Entscheidungsdatum
23.12.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I419 1427649-4/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX auch XXXX auch XXXX , geb. XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 01.10.2020, Zl. XXXX , zu Recht:
A) 1. Die Beschwerde wird betreffend die Spruchpunkte I, II und III des angefochtenen Bescheids als unbegründet abgewiesen.
2. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV wird Folge gegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 wird XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
3. Die Spruchpunkte V, VI und VII werden ersatzlos aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer beantragte 2012 nach illegaler Einreise internationalen Schutz. Der abweisende Bescheid des BAA wurde am 19.12.2013 vom AsylGH bestätigt. Einen ersten Folgeantrag vom Jänner 2014 wies das BFA am 03.08.2017 verbunden mit einer Rückkehrentscheidung ab, die Beschwerde dagegen dieses Gericht (01.02.2018, I404 1427649-2/7E).
2. Am 24.07.2018 beantragte der Beschwerdeführer eine „Aufenthaltsbewilligung plus“, worüber das BFA mangels geänderten Sachverhalts durch Zurückweisung entschied, was dieses Gericht ebenso bestätigte (11.07.2019, I414 1427649-3/2E).
3. Schließlich stellte der Beschwerdeführer am 12.03.2020 den zweiten Folgeantrag, zu dem er angab, seit 1998/99 Mitglied der IPOB zu sein, was er beim ersten Asylantrag nicht habe sagen können, weil es so viele Fragen gegeben habe. Wenn man in ein neues Land komme, stehe man unter Stress.
4. Mit dem nun bekämpften Bescheid wies das BFA diesen Folgeantrag betreffend die Status der Asyl- (Spruchpunkt I) und des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II) wegen entschiedener Sache zurück, erteilte dem Beschwerdeführer keine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ (Spruchpunkt III), erließ wider ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV), stellte fest, dass eine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt V) und keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI), und verhängte ein zweijähriges Einreiseverbot (Spruchpunkt VII).
5. Beschwerdehalber wird vorgebracht, der Beschwerdeführer habe an exilpolitischen Aktivitäten für die Unabhängigkeit von Biafra teilgenommen, sei aus Nigeria völlig entwurzelt und habe sich in Österreich ein schützenswertes Privat- und Familienleben aufgebaut. Er lebe seit acht Jahren hier und habe eine Tochter mit einer österreichischen Frau. Eine Rückkehrentscheidung sei deswegen jedenfalls unzulässig. Beantragt wurde, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
6. Von Amts wegen hat das Gericht der Beschwerde mit Teilerkenntnis aufschiebende Wirkung zuerkannt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I getroffenen Ausführungen werden als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Christ, Staatsangehöriger von Nigeria der Volksgruppe der Igbo und spricht Igbo, sehr gut Englisch sowie – 2018 nachgewiesen auf Niveau A2 – Deutsch. Seine Identität steht nicht fest. Er wurde in Jos (Plateau State) geboren, wo er auch die Grundschule besuchte, und lebte dort vor seiner Ausreise. Seinen Angaben nach hielt er sich dazwischen ohne Familie in anderen Regionen auf wo er als Fußballspieler seinen Lebensunterhalt verdiente und von Fans unterstützt wurde, darunter in Coal Camp in Enugu State und Surulere in Lagos State, sein Vater sei dagegen von Jos nach Ukpo in Anambra State gezogen. Die Eltern des Beschwerdeführers sind verstorben. Es lebt aber zumindest eine Schwester des Beschwerdeführers in Nigeria, die mit ihm in Jos wohnte. Zu seiner Schwester hat er nach eigenen Angaben keinen Kontakt, Brüder hat er nicht.
Der Beschwerdeführer hält sich seit spätestens 12.06.2012 in Österreich auf und ist mit Ausnahme weniger (Übersiedlungs-) Tage durchgehend mit Hauptwohnsitz gemeldet. Er ist Mitglied des Vienna Christian Center, wo er den Gottesdienst und den wöchentlichen Bibelkreis besucht sowie sonntags ehrenamtlich mitarbeitet. Er teilte im September 2020 seine Unterkunft in Wien 16 mit einem befreundeten Staatsangehörigen Gambias, führte mit diesem aber keine Beziehung und ist auch nicht homosexuell. Derzeit ist niemand außer ihm dort gemeldet.
