TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/17 W124 2153780-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.12.2020
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Entscheidungsdatum

17.12.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W124 2142726-1/22E
W124 2142729-1/22E
W124 2142728-1/20E
W124 2153780-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. FELSEISEN als Einzelrichter über die Beschwerden von

1.) XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX ,

2.) XXXX , XXXX , StA: Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX ,

3.) XXXX , geb. XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch die Kindesmutter XXXX , als gesetzliche Vertreterin, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX ,

4.) XXXX , XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch die Kindesmutter XXXX , als gesetzliche Vertreterin, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX ,

nach einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) i.d.g.F. der Status von Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Erst- bis Drittbeschwerdeführer (BF1 bis BF3) gelangten am XXXX mit Hilfe eines Schleppers unberechtigt in das Bundesgebiet und stellten am selben Tag gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz.

Die Viertbeschwerdeführerin wurde am XXXX im österreichischen Bundesgebiet geboren und stellte durch ihre gesetzliche Vertreterin am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Einvernahme der BF 1 durch die Landespolizeidirektion Salzburg am XXXX gab diese an, dass BF 2 immer befürchten würde, dass diese nach Afghanistan zurückgeschoben werden würden.

In der mit der BF 1 am XXXX vor dem BFA aufgenommenen Niederschrift führte die BF 1 im Wesentlichen aus, dass Frauen in Afghanistan keine Rechte haben würden und die gesamte Situation, vor allem für solche der Volksgruppe der Hazara, sehr gefährlich sein würde.

Im Iran habe die BF 1 nicht in Ruhe leben können und ständig Angst gehabt, dass BF 2 abgeschoben werden würde, da er keine Genehmigung gehabt habe. Als sie ihren Sohn bekommen habe, habe diese keine Geburtsurkunde erhalten und keinen Arzt besuchen dürfen, da ihr Sohn keinen Ausweis gehabt habe. Es habe auch die Gefahr bestanden, dass BF 2 in den Krieg gegen den IS ziehen hätte sollen. Es habe damals Krieg geherrscht und seien daher ihre Eltern geflüchtet. Die Sicherheitslage sei sehr schlecht und könne man dort nicht leben.

In der Stellungnahme vom XXXX führte die BF 1 u.a. ergänzend aus, dass sie sich als Frau in Afghanistan nicht auf die Straße trauen würde. Dies sei für sie völlig ausgeschlossen. Sie würden dort von Männern, die mehrere Ehefrauen haben dürften, verfolgt, entführt, missbraucht, geschlagen oder mit Steinen getötet werden. In Afghanistan würden Frauen gegenüber den Männern keine Rechte haben. Sie müssten tun, was ihnen die Männer sagen würden, sie würden den Männern „gehören“. Muslimische Männer würden ihren Frauen befehlen zu Haus zu bleiben und ihnen zu gehorchen. Wenn sie sich wehren würde, könne sie geschlagen werden, sie müsse sich verhüllen und leise sein. Viele Männer würden ihre Herrschaft mit dem Islamismus rechtfertigen, was aber falsch sei. Töchter würden verheiratet werden, alles verlieren und kein Mitspracherecht haben. Die gesamte Lebenssituation sei für die BF 1, als Frau, als Mutter, als Mann, als Kind eine Katastrophe. Sie müssten jeden Tag um ihr Leben bangen.

