TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/14 L510 2143574-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.12.2020
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Entscheidungsdatum

14.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L510 2143574-1/31E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch Johannes SCHALK in Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.12.2016, Zahl XXXX , nach mündlicher Verhandlung am 02.06.2020 und am 18.08.2020, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Irak. Nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet brachte er am 26.03.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Im Rahmen der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 27.03.2015 gab der Beschwerdeführer an, er gehöre der kurdischen Volksgruppe und der muslimischen Religionsgemeinschaft an (AS 1). Er sei Schüler gewesen, habe in Mosul gewohnt und sei aus Angst vor dem herrschenden Krieg im Irak und aus Angst vor den IS-Terroristen aus dem Irak geflohen. Weitere Fluchtgründe habe er nicht (AS 9).

2. Am 16.09.2016 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen (AS 81ff). Dabei gab der Beschwerdeführer im Wesentlich an, im September 2014 sei sein Dorf vom IS besetzt worden und die IS-Mitglieder würden gewollt haben, dass er andere Menschen töte oder andernfalls er getötet werde. Der Beschwerdeführer sei dann mit seiner Familie in ein Dorf in der Nähe von Kirkuk gegangen. Fünf Monate später sei der IS auch dorthin gekommen. Die Familie sei hierauf mit dem Bus in die Türkei gefahren. Der Vater des Beschwerdeführers sei bereits 2007 getötet worden, da er Anhänger von Saddam Hussein gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe in Kurdistan Angst gehabt. Nach der Ermordung des Vaters habe die Familie in deren Dorf in Kurdistan gelebt und dort ihre Ruhe gehabt. Aufgrund der Tätigkeit des Vaters habe der Beschwerdeführer Feinde im Irak, vom Staat habe er nichts zu befürchten. Ihn habe zu keiner Zeit jemand angegriffen, er wisse auch keine Namen der Feinde.

3. Der Antrag auf internationalen Schutz wurde mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid des BFA gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) (AS 99ff).

Mit Verfahrensanordnung wurde dem Beschwerdeführer ein Rechtsberater von Amts wegen zur Seite gestellt.

4. Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben (AS 169ff). Darin wurde der Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, mangelhafter bzw. unrichtiger Begründung sowie Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung der Verfahrensvorschriften angefochten.

5. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 10.20.2017 wurde die gegenständliche Rechtssache der nunmehrigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen (OZ 11).

6. Am 02.06.2020 und am 18.08.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers sowie im Beisein seines bevollmächtigen Vertreters eine Verhandlung durch. Das BFA blieb entschuldigt fern.

Der zweite Verhandlungstermin war erforderlich, da der Beschwerdeführer im Rahmen des ersten Verhandlungstermins erstmals eine von ihm vollzogene Konversion zum Christentum vorbrachte und darlegte, dass entsprechende diesbezügliche Unterlagen beim BVwG bereits eingebracht worden seien. Tatsächlich waren jedoch beim BVwG diesbezügliche Unterlagen und Beweisvorbringen nicht aktenkundig. Es erging die Aufforderung, entsprechende Unterlagen dem BVwG vorzulegen und wurde ein neuer Verhandlungstermin anberaumt.

Mit der Ladung zum jeweiligen Verhandlungstermin wurde der Beschwerdeführer auch umfassend auf seine Mitwirkungsverpflichtung im Beschwerdeverfahren hingewiesen und er zudem auch konkret aufgefordert, insbesondere seine persönlichen Fluchtgründe und sonstigen Rückkehrbefürchtungen durch geeignete Unterlagen bzw. Bescheinigungsmittel glaubhaft zu machen, wobei eine demonstrative Aufzählung von grundsätzlich als geeignet erscheinenden Unterlagen erfolgte.

Zugleich mit der Ladung wurden dem Beschwerdeführer jeweils ergänzend Berichte zur aktuellen Lage im Irak übermittelt bzw. namhaft gemacht, welche das BVwG in die Entscheidung miteinbezieht (OZ 16, OZ 23). Eine schriftliche Stellungnahmefrist bis zum Verhandlungstermin oder eine Stellungnahmemöglichkeit in der Verhandlung wurden dazu eingeräumt. Eine schriftliche Stellungnahme wurde nicht abgegeben und wurde auch in der mündlichen Verhandlung den Berichten nicht entgegen getreten, es wurden jedoch weitere (eigene) Länderberichte vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Irak und führt den im Spruch genannten Namen und das dort angeführte Geburtsdatum. Seine Identität steht fest (öst. Führerschein, VHS Beilage). Er ist ledig und hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer ist gesund (VHS, S 16). Er gehört der kurdischen Volksgruppe an (AS 1).

Der Beschwerdeführer war ursprünglich muslimischen Glaubens, lebte im Irak jedoch in einer Art und Weise, als wenn er ohne Religionsbekenntnis gewesen wäre (VHS, S 11). In Österreich hat er Zugang zum christlichen Glauben gefunden und ist nunmehr zum Christentum konvertiert (VHS, S 11ff).

Der Beschwerdeführer besuchte insgesamt 12 Jahre lang eine kurdische Schule im Irak und schloss diese mit Matura ab. Neben der Schule arbeitete der Beschwerdeführer im Familienbetrieb, einem Auto-Teile-Verkauf bzw. einer Werkstatt, mit (VHS, S 7).

Der Beschwerdeführer war etwa 15 km südlich von Mosul, im östlichen Teil, in einem Dorf namens XXXX , auch XXXX (VHS 18.08.2020, S 7), wohnhaft (VHS 02.06.2020, S 3). Das Lager des Familienbetriebes befand sich etwa 20 km östlich von Mosul, zwischen dem Ort XXXX und Mosul. Vom Wohnort war die Werkstatt etwa 7 km entfernt (VHS, S 7).

In XXXX hat der Beschwerdeführer bis 2002 gelebt. Danach ist die Familie nach XXXX , einem Ort in der Nähe von Erbil, gezogen, bevor sie 2005 wieder nach XXXX zurückkehrte. 2014 besetzten IS-Terroristen diesen Ort, weshalb der Beschwerdeführer in die Nähe von Kirkuk ging, wo er etwa einen Monat lang verblieb. Dann kamen die Terroristen auch in diesen Ort und die Familie fuhr nach Kirkuk (VHS, S 9). Im September oder Oktober 2014 verließ der Beschwerdeführer den Irak von Kirkuk aus in Richtung Türkei (VHS, S 9).

Die Mutter des Beschwerdeführers und seine drei leiblichen (jüngeren) Geschwister leben in der Türkei. Seit Beginn der Corona-Pandemie hat der Beschwerdeführer keinen Kontakt mehr zu ihnen (VHS, S 8). Die sieben Halbgeschwister des Beschwerdeführers leben im Irak, jedoch hat der Beschwerdeführer seit langer Zeit keinen Kontakt zu ihnen. Eine Cousine und ein Cousin des Beschwerdeführers leben im Irak. Weitere Verwandte hat der Beschwerdeführer im Irak nicht (VHS, S 9). Der Vater des Beschwerdeführers wurde 2007 im Irak erschossen (VHS, S 10).

Der Beschwerdeführer reiste im März 2015 in Österreich ein (AS 1ff). Unmittelbar nach seiner Einreise arbeitete der Beschwerdeführer für einige Monate im Rahmen der sog. Flüchtlingswelle 2015 ehrenamtlich als Dolmetscher und übernahm auch weitere Tätigkeiten für das Unternehmen XXXX (VHS, Beilage). Seit März 2015 bis August 2020 bezog der Beschwerdeführer zumindest (Teil-)Leistungen aus der Grundversorgung. Im Jahr 2017 gründete er ein Unternehmen und hatte einen Gewerbeschein inne, aus jener Unternehmung wurde aber letztlich nichts (OZ 13). Seit Juli 2020 arbeitet der Beschwerdeführer rechtmäßig in Vollzeit auf einem Bauernhof (VHS Beilagen). Manchmal arbeitet er auch am Wochenende. Nebenbei fertigt der Beschwerdeführer Bastelarbeiten (sog. XXXX ) an, die er im Internet zum Verkauf anbietet. In seiner Freizeit geht er schwimmen und trifft Freunde. Er ist mit einer österreichischen Familie gut befreundet und am Wochenende liest er auch in der Bibel. Bis vor Beginn der Corona-Pandemie hatte der Beschwerdeführer eine Freundin, von der er sich jedoch trennte (VHS, S 5, 6). Der Beschwerdeführer absolvierte die Deutschprüfung B1 (OZ 14), er kann sich sehr gut auf Deutsch verständigen (VHS, S 8). Er nahm auch an einem Werte- und Orientierungskurs teil (VHS Beilage).

