TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/10 W228 2171713-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.12.2020
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Entscheidungsdatum

10.12.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch


W228 2171713-1/27E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX 1998, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.09.2017,
Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und wird XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 10.12.2021 erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, hat sein Heimatland verlassen, ist illegal in das Bundesgebiet eingereist und hat am 24.07.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 25.07.2015 gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass er im Iran gelebt habe. Er habe dort keine Rechte gehabt und habe keine Schule besuchen können. Aus diesem Grund habe er den Iran verlassen. Er sei im Iran geboren und aufgewachsen und habe sich nur drei Jahre in Afghanistan aufgehalten. Außerdem herrsche in Afghanistan Krieg.

Der Beschwerdeführer wurde am 16.02.2016 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er im Iran geboren sei. Im Kindesalter sei er mit seiner Familie für ca. drei Jahre nach Afghanistan gegangen. Danach seien sie in den Iran zurückgekehrt. Zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass er nur drei Jahre mit seiner Familie in Afghanistan gelebt habe. Es habe dort keine Sicherheit gegeben. In Afghanistan sei es nicht möglich gewesen, ein gutes Leben aufzubauen. Tötungen und Entführungen würden dort auf der Tagesordnung stehen. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei für ihn undenkbar. Er würde dort verhungern, da er keine Arbeit finden würde. Außerdem habe er gesundheitliche Probleme.

Mit angefochtenem Bescheid vom 07.09.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs.1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seinem Fluchtgrund, zur Situation im Falle seiner Rückkehr und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Es habe keine glaubhafte Gefährdungslage festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung glaubhaft machen können. Dem Beschwerdeführer könne eine Rückkehr nach Afghanistan zugemutet werden.

Gegen verfahrensgegenständlich angefochtenen Bescheid wurde mit Schreiben der damaligen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 22.09.2017 Beschwerde erhoben. Darin wurde zunächst das, vom Beschwerdeführer erstattete, Vorbringen wiederholt und wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan als männliches Mitglied seiner Familie der Verfolgung durch die Taliban und den IS ausgesetzt wäre, einerseits aufgrund seiner Flucht aus Afghanistan und der damit unterstellten politischen Gesinnung und andererseits aufgrund seines Aufenthalts im Iran sowie im westlichen Ausland. Festzuhalten sei, dass dem Halbbruder des Beschwerdeführers – trotz gleicher Lebensgeschichte und gleichem Fluchtvorbringen - der Status des subsidiär Schutzberechtigten erteilt worden sei.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 27.09.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 09.10.2017, am 08.02.2018, am 14.03.2018, am 06.07.2018, am 09.07.2018, am 01.08.2018, am 16.11.2018, am 11.02.2019, am 14.03.2019, am 26.03.2019, am 08.07.2019, am 17.10.2019 und am 10.07.2020 wurden diverse Zeugnisse und Teilnahmebestätigungen an Deutschkursen betreffend den Beschwerdeführer an das Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 21.10.2020 der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers aufgetragen, sämtliche medizinischen Befunde betreffend die vorgebrachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers zu übermitteln.

Am 04.11.2020 langte eine mit 03.11.2020 datierte Stellungnahme der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein, in welcher Ausführungen zu den gesundheitlichen Einschränkungen des Beschwerdeführers getätigt wurden. In der Anlage wurde diverse ärztliche Befunde übermittelt.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 27.11.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des Beschwerdeführers, seiner Rechtsvertretung, sowie eines Dolmetschers für die Sprache Farsi durchgeführt. Die belangte Behörde entschuldigte ihr Fernbleiben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans und ist am XXXX 1998 im Iran geboren. Im Alter von fünf Jahren ist er mit seiner Familie nach Afghanistan nach Herat gezogen, wo er in der Folge ca. dreieinhalb Jahre lang gelebt hat, bevor er mit seiner Familie in den Iran zurückgekehrt ist, von wo aus der Beschwerdeführer schließlich Richtung Europa ausgereist ist.

Die Eltern des Beschwerdeführers sind bereits verstorben. Die Mutter, eine Schwester sowie zwei Brüder des in Österreich lebenden Halbbruders des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Iran. Die im Iran lebenden Angehörigen wurden zunächst vom in Österreich lebenden Halbbruder des Beschwerdeführers, welcher in Österreich eine Pizzeria hat, finanziell unterstützt. Aufgrund des Lockdowns in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Schließung der Pizzeria (mit Ausnahme von Abholungen, die finanziell jedoch nicht ins Gewicht fallen) des in Österreich lebenden Halbbruders des Beschwerdeführers ist eine finanzielle Unterstützung der im Iran lebenden Angehörigen durch den in Österreich lebenden Halbbruder des Beschwerdeführers nunmehr nicht mehr möglich.