BF 2 führte hinsichtlich seiner Fluchtgründe zu Afghanistan im Wesentlichen aus, dass er auf dem Weg in seine Heimatstadt von den Taliban oder anderen Rebellen getötet oder verletzt werden würde. In der Niederschrift vom XXXX führte dieser dazu aus, dass er offiziell für Afghanistan gekämpft habe. 5 seiner Brüder würden nach wie vor in XXXX , in der Heimatgemeinde des BF 2, leben. Seine Brüder könnten nach wie vor dort leben, weil sie damals noch sehr klein gewesen seien und der BF 2 daher keine Probleme gehabt habe. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er von den Taliban umgebracht zu werden, weil sie Hazara und Schiiten sein würden. Seine Brüder würden sich dies gefallen lassen und würden nach wie vor unter Angst dort leben.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der BF 1 bis BF 4 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die BF Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründet wurde dies insbesondere damit, dass die BF 1 auch vor ihrer Ausreise in der Lage gewesen sei, ihre primären Lebensbedürfnisse zu befriedigen und habe auch während eines Aufenthaltes zum Beispiel in XXXX voll für ihren Lebensunterhalt gesorgt, weshalb dies auch im Bedarfsfall möglich sein würde. Sie habe vor ihrer Flucht aus dem Iran für sich im Familienverbund gesorgt und müsse nun davon ausgegangen werden, dass es ihr bei einer Rückkehr nach Afghanistan wieder möglich sein würde, ihre primären Bedürfnisse zu befriedigen, auch wenn dies in einem anderen für die BF sichereren Teil Afghanistans geschehen würde. Von Seiten der Behörde würde es keine Gründe geben, weshalb die BF 1 nicht in ihrem Heimatdistrikt zurückreisen könne. XXXX würde über einen leistungsfähigen Flughafen verfügen und würde von mehreren Linien täglich angeflogen werden.

Es wäre der BF 1 zumutbar durch eigene und notfalls auch wenig attraktive Arbeit oder erforderlichenfalls durch Zuwendungen von dritter Seite – auch unter Anbietung ihrer gegebenen Arbeitskraft als Gegenleistung- jedenfalls auch nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten, beizutragen, um das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen zu können. Zu den regelmäßigen zumutbaren Arbeiten würden dabei auch Tätigkeiten gehören, für die es keine oder wenig Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt geben würde. Darüber hinaus gebe es für Rückkehrer in Afghanistan besondere Betreuungsangebote und Unterstützung, die von der BF 1 für eine neue Existenzgründung in Anspruch genommen werden könnte.

Es sei in Zusammenschau davon auszugehen, dass die BF 1 auch weiterhin in der Lage sein würde, sich selbst im Familienverbund in ihrem Herkunftsstaat versorgen zu können. Auf Grund der Länderfeststellungen und der Angaben der BF 1 sei im Verfahren davon auszugehen, dass diese in XXXX oder in einem für sie sicheren Teil Afghanistans Fuß fassen und dort ihr Leben entsprechend fortsetzen könne.

Die BF 1 habe weder eine Gefahr in Afghanistan noch irgendeine Verfolgung oder Drohung in ihrem Herkunftsstaat vorbringen können. Zusammengefasst habe die BF 1 keine fundierte Gefahr für ihre Person schildern können. Im Falle einer innerstaatlichen Flucht habe kein reales Risiko ermittelt werden können.

Rechtlich wurde zu BF 1 im Wesentlichen ausgeführt, dass die Begründung des Antrages in der GFK keine Deckung gefunden habe, weil aus den Angaben der BF keine konkret gegen sie gerichteten staatlichen bzw. quasi-staatlichen Verfolgungen aus asylrechtsrelevanten Gründen abzuleiten gewesen wäre. Die BF 1 habe keine Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat glaubhaft wiedergegeben. Zu dem einzig vorgebrachten Fluchtgrund, nämlich einer eventuell bestehenden Bedrohungslage in Afghanistan sei anzuführen, dass es sich hierbei um keine fundierte Bedrohung gehandelt habe.

Zu Spruchpunkt II. wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass von der BF 1 keine schwere Krankheit vorgebracht worden sei und auch nicht die Notwendigkeit zur regelmäßigen Einnahme von Arzneimitteln bestehen würde. Es sei der BF 1 vor ihrer Ausreise leicht möglich gewesen die Kosten für die Ausreise mittels eines Schleppers zu bestreiten bzw. durch den Familienverband aufzubringen. Die BF 1 sei vor ihrer Ausreise in der Lage gewesen die primären Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Außerdem beherrsche die BF 1 die unter anderem übliche Landessprache und würde die in Afghanistan bestehenden kulturellen Werte kennen. Es sei davon auszugehen, dass die BF 1 in der Lage sein würde auch unter Inanspruchnahme des Clanverbandes ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. In diesem Zusammenhang sei anzuführen, dass die BF 1 weiterhin im Falle der Rückkehr eine entsprechende Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen könne.