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. der Rückkehrbefürchtungen:

In der Erstbefragung vom 27.03.2015 gab der Beschwerdeführer an, er habe den Irak aufgrund der unsicheren Lage verlassen. Er habe Angst vor den IS-Terroristen, ein Leben im Irak sei unmöglich. Weitere Gründe habe er nicht (AS 9).

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vom 16.09.2016 gab der Beschwerdeführer an, im September 2014 sei sein Dorf vom IS besetzt worden und der IS habe gewollt, dass er andere Menschen töte oder er werde selbst getötet, wenn er das nicht tue. Die gesamte Familie sei daraufhin in ein Dorf in der Nähe von Kirkuk gegangen. Nach fünf Monaten sei der IS auch dorthin gekommen, weshalb sie von Kirkuk aus mit einem Bus nach Istanbul gefahren seien. Sein Vater sei 2007 getötet worden, da er Anhänger von Saddam Hussein gewesen sei. Er sei beim Geheimdienst gewesen und habe gegen Regimegegner ermittelt. 2006 sei er von der Regierung Kurdistans verhaftet worden. In einem Prozess sei er freigesprochen worden, doch danach in einem Hinterhalt ermordet worden. Die Familie habe danach weiterhin in deren Dorf gewohnt und habe dort ihre Ruhe gehabt. Bis der IS gekommen sei, habe die Familie keine Probleme gehabt. Vom Staat habe der Beschwerdeführer nichts zu befürchten, er habe jedoch Feinde aufgrund der Tätigkeit seines Vaters. Die Feinde könne der Beschwerdeführer nicht benennen, er kenne diese nicht, er sei auch nie angegriffen worden (AS 82, 83).

In der mündlichen Verhandlung vom 02.06.2020 gab der Beschwerdeführer erstmals an, dass er bereits vor längerer Zeit zum Christentum konvertiert sei (VHS 02.06.2020, S 2).

In der mündlichen Verhandlung vom 18.08.2020 brachte der Beschwerdeführer vor, dass IS-Terroristen den Ort des Beschwerdeführers besetzt haben würden und das ganze Vermögen der Familie genommen haben würden (VHS, S 10).

Der Beschwerdeführer sei auch wegen Problemen seines Vaters geflohen. Dieser habe für das Saddam-Regime gearbeitet und nach dem Sturz jenes Regimes würden die kurdischen Parteien dem Vater Probleme bereitet haben. Der Vater sei 2007 erschossen worden. Nach dem Tod des Vaters habe die Familie unter Angst gelebt und habe nie den Wohnort verlassen. Das Geschäft mit den Autoteilen sei von anderen Personen betrieben worden, es sei aber auf den Namen der Mutter des Beschwerdeführers gelaufen und er und seine Mutter würden auch mitgeholfen haben.

In den Irak könne er nicht zurückkehren, da er nichts und niemanden dort mehr habe und die Mörder des Vaters glauben würden, dass er aus Rache zurückkomme. Die Mörder des Vaters kenne der Beschwerdeführer nicht, aber diese würden bestimmt zu einer kurdischen Partei gehören (VHS, S 10f).

Aufgrund seines christlichen Glaubens werde er bei einer Rückkehr in den Irak von den Moslems getötet. Er könne im Irak nicht sagen, dass er Christ sei.

Es konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt wäre.

Es konnte zudem, unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände, nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Für den Beschwerdeführer, der kurdisch spricht, über eine abgeschlossene Schulbildung verfügt und bereits neben dem Schulbesuch im Familienbetrieb, einem Autoteile-Geschäft/Werkstatt, arbeitete, besteht im Irak eine Rückkehrperspektive.

Es wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer im Rückkehrfall keine lebens- bzw. existenzbedrohende Notlage droht. Dem Beschwerdeführer ist eine Rückkehr in den Irak zum Entscheidungszeitpunkt zumutbar.

1.3. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Im Juni 2014 startete der sog. Islamische Staat Irak (IS) oder Da'esh, einen erfolgreichen Angriff auf Mosul, die zweitgrößte Stadt des Irak. Der IS übernahm daraufhin die Kontrolle über andere Gebiete des Irak, einschließlich großer Teile der Provinzen Anbar, Salah al-Din, Diyala und Kirkuk. Im Dezember 2017 erklärte Premierminister Haider al-Abadi den endgültigen Sieg über den IS, nachdem die irakischen Streitkräfte die letzten Gebiete, die noch immer an der Grenze zu Syrien unter ihrer Kontrolle standen, zurückerobert hatten. Der IS führt weiterhin kleine Angriffe vorwiegend auf Regierungstruppen und Sicherheitspersonal an Straßenkontrollpunkten aus.

Am 25. September 2017 hat die kurdische Regionalregierung (KRG) ein unverbindliches Referendum über die Unabhängigkeit der kurdischen Region im Irak sowie über umstrittene Gebiete, die unter Kontrolle der KRG stehen, abgehalten. Das Referendum wurde für verfassungswidrig erklärt.

Bei den nationalen Wahlen im Mai 2018 gewann keine Partei die Mehrheit, obwohl die meisten Stimmen und Sitze an die Partei des schiitischen Klerikers Muqtada al-Sadr gingen, ein ehemaliger Anti-US-Milizenführer.

Genaue, aktuelle offizielle demographische Daten sind nicht verfügbar. Die letzte Volkszählung wurde 1987 durchgeführt. Das US-Außenministerium schätzt die Bevölkerung im Irak auf rund 39 Millionen. Araber (75 Prozent) und Kurden (15 Prozent) bilden die beiden wichtigsten ethnischen Gruppen. Andere Ethnien sind Turkmenen, Assyrer, Yazidis, Shabak, Beduinen, Roma und Palästinenser.

97 Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Schiiten machen 55 bis 60 Prozent der Bevölkerung aus und umfassen Araber, Shabak und Faili-Kurden. Der Rest der Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Sunniten, einschließlich der sunnitischen Araber, die schätzungsweise 24 Prozent der Gesamtbevölkerung des Irak ausmachen. Die meisten Kurden sind auch Sunniten und machen etwa 15 Prozent der nationalen Bevölkerung aus.

Die schiitischen Gemeinden leben in den meisten Gebieten des Irak, konzentrieren sich jedoch im Süden und Osten. Die Mehrheit der Bevölkerung von Bagdad sind Schiiten, insbesondere Vororte wie Sadr City, Abu Dashir und Al Dora. Sunniten leben hauptsächlich im Westen, Norden und im Zentralirak. Die Anzahl der in Bagdad als gemischt betrachteten Gebiete nimmt ab. In einigen Bezirken Bagdads gibt es immer noch bedeutende sunnitische Gemeinden, darunter Abu Ghraib. Die Bezirke A'adamia, Rusafa, Za'farania, Dora und Rasheed haben kleinere Gebiete sunnitischer Gemeinschaften. Gemischte sunnitische-schiitische Gemeinden leben in den Bezirken Rusafa und Karada, kleinere gemischte Gemeinden auch in den Bezirken Doura, Rasheed, Karkh, Mansour und Kadhimiya.