Zwei Onkel väterlicherseits sowie ein Großvater väterlicherseits des Beschwerdeführers leben in Afghanistan. Der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt zu seinen in Afghanistan lebenden Angehörigen und weiß nicht, wo genau diese aufhältig sind.

Der Beschwerdeführer hat drei Jahre in Afghanistan und zwei Jahre im Iran die Schule besucht. Im Iran hat er als Hilfsarbeiter, als Schneider sowie als Brunnengräber gearbeitet.

Der Beschwerdeführer ist volljährig und ledig. Er ist arbeitsfähig. Er ist Paschtune, sunnitischer Moslem und spricht Farsi.

Der Beschwerdeführer leidet an einem Bandscheibenvorfall, welcher nicht behandelbar ist. Bei Bedarf nimmt er Schmerzmittel. Weiters wurden ihm in Österreich Nierensteine operativ entfernt.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit spätestens 24.07.2015 in Österreich. Er ist illegal in das Bundesgebiet eingereist. Der Halbbruder des Beschwerdeführers, XXXX , lebt in Österreich. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtgrund

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt und wurden von ihm keine asylrelevanten Gründe für das Verlassen seines Heimatstaates dargetan. Es wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan keine konkrete individuelle Verfolgungsgefahr droht.

Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung keine Verfolgung.

Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer als Rückkehrer mit westlicher Orientierung in Afghanistan einer Verfolgung nicht ausgesetzt wäre. Darüber hinaus wäre der Beschwerdeführer aufgrund seines Aufenthalts im Iran bzw. in einem europäischen Land in Afghanistan einer psychischen oder physischen Gewalt nicht ausgesetzt.

Weiters wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nicht der Gefahr ausgesetzt wäre, als Bacha Bazi (Tanzjunge) missbraucht zu werden.

Weiters wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer einer Verfolgung durch die Taliban bzw. den IS nicht ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer verließ den Iran aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen für dort aufhältige Afghanen.

1.3. Zur Situation im Falle der Rückkehr:

Dem Beschwerdeführer ist eine Rückkehr nach Afghanistan, etwa in die Städte Herat oder Mazar-e Sharif, aufgrund seiner individuellen Umstände in Verbindung mit der aktuell wegen der COVID-19-Pandemie angespannten Beschäftigungs-, Wohn- und Versorgungsituation derzeit nicht zumutbar.

In den Großstädten Afghanistans sind die Möglichkeiten, eine Arbeit, insbesondere Gelegenheits- und Tagelöhnertätigkeiten, zu finden aufgrund der Corona-Krise nach wie vor niedrig. Die Lebensmittelpreise sind nach wie vor überdurchschnittlich hoch. Resultierend aus diesen beiden Umständen (weniger Möglichkeiten, ein Einkommen zu erwirtschaften in Verbindung mit höheren Lebensmittelpreisen) besteht für die Städte in Afghanistan bis mindestens Jänner 2021 IPC Phase 3, was bedeutet, dass Ersparnisse aufgebraucht werden müssen.

Der Beschwerdeführer ist ein junger und arbeitsfähiger Mann. Er verfügt jedoch lediglich über eine fünfjährige Schulbildung und hat im Iran als Hilfsarbeiter, als Schneider sowie als Brunnengräber gearbeitet. In Afghanistan hat er nie gearbeitet. Er verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung oder sonstige besonderen Kenntnisse. Er hat im Kindesalter für dreieinhalb Jahre in Herat gelebt. In Mazar-e Sharif war er noch nie aufhältig und er verfügt weder in Herat noch in Mazar-e Sharif über familiäre Anknüpfungspunkte. Er wäre daher bei einer Rückkehr nach Afghanistan und Ansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif zur Sicherung seines Lebensunterhaltes auf Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten angewiesen. Gerade diese stehen aber in Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie in den Großstädten derzeit nur in sehr eingeschränktem Ausmaß zur Verfügung. Dasselbe gilt auch für die Unterkunftssituation. Auch die Nahrungsmittelpreise sind in den letzten Monaten massiv gestiegen. Es wäre dem geringqualifizierten Beschwerdeführer, der keine abgeschlossene Berufsausbildung aufweist und in den Städten Herat und Mazar-e Sharif über kein familiäres oder soziales Netzwerk verfügt, daher in der aktuellen Situation mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich, eine Arbeit und eine für ihn leistbare Unterkunft zu finden.

Die beim Beschwerdeführer vorgenommene Einzelfallprüfung ergibt, dass aufgrund der oben dargelegten individuellen und allgemeinen Umstände nicht davon ausgegangen werden kann, dass es ihm möglich ist, in Afghanistan bei einer Neuansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif dort Fuß zu fassen und ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Bei einer dortigen Ansiedlung liefe der Beschwerdeführer vielmehr Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat/ maßgebliche Situation in Afghanistan:

Mazar-e Sharif:

Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst.