Hinsichtlich des Privat-, und Familienleben wurde ausgeführt, dass sich die BF 1 während ihres Aufenthaltes darüber im Klaren habe sein müssen, dass der Aufenthalt nur für die Dauer des Asylverfahrens rechtmäßig gewesen sei. In dieser Zeit sei ein etwaig entstandenes Privatleben keinesfalls geeignet gewesen, das Interesse der BF 1 am Interesse des Staates an einem geordneten Fremdenwesen zu stellen. Der BF 1 habe bei der Antragstellung bewusst sein müssen, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz nur ein vorübergehender sein habe dürfen.

Die BF 1 befinde sich das erste Mal im Ausland, ihr Aufenthalt im Iran würde hier als kulturell gleichwertig angesehen werden. Die BF 1 habe einen Großteil ihres bisherigen Lebens in Iran verbracht. Dieser werde dadurch relativiert, weshalb unter Berücksichtigung ihrer individuellen Situation in Österreich insgesamt ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung festgestellt werden habe können.

Zu BF 4 wurde ausgeführt, dass die gesetzliche Vertreterin den Antrag auf Gewährung desselben Schutzes gestellt habe. Im Hinblick auf das zu führende Familienverfahren, welches die anderen Familienmitglieder betreffend bereits beim BVwG anhängigen, sei erstinstanzlich keine anderslautende Entscheidung im Hinblick auf eine allfällige Asylgewährung oder Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten zu treffen, zumal bis dato keinem Familienangehörigen im Bundesgebiet internationaler Schutz oder subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Zu den Gründen für die Nichtzuerkennung im Hinblick auf BF 1 und BF 2 würde auf die diesbezüglichen Ausführungen in deren Bescheiden verwiesen werden.

Gegen die gegenständlichen Bescheide des BFA erhoben die BF 1 bis 4 fristgerecht Beschwerden. Dabei wurde im Wesentlichen die Fluchtgeschichte der BF 1 und des BF 2 neuerlich wiederholt.

Zu BF 1 wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF 1 im Laufe ihrer weiteren Lebensjahre durch ihr Heranwachsen und Heranreifen zu einer selbständigen, auf Eigenständigkeit und Autonomie sowie Freiheit bedachten, eine eigene Berufstätigkeit anstrebende Frau geworden sei. Dies habe BF 1 im Rahmen der Einvernahmen beispielsweise mit folgenden Worten auf den Punkt gebracht „Ich möchte hier arbeiten, möchte mich weiterbilden, ich möchte nicht zu Hause bleiben und hier aktiv sein.“ Weiteres gehe aus der Aussage hervor, dass die BF 1 in Österreich Freizeitaktivitäten unternehmen würde, die für eine afghanische Frau in Afghanistan unvorstellbar sein würden: „Ich lerne Deutsch, ich bringe mein Kind zur Spielgruppe. Ich gehe mit meinem Mann zum Volleyball. Ich gehe mit meinem Kind zum See und wir spielen dort. Ich lerne Schwimmen.“

Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen seien weiterhin in Afghanistan gegeben, teils auf Grund des Wiederauflebens der Taliban, teils auf Grund des großen Einflusses religiöser Traditionalisten. Dieser realen Situation stehe die BF 1 als selbstbewusste, gebildete, intelligente, den Großteil ihres noch jungen Lebens außerhalb von Afghanistan lebenden Frau gegenüber. Solche Lebensumstände wären gleichbedeutend mit einem „Hinein-Gestoßen-Werden“ bzw. „Hinein-Gezwungen-Werden“ in einen „engen Käfig der Tradition“, in welchem die BF 1 als Frau und Mensch verkümmern müsste.