Die irakische Verfassung garantiert grundlegende Menschenrechte einschließlich Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Chancengleichheit, Privatsphäre und Unabhängigkeit der Justiz. Die Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Nationalität, der Herkunft, der Hautfarbe, der Religion, der Meinung, des wirtschaftlichen oder sozialen Status.

Die Verfassung macht den Islam zur offiziellen Religion des Staates. Es garantiert die Glaubens- und Religionsfreiheit für alle Personen, einschließlich Christen, Yazidis und Sabäer-Mandäer.

Auf der Scharia beruhende Regelungen verbieten zwar eine Konversion vom islamischen Glauben, doch ist keine Strafverfolgung hierfür bekannt.

Nach irakischem Recht wird ein Kind unter 18 Jahren automatisch zum Islam konvertiert, wenn auch einer seiner nicht-muslimischen Eltern konvertiert ist.

Nach der Absetzung von Saddam Hussein und der (von Sunniten dominierten) Ba'ath-Partei aus der Regierung fühlten sich viele Sunniten ausgegrenzt.

Das US-Außenministerium und internationale Menschenrechtsgruppen berichten von regierungsnahen Streitkräften, die sunnitische Männer anzugreifen versuchen, die aus IS-kontrollierten Gebieten fliehen und verhindern, dass Sunniten die von der Regierung kontrollierten Gebiete verlassen. Außerhalb der vom IS kontrollierten Gebiete wurden Sunniten in der Form belästigt und diskriminiert, dass sie bei Kontrollpunkten in aufdringlicher Weise kontrolliert wurden und Dienste minderer Qualität in sunnitischen Gebieten bereitgestellt werden.

Sunniten sind außerhalb von Gebieten, die kürzlich vom IS kontrolliert wurden, aufgrund ihrer Religion einem geringen Risiko gesellschaftlicher Gewalt ausgesetzt. In Gebieten, in denen sie eine Minderheit sind, sind Sunniten einem mäßigen Risiko von Diskriminierung durch die Behörden und der Gesellschaft ausgesetzt. Das Risiko der Diskriminierung variiert je nach lokalem Einfluss und Verbindungen (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 09.10.2018).

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt. Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen. Im Juli 2019 begann die „Operation Will of Victory“, an der irakische Streitkräfte (ISF), Popular Mobilizations Forces (PMF), Trival Mobilization Forces (TMF) und Kampfflugzeuge der US-geführten Koalition teilnahmen. Die mehrphasige Operation hat die Beseitigung von IS-Zellen zum Ziel. Die zivilen Todesopfer im gesamten irakischen Gebiet belaufen sich im Jahr 2017 auf 13.183, im Jahr 2018 auf 3.319 und von Jänner bis inkl. September 2019 auf 1.542. Es handelt sich dabei im vorläufige Zahlen, andere sind nicht verfügbar.

Im Gesamtirak wurden im Laufe des Monats Juli 2019 82 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 65 Tote und 119 Verletzten registriert; im August 2019 waren es 104 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 93 Toten und 141 Verletzten und im September 2019 123 Vorfälle mit 122 Toten und 131 Verletzten (Kurzinformation der Staatendokumentation, Irak, Sicherheitsupdate 3. Quartal 2019 und jüngste Ereignisse, 30.10.2019).

Im Irak ging die Zahl der Sicherheitsvorfälle (zB Schießereien, IED’s, Angriffe auf Checkpoints, Entführungen, Selbstmordattentate, Autobomben) von Jänner bis Dezember 2018 um etwa 60% zurück. Zu Beginn des Jahres waren es 224 Vorfälle. Im März gab es einen Anstieg der Vorfälle, die sich vor allem in Anbar, Diyala, Kirkuk und Salahaddin ereigneten. Im April sanken sie auf 139. Von Juni bis Oktober gab es Schwankungen, beginnend in Diyala und Kirkuk, danach in Ninewa und schließlich in Anbar, Bagdad, Kirkuk und Ninewa. Seit dem Rückzug des sog. Islamischen Staates gab es in den letzten beiden Monaten des Jahres die wenigsten Vorfälle, die jemals im Land verzeichnet wurden.

Auch Bagdad, das früher ein Hauptangriffsziel war, entwickelte sich zu einem Nebenschauplatz. Im Jänner gab es 71 Vorfälle. Diese Zahl sank kontinuierlich und lag bei 13 Vorfällen im Juni. Danach erfolgte wieder ein Anstieg und es gab im September 47 Vorfälle. Seither kam es wieder zu einem Rückgang und 13 Vorfällen im November 2018. Bei fast allen Angriffen handelte es sich um kleinere Vorfälle wie Schießereien und IED’s. Die meisten Vorfälle ereigneten sich auch in Städten im äußern Norden (Joel Wing, Musings on Iraq, 15.01.2019).

In der zweiten Juliwoche 2019 wurden 13 Vorfälle registriert. In Bagdad gab es vier Vorfälle, bei denen drei Personen getötet wurden (Musings on Iraq, 17.07.2019).

In der ersten Septemberwoche 2019 gab es 39 sicherheitsrelevante Vorfälle. Dabei betrifft ein solcher Vorfall den Fund eines Massengrabs mit 13 Toten im Süden von Mosul. Die meisten Vorfälle, nämlich 14, ereigneten sich in Diyala. Neun Vorfälle ereigneten sich in Ninewa, sieben in Bagdad, fünf in Salah al-Din, zwei in Kirkuk und jeweils einer in Anbar und Babil (Musings on Iraq, 17.09.2019).

In der zweiten Septemberwoche 2019 ereigneten sich weniger Vorfälle als in der Vorwoche, nämlich insgesamt 30. Zwei dieser Vorfälle waren Leichenfunde. Diese Woche ereigneten sich die meisten Vorfälle, nämlich elf, in Kirkuk. In Diyala waren es neun Vorfälle. Ein Vorfall war in Anbar. Dabei handelt es sich um den Fund eines Massengrabs mit 15 Toten. Jeweils drei Vorfälle entfielen auf Bagdad, Ninewa und Salah al-Din. Einer der drei Vorfälle in Ninewa betraf den Fund von neun Leichen in der Altstadt von West-Mosul. Bei den anderen zwei Vorfällen handelte es sich um Sprengfallen im Gebiet Hamam al-Alil, 27 Kilometer südlich von Mosul. Von den drei Vorfälle in Salah al-Din war einer eine Schießerei, die zur Folge hatte, dass die Autobahn von Tuz Kurmatu nach Bagdad kurze Zeit gesperrt war. Während es in der ersten Septemberwoche in Bagdad eine Reihe von Sprengfallen gab, kehrte in der zweiten Septemberwoche wieder Normalität ein, mit nur drei Schießereien im Norden und Westen (Musings on Iraq, 23.09.2019).

Nach einem Anstieg der Angriffe Anfang September 2019 sind diese Mitte des Monats wieder auf einen Mittelwert zurückgegangen. Während es im August außerhalb von Diyala kaum Angriffe gab, fanden im September im gesamten Zentralirak welche statt. Es gab in der dritten Septemberwoche 2019 28 sicherheitsrelevante Vorfälle im gesamten Irak. Acht Vorfälle in Bagdad, fünf in Kirkuk, vier in Diyala. Zwei Vorfälle fanden in Ninewa statt und jeweils ein Vorfall in Anbar, Babil, Kerbala und Salah al-Din. Jener Vorfall in Kerbala war eine der selten vorkommenden Autobomben. Dabei gab es zwölf Tote und fünf Verletzte. Ninewa und Salah al-Din, die früher die Hauptfronten des IS waren, sind jetzt nur noch zweitrangig. Im Vergleich dazu sind die Vorfälle in Diyala und Kirkuk weiterhin hoch (Musings on Iraq, 01.10.2019).