Er ist gesund, arbeitsfähig und Vater eines 10-monatigen Mädchens, mit dessen Mutter er eine Partnerschaft hatte. Mutter und Kind sind Österreicherinnen, erstere ist ein Jahr älter als der Beschwerdeführer und geschieden, stammt aus Kenia und lebt seit 16 Jahren in Österreich, wo sie seit 2007 mit Unterbrechungen berufstätig war, mit Ausnahme von 24 Tagen 2012 immer vollversichert. Beide Frauen sind gesund, die Mutter war zuletzt im Oktober 2018 als Modeverkäuferin tätig und bezog vor dem Mutterschutz Arbeitslosengeld, Krankengeld und Notstandshilfe. Sie lebt mit der Tochter allein in Wien 22. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätte.
Täglich trifft er seine Tochter und deren Mutter, bei denen er auch fallweise nächtigt. Er hat sie auch im Wochenbett besucht und geht mit ihnen in den Park, wo er die Tochter füttert.
Bis zur Pandemie hat er eine Straßenzeitung verkauft. Er bezieht keine Grundversorgung und arbeitet unangemeldet bei Übersiedlungen sowie beim Handel mit Altautos mit, die exportiert werden. Ferner verteilte er manchmal Werbung auf Autos und wird von Mitgliedern der Kirchengemeinde unterstützt. Er ging nie einer angemeldeten Beschäftigung nach. Strafrechtlich ist er unbescholten. Er spielt mit Freunden Fußball, ist arbeitswillig und hat eine Einstellungszusage einer Spedition als Beifahrer in Vollzeit für den Fall seines Arbeitsmarktzugangs.
Der Beschwerdeführer bezahlt monatlich einen Teil der Alimente, die er (in nicht feststehender Höhe) schuldet, und kauft der Tochter Essen und Kleidung. Er hat angegeben, aus seinem künftigen Arbeitseinkommen seiner Unterhaltspflicht in der vorgeschriebenen Höhe nachkommen zu wollen. Die Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Wien hat im Juni 2020 von einer Unterhaltsbemessung vorerst abgesehen, da der Beschwerdeführer über kein Einkommen verfüge und keine Möglichkeit habe, zu arbeiten.
Von den gut 8,5 Jahren seines Aufenthalts entfielen 1,5 auf das erste Asylverfahren, derzeit gilt für ihn der faktische Abschiebeschutz. Einen Nachweis über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich hat er nicht erbracht. Der Beschwerdeverhandlung im vorigen Asylverfahren blieb er unentschuldigt fern.
1.2 Zur Lage im Herkunftsstaat:
Im angefochtenen Bescheid wurden die Länderinformationen zu Nigeria mit Stand 20.05.2020 zitiert. Aktuell liegen Länderinformationen mit Stand 23.11.2020 vor, die in der vorliegenden Rechtssache keine Änderung der relevanten Sachverhaltselemente beinhalten, auch nicht gegenüber dem Endzeitpunkt des vorigen Asylverfahrens. Im Beschwerdeverfahren sind auch keine anderen entscheidenden Änderungen der Sachverhaltselemente bekannt geworden.
Aus einem Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen („EASO Special Report: Asylum Trends and COVID-19“) ergibt sich zwar betreffend Nigeria, dass die Zahl der bisher gemeldeten COV-Fälle die tatsächliche Verbreitung des Virus unterschätzen könnte, insbesondere in Bundesstaaten, die keine Labors haben, andererseits zeigt das Verhältnis der Zahl Infizierter (ohne Verstorbene und Geheilte), 9.679 per 22.12.2020, davon 312 Personen in Plateau State, zur Zahl durchgeführter Tests (903.800 bei ca. 200 Mio. Einwohnern oder 4.519 pro Million), dass sogar eine Hochrechnung auf die Testquote Österreichs (407.800 pro Mio. Einwohner) keine gravierende Zahl dieser Infizierten ergäbe, nämlich 0,873 Mio. oder 0,44 % der Bevölkerung, also der Größenordnung nach etwa dem Wert in Österreich entspräche (der bei 0,30 % liegt).