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt sicher zu erreichen ist.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften.

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt.

Herat-Stadt:

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt.

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden. Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala. Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt.

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Talibankämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban.

Im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 wurden in der Provinz 145 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 2.095.117 geschätzt.

Als "verwestlicht" wahrgenommene Personen:

Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen. UNHCR ist der Ansicht, dass - je nach den Umständen des Einzelfalls - für solche Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen kann.

Dokumentierte Fälle eines gezielten Vorgehens gegen zurückkehrende Afghanen auf Grundlage einer "Verwestlichung", weil diese in Europa gereist wären oder dort gelebt hätten, westliche Ausweisdokumente in ihrem Besitz oder Ideen angenommen hätten, welche als "unafghanisch", "westlich" oder "europäisch" angesehen werden, sind spärlich. Uneinheitliche Beschreibungen aus Quellen nennen vereinzelte Berichte vermeintlicher Entführungen oder sonstige, auf Einzelne abzielende Verfolgungshandlungen, oder, dass nicht für jede Person ein Risiko besteht, aber, dass solche Handlungen vorkommen, wobei allerdings der Grad und die Verbreitung schwierig zu quantifizieren sind, oder aber, dass Verfolgung nicht spezifisch vorkomme wegen des Asylwerbens oder des Bereisens westlicher Länder.

Bacha Bazi

Eine in Afghanistan praktizierte Form der Kinderprostitution ist Bacha Bazi (sog. „Tanzjungen“ auch „Knabenspiel“), was in der afghanischen Gesellschaft in Bezug auf Jungen nicht als homosexueller Akt erachtet und als Teil der gesellschaftlichen Norm empfunden wird. Bacha Bazi ist eine Praxis, bei der Buben von reichen oder mächtigen Männern zur Unterhaltung, insbesondere Tanz und sexuellen Handlungen, ausgebeutet werden. In weiten Teilen Afghanistans bleibt der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird gewöhnlich unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Es wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen, da die Mehrheit der Vorfälle nicht angezeigt wird. UNAMA konnte in den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 aufgrund der mit dem Thema verbundenen gesellschaftlichen Befindlichkeiten lediglich vier Fälle von sexueller Gewalt gegen Minderjährige überprüfen und dokumentieren. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen ist durch das afghanische Gesetz unter Strafe gestellt, die strafrechtliche Verfolgung scheint nur in Einzelfällen stattzufinden. Mit einer Ergänzung zum Strafgesetz, die am 14. Februar 2018 in Kraft trat, wurde die Bacha Bazi-Praxis erstmalig explizit unter Strafe gestellt. Das Anheuern von Bacha Bazi wird nun durch das revidierte Strafgesetzbuch als Straftat definiert und im Artikel 653 mit Strafe bedroht. Aber auch hier verläuft die Durchsetzung des Gesetzes nur schleppend und Straflosigkeit der Täter ist weiterhin verbreitet. Missbrauchte Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung ausgeschlossen und stigmatisiert; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt.

Üblicherweise sind die Buben zwischen zehn und 18 Jahren alt, viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben. Viele der Buben wurden entführt, manchmal werden sie auch von ihren Familien aufgrund von Armut an die Täter verkauft. Manchmal sind die Betroffenen Waisenkinder und in manchen Fällen entschließen sich Buben, Bacha Bazi zu werden, um ihre Familien zu versorgen.

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

2. Beweiswürdigung

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die getroffenen Feststellungen zur Person ergeben sich aus dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zu seinen Aufenthalten im Iran und in Afghanistan sowie zum nunmehrigen Aufenthaltsort seiner Angehörigen stützen sich auf die Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren vor dem BFA, in der Beschwerde, sowie in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Farsi.

Der Umstand, dass der in Österreich lebende Halbbruder des Beschwerdeführers die im Iran lebenden Angehörigen finanziell unterstützte, ergibt sich aus den übereinstimmenden Aussagen des Beschwerdeführers und seines Halbbruders in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Feststellung, wonach eine finanzielle Unterstützung aufgrund der Schließung des Lokals des Halbbruders des Beschwerdeführers aufgrund des Lockdowns nunmehr nicht möglich ist, ergibt sich ebenfalls aus den Ausführungen des Halbbruders des Beschwerdeführers in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und ist dieses Vorbringen lebensnah, nachvollziehbar und daher glaubwürdig.

Die Feststellungen zu den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus den vorgelegten medizinischen Befunden.