In der ersten Oktoberwoche 2019 gab es nur drei Zwischenfälle in Anbar, Diyala und Ninewa. In der zweiten Oktoberwoche gab es 14 Vorfälle, davon fünf in Diyala, drei in Kikruk, jeweils zwei in Ninewa und Salah al-Din und jeweils einen in Anbar und Babil. Im Zentralirak ist der IS am aktivsten. Ninewa und Salah al-Din sind weniger wichtiger für den IS. In Kirkuk und Diyala findet die meiste Gewalt statt. In Bagdad gab es im September die meisten Angriffe. Anfang Oktober gab es wegen der in Bagdad stattgefundenen Proteste keine Angriffe (Musings on Iraq, 22.10.2019).

Es gibt kaum noch Autobomben im Irak. In Diyala gab es bis Mitte Oktober 2019 keine einzige Autobombe. In Kirkuk gab es im Jänner 2019 die einzige Autobombe des Jahres. In Ninewa gab es drei Autobomben und zwar im Februar, März und Mai. In Salah al-Din gab es vier Autobomben im Jänner, März, April und August. Früher wurden vom IS routinemäßig Autobomben in städtischen Gebieten eingesetzt. Jetzt kommen diese kaum noch vor und zeigen, dass der IS schwer angeschlagen ist.

Bis Mitte Oktober 2019 gab es in Ninewa zwei Attacken auf Checkpoints, die sich beide im Februar ereigneten. In Salah al-Din gab es vier Attacken auf Checkpoints und zwar im Jänner, Mai, Juli und September. In Kirkuk gab es zwölf Attacken (vier im Jänner, eine im März, drei im Mai, zwei im Juni und zwei im September). In Diyala gab es mit 46 die meisten Attacken und bis auf Oktober in jedem Monat (Musings on Iraq, 01.10.2019 und 22.10.2019).

Der IS hat im April 2020 eine neue Gewaltoffensive gestartet, die in der dritten Woche des Mai ihren Höhepunkt erreichte. Es wurden dabei die gleich hohe Anzahl von Attacken wie zuletzt zur selben Zeit 2018. In der vierten Mai-Woche gingen die Attacken wieder zurück (Musings on Iraq, 01.06.2020).

Die Gewalt im Irak erreichte in der vierten Juniwoche einen Tiefpunkt. Die Angriffe des Islamischen Staates waren dort einstellig. Vom 22. bis 28. Juni 2020 wurden in den Medien im Irak insgesamt 10 Sicherheitsvorfälle gemeldet. Einer davon war ein Raketenangriff auf den Internationalen Flughafen Bagdad von pro-iranischen Gruppen, die hoffen, inmitten der amerikanisch-irakischen Verhandlungen um eine neue Sicherheitsvereinbarung, eine Nachricht an die USA zu senden. Das waren nur 9 Vorfälle des Islamischen Staates. Dies war die niedrigste Zahl seit 8 Vorfällen in der zweiten Woche im November 2019.

Gewalt trat nur in vier Provinzen auf. Es gab jeweils einen Vorfall in Kirkuk und Salahaddin, zwei in Bagdad und sechs in Diyala. 8 Menschen starben und 13 wurden verwundet. Das waren 2 Hashd al-Shaabi und 6 Polizisten, die ihr Leben verloren haben, zusammen mit 5 Polizisten und 8 Hashd, die verletzt wurden. Die Sicherheitskräfte waren weiterhin das Hauptziel der Militanten. Jetzt versucht der IS, seine militärische Dominanz über die ländlichen Gebiete, in denen er arbeitet, durch Einschüchterung der Armee, Polizei und Hashd zu behaupten. Alle Opfer gab es in Salahaddin mit 10 und Diyala mit 11. Anbar bleibt ein Schwerpunkt der Regierung. In der vergangenen Woche gab es 7 Sicherheitsoperationen. In der folgenden Woche gab es gerade eine in der Wüstenregion Nukhaib im Süden an der Grenze zu Nadschaf. Die Provinz sieht relativ wenig aufständische Aktivitäten, ist aber die Hauptschmuggelroute des IS.

Es gab zwei Zwischenfälle in Bagdad. Neben dem Raketenangriff warf ein Polizist zwei Granaten auf sein Haus im Adhamiya Distrikt im Norden. Im Juni wurden fast alle Angriffe, 8 von 10, im Gouvernement der Hauptstadt von proiranischen Gruppen durchgeführt, die Raketen in Bereichen abfeuerten, in denen amerikanisches Personal untergebracht ist. Dies führte dazu, dass die Regierung die Büros der Kataib Hisbollah überfiel, die dafür verantwortlich gemacht wurde.

Diyala ist die Hauptbasis für den Aufstand im Irak. Es war diesen Monat relativ ruhig, weil die Regierungstruppen anwesend waren. Während der Woche gab es sechs Vorfälle, die meisten in diesem Monat. Dazu gehörten zwei Städte im Waqf-Becken, welche von Mörsern getroffen wurden, zwei Angriffe auf Kontrollpunkte, ein Angriff auf ein Dorf und es wurde ein Polizist erschossen. All dies geschah im Muqdadiya Bezirk in der Mitte. Die Regierung startete außerdem sechs Operationen im Norden, Süden, Nordosten und Zentrum. Die Hälfte davon war auf wenige Dörfer beschränkt, während die anderen größere Regionen abdeckten. Die Kerngebiete des Islamischen Staates in Muqdadiya und Khanaqin wurden jede Woche durchsucht, was erklärt, warum die Vorfälle relativ gering waren. Die stetigen Operationen in letzter Zeit haben dazu geführt, dass nicht so viele Angriffe wie üblich ausgeführt werden konnten.

Im südlichen Makhmour-Distrikt von Erbil gab es eine Sicherheitsoperation. Seit einigen Monaten trifft der IS diesen Bereich, weil es ein umstrittenes Gebiet ist und es Lücken in der Berichterstattung zwischen den irakischen Streitkräften und Peshmerga gibt.

Die dritte Phase der Heroes of Iraq-Kampagne begann Anfang der Woche in Salahaddin. Vier verschiedene Bereiche in der Mitte und im Osten waren betroffen. Es wurden mehrere IEDs entdeckt, die 2 Hashd töteten und 8 weitere verwundeten.

Es gab keine Zwischenfälle in Kirkuk oder Ninewa und keine Regierungsaktivitäten. Dies war ein weiteres Zeichen dafür, dass sich der IS im Juni reduzierte. Der Rückgang der Ereignisse im Juni zeigt, dass der Aufstand militärisch immer noch sehr begrenzt ist und große Operationen nicht lange aufrechterhalten werden können. Die Regierung war auch sehr aggressiv (Musings on Iraq, 30. Juni 2020).

Die Gewalt im Irak ist auf ein sehr niedriges Niveau zurückgekehrt. In der dritten Woche in Folge gab es kaum Vorfälle. Das kam nachdem der Islamische Staat von April bis Mai eine neue Offensive angekündigt hatte, bei der die Angriffe auf das Niveau von 2018 stiegen. Die Regierung startete auch eine aggressive Reihe von Sicherheitsmaßnahmen, die auch die Operationen der Aufständischen niedrig gehalten haben.

Vom 15. bis 21. Juni wurden in den Medien nur 16 Sicherheitsvorfälle gemeldet. Das war die gleiche Zahl wie in der Woche zuvor. Zwei von den Vorfällen waren pro-iranische Gruppen, die Raketen auf Ziele in Bagdad abfeuerten, in denen Amerikaner untergebracht waren, sowie ein Dritter, bei welchem Raketen entdeckt wurden, bevor sie ins Leben gerufen wurden. Diese Art von Angriffen entstand, als die irakische Regierung Gespräche über eine neue Sicherheitsvereinbarung mit den Vereinigten Staaten aufgenommen hat. Teheran versucht die Botschaft zu senden, dass die Amerikaner jederzeit ins Visier genommen werden können und das Land verlassen sollten. Damit blieben 13 Vorfälle durch den IS wahrscheinlich, gegenüber 12 in der Woche zuvor und 17 in der ersten Juniwoche.