Daraus folgt nicht, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr zwangsläufig in eine ausweglose Situation geriete.
Im gegebenen Zusammenhang sind mangels sonstiger Bezüge zum Vorbringen die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:
1.2.1 Opposition inkl. MASSOB, IPOB und IMN
Verfassung und Gesetze erlauben die freie Bildung politischer Parteien, Gewerkschaften oder Interessengruppen. Es liegen keine Erkenntnisse über die Verfolgung von Exilpolitikern durch die nigerianische Regierung vor. Auch in Nigeria kann sich die politische Opposition grundsätzlich frei betätigen. Das gilt nicht nur für die parlamentarische Opposition, sondern auch für außerparlamentarische Parteien und Gruppen. Bislang sind auch - meist marginale - Gruppen mit sezessionistischen Zielen (etwa Biafra) weitgehend toleriert worden (AA 16.1.2020).
Mit Verbot der Indigenous People of Biafra (IPOB) im September 2017 und der schiitischen Islamischen Bewegung Nigerias (IMN) im August 2019 sind jetzt aber klare Grenzen markiert worden (AA 16.1.2020). Neben der IPOB ist im Südosten Nigerias als zweite sezessionistische Bewegung das Movement for the Actualization of the Sovereign State of Biafra (MASSOB) aktiv (EASO 2.2019; vgl. ÖB 10.2019). Beide werden von der Igbo-Volksgruppe beherrscht, konkurrieren aber miteinander (ÖB 10.2019).
Nach der vorübergehenden Freilassung des seit Herbst 2015 inhaftierten Anführers der
IPOB, Nnamdi Kanu, im Frühjahr 2017 spitzte sich die Lage rund um den 50. Jahrestag des Beginns des Biafra-Kriegs [Anm.: 6.7.2017] neuerlich zu. Zur Sicherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wurden Truppen entsandt (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020) und die IPOB zur terroristischen Organisation erklärt (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020). Die Polizei geht gegen Mitglieder der IPOB und der IMN mittels Inhaftierungen vor (HRW 17.1.2019). Die Sicherheitskräfte nahmen im Verlauf des Jahres 2019 mindestens 200 Mitglieder und Unterstützer der IPOB fest, zehn Personen wurden getötet (AI 8.4.2020). In Abia wurden mutmaßliche IPOB-Mitglieder etwa wegen Mordes, Brandstiftung und anderen Verbrechen verhaftet. Seither hat es seitens IPOB und MASSOB nur noch vereinzelt Versuche gegeben, in der Öffentlichkeit für die (verfassungswidrige) Unabhängigkeit eines fiktiven Staates „Biafra" zu werben. Diese wurden von den nigerianischen Sicherheitsbehörden regelmäßig unterbunden. Insgesamt können diese Bewegungen als relativ unbedeutende Randgruppen angesehen werden (ÖB 10.2019). […].
Der IPOB-Führer Nnamdi Kanu, der seit September 2017 spurlos verschwunden gewesen war, trat überraschend im Oktober 2018 in Jerusalem wieder öffentlich in Erscheinung (ÖB 10.2019; vgl. BBC 22.10.2018). Seit Anfang 2019 hielt er sich in Großbritannien auf (AFP 17.2.2019). Der Federal High Court in Abuja erließ am 28.3.2019 einen Haftbefehl gegen ihn. Gleichzeitig widerrief das Gericht die Kanu im April 2017 aus gesundheitlichen Gründen gewährte Freilassung auf Kaution, da er seither mehreren Vorladungen des Gerichts nicht Folge geleistet hatte (BAMF 1.4.2019). Im September 2019 kündigte Kanu an, eine IPOB-Delegation zur Generalversammlung der UNO führen zu wollen, und beschuldigte Nigeria in einer Petition an die UNO in Genf der Menschenrechtsverletzungen gegen die Unterstützer der Biafra-Bewegung (ÖB 10.2019). In Nigeria selbst ist IPOB derzeit nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020). […]
1.2.2 Grundversorgung
Nigeria ist die größte Volkswirtschaft Afrikas. Die Erdölproduktion ist der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Aufgrund des weltweiten Verfalls der Erdölpreise rutschte Nigeria 2016 jedoch in eine schwere Rezession, die bis zum zweiten Quartal 2017 andauerte (GIZ 6.2020). 2018 wuchs die nigerianische Wirtschaft erstmals wieder um 1,9 Prozent (GIZ 6.2020; vgl. AA 24.5.2019c). Getragen wurde das Wachstum vor allem durch die positive Entwicklung von Teilen des Nicht-Öl-Sektors (Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe). Seit 2020 ist die nigerianische Wirtschaft aufgrund des erneuten Verfalls des Rohölpreises sowie der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie wieder geschwächt. Wie hoch der wirtschaftliche Schaden sein wird, ist bislang noch nicht abschätzbar (GIZ 6.2020). Für 2020 wird aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf Nigeria und der drastisch gesunkenen Erdölpreise mit einer Schrumpfung des nigerianischen BIP um 4,4 % gerechnet. In der 2. Jahreshälfte 2020 ist jedoch ein Wiederanziehen der Konjunktur feststellbar und für 2021 wird ein Wachstum von 2,2 % erwartet (WKO 14.9.2020).
Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung (AA 16.1.2019). Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei- und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat - gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung (GIZ 6.2020). Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (AA 16.1.2020). Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert (GIZ 6.2020). Vor allem im Bereich Stromversorgung und Transport ist die Infrastruktur weiterhin mangelhaft und gilt als ein Haupthindernis für die wirtschaftliche Entwicklung (AA 24.5.2019c).
Über 60 Prozent (AA 24.5.2019c) bzw. nach anderen Angaben über 70 Prozent (GIZ 6.2020) der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Agrarsektor wird durch die Regierung stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen (GIZ 6.2020; vgl. AA 24.5.2019c). Die unterentwickelte Landwirtschaft ist jedoch nicht in der Lage, den inländischen Nahrungsmittelbedarf zu decken (AA 24.5.2019c). Einerseits ist das Land nicht autark, sondern auf Importe - v.a. von Reis - angewiesen. Andererseits verrotten bis zu 40 Prozent der Ernten wegen fehlender Transportmöglichkeiten (ÖB 10.2019). Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt von kleinen Anbauflächen - in der Regel in Subsistenzwirtschaft (AA 24.5.2019c).
Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt. Insgesamt hat sich der Prozentsatz an Unterernährung in den nördlichen Staaten im Vergleich zu 2015 verbessert und liegt nun unter der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen aber weiterhin zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2019). Im Jahr 2019 benötigten von der Gesamtbevölkerung von 13,4 Millionen Menschen, die in den Staaten Borno, Adamawa und Yobe leben, schätzungsweise 7,1 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Davon sind schätzungsweise 80 Prozent Frauen und Kinder (IOM 17.3.2020).
Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2020; vgl. GIZ 9.2020b). 87 Millionen Nigerianer (40 Prozent der Bevölkerung) leben in absoluter Armut, d.h. sie haben weniger als 1 US-Dollar pro Tag zur Verfügung (GIZ 6.2020). 48 Prozent der Bevölkerung Nigerias bzw. 94 Millionen Menschen leben in extremer Armut mit einem Durchschnittseinkommen von unter 1,90 US-Dollar pro Tag (ÖB 10.2019). Die Armut ist in den ländlichen Gebieten größer als in den städtischen Ballungsgebieten (GIZ 9.2020b). Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene als auch auf lokaler Ebene. Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 6.2020).
Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei den Jugendlichen im Alter von 15 bis 35 wird sie auf über 50 Prozent geschätzt (GIZ 9.2020b). Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Geschätzt wird sie auf 20 bis 45 Prozent - in erster Linie unter 30-jährige - mit großen regionalen Unterschieden. Die Chancen, einen sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst, staatsnahen Betrieben oder Banken zu finden, sind gering, außer man verfügt über eine europäische Ausbildung und vor allem über Beziehungen (ÖB 10.2019). Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab (ÖB 10.2019; vgl. BS 2020).
Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als „self-employed" suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 9.2020b). Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Eine immer noch geringe Anzahl von Nigerianern (acht Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 2020).
Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2019). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 2020). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).
Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Mietkosten, Zugang zu medizinischer Versorgung und Lebensmittelpreise variieren nicht nur von Bundesstaat zu Bundesstaat, sondern auch regional/ethnisch innerhalb jedes Teilstaates (ÖB 10.2019).
Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für „peppersoup", „garri" oder „pounded yam", für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch „mini-farming“ eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m2 Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als „bushmeat“ gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun „grasscutter“ (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als „bushmeat“ gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und „grasscutter“ finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2019).
1.2.3 Rückkehr
Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).
Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 16.1.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2019). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 16.1.2020).
Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 16.1.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2019). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 16.1.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2019) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2019).
Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 16.1.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2019).
Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 16.1.2020).
1.3 Zum Fluchtvorbringen:
1.3.1 Eine nach Nigeria zurückkehrende Person, bei der keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch die Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt. Der Beschwerdeführer wäre bei einer Rückkehr in der Lage, sich allenfalls durch Hilfstätigkeiten seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Es ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat, selbst wenn er auf keine familiäre Unterstützung zurückgreifen können sollte, seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät.
1.3.2 Im ersten Asylverfahren hat der Beschwerdeführer 2012 vorgebracht, er werde als Christ von Boko Haram verfolgt. Zu seinem ersten Folgeantrag brachte er vor, er sei seit jeher homosexuell, weshalb er staatlich und privat verfolgt werde, und habe auch vor Boko Haram Angst. Andere Fluchtgründe habe er nicht.
Nunmehr bringt er zum zweiten Folgeantrag vor, er sei bereits im Herkunftsstaat Mitglied der IPOB gewesen, seit 1998/99. Ob er das bereits 2012 angegeben habe, sei ihm nicht erinnerlich. Wenn man in ein anderes Land komme, stehe man unter Stress. Es seien so viele Fragen gewesen, und er habe nicht alles sagen können. Seine Mitgliedskarte habe er nach ihrem Verlust nicht erneuern können, weil 2020 noch keine Versammlung stattgefunden habe. In der Beschwerde wird dann noch ergänzt, dass er „an exilpolitischen Aktivitäten für die Unabhängigkeit von Biafra teilgenommen“ und dies in seiner „Einvernahme näher erläutert“ habe.
1.3.3 Bereits im Erkenntnis vom 01.02.2018 zum ersten Folgeantrag konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Nigeria einer persönlichen Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung ausgesetzt war. (S. 6) Diesem war es nicht gelungen, eine konkrete, gegen seine Person gerichtete Verfolgung bzw. Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen, der auch Asylrelevanz zukomme. Festzustellen sei dagegen, dass er im Fall ihrer Rückkehr nach Nigeria nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevanter Verfolgung oder einer wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.
1.3.4 Der Beschwerdeführer hat kein substantiiertes neues Vorbringen erstattet. Das Vorbringen im neuen Folgeverfahren, er sei bereits im Herkunftsstaat Mitglied der IPOB gewesen, ist auf Tatsachen bezogen, die bereits zur Zeit des ersten Asylverfahrens bestanden haben. Das Beschwerdevorbringen, wonach der Beschwerdeführer an in der Einvernahme näher erläuterten exilpolitischen Aktivitäten teilgenommen habe, bezieht sich auf Tatsachen, die vor rechtskräftiger Entscheidung in den beiden bereits abgeschlossenen Asylverfahren bestanden hätten und (gegebenenfalls) fortgesetzt hätten werden können, nämlich die weitere Zugehörigkeit zu IPOB nach dem Ortswechsel nach Europa bei einer hiesigen Regionalorganisation („Sie fragten mich nach dem kontinentalen Anführer.“ „Er wohnt in der […] in Österreich. Er ist der Kontinentalführer.“, AS 165, 163). Andere „Aktivitäten für die Unabhängigkeit von Biafra“ als diese Mitgliedschaft hat er nicht angegeben.
Wenn er als weiteren Fluchtgrund anführt, dass er nicht in den Herkunftsstaat zurückkehren könne und in Österreich bleiben wolle, weil keine Familie mehr habe und sein Leben in Afrika „nutzlos“ sei, dann macht er auch damit keinen neuen Asylgrund geltend.