2.2. Zum vorgebrachten Fluchtgrund:

Der Beschwerdeführer brachte glaubwürdig vor, dass er im Iran geboren sei, im Alter von fünf Jahren mit seiner Familie für ca. dreieinhalb Jahre nach Afghanistan gezogen sei und nach diesem dreieinhalbjährigen Aufenthalt wieder in den Iran zurückgekehrt sei, wo er schließlich bis zu seiner Ausreise nach Europa gelebt habe.

Soweit der Beschwerdeführer die schlechten Lebensumstände als Afghane im Iran als Grund für seine Flucht aus dem Iran angibt, so waren seine diesbezüglichen Aussagen schlüssig und plausibel und sohin glaubwürdig.

Der Beschwerdeführer hat weder eine konkrete Verfolgung, noch eine individuelle Bedrohung durch staatliche Organe oder Privatpersonen vorgebracht. Angesichts der Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer – abgesehen von seinem ca. dreieinhalbjährigen Aufenthalt in Afghanistan im Kindesalter - ausschließlich im Iran aufgehalten hat, sich nie politisch betätigte und von keinen Problemen mit den Behörden seines Herkunftsstaates betroffen gewesen ist, ging die belangte Behörde zutreffend vom Nichtbestehen eines realen Risikos einer individuellen Verfolgung des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr aus, zumal auch der Beschwerdeführer selbst zu keinem Zeitpunkt ein konkretes Vorbringen in diese Richtung erstattet hat.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer als Rückkehrer mit westlicher Orientierung in Afghanistan keiner Verfolgung aus diesem Grund ausgesetzt wäre, ergibt sich aus dem diesbezüglich lediglich allgemein gehaltenen Vorbringen, mit dem mögliche Gewalthandlungen gegen die Person des Beschwerdeführers nicht hinreichend substantiiert aufgezeigt wurden. In der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde der Beschwerdeführer gefragt, woran die in der Beschwerde vorgebrachte Verwestlichung zu erkennen sei und konnte er dazu überhaupt keine konkreten Angaben machen, sondern gab er lediglich an, dass für ihn Mann und Frau gleich seien und Gleichberechtigung für ihn sehr wichtig sei. Wenn er heirate, werde er dies bei seiner Frau berücksichtigen. Konkrete bzw. substantiierte Aussagen zu bestimmten „westlichen“ Verhaltensweisen wurden nicht getätigt und konnte der Beschwerdeführer nicht darlegen, wodurch sich sein „westlicher Lebensstil“ äußern sollte. Aufgrund des in der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks des Beschwerdeführers ist nach Ansicht des erkennenden Gerichts nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer eine westliche Lebenseinstellung in einer ihn in Afghanistan exponierenden Intensität übernommen hat. Es ist auch nicht erkennbar, warum gerade der Beschwerdeführer gegenüber hunderttausend anderen Rückkehrern in eine derart exponierte Lage geraten soll, dass er auf Grund seines Lebensstils oder auf Grund seines Aufenthaltes in einem westlichen Land bzw. im Iran psychischer oder physischer Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt wäre. So blieb das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vage und konnte er dadurch keine hinreichend substantiierte Bedrohung seiner Person im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufzeigen.

Im Ergebnis lässt das individuelle Vorbringen des Beschwerdeführers daher nicht erkennen, welche - als "westlich" erachteten - Verhaltensweisen er sich angeeignet hätte, die für ihn im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer asylrelevanten Verfolgung führen würden.

Eine individuelle konkrete Verfolgung des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan allein aufgrund seines fast lebenslangen Aufenthaltes im Iran und Europa hat der Beschwerdeführer nicht substantiiert vorgebracht. Es ist den beigezogenen Länderberichten auch nicht zu entnehmen, dass Rückkehrer aus dem Iran oder Europa in besonderer Form von Gewalt und Bedrohungen betroffen wären, sodass auch eine generelle (Gruppen-)Verfolgung von Rückkehrern aus dem Iran und Europa nicht vorliegt.

Die Behauptung in der Beschwerde, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr von den Taliban bzw. dem IS verfolgt werden würde, wurde ebenfalls völlig unsubstantiiert in den Raum gestellt. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Taliban oder der IS den Beschwerdeführer, der sich lediglich im Kindesalter für dreieinhalb Jahre in Afghanistan aufgehalten hat, im Falle einer Rückkehr verfolgen sollten. Auch wurde nicht vorgebracht, dass es in diesen dreieinhalb Jahren zu irgendwelchen konkreten Vorfällen mit den Taliban oder dem IS gekommen sei.