Die Vorfälle verteilten sich auf nur fünf Provinzen, eine in Kirkuk, vier in Bagdad und Diyala, zwei in Ninewa und fünf in Salahaddin. Diese führten zu 11 Todesfällen und 19 Verwundeten. 1 Zivilist, 4 irakische Sicherheitskräfte (ISF) und 6 Hashd al-Shaabi kamen ums Leben, weitere 5 Sicherheitskräfte, 7 Zivilisten und 7 Hashd wurden verletzt. Salahaddin hatte mit 19 die meisten Verluste, gefolgt von 6 in Diyala, 4 in Ninewa und 1 in Bagdad. Obwohl die Verluste gering waren, litten die Sicherheitskräfte mehr als die Zivilbevölkerung darunter, was in den letzten zwei Monaten eine entscheidende Veränderung war. Es scheint, dass der IS versucht, die militärische Überlegenheit gegenüber den ländlichen Gebieten, in denen sie tätig sind, zu etablieren, indem sie danach streben die Polizei, Armee und Hashd einzuschüchtern. Seit der IS letztes Jahr sein letztes Stück Territorium in Syrien verloren hat, zieht er Männer und Material aus dem Land in den Irak, weitgehend über Anbar. Als Reaktion darauf tätigt die Regierung ständige Sicherheitsoperationen in den großen unbewohnten Gebieten der Provinz. Dort gab es sieben solche während der Woche durch die Wüstengebiete, die Grenze und das Hit-Viertel.

In Diyala gab es während der Woche vier Zwischenfälle. Eine Militärpatrouille wurde von einem IED getroffen, eine Gruppe von Zivilisten wurde angegriffen, ein IS-Scharfschütze tötete einen Hashd und verwundete einen Soldaten, alles im Bezirk Muqdadiya im Zentrum. Ein Infiltrationsversuch wurde im Bezirk Khanaqin im Nordosten vereitelt. Diese Provinz ist das Zentrum der IS-Aktivitäten im Irak, weshalb es regelmäßig zu einer hohen Anzahl von Vorfällen kommt.

3 Personen, die Wochen zuvor entführt worden waren, wurden von den Sicherheitskräften in einem Dorf im Bezirk Daquq im Süden von Kirkuk gerettet. Der IS wurde nie aus der südlichen Region des Gouvernements vertrieben, weshalb sich dort fast alle Vorfälle ereignen.

In Ninewa führten zwei IEDs, die sich gegen Zivilisten richteten, zu insgesamt vier Verwundeten. Beide ereigneten sich im Bezirk Qayara südlich von Mosul.

Salahaddin war das gewalttätigste Gebiet im Irak. Es gab fünf Vorfälle, darunter IEDs, die auf einen Armeekonvoi und eine Hashd-Patrouille abzielten. Der Anführer von Hashd wurde ermordet und es wurde auf einen Kontrollpunkt geschossen. Das größte Ereignis war jedoch ein Angriff auf ein Hashd-Hauptquartier im Samarra Bezirk, der 6 Opfer hinterließ. Der IS hat in den letzten Wochen seine Aktivitäten in der Provinz stark aufgenommen. Als Antwort gab es eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen, drei im Osten, eine im Westen von Samarra im Zentrum und die letzte in Yathrib im Süden (Musings on Iraq, 23. Juni 2020).

Bis Ende April 2020 wurden etwa 4,7 Millionen Personen im Irak gezählt, die nach Vertreibung an ihren gewöhnlichen Wohnsitz rückkehrten; diese verteilten sich auf 8 Gouvernements, 38 Distrikte und über 2.000 Orte. In den Monaten März und April 2020 wurden über 44.000 neue Rückkehrer registriert. Diese Anzahl ist niedriger als zuletzt, was auf die von den Behörden erlassenen Mobilitätbeschränkungen aufgrund des Coronavirus zurückzuführen ist. Die meisten Rückkehrer wurden in den Gouvernements Anbar, Ninewa und Salah al-Din gezählt. Die Gesamtzahl der gezählten Binnenvertriebenen belief sich im März und April 2020 auf etwa 1,4 Millionen Personen, aufgeteilt auf 18 Gouvernements, 104 Bezirke und knapp 3.000 Orte. Trotz des kontinuierlichen Rückgangs von Binnenvertriebenen (etwa -9.600 Personen im Vergleich zur Zählung in den Monaten Jänner und Februar 2020) wurden in den Monaten März und April 2020 knapp 2.700 neue Binnenvertriebene gezählt, welche überwiegend bereits zum zweiten Mal vertrieben wurden. 60% der in den Monaten März und April 2020 gezählten Binnenvertriebenen stammten aus dem Gouvernement Ninewa (die meisten aus Mosul, Sinjar und Al-Ba’aj), jeweils 11% stammten aus den Gouvernements Salah al-Din und Anbar (Displacement Tracking Matrix, Iraq Master List Report 115, March-April 2020).

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den Gesamtirak im Lauf des Monats Juli 2019 82 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 83 Tote und 119 Verletzten verzeichnet. 18 Tote gingen auf Leichenfunde von Opfern des IS im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der tatsächlichen gewaltsamen Todesfälle im Juli auf 65 reduziert werden kann. Es war der zweite Monat in Folge, in dem die Vorfallzahlen wieder zurückgingen. Dieser Rückgang wird einerseits auf eine großangelegte Militäraktion der Regierung in vier Gouvernements zurückgeführt [Anm.: „Operation Will of Victory“; Anbar, Salah ad Din, Ninewa und Diyala, siehe oben], wobei die Vorfallzahlen auch in Gouvernements zurückgingen, die nicht von der Offensive betroffen waren. Der Rückgang an sicherheitsrelevanten Vorfällen wird auch mit einem neuerlichen verstärkten Fokus des IS auf Syrien erklärt (Joel Wing 5.8.2019).

Im August 2019 verzeichnete Joel Wing 104 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 103 Toten und 141 Verletzten. Zehn Tote gingen auf Leichenfunde von Jesiden im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der Todesfälle im August auf 93 angepasst werden kann. Bei einem der Vorfälle handelte es sich um einen Angriff einer pro-iranischen PMF auf eine Sicherheitseinheit von British Petroleum (BP) im Rumaila Ölfeld bei Basra (Joel Wing 9.9.2019).

Im September 2019 wurden von Joel Wing für den Gesamtirak 123 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 122 Toten und 131 Verletzten registriert (Joel Wing 16.10.2019).

Mossul feiert kulturelles Comeback: Ein Park in Mossul. Hier bildete der sog. „Islamische Staat“ (IS) einst Kindersoldaten aus. Nun haben sich tausende Menschen versammelt – für ein Bücherfestival mit Musik, Theater und Tischen voll Bücher, die für die Einwohner der Stadt gesammelt wurden.

Die Kultur ist zurück in der zweitgrößten Stadt des Irak. Und das „Ich bin Iraker – ich lese“-Festival ist nur eine von vielen Kulturveranstaltungen. Das Motto des Festivals ist an eine traditionelle arabische Redewendung angelehnt: „Ägypter schreiben, Libanesen publizieren, Iraker lesen.“ […]

Kunst und Kultur haben unter dem IS stark gelitten. Statuen von Dichtern und Schriftstellern wurden niedergerissen, Kunstwerke und Musikinstrumente zerstört und die Universitätsbibliothek in Brad gesteckt – viele wertvolle Bände sind für immer verloren. Bücher wurden verboten, nicht-religiöse Kunst war tabu. Musiker und andere Künstler kamen ums Leben.

Marwan Tariq unterrichtet an der Universität von Mossul. Er findet auch, dass Fortschritte gemacht wurden. „Die Situation nach Daesh ist schon besser als vor ihrer Ankunft“ Tariq war einer der ersten, der den stark bombardierten Campus der Universität wieder betrat, nachdem der IS im vergangenem Jahr verjagt worden war. Der Schaden in seinem Institut war gewaltig. „Alles, was eine Verbindung zur Kunst hatte, wurde zerstört: Klaviere, Uds (arabische Lauten), Gitarren, aber auch Gemälde und Skulpturen“, berichtet er (Mossul feiert kulturelles Comeback, qantara.de, 10.09.2018)

Die meisten der Schutzmauern, die in den letzten zehn Jahren errichtet wurden, um öffentliche und private Gebäude zu sichern, wurden abgerissen. Stattdessen finden sich dort jetzt Parks und Grünflächen. Im Zuge der Veränderungen wurde in Bagdad auch das erste Frauencafé eröffnet. Dort können sich Frauen ohne Begleitung von Männern treffen und ihre Kopftücher und die lange Abaya ablegen, die auf den Straßen so verbreitet sind.