Eine derartige wohlbegründete Furcht sei BF 1 jedenfalls zuzugestehen, da sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten habe, dort mit einer Lebenssituation als Frau konfrontiert zu sein, die es ihr unmöglich machen würde grundlegende Menschrechte auszuüben (beispielsweise das Recht auf physische Bewegungsfreiheit, auch ohne männliche Schutzbegleitung, nach Art. 5 Abs. 1 EMRK betreffend „Recht auf Freiheit und Sicherheit“, „ Recht auf Nicht-Diskriminierung als Frau gemäß der UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18.12.1979). Die Diskriminierungen, welche die BF 1 in Afghanistan auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen erwarte, seien derart mannigfach und schwerwiegend, dass sie jedenfalls in Gesamtschau der Betrachtung als Verfolgung i.S.d. Art 9 der Statusrichtlinie einzustufen seien.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe der BF nicht zur Verfügung, da insoweit die Verfolgungsbedrohungen für Frauen und für hazarische Frauen in ganz Afghanistan die gleichen sein würden.

Zu BF 3 wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass dieser mannigfach in seinen elementaren, kinderspezifischen Menschenrechten bedroht sein würde, sodass auch dies als asylrelevante Bedrohung einzustufen sei. In der Begründung des angefochtenen Bescheides des BF 3 sei darauf überhaupt nicht eingegangen worden. Unbeschadet der Erklärung der BF 1, dass ihr Kind keine eigenen Asylgründe haben würde, hätte von Amts wegen das Vorliegen derartiger Gründe unter Heranziehung des landeskundlichen Amtswissens geprüft werden müssen. Indem dies nicht geschehen sei, habe das BFA seine amtswegige Ermittlungs-, und Prüfpflicht hinsichtlich der materiellen Flüchtlingseigenschaft des BF 3 verletzt. Aus den im Bescheid des BF 2 enthaltenen landeskundlichen Feststellungen zum Thema „Kinder“ könne ersehen werden, dass das Kind, BF 3, im Falle einer erzwungenen Abschiebung nach Afghanistan wohlbegründet fürchten müsse, gezwungen zu sein, bereits als Kind Kinderarbeit leisten zu müssen, um den materiellen Lebensunterhalt der Familie mitzusichern, gezwungen zu sein in einer Gesellschaft zu leben, in welcher der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein großes Problem sei, BF 3 in einem Land leben müsse, in welchem Kinder unterernährt sein würden, wobei ca. 10% der Kinder schon vor ihren 5. Geburtstag sterben würden.

Unter Bedachtnahme auf all diese, aus den landeskundlichen Feststellungen im Bescheid betreffend den BF 2 hervorgehenden Gegebenheiten und auf Art. 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern muss auch dem BF 3 für den Fall einer Abschiebung eine wohlbegründete Furcht vor asylrelevanter Verfolgung im Sinne eines Eingriffs in grundlegende Menschen-, und Grundrechte attestiert werden.

Außerdem hätte auch auf die besondere Vulnerabilität der antragstellenden Parteien als 4-köpfige Familie mit zwei Kleinkindern bei fehlenden familiären, clanmäßigen oder sonstigen Anknüpfungspunkten und Auffangnetzen in einer der als „Rückkehraufenthaltsort“ theoretisch in Betracht kommenden Großstädte Afghanistans Bedacht genommen werden müssen.

Das BFA gehe fast stillschweigend davon aus, dass den BF ein Leben in Afghanistan in der Provinz Balkh möglich sein würde. Es würde gar nicht untersucht werden, wo die Betroffenen dort leben sollten, ob in der Hauptstadt oder in ihren Herkunftsdörfern oder bei ihrer Herkunftsfamilie des BF 2. Auch auf die Erreichbarkeit dieser Gebiete in dem allgemein von einer volatilen Sicherheitslage geprägten Afghanistan wird nicht näher eingegangen. Mit welcher sozio-ökonomischen und sonstigen Lebenssituation die BF beispielsweise in der Provinzhauptstadt XXXX konkret konfrontiert sein würden, würde gleichfalls nicht erörtert oder untersucht werden. Es wird dabei außer Acht gelassen, dass es den Betroffenen auch in XXXX an jeglichen sozialen oder familiären Auffangnetz fehlen würde, diese dort vollkommen auf sich allein gestellt sein würden, auch dort eine massive Diskriminierung der Hazara gegeben sei, die BF 1 gezwungen sein würde das Haus nicht zu verlassen, sodass der BF 2 gezwungen sein würde ganz alleine für den Lebensunterhalt von vier Personen aufkommen müsste, wobei gänzlich unerfindlich bleiben würde, wie dies unter den ungünstigen Rückkehrbedingungen, a. fehlendes soziales, familiäres oder clanbezogenes Auffangnetz, b. Zugehörigkeit zur diskriminierten und allgemein verachteten Minderheit der Hazara, c. erhöhte existenzielle Bedürfnisse, weil auch zwei Kleinkinder entsprechend ernährt und gefördert werden müssten.