Betreffend das Vorbringen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, wonach er sei bei einer Rückkehr der Gefahr ausgesetzt wäre, als Bacha Bazi (Tanzjunge) missbraucht zu werden, ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich völlig vage und unsubstantiiert blieb und keinerlei konkrete Angaben dazu tätigte. Darüber hinaus ist den Länderfeststellungen zu entnehmen, dass üblicherweise Jungen im Alter zwischen zehn und 18 Jahren betroffen sind und bei ersten Anzeichen eines Bartes weggegeben werden. Der Beschwerdeführer ist mittlerweile 22 Jahre alt, sodass bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht davon auszugehen ist, dass er als Bacha Bazi missbraucht werden wird.

2.3. Zur Situation im Falle der Rückkehr:

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aufgrund des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung am 13.11.2019), den EASO-Richtlinien (Country Guidance Afghanistan) von Juni 2019 und der UNHCR-RL vom 30.08.2018.

Die Feststellungen zur Situation in den Städten Afghanistans (geringe Möglichkeiten, ein Einkommen zu erwirtschaften in Verbindung mit höheren Lebensmittelpreisen) und der dort bestehenden IPC Phase 3, ergeben sich aus dem Dokument FEWS NET – Afghanistan Food Security Outlook Update von August 2020.

Die Grundversorgung vor der COVID-19-Pandemie war in Afghanistan generell – und so auch in den Städten Mazar-e Sharif und Herat – grundlegend gesichert. Aus den oben angeführten aktuellen Informationen ergibt sich jedoch, dass derzeit aufgrund der erschwerten Importsituation und der höheren Nachfrage die Lebensmittelpreise steigen. Insbesondere steigen die Kosten für Grundnahrungsmittel um hohe Prozentsätze, sodass die Versorgungssituation der Bevölkerung dadurch, verglichen mit der Situation vor COVID-19, noch einmal deutlich verschärft wird.

Der Beschwerdeführer hat lediglich fünf Jahre lang die Schule besucht und im Iran als Hilfsarbeiter, als Schneider sowie als Brunnengräber gearbeitet. In Afghanistan hat er noch nie gearbeitet. Er verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung oder sonst relevante Qualifikationen.

In den Städten Afghanistans herrscht, besonders für Geringqualifizierte wie den Beschwerdeführer, der auf Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten angewiesen ist, eine eingeschränkte Möglichkeit einen Arbeitsplatz zu finden. Auch das Fehlen eines sozialen Netzwerks in Herat und Mazar-e Sharif erschwert für den Beschwerdeführer den Zugang zum Arbeitsmarkt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer – abgesehen von einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Kindesalter – nie in Afghanistan gelebt hat und daher mit den dortigen Gegebenheiten, insbesondere mit den Gegebenheiten am Arbeitsmarkt, nicht vertraut ist, was den Zugang zum Arbeitsmarkt ebenfalls weiter erschwert. Es wäre dem Beschwerdeführer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit derzeit nicht möglich, eine Arbeit zu finden. Wie festgestellt, bedeutet die in den Städten Afghanistans bestehenden IPC Phase 3, dass Ersparnisse aufgebraucht werden müssen. Es ist im gegenständlichen Fall davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer als Rückkehrer keine Ersparnisse hat und daher nicht auf solche zurückgreifen kann. Mit einer finanziellen Unterstützung durch die im Iran lebenden Angehörigen kann nicht gerechnet werden, weil diese selbst von dem in Österreich lebenden Halbbruder des Beschwerdeführers finanziell unterstützt wurden. Aufgrund des Lockdowns in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Schließung der Pizzeria (mit Ausnahme von Abholungen, die finanziell jedoch nicht ins Gewicht fallen) des in Österreich lebenden Halbbruders des Beschwerdeführers ist eine finanzielle Unterstützung der im Iran lebenden Angehörigen durch den in Österreich lebenden Halbbruder des Beschwerdeführers nunmehr nicht möglich. Der in Österreich lebende Halbbruder des Beschwerdeführers könnte daher auch den Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan finanziell nicht unterstützen.

Durch die Inanspruchnahme der nach den vorliegenden Länderinformationen grundsätzlich verfügbaren Rückkehrhilfe könnte der Beschwerdeführer höchstens sehr kurzfristig das Auslangen finden und wird insbesondere nur für Kabul berichtet, dass etwa Unterkünfte speziell für Rückkehrer verfügbar sind.

Dass diese Folgewirkungen der COVID-19-Pandemie durch die (an)laufenden internationalen Hilfs- bzw. Unterstützungsprogramme zur Gänze abgewendet werden könnten, ist nicht ersichtlich, zumal sich diese Programme vorwiegend auf die Unterstützung in medizinischer/gesundheitlicher Hinsicht konzentrieren.