Im Café "La Femme" werden Wasserpfeifen angeboten und von einer Frau zubereitet. Es werden alkoholfreie Champagnercocktails, Softgetränke und Snacks serviert. Bisher haben sich noch keine Männer in dieses weibliche Heiligtum gewagt - obwohl sich das Café in einem Hochhaus zusammen mit anderen Restaurants, einer Sporthalle für Männer und nur einem Aufzug befindet. Der Kundenkreis von Adel-Abid umfasst vor allem Frauen aus der Mittel- und Oberschicht. Für ihre jungen Kundinnen organisiert sie reine Frauenfeste zu Geburtstagen, Verlobungen und Abschlussfeiern. Die ältere Generation trinkt lieber Kaffee und hört den alten irakischen Sängern zu, die auf der Musikanlage bevorzugt gespielt werden.

Frauen können jetzt Unternehmen führen. Da der "Islamische Staat" verdrängt und die gegenwärtige politische Stabilität zu spüren ist, fordern irakische Frauen immer mehr ihren Anteil am öffentlichen Raum der Stadt. In Mansour, dem Stadtviertel, in dem sich "La Femme" befindet, sind die meisten Cafés und Restaurants heute gemischt, und auch Frauen rauchen dort Wasserpfeife.

Der frische Wind des Wandels hat auch das Straßenbild verändert. Frauen kleiden sich wieder bunter, anstatt sich hinter schwarzen Schleiern zu verstecken. Die Entwicklung geht so weit, dass junge Frauen sich immer seltener ein Kopftuch umbinden.

Ehen zwischen Sunniten und Schiiten erleben ein Comeback im Irak; unter den Jugendlichen in Bagdad sind sie sogar zum neuen Standard geworden. So wie bei Merry al-Khafaji, die kürzlich Mustafa al-Ani geheiratet hat. Gemeinsam sitzen die beiden Mittzwanziger bei einer Wasserpfeife in einem beliebten Bagdader Garten, sie trägt ihr dunkles Haar offen und ein grünes T-Shirt mit Jeans. Traditionell wählen Eltern die Partner ihrer Kinder, aber Merry al-Khafaji und Mustafa al-Ani lernten sich in dem Telekommunikationsunternehmen kennen, für das sie beide arbeiten. Mittlerweile entwickeln sich immer mehr Liebesbeziehungen bei der Arbeit, im Studium oder in Workshops.

Auch soziale Medien haben eine starke Wirkung. Sie eröffnen jungen Menschen einen neuen Weg, neue Freunde in der konservativen irakischen Gesellschaft zu finden (Die neuen Freiheiten von Bagdad, qantara.de 01.07.2019).

Mitglieder rivalisierender irakischer Motorrad-Clubs, die in Leder mit Nieten und schwarzen Baskenmützen gekleidet waren, tanzten Breakdance und ließen mit ihren tätowierten Armen Neon-Leuchtstäbe kreisen. Der Tanzkreis des Mongols Motorcycle Club war einer von mehreren bei der ‚Riot Gear Summer Rush‘, einer Automobilshow samt Konzert in einem Sportstadion im Herzen von Bagdad. Die Szene hatte etwas ganz anderes als jene Bilder, die üblicherweise aus der Stadt der Gewalt und des Chaos ausgestrahlt wurden. Aber fast zwei Jahre, nachdem der Irak den islamischen Staat besiegte, hat die Hauptstadt ihr Image stillschweigend verändert. Seit die Explosionsschutzwände – ein Merkmal der Hauptstadt seit der US-geführten Invasion im Jahr 2003, bei der Saddam Hussein gestürzt wurde – gefallen sind, hat sich eine weniger restriktive Lebensweise etabliert. „Wir haben diese Party veranstaltet, damit die Leute sehen können, dass der Irak auch über diese Art von Kultur verfügt und dass diese Menschen das Leben und die Musik lieben“, sagte Arshad Haybat, ein 30-jähriger Filmregisseur, der die Riot Gear Events Company gründete. Riot Gear hat bereits zuvor ähnliche Partys im Irak veranstaltet, aber dies war die erste, die für die Öffentlichkeit zugänglich war. Der Tag begann damit, dass junge Männer importierte Musclecars und Motorräder vorführten. Bei Einbruch der Dunkelheit wurde die Show zu einer lebhaften Veranstaltung für elektronische Tanzmusik (EDM). Das irakische Hip-Hop-Kollektiv „Tribe of Monsters“ spielte eine Mischung aus EDM- und Trap-Musik, während junge Männer Verdampfer in ihren Händen hielten und neben Blitzlichter und Rauchmaschinen tanzten, während sie ihre Bewegungen live auf Snapchat und Instagram übertrugen. Es war eine berauschende Mischung aus Bagdads aufkeimenden Subkulturen: Biker, Gamer und EDM-Enthusiasten. Was die meisten gemeinsam hatten, war, dass sie im Irak noch nie einer solchen Veranstaltung beigewohnt hatten. Obwohl von jungen Männern dominiert, nahmen auch viele Frauen an der Veranstaltung teil. Einige von ihnen tanzten in der Nähe der Hauptbühne. Die Veranstalter stellten jedoch sicher, dass eine „Familiensektion“ zur Verfügung stand, damit Frauen, Familien und Liebespaare auch abseits der wilden Menschenmenge tanzen konnten (Tanzpartys kehren nach Bagdad zurück, mena-watch, 22.08.2019).

In Bagdad wurde ein neues deutsch-irakisches Beratungszentrum für Jobs, Migration und Reintegration eröffnet. Es ist das zweite seiner Art im Irak neben dem Beratungszentrum in Erbil, das seine Arbeit bereits im April 2018 aufgenommen hatte. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Schaffung attraktiver und langfristiger Bleibeperspektiven. Zu den angebotenen Leistungen gehören Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie die Unterstützung bei Existenzgründungen. Das Zentrum steht Rückkehrenden ebenso offen wie Binnenvertriebenen und der lokalen Bevölkerung und fördert damit auch die Stärkung des irakischen Privatsektors. In den kommenden Jahren soll das Beratungszentrum schrittweise in die lokalen Strukturen überführt werden, um den langfristigen und nachhaltigen Betrieb zu sichern (Neues deutsch-irakisches Beratungszentrum in Bagdad eröffnet, BMZ 13.06.2019).

Religion und Christentum

Religionsfreiheit

Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an: Gemäß Art. 2 Abs. 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung, in Abs. 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert. Art. 3 legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung Iraks fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes. Art. 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten.

Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände, wie z. B. den Abfall vom Islam; auch spezielle, in anderen islamischen Ländern existierende Straftatbestände, wie z. B. die Beleidigung des Propheten, existieren nicht.

Mit Einführung eines neuen Personalausweises im Jahr 2015 wurde der Eintrag zur Religionszugehörigkeit dauerhaft abgeschafft. Allerdings wurde auch wieder ein religiöse Minderheiten diskriminierender Passus aufgenommen: Art. 26 des Gesetzes zum Personalausweis stipuliert, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden. Darüber hinaus gilt, dass Kinder mit einem muslimischen Elternteil oder einem unbekannten Elternteil automatisch als muslimischen Glaubens registriert werden. Dies führt zu rechtlichen Schwierigkeiten und verstärkt soziale Ausgrenzung von Kindern aus „IS“-Zwangsehen bzw. -Vergewaltigungen.