1.3.5 Im vorliegenden Folgeantrag gibt der Beschwerdeführer keine weiteren Fluchtgründe an, die einen glaubhaften Kern hätten. Auch den Länderinformationen ist kein über die vorgebrachten Verfolgungsgründe hinausgehender Sachverhalt zu entnehmen, der Anhaltspunkte für eine aus sonstigen Gründen drohende individuelle Gefährdung böte, die dem Beschwerdeführer bevorstünde oder auch nur mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre.
1.3.6 In Bezug auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers in seinem nunmehrigen Folgeverfahren und aufgrund der allgemeinen Lage im Land wird festgestellt, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten privaten Verfolgung oder sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder der politischen Gesinnung irgendwelchen Verfolgungshandlungen ausgesetzt sein wird.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes und dem Beschwerdeakt Gerichts sowie den angeführten bisherigen Erkenntnissen dieses Gerichts. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem integrierten Fremdenregister, den Versicherungsdaten der Sozialversicherung und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt, ferner die Niederschrift der Einvernahme beim BAA am 20.06.2012 eingesehen.
2.1 Zum Beschwerdeführer
Soweit Feststellungen zur Person, den Lebensumständen und zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf den Angaben im Akt samt den dazu vorliegenden Urkunden und, soweit unbestritten, den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen.
Betreffend die Kontakte und Aktivitäten mit seiner Tochter und deren Mutter folgt das Gericht den Angaben des Beschwerdeführers (AS 158, 160, 164, 166 f), die nachvollziehbar sind und der Lebenserfahrung entsprechen sowie zu Teilen auch durch Handyaufnahmen unterstützt wurden, die der Beschwerdeführer beim BFA vorzeigte (Klinik der Niederkunft / im Park mit Tochter, AS 158, 167).
2.2 Zum Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Nigeria samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie z. B. des UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der Erkenntnisquellen sowie dessen, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Die Feststellungen stimmen mit denen des BFA inhaltlich überein, wenn auch manche Passus (z. B. „Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes …“) nun innerhalb des Abschnitts in einem anderen Absatz stehen, teils sind sie sogar günstiger (z. B. betreffend die Wirtschaftsentwicklung). Maßgebliche Änderungen sind daher nicht festzustellen.
Der Beschwerdeführer trat den Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland nicht entgegen, sondern erklärte, die Länderfeststellungen nicht zu benötigen. Er kenne „das Problem“. In Nigeria sei es nicht wie in Europa. Wenn man in Wien geboren sei, kenne man auch Wien. (AS 166)
Die Feststellungen zur Pandemie entstammen der genannten Veröffentlichung der EU-Agentur EASO (www.easo.europa.eu/publications/easo-special-report-asylum-trends-and-covid-19-issue-2) und des „Centre for Disease Control“ des Herkunftsstaats (covid19.ncdc.gov.ng). Die inländischen Zahlen sind die des BMSGPK (www.derstandard.at/story/2000120049733/aktuelle-zahlen-coronavirus-oesterreich-corona-ampel-in-ihrem-bezirk) mit Stand 22.12.2020, 09:30 h.
Diese Feststellungen dazu zeigen, dass die Situation im Herkunftsstaat kaum anders ist als in Österreich, auch in Plateau State, sodass auch diesbezüglich kein relevanter neuer Sachverhalt vorliegt.
Es ist daher und auch betreffend die Pandemie keine entscheidungswesentliche Änderung der Ländersituation eingetreten.
2.3 Zum Vorbringen:
Die Feststellungen betreffend das vom Beschwerdeführer jeweils Vorgebrachte folgen der Aktenlage.
Wenn er im zweiten Folgeverfahren sinngemäß vorbringt, er sei der IPOB beigetreten, lange bevor er nach Österreich gekommen sei, ist zu berücksichtigen, dass er ein solches Vorbringen weder in den Angaben im ersten Asylverfahren (ab Mitte 2012) aufscheint noch in jenen zum ersten Folgeantrag (ab Anfang 2014). Die Erklärung, „wenn man in ein anderes Land kommt, steht man unter Stress. Es gab so viele Fragen, ich konnte nicht alles sagen.“ vermag also nicht zu überzeugen, weil der Beschwerdeführer jedenfalls im Jänner 2014 bereits 1,5 Jahre hier verbracht hatte. Im Erstverfahren hat er auch die Frage nach der Mitgliedschaft in einem Verein oder einer Organisation in Österreich ebenso verneint wie jene nach staatlicher Verfolgung im Herkunftsstaat.