Auch die Herkunftsfamilie des BF 2 könne diese Versorgungsaufgabe nicht erfüllen, weil sie arm sei, aus ländlicher Kleinarbeit leben und aus diesen Minimaleinkünften bereits mehrere Familien versorgt werden hätten müssen. Zudem komme eine Rückkehr in die Herkunftsregion der BF 1 aus den bereits dargelegten individuellen Gefährdungsgründen nicht in Betracht. Es stehe außer Frage, dass die als besonders vulnerable, ein oder zwei Kleinkinder umfassende Familie der Betroffenen zu jenen Rückkehrern gehören würde, die in Afghanistan die nackte Not und das nackte sozioökonomische und materielle Elend erwarten würde.

Gänzlich unterlassen worden sei eine Prüfung des Vorliegens der inhaltlichen Voraussetzungen gem. Art 15 lit. c der Status Richtlinie.

2. Mit Beschluss des BVwG vom XXXX wurden die angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufgehoben und zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass der BF 2 mittlerweile bereits vor 16 Jahren sein Herkunftsland verlassen habe und im gegenständlichen Fall nicht hervorgekommen sei, inwieweit die sozioökonomischen Verhältnisse der Familie des BF 2 in diesem Zeitraum stabil geblieben seien. Die Schlussfolgerung, dass eine Diskriminierung der BF 1 , Übergriffe oder eine Gefährdung in Afghanistan gegen ihre Person nicht zu erwarten sei, könne in dieser Form nicht gefolgt werden, als diese in Ihrer Stellungnahme vom XXXX dazu u.a ausführe, dass die BF 1 sich als Frau in Afghanistan nicht so wie in Österreich auf die Straße traue und dies völlig ausgeschlossen sein würde, als sie dort von Männern, die mehrere Ehefrauen haben dürften, verfolgt, entführt, missbraucht, geschlagen oder mit Steinen getötet werden würden. Frauen würden gegenüber Männern keine Rechte haben und diese ihnen befehlen zu Hause zu bleiben. Unbegleitete Frauen würden gemeinhin nicht gesellschaftlich adaptiert sein. Insofern seien auch die Ausführungen, wonach es der BF 1 auch zumutbar sei, wenig attraktive Arbeiten anzunehmen bzw. unter Anbietung der Arbeitskraft der BF 1 als Gegenleistung anzubieten nicht nachvollziehbar, als den herangezogenen Länderfeststellungen nach Frauen oft schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung scheitern würden. Diesbezüglich habe es das BFA beispielweise völlig unterlassen sich mit der Führung der alltäglichen Lebensweise der BF 1 in Österreich zum Vergleich einer solchen in Afghanistan entsprechend ausreichend auseinanderzusetzen und wurden diese Umstände weder mit der BF 1 bzw. noch mit dem BF 2 erläutert. Erst die genauen Beweg-, und Hintergründe, die entsprechend zu hinterfragen gewesen sein wären, würde eine entsprechende Beurteilung dessen zulassen und würden auch bei der Beurteilung einer entsprechenden Lebensweise Einfluss haben. Umso wichtiger wäre es im gegenständlichen Fall gewesen die Lebensführung der BF 1 und des BF 2 näher zu hinterfragen und zu beleuchten, um beurteilen zu können, inwieweit die Lebensweise der BF 1, die Anerkennung, Inanspruchnahme oder die Ausübung der Grundrechte zum Ausdruck bringt bzw. von dieser auf Grund ihrer geführten Lebensweise nicht erwartet werden könne, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Insofern habe im gegenständlichen Verfahren auch gar nicht auf Basis konkreter Feststellungen zur aktuellen Lebensweise der BF 1 bzw. des BF 2 die zu erwartende Reaktion in Afghanistan auf eine von ihr u.U. angestrebte Lebensweise geprüft werden können (etwa VwGH, Zlen Ra 2014/20/0017 und 0018-9, 28.05.2014). Wenn das BFA in Hinblick der Ausführungen der BF 1 hinsichtlich der Unterdrückungen der Frauen in Afghanistan sich auf die herangezogenen Länderfeststellungen berufe, wonach sich die Situation der Frauen nach der Herrschaft erheblich verbessert habe, so übersehe das BFA, dass die BF 1 in der Stellungnahme vom XXXX vor dem BFA von massiven Problemen als Frau bzw. Mädchen in Afghanistan gesprochen habe. Ihren Ausführungen nach gehe es dabei offenbar auch um die allgemeine Sicherheit dieser, als diese etwaige Befürchtungen äußere, dass es diesen gegenüber in Afghanistan zu Missbräuchen und Entführungen kommen könne.