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Jesiden, Sabäer, Schabak und Fayli Kurden). Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen und Christen sowie einen für Armenier vor.

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Religiöse Minderheiten leiden im Alltag jedoch unter weitreichender faktischer Diskriminierung. Übergriffe werden selten strafrechtlich geahndet.

Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des „IS“ standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäern, Kakai, Schabak und Christen. Es liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor.

Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert.

In der RKI sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden.

Christen

Schätzungen gehen davon aus, dass heute noch etwa 200.000 bis 400.000 Christen in Irak leben (zum Vergleich 2003: 1,5 Mio.). Die Situation der Christen (v. a. assyrische sowie mit Rom unierte chaldäische Christen) hat sich kirchlichen Quellen zufolge seit Ende der Diktatur 2003 stark verschlechtert. Viele Christen sehen für sich keine Zukunft in Irak. In den vergangenen Jahren sind daher hunderttausende irakische Christen ins Ausland geflohen.

Es kommt immer wieder zu Angriffen auf Priester und christliche Einrichtungen sowie Übergriffen auf von Christen geführte Lebensmittelgeschäfte, in denen ggf. auch alkoholhaltige Getränke angeboten werden. Nach dem Vormarsch von „IS“ auf Mosul und das umliegende christliche Kernland ergriffen im Sommer 2014 zehntausende Christen die Flucht in die RKI und vereinzelt auch nach Bagdad. Viele warten noch darauf, dass die mittlerweile befreiten christlichen Städte um Mosul für eine Rückkehr sicher genug und zumindest teilweise wieder rehabilitiert sind.

In der RKI haben seit 2003 und vermehrt seit 2014 auf Grund der Verfolgung durch den „IS“ viele christliche Binnenvertriebene aus anderen Landesteilen Zuflucht gefunden. Es gibt dort keine Anzeichen für staatliche Diskriminierung. Die kurdische Regionalregierung fördert den Kirchenbau wie auch die Kirche als Institution mit staatlichen Ressourcen. Die umfangreichen Enteignungen von christlichem Besitz unter dem alten Regime sind jedoch nicht rückgängig gemacht worden. Es sind weder staatliche noch gesellschaftliche Diskriminierungen von Christen und anderen religiösen Minderheiten (Shiiten, Shabak, Kaka‘i, Zarathustrer) in der RKI bekannt. Es gibt christliche Städte oder auch große christliche Viertel in Großstädten wie beispielsweise Ankawa in Erbil, in denen christliches Leben, religiöse Feste usw. in der Öffentlichkeit friedlich stattfinden (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, Stand März 2020).

Schätzungen gehen davon aus, dass heute noch etwa 200.000 bis 400.000 Christen im Irak leben (zum Vergleich 2003: 1,5 Mio.) (AA 12.1.2019). Nach Angaben christlicher Führer sind weniger als 250.000 Christen im Irak verblieben (USCIRF 4.2019; vgl. USDOS 21.6.2019). Kernland der christlichen Gemeinschaften im Irak ist der Nordwesten des Landes, die Ninewa-Ebene (USCIRF 4.2019). Ca. 67% der irakischen Christen sind chaldäische Katholiken, fast 20% Mitglieder der Assyrischen Kirche des Ostens. Der Rest sind syrisch-orthodoxe, syrisch-katholische, armenisch-katholische, armenisch-apostolische, anglikanische Christen und andere Protestanten. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) gibt es etwa 3.000 evangelikale Christen (Angehörige protestantischer Freikirchen) (USDOS 21.6.2019).

Das Christentum ist per Personenstandsgesetz anerkannt und kann auf den nationalen Identitätsausweisen ausgewiesen werden. Religiöse Angelegenheiten der Christen werden durch das Amt (Diwan) für Religiöse Stiftungen für Christen, Jesiden und Mandäer/Sabäer verwaltet (USDOS 21.6.2019).

Die Situation der Christen (v. a. assyrische sowie mit Rom unierte chaldäische Christen) hat sich kirchlichen Quellen zufolge seit Ende der Diktatur 2003 stark verschlechtert. Viele Christen sehen für sich keine Zukunft im Irak. In den vergangenen Jahren sind daher hunderttausende irakische Christen ins Ausland geflohen (AA 12.1.2019). Nach dem Vormarsch des IS auf Mosul und das umliegende christliche Kernland ergriffen im Sommer 2014 zehntausende Christen die Flucht in die Kurdische Region im Irak (KRI) und vereinzelt auch nach Bagdad (AA 12.1.2019). Eine begrenzte Anzahl assyrischer und chaldäischer Christen kehrte in ihre Heimat in der Ninewa-Ebene zurück, wie z.B. nach Qaraqosh (USCIRF 4.2019). Viele warten aber noch darauf, dass die mittlerweile befreiten christlichen Städte um Mosul für eine Rückkehr sicher genug und zumindest teilweise wieder aufgebaut sind (AA 12.1.2019). Es mangelt aber an wiederhergestellter Infrastruktur, und es besteht die Gefahr von IS-Sprengfallen und Blindgängern (USCIRF 4.2019).

Es kommt immer wieder zu Angriffen auf Priester, Bombenanschlägen auf Kirchen und christliche Einrichtungen sowie Übergriffen auf von Christen geführte Lebensmittelgeschäfte, in denen gegebenenfalls auch alkoholhaltige Getränke angeboten werden (AA 12.1.2019).

Christen in den von der PMF kontrollierten Städten, insbesondere im mehrheitlich christlichen Distrikt Hamdaniya in Ninewa berichten über Belästigung christlicher Frauen durch PMF-Mitglieder. Christen berichten auch über Versuche von Teilen der Zentralregierung in Bagdad, einen demographischen Wandel zu erleichtern, indem in traditionell christlichen Gebieten Land und Wohnungen für schiitische und sunnitische Muslime zur Verfügung gestellt werden (USDOS 21.6.2019). Die irakische Regierung hat Beschwerden assyrischer und chaldäischer Christen über eine illegale Enteignung ihres Landes im Anschluss an ihre vorübergehende Vertreibung durch den IS im Gouvernement Ninewa weitgehend ignoriert. Heimkehrende christliche Familien sehen sich mit einem Besitzanspruch sunnitischer Araber oder Kurden konfrontiert (USCIRF 4.2019).

Christen werden von der muslimischen Mehrheitsbevölkerung bei von muslimischen Moralvorstellungen abweichendem Verhalten, wie z.B. Alkoholverkauf, unter Druck gesetzt, manchmal auch durch PMF (DIS/Landinfo 5.11.2018).

In der KRI haben seit 2003 viele christliche Flüchtlinge aus anderen Landesteilen Zuflucht gefunden. Es gibt dort keine Anzeichen für staatliche Diskriminierung. Viele Christen haben bereits seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein in der KRI Zuflucht gefunden. Es gibt christliche Städte oder auch große christliche Viertel in Großstädten wie beispielsweise Ankawa in Erbil, in denen Christen in Frieden leben können (AA 12.1.2019). Die kurdischen Regionalregierung (KRG) hat zusätzlich zu den durch die Zentralregierung anerkannten Religionsgemeinschaften elf evangelikale und andere protestantische Kirchen registriert: die Nahda al-Qadassa Kirche in Erbil und Dohuk, die evangelische Nasari Kirche in Dohuk, die kurdisch-zamanische Kirche in Erbil, die evangelische Ashti Kirche in Sulaymaniyah, die evangelische Freikirche in Dohuk, die Baptistenkirche des Guten Hirten in Erbil, die internationale evangelische al-Tasbih Kirche in Dohuk, die Rasolia Kirche in Erbil, die Vereinigte evangelische Kirche in Erbil, die Assemblies of God in Erbil und die Kirche der Siebenten-Tages-Adventisten in Erbil. Die KRG gestattet die Registrierung neuer christlicher Kirchen ab mindestens 50 Gläubigen. Außerdem können sich christliche Gruppen beim Rat der irakischen christlichen Kirchenführer registrieren, was ihnen Zugang zu Leistungen des kurdischen Ministeriums für Stiftungen und religiöse Angelegenheiten (MERA) und christlichen Stiftung gewährt (USDOS 21.6.2019) (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 17.03.2020).