Im gegenständlichen Verfahren nahm das Bundesverwaltungsgericht für den Beschwerdeführer eine individuelle Einzelfallprüfung vor, wie sie sowohl von EASO als auch von UNHCR für die Annahme einer Rückkehrmöglichkeit oder einer innerstaatlichen Flucht- und Schutzalternative gefordert werden. Das erkennende Gericht kommt in einer Gesamtbetrachtung zum Schluss, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner individuellen Umstände in Verbindung mit der aktuell angespannten Beschäftigungs-, Wohn- und Versorgungsituation eine Rückkehr nach Afghanistan derzeit nicht zumutbar ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

I. Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht gemäß § 3 AsylG 1991 setzt positiv getroffene Feststellungen von Seiten der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, Zl. 95/01/0627). Im Asylverfahren stellt das Vorbringen des Asylwerbers die zentrale Entscheidungsgrundlage dar. Dabei genügen aber nicht bloße Behauptungen, sondern bedarf es, um eine Anerkennung als Flüchtling zu erwirken, hierfür einer entsprechenden Glaubhaftmachung durch den Asylwerber (vgl. VwGH 04.11.1992, Zl. 92/01/0560). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559).

So erscheint es im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht unschlüssig, wenn den ersten Angaben, die ein Asylwerber nach seiner Ankunft in Österreich macht, gegenüber späteren Steigerungen erhöhte Bedeutung beigemessen wird (vgl. VwGH 08.07.1993, Zl. 92/01/1000; VwGH 30.11.1992, Zl. 92/01/0832; VwGH 20.05.1992, Zl. 92/01/0407; VwGH 19.09.1990, Zl. 90/01/0133). Der Umstand, dass ein Asylwerber bei der Erstbefragung gravierende Angriffe gegen seine Person unerwähnt gelassen hat (hier Schläge, Ziehen an den Haaren, Begießen mit kaltem Wasser) spricht gegen seine Glaubwürdigkeit (VwGH 16.09.1992, Zl. 92/01/0181). Die gilt umso mehr für Widersprüche (vgl. zur Erstbefragung nach § 19 Abs. 1 AsylG 2005 auch VwGH 02.01.2017, Zl. Ra 2016/18/0323, Rz 8). Auch unbestrittene Divergenzen zwischen den Angaben eines Asylwerbers bei seiner niederschriftlichen Vernehmung und dem Inhalt seines schriftlichen Asylantrages sind bei schlüssigen Argumenten der Behörde, gegen die in der Beschwerde nichts Entscheidendes vorgebracht wird, geeignet, dem Vorbringen des Asylwerbers die Glaubwürdigkeit zu versagen (Vgl. VwGH 21.06.1994, Zl. 94/20/0140). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema (vgl. VwGH 30.09.2004, Zl. 2001/20/0006, zum Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten (vgl. VwGH vom 23.01.1997, Zl. 95/20/0303 zu Widersprüchen bei einer mehr als vier Jahre nach der Flucht erfolgten Einvernahme hinsichtlich der Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in seinem Heimatdorf nach seiner Haftentlassung) können für sich allein nicht ausreichen, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten (vgl. dazu auch VwGH 26.11.2003, Zl. 2001/20/0457). Auch oberflächlich und allgemein gehaltene Angaben, welche jeden konkreten, (insbesondere zeitlich) nachprüfbaren Anhaltspunkt vermeiden, und die trotz mehrfacher Aufforderungen, Details zu schildern, erfolgen, sind grundsätzlich geeignet, in einer schlüssigen Begründung zur Verneinung der Glaubwürdigkeit dieser Angaben betreffend eine drohende individuelle Verfolgung herangezogen zu werden (vgl. etwa VwGH 26.06.1996, Zl. 95/20/0205).

Die amtswegigen Ermittlungspflichten im Asylverfahren sind im § 18 Abs. 1 AsylG 2005 geregelt, der inhaltlich nahezu wortgleich der Vorgängerbestimmung des § 28 AsylG 1997 entspricht. Der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. AsylG 1997 folgend stellt diese Gesetzesstelle eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehende Verpflichtung der Verwaltungsbehörden dar, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, begründet aber keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht (vgl. VwGH 08.04.2003, Zl. 2002/01/0522). Grundsätzlich obliegt es dem Asylwerber, alles Zweckdienliche, insbesondere seine wahre Bedrohungssituation in dem seiner Auffassung nach auf ihn zutreffenden Herkunftsstaat, für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (Vgl. VwGH 31.05.2001, Zl. 2001/20/0041; VwGH 23.07.1999, Zl. 98/20/0464). Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 28 AsylG 1997 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (Vgl. VwGH 14.12.2000, Zl. 2000/20/0494; VwGH 06.10.1999, Zl. 98/01/0311; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0222). Die Ermittlungspflicht der Behörde geht auch nicht soweit, den Asylwerber zu erfolgversprechenden Argumenten und Vorbringen anzuleiten (vgl. VwGH vom 21.09.2000, Zl. 98/20/0361; VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0599).