3. Mit Erkenntnis des VwGH Ra 2019/19-0250-5, vom 7. Mai 2020, wurde der angefochtene Beschluss wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben.

Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass sich keine krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken, die im Sinne der dargestellten Rechtsprechung eine Aufhebung und Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA zur Durchführung notwendiger Ermittlungen rechtfertigen könnten. Die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung beziehungsweise das Erfordernis einer ergänzenden Einvernahme im Rahmen dieser Verhandlung könne ebensowenig wie die Ergänzung von Länderfeststellungen für sich keine kassatorische Entscheidung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen (VwGH 15.11.2018, Ra 2018/19/0268, mwN). Soweit das BVwG eine nähere Auseinandersetzung mit der Lebensweise der Erstmitbeteiligten in Österreich und der Situation der Mitbeteiligten im Falle der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat vermisse, wäre es verpflichtet gewesen, diese selbst vorzunehmen beziehungsweise die Mitbeteiligten dazu selbst im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einzuvernehmen und allenfalls ergänzende Länderfeststellungen zu treffen.

4. In der Stellungnahme des rechtsfreundlichen Rechtsvertreters vom XXXX führte dieser im Wesentlichen aus, dass die BF 2 an mehreren Tagen in der Woche an der Schule für Sozialbetreuungsberufe sei. In dieser Zeit habe der Ehemann die Kinder und den Haushalt betreut und sei damit derjenige Elternteil geworden, der tatsächlich den Haushalt mache und die Kinder betreue bzw. dies überwiegend mache. Dies würde dem traditionellen Rollenbild einer typischen afghanischen Familie wiedersprechen.

BF 2 würde seit Jahren kein Kopftuch mehr tragen, sich westlich kleiden und würde das äußere Erscheinungsbild dem einer westlichen Frau entsprechen. Es würde für BF 2 kein Problem darstellen einen Badeanzug zu tragen und an einem Privatstrand der Familie XXXX gemeinsam mit deren Familie und Angehörigen derer österreichischen Freundin Sommertage zu verbringen. Es sei für BF 2 selbstverständlich sich frei zu bewegen und dabei nicht von der Begleitung eines Mannes abhängig zu sein sowie in der Gesellschaft und in ihrem zukünftigen Beruf jene Rechte für sich in Anspruch zu nehmen, die den Lebensstil einer emanzipierten österreichischen Frau prägen würde.

Bei Beibehaltung dieses Lebensstils würde der BF 2 im Herkunftsstaat Verfolgung wegen einer unterstellten, politischen Gesinnung oder wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe drohen. Ihr gebühre daher nach der Rechtsprechung des VwGH die Anerkennung als Asylberechtigte gemäß § 3 AsylG (vgl. VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0459, mwN).

Ergänzend wurde im Schriftsatz des rechtsfreundlichen Rechtsvertreters vom XXXX angemerkt, dass BF 2 sogar in Österreich soziale Ächtung erfahren habe müssen, als sie den Schleier abgelegt habe und daraufhin von afghanischen Frauen „schief“ angeschaut worden sei. In Afghanistan würden Frauen, wie die BF 2, gesellschaftlich ausgegrenzt und gezwungen werden deren Lebensstil und Wertehaltung aufzugeben und sich dem traditionellen afghanischen Lebensstil zu unterwerfen. Der BF 1 würde es nicht gestattet sein, seiner Frau einen derartigen Lebensstil zu ermöglichen. Auch körperliche Eingriffe wären in diesem Fall zu befürchten. Die nächsten noch in der Heimatregion lebenden Verwandten des BF 1 könnten durchaus als Gefährder und Verfolger in Betracht kommen.