Der christliche Glaube ist stärker als jemals zuvor im Irak, trotz der Instabilität, sagt der Erzbischof aus Mosul. Seit die irakische Stadt Mosul nach der Zerstörung um den Wiederaufbau kämpft, sind die Christen stärker in ihrem Glauben als je zuvor. Mosul diente als inoffizielle Hauptstadt des sogenannten Islamischen Staates (ISIS) von Juni 2014 bis zu ihrer Ausweisung im Juli 2017. Die Terroristengruppe verließ die antike Stadt in Trümmern und entvölkert. Erzbischof Najib Mikhael Moussa, OP, der chaldäische Erzbischof von Mosul, gab einen Überblick über das Leben in der Stadt. Er sagte zu Marie Duhamel vom Radio Vatikan, dass die Wiederaufbauanstrengungen in der Stadt angesichts der durch ISIS verursachten Zerstörung einen unebenen Weg gehen. Mosul wird durch den Tigris geteilt. Das lokal bekannte linke Ufer (Ostseite) wurde 20-25% zerstört zurückgelassen. Viele Leute kehrten schnell dorthin zurück und betrieben den Wiederaufbau. Heute ist das Gebiet laut Erzbischof Moussa wirklich ein lebendiger Ort. Aber der sogenannte islamische Staat verwüstete 95% des rechten Ufers (Westen). Vierzehn Kirchen wurden vollständig zerstört, mit 4 Klöstern, sagte er. Das Leben dort ist alles andere als normal.

Der von ISIS verbreitete Terror hinterließ auch eine Narbe in den interreligiösen Beziehungen. Jetzt zögern viele Christen, nach Hause zurückzukehren. Viele Christen haben das Vertrauen in ihre Nachbarn verloren. Es gibt Reibung zwischen verschiedenen muslimischen Gruppen, sagte Erzbischof Moussa. Christen ziehen es teils vor, die Rückkehr nach Hause in der Hoffnung auf einen stabileren Frieden aufzuschieben. Der Erzbischof Moussa sagte, die Situation werde durch die Fortsetzung der politischen Unruhen im Irak nicht verbessert. Der Erzbischof sagte, die Kirche könne nicht schweigen und arbeite für den Schutz jener Christen, die im Irak bleiben. Wenn wir wollen, dass Christen im Irak bleiben, müssen wir ihnen helfen, sagte er und forderte eine garantierte Unterbringung und Arbeitsvermittlung. Der Erzbischof Moussa räumte in Bezug auf diesen Wiederaufbau in Mosul ein, dass dies im ganzen Irak ein langer und schwieriger Prozess sein wird. Aber heute, sagte er, ist der Glaube der Christen im Irak viel stärker als gestern (Vatican News, Christian faith stronger than ever in Iraq despite instability, says Mosul Archbishop, 02.01.2020).

Coronavirus COVID-19

Laut worldometers.info, Stand 09.12.2020, gibt es im Irak 568.138 Coronavirus-Fälle. Es gibt 12.477 Todesfälle. 498.046 Personen sind wieder genesen. Die nächtliche Ausgangssperre wurde komplett aufgehoben. Der Irak hat Anfang September seine Landgrenzen wieder geöffnet. Die internationalen Flughäfen Bagdad, Najaf und Basra wurden am 23. Juli für kommerzielle Linienflüge wiedereröffnet. Die dänische Regierung hat in Zusammenarbeit mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) dem Irak 6.000.000 DKK (ca. 870.000 USD) zugesagt, um die irakische Regierung bei der Bekämpfung der globalen COVID-19-Pandemie zu unterstützen. Die Regionalregierung Kurdistan (KRG) hat beschlossen, die Maßnahmen zu lockern und etwa die Wiedereröffnung der Märkte unter bestimmten Bedingungen zuzulassen. Im Irak sowie in Kurdistan arbeiten alle Ministerien mit 50% Kapazität. Apotheken und Bäckereien sind ohne Einschränkungen geöffnet. Die Weltbank hat, als Unterstützung für das irakische Gesundheitssystem, einer Umverteilung von USD 33,6 Mio. des aktuellen Projekts „Notfalloperation für Entwicklung“ (EODP-750 Mio. USD) zugestimmt. Die irakische Börse nahm den Handel mit 26.4.2020 wieder auf.

Passagiere, die in den Irak einreisen wollen, müssen maximal 72 Stunden vor Abflug über einen negativen COVID-19-Test verfügen. Passagiere, die ein negatives COVID-19-Testergebnis haben, müssen den Test nicht am Flughafen ablegen. Sie werden jedoch unter Quarantäne gestellt. Alle Passagiere, die ohne PCR-Test ankommen, müssen sich dem Test des medizinischen Teams des Flughafens unterziehen und die Kosten sind vom Passagier zu tragen (USD 50). Passagiere, die in Erbil einreisen wollen, brauchen einen negativen COVID-19-Test, der nicht älter als 48 Stunden ist. Für alle Passagiere, die in Kurdistan einreisen, entfällt die Selbstquarantäne. Wenn das Ergebnis positiv ist, muss der/die Reisende ein Formular ausfüllen, um zu erklären, dass er/sie in einer 14-tägigen Quarantäne bleiben wird. Bei Auftreten von Symptomen muss das kurdische Gesundheitsministerium kontaktiert werden (https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-situation-im-irak.html, Abruf 09.12.2020).

2. Beweiswürdigung

Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des Bundesamtes unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, der von ihm vorgelegten Beweismittel, des bekämpften Bescheides, des Beschwerdeschriftsatzes, durch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG und die Einsichtnahme in die vom Bundesverwaltungsgericht beigeschafften länderkundlichen aktuellen Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers, welche ihm, wie bereits ausgeführt, übermittelt wurden.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen in diesem Punkt einheitlichen, im Wesentlichen widerspruchsfreien Angaben sowie seinem im Verfahren vorgewiesenen Sprach- und Ortskenntnissen und den seitens des Beschwerdeführers vorgelegten Bescheinigungsmittel. Dass die Identität des Beschwerdeführers fest steht, ergibt sich aus dem österreichischen Führerschein (zur Identitätsfeststellung mittels eines österreichischen Führerscheins siehe VwGH 16.11.1988, 88/02/0113).

Der Beschwerdeführer gab glaubhaft an, dass er zwar ursprünglich muslimischen Glaubens war, dieser jedoch keinen besonderen Stellenwert für ihn gehabt hat und im Irak gelebt hat, als ob er ohne Konfession gewesen wäre. Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers zu seinem nunmehr christlichen Glauben im Rahmen der mündlichen Verhandlung konnte der Beschwerdeführer glaubhaft machen, dass er nunmehr den christlichen Glauben angenommen hat. Er hat umfangreiches Wissen zum Christentum unter Beweis gestellt und er konnte auch glaubhaft machen, dass er die friedliche Atmosphäre in seiner Kirche, die gelebte Nächstenliebe in seiner Gemeinde schätzt und dass er einmal pro Woche den Gottesdienst besucht. Er konnte auch glaubhaft angeben, dass er manchmal helfe, die Kirche zu putzen und Essen zu verteilen. Es ist weiters glaubhaft, dass er freundlich zu den Menschen ist, jenen, die einen Fehler machen verzeiht und jenen die Hilfe brauchen, hilft. Der christliche Glaube des Beschwerdeführers wurde weiters durch die Vorlage eines Schreibens von (führenden) Mitgliedern seiner Gemeinde bestätigt.

2.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu den Rückkehrbefürchtungen

Zur Ausreise aufgrund der Sicherheitslage:

Der Beschwerdeführer legte glaubhaft dar, dass er samt seiner Mutter und Geschwister sein Dorf und danach den Irak von Kirkuk aus in die Türkei aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage 2015 verlassen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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