachfahrende Fahrzeug des Anzeigers bezogen hätte, weder die hiebei eingehaltenen Fahrgeschwindigkeiten des überholenden und überholten Fahrzeuges noch die Entfernung der hier in Frage kommenden Fahrzeuge zueinander anläßlich des Fahrstreifenwechsels des Beschwerdeführers wurden im angefochtenen Bescheid dargestellt. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, daß der anzeigende Gendarmeriebeamte in seiner Anzeige ausführte, daß er bei diesem (zweiten) Überholvorgang "unmittelbar hinter dem PKW des Angezeigten" gefahren sei, während er anläßlich der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde angab, daß sein Fahrzeug, als der Beschwerdeführer beim Fahrstreifenwechsel nicht geblinkt habe, "ca. 100 bis 120 m" entfernt gewesen wäre. Auch diesen Widerspruch hat die belangte Behörde bisher nicht aufgeklärt.
Da somit der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid, insoweit er die Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Übertretung gemäß § 11 Abs. 2 StVO 1960 betrifft, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997030017.X00Im RIS seit
12.06.2001