Wie beweiswürdigend dargelegt, ergibt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers, welcher im Iran geboren wurde, lediglich im Kindesalter für dreieinhalb Jahre in Afghanistan gelebt hat und sich in der Folge ausschließlich außerhalb seines Herkunftsstaates aufgehalten hat, keine diesem individuell drohende Gefährdungslage im obigen Sinne.

Wie in der Beweiswürdigung dargelegt, bestehen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er sich zunächst im Iran und schließlich für ca. fünf Jahre in Europa aufgehalten hat, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wegen der von ihm angegebenen „Verwestlichung“ seines Lebensstils psychischer und/oder physischer Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen ausgesetzt wäre. Das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers blieb völlig vage.

Es ist nicht anzunehmen, dass bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan vermutet werden könnte, er hätte aufgrund seines Aufenthalts im Ausland, insbesondere in Europa, gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte verstoßen. Es kann daher nicht erkannt werden, dass ihm aufgrund einer „Verwestlichung“ eine konkrete Verfolgungsgefahr in Afghanistan drohen würde.

Aus den vorhandenen Länderberichten sowie dem notorischen Amtswissen ist nicht ableitbar, dass alleine eine westliche Geisteshaltung bei Männern bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würde; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt dafür nicht (so z.B. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

Dass der in Beschwerdeführer den Traditionen und Sitten in einem muslimisch geprägten Land aufgrund seines ca. fünfjährigen Aufenthalts in Österreich entfremdet wäre oder im Falle seiner Rückkehr als „verwestlicht“ erkannt werden würde, konnte somit nicht plausibel dargetan werden.

Im Ergebnis lässt das individuelle Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ansatzweise erkennen, welche – als „westlich“ erachteten – Verhaltensweisen er sich angeeignet hätte, die für ihn im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer asylrelevanten Verfolgung führen würden und die ein solch wesentlicher Bestandteil seiner Identität geworden wären, dass es für ihn eine Verfolgung bedeuten würde, diese zu unterdrücken. Der gegenständliche Sachverhalt ist daher nicht mit den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum „selbstbestimmten westlichen Lebensstil“ von Frauen behandelten Fällen vergleichbar (vgl. etwa VwGH vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018; 15.12.2015, Ra 2014/18/0118 und 0119; 15.12.2016, Ra 2016/18/0329).

Weiters wird auf einen Auszug aus einer gutachterlichen Stellungsnahme zu "Westernized Men" des Ländersachverständigen Dr. Sarajuddin RASULY vom 13.08.2016 im zur Zahl W169 2007031-1 protokollierten Verfahren verwiesen:

"Seit Beginn des Krieges vor mehr als 36 Jahren haben mehr als 8 Millionen Afghanen Afghanistan verlassen. Davon leben mehr als 1 Million Menschen in Europa und Amerika. Von den 8 Millionen sind nicht alle im Ausland geblieben, aber die Afghanen sind froh, dass ihre Familienmitglieder, vor allem aus wirtschaftlichen und Sicherheitsgründen, sich in sichere Länder begeben. Daher wird der lange Aufenthalt eines Afghanen im europäischen Ausland auf keinen Fall in der afghanischen Gesellschaft negativ aufgenommen. Der lange Aufenthalt eines Afghanen wird in Afghanistan sogar als eine Bereicherung angesehen. Diese obigen Ausführungen beruhen vor allem auf meinen eigenen Wahrnehmungen, die ich während meiner Forschungsreisen nach Afghanistan, zuletzt vom 21. März bis 02. April 2016, gemacht habe."

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im vorliegenden Fall Eingriffe von asylrelevanter Intensität wegen des behaupteten „westlichen Lebensstils“ des Beschwerdeführers bei einer hypothetischen Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten wären.

Wenn der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung ausführt, er wäre im Fall seiner Rückkehr gefährdet, als „Tanzjunge“ missbraucht zu werden, so ist einerseits aus dem vom Beschwerdeführer getätigten völlig unsubstantiierten Vorbringen eine dahingehende individuelle konkrete Gefährdung seiner Person nicht ersichtlich und andererseits ist eine solche auch aus einer Gesamtschau des Länderberichtsmaterials sowie dem notorischen Amtswissen vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer mittlerweile 22 Jahre alt ist und somit nicht mehr zur primär betroffenen Personengruppe zählt, die einer solchen Gefährdung ausgesetzt ist, für das Bundesverwaltungsgericht nicht erkennbar.

Da es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, asylrelevante Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention in seinem Herkunftsstaat glaubhaft darzutun, war der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers gem. § 3 AsylG 2005 abzuweisen.

II. Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides

Wird ein Asylantrag "in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten" abgewiesen, so ist dem Asylwerber gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, "wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde". Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Status mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 zu verbinden.

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. Letzteres wurde wiederum durch das Protokoll Nr. 6 beziehungsweise Nr. 13 zur Abschaffung der Todesstrafe hinfällig. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Gemäß § 8 Abs. 3 und 6 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich dieses Status abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann. Daraus und aus mehreren anderen Vorschriften (§ 2 Abs. 1 Z 13, § 10 Abs. 1 Z 2, § 27 Abs. 2 und 4 AsylG 2005) ergibt sich, dass dann, wenn dem Asylwerber kein subsidiärer Schutz gewährt wird, sein Antrag auf interanationalen Schutz auch in dieser Beziehung förmlich abzuweisen ist.

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

Festzuhalten ist, dass gemäß den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 eine innerstaatliche Schutzalternative in Kabul angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul derzeit grundsätzlich nicht verfügbar ist (so auch VfGH 30.11.2018, E 3870/2018). Dasselbe gilt für Jalalabad. Dieser Einschätzung schließt sich das erkennende Gericht im gegenständlichen Verfahren an, sodass Kabul und Jalalabad nicht als innerstaatliche Schutzalternativen in Betracht kommen.

Hinsichtlich der in den Städten Herat und Mazar-e Sharif bestehenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist aus den oben angeführten Länderberichten auf das Wesentliche zusammengefasst abzuleiten, dass derzeit die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist und dass v. a. Personen, die sich ohne jegliche familiäre Bindung, Berufsausbildung und Geldmittel in diesen Städten ansiedeln, mit sehr großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sein werden.

Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, mwN). Dabei hat sich das Bundesverwaltungsgericht auch mit den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 sowie den Vorgaben der EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan in adäquater Weise auseinanderzusetzen (VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, Rn. 42 ff, mwN).

Im vorliegenden Fall ist - wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt - aufgrund der derzeit bestehenden besonderen Vulnerabilität des Beschwerdeführers aufgrund seiner individuellen Umstände in Verbindung mit der angespannten Beschäftigungs-, Wohn- und Versorgungsituation in den Städten Mazar-e Sharif und Herat eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar.

Der Beschwerdeführer hat in den Städten Mazar-e Sharif und Herat keine Verwandten. Er ist zwar ein junger und arbeitsfähiger Mann, hat jedoch lediglich fünf Jahre lang die Schule besucht und im Iran als Hilfsarbeiter, als Schneider sowie als Brunnengräber gearbeitet. Er verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung oder sonstige besondere Kenntnisse. Zudem hat er sich – abgesehen von seinem dreieinhalbjährigen Aufenthalt in Afghanistan im Kindesalter – nicht in Afghanistan aufgehalten und ist daher mit den dortigen Gegebenheiten nicht vertraut.

Aufgrund dessen ist von einer individuellen Unzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative auszugehen. Unter Berücksichtigung der dargelegten allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers und der aufgezeigten persönlichen Umstände des Einzelfalls des Beschwerdeführers erscheint es insgesamt nicht möglich, dass der Beschwerdeführer in Herat oder Mazar-e Sharif Fuß fasst und dort ein Leben ohne unbillige Härten führen kann, wie es auch andere Landsleute führen (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001). Auch eine drohende Verletzung seiner Rechte unter dem Gesichtspunkt ökonomischer Überlegungen ist zu bejahen, da der Beschwerdeführer aufgrund einer Zurückführung in eine ausweglose Situation geraten würde.

Dem Beschwerdeführer würde daher vor dem Hintergrund der dargelegten Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der ihn betreffenden individuellen, exzeptionellen Umstände bei einer Rückkehr nach Afghanistan die reale Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohen, wobei eine innerstaatliche Fluchtalternative aus den dargelegten Erwägungen nicht zumutbar ist. Es ist damit dargetan, dass seine Abschiebung eine Verletzung in seinen Rechten nach Art 3 EMRK darstellen würde.

Ausschlussgründe nach § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG liegen nicht vor, weil sie einerseits nicht hervorgekommen sind (§ 9 Abs. 2 Z 1 und 2 AsylG) und der Beschwerdeführer andererseits unbescholten ist (Z 3).

Daher war der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattzugeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.

III. - Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, von der zuerkennenden Behörde gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Im gegenständlichen Fall ist dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.

Daher ist dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 4 AsylG gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer eines Jahres zu erteilen.

IV. - Ersatzlose Behebung der Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides:

Im gegenständlichen Fall ist dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.

Da die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung und die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise somit nicht mehr vorlieg

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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