Für die BF 2 wäre es einerseits unmöglich, andererseits extrem risikoreich, ihren von Freiheit und Geschlechtergleichberechtigung geprägten „westlichen“ Lebensstil auch in Afghanistan zu leben. Sie dürfte ihre damit zusammenhängende politische Weltanschauung und Wertehaltung als persönliche Meinung nicht äußern.

In Österreich habe sie diese kulturelle „Lebensprägung“ nicht sofort ablegen können. Zwei Jahre habe es gedauert, bis diese bereit gewesen wäre, sich an westliche Bekleidungsgewohnheiten anzupassen und ihren Kopf nicht mehr zu verhüllen. Ein „frauenemanzipatorisches Selbstbewusstsein und Selbstverständnis“ sei bei der BF 2 mehr und mehr gewachsen. Es sei zu einem Aufblühen der BF 2 in Österreich gekommen. Unerträgliche Freiheitsbeschränkungen und Freiheitseingriffe, die die BF 2 in Bezug auf diese Rechte und ihren „Lebensstil“ in Afghanistan auf sich nehmen müsse, würden die Intensität eines asylrelevanten Eingriffs in die asylrechtlich geschützte, frauenspezifische „Grundrechtssphäre“ erreichen. Der BF 2 könne keinesfalls zugemutet werden derartige Freiheitsbeschränkungen auf sich zu nehmen.

Die Heimatregion der BF würde sich im Distrikt Charkent, der Provinz Balkh, ca. zwei Autostunden von Mazar-e Sharif entfernt befinden. Die staatlichen Sicherheitskräfte würden weder in der Lage noch gewillt sein, der Zivilbevölkerung Schutz vor den Taliban zu bieten, die immer wieder in die Gegend einfallen würden. So sei auch der BF 2 als 19- bis 20-jähriger Opfer einer zwangsweise vorgenommenen Rekrutierung der Taliban geworden. Die Sicherheitslage würde sich daher in der Heimatregion von BF 1 und BF 2 grundlegend von jener in Mazar-e Sharif unterscheiden. Immer mehr Familien würden aus dem Heimatdorf der BF vertrieben werden, sodass im Zeitpunkt des letzten telefonischen Kontakts des BF 2 mit seinen Familienangehörigen im Dorf nur mehr wenige Familien gelebt hätte.

Die BF 1 würde in Afghanistan keine Verwandten mehr haben. BF 2 habe seit Jahren keinen telefonischen Kontakt zu seinen im Dorf lebenden Verwandten, nachdem der Telefonkontakt auf Grund der Zerstörung der Mobilfunktantennen durch die Taliban abgebrochen sei. Somit sei die Stadt XXXX nicht als Heimatregion der BF anzusehen.

Außerdem würden sowohl BF 2 und BF 3 psychisch traumatisiert sein. Die BF 2 habe zwei Suizidversuche hinter sich. Die BF 2 habe aber keine psychologische oder fachärztliche Therapie/Behandlung in Anspruch genommen, weil diese sich für ihr Handeln schämen würde und der Meinung sei, selbst mit ihren Problemen fertig zu werden. Es wäre für die BF 2 eine wahre seelische Katastrophe unter Verhältnissen leben zu müssen, die der BF 2 in Afghanistan aufgezwungen werden würden (Verzicht auf Berufsausübung; Rückzug ins Private und in die Familie; Übernahme der traditionellen Rolle einer afghanischen Frau, Verlust ihrer Freiheiten, die ihr Leben in Österreich prägen würden).

5. Am XXXX fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des rechtsfreundlichen Rechtsvertreters der BF statt, in welcher diese ausführlich in Entsprechung der Ausführungen des Erkenntnisses des VwGH vom 07.05.2020, Ra 2019/19-0250-5 befragt wurden.

II.. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Beschwerdeführern:

Die strafgerichtlich unbescholtenen BeschwerdeführerInnen tragen die im Spruch angeführten Namen. Sie sind afghanische Staatsangehörige und gehören der Volksgruppe der Hazara an und bekennen sich zur Religion der Schiiten. Die Erstbeschwerdeführerin ist mit dem Zweitbeschwerdeführer verheiratet. Die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer sind die gemeinsamen Kinder der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers.

Die Erstbeschwerdeführerin ist in ihrer Wertehaltung überwiegend an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert und es droht ihr im Zusammenhang damit im Fall ihrer Rückkehr Verfolgung aus religiösen und/oder politischen Gründen.

Des Weiteren steht die persönliche Haltung der BF1 über die grundsätzliche Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft im eindeutigen Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen, denen Frauen im Herkunftsstaat mehrheitlich unterworfen sind. Die BF1 ist von ihrer persönlichen Wertehaltung her überwiegend an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert.

Eigene und in ihrer Person liegende Gründe einer asylrelevanten Verfolgung der BF3 und BF4 sind nicht hervorgekommen.

Die Fluchtgründe des BF 2 waren auf Grund dessen Schilderung und den dazu gemachten Ausführungen der BF 1 als unglaubwürdig einzustufen und unterliegt dieser selbst keiner konkreten individuellen Verfolgung.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Politische Lage

Letzte Änderung: 18.5.2020

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.2.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020; UNGASC 17.3.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, ist keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.2.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Die Präsidentenwahl hatte am 28. September stattgefunden. Nach monatelangem, erbittertem Streit um die Richtigkeit von Hunderttausenden von Stimmen waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden. Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen. Afghanistan hat eine geschätzte Bevölkerung von 35 Millionen Einwohnern (DW 18.2.2020).

Wochenlang stritten der amtierende Präsident Ashraf Ghani und sein ehemaliger Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah um die Macht in Kabul und darum wer die Präsidentschaftswahl im vergangenen September gewonnen hatte. Abdullah Abdullah beschuldigte die Wahlbehörden, Ghani begünstigt zu haben, und anerkannte das Resultat nicht (NZZ 20.4.2020). Am 9.3.2020 ließen sich sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.4.2020; vgl. TN 16.4.2020). Nach monatelanger politischer Krise (DP 17.5.2020; vgl. TN 11.5.2020), einigten sich der afghanische Präsident Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah auf eine Machtteilung: Abdullah wird die Friedensgespräche mit den Taliban leiten und Mitglieder seines Wahlkampfteams werden ins Regierungskabinett aufgenommen (DP 17.5.2020; vgl. BBC 17.5.2020; DW 17.5.2020).

Anm.: Weitere Details zur Machtteilungsvereinbarung sind zum Zeitpunkt der Aktualisierung noch nicht bekannt (Stand: 18.5.2020) und werden zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben (BBC 17.5.2020).

Präsidentschafts- und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004; USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020) – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Diesem Abkommen zufolge hätten noch vor den für 10.03.2020 angesetzten inneren Friedensgesprächen, von den Taliban bis zu 1.000 Gefangene und von der Regierung 5.000 gefangene Taliban freigelassen werden sollen. Zum einen, verzögern die Unstimmigkeiten zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung über Umfang und Umsetzungstempo des Austauschs, die Gespräche (AJ 7.5.2020) [ Anm.: 800 Taliban-Gefangene entließ die afghanische Regierung, während die Taliban 100 der vereinbarten 1.000 Sicherheitskräfte frei ließen – (NPR 6.5.2020)], Andererseits stocken die Verhandlungen auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind (AJ 7.5.2020). In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (NZZ 20.4.2020).

Das Abkommen mit den US-Amerikanern

Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden. In den ersten 135 Tagen nach der Unterzeichnung werden die US-Amerikaner ihre Truppen in Afghanistan auf 8.600 Mann reduzieren. Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020).

Quellen:

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Sicherheitslage

Letzte Änderung: 22.4.2020

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).

(UNAMA 2.2020)

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich – dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 6.2019). Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020).

Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (UNGASC 17.3.2020).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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