Dazu kommt, dass das Vorbringen auch nicht substantiiert ist und selbst die Behauptung „exilpolitischer Aktivitäten“ in der Beschwerde ohne Nennung auch nur eines Beispiels blieb. Beim BFA gab er lediglich auf die Frage nach einem Mitgliedsausweis an, dass er den alten verloren habe, und: „Ich hätte meine Mitgliedskarte erneuern müssen. In diesem Jahr hatten wir noch keine Versammlung.“ Die Teilnahme des Beschwerdeführers an einer vergangenen Versammlung wurde nicht behauptet und wäre auch wenig glaubhaft: Nach dem Gründungszeitpunkt Biafras gefragt, wich er mit seiner Antwort aus, die Flagge Biafras konnte er in zwei Versuchen nicht richtig zeichnen oder beschreiben. (AS 163 f, 169, 171) Den Anführer von IPOB (oben 1.2.1) konnte er nicht nennen und antwortete ausweichend. (AS 163, 165).
Es wurde kein substantiiertes, und – da die geltend gemachten Gründe, einschließlich der Mitgliedschaft bei einem Regionalteil der IPOB, zudem bereits vor Abschluss des vorigen Asylverfahrens vorgelegen hätten – auch kein neues Vorbringen erstattet. Das Beschwerdevorbringen beinhaltet zwar die Behauptung, der Beschwerdeführer habe keinen familiären Rückhalt oder andere relevante Anknüpfungspunkte, in seiner Heimat mehr, weshalb die Gefahr bestehe, dass er in eine existenzielle Notlage geraten würde, erklärt indes nicht, warum dies nun der Fall sein soll, wenn der Beschwerdeführer vorher allein als Berufssportler in verschiedenen Bundesstaaten sein Auskommen fand.
Eine andere asyl- oder sonst aus Konventionsgründen relevante Verfolgung oder Gefahr, die dem Beschwerdeführer bei Rückkehr droht, wurde nicht behauptet und lässt sich auch nicht an den Länderfeststellungen oder anderen Verfahrensergebnissen erkennen. Darauf beruhen die weiteren Feststellungen zum Vorbringen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
Das schon im vorangegangenen Verfahren erstattete Fluchtvorbringen und die dort geltend gemachten Gründe sind bereits im Erkenntnis vom 01.02.2018 abschließend beurteilt und in der seinerzeitigen, rechtskräftigen Erledigung berücksichtigt worden. Insofern geht es im aktuellen Folgeverfahren um die Prüfung der darüber hinaus geltend gemachten neuen Tatsachen und im Beschwerdeverfahren um den Inhalt des nun bekämpften Bescheids.
Da die belangte Behörde den Folgeantrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen hat, ist Beschwerdegegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung dieses Antrages, nicht aber der Antrag selbst.
3.1 Zur Zurückweisung wegen entschiedener Sache (Spruchpunkte I und II):
Nach § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Letzteres betrifft die amtswegige oder aufsichtsbehördliche Bescheidänderung oder -aufhebung. Die §§ 69 und 71 AVG bezeichnen die Rechtsinstitute der Wiederaufnahme des Verfahrens und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die beide hier nicht anwendbar sind.
Die Anordnung, dass Anbringen unter den Voraussetzungen des § 68 Abs. 1 AVG nicht inhaltlich behandelt, sondern zurückgewiesen werden, soll die wiederholte Befassung der Behörde mit einer bereits entschiedenen Sache vermeiden, wobei es auf die unveränderte Sach- und Rechtslage ankommt.
Wie dieses Gericht bereits im vorigen Folgeverfahren geklärt hat, war das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend die angebliche Verfolgung unglaubwürdig, konnte dessen fluchtauslösende Verfolgung mangels Glaubhaftmachung nicht festgestellt werden, und bestand keine reale Gefahr, dass die Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde (S. 6, 61 ff, 66 im Erkenntnis vom 01.02.2018).
Die Behörde hat sich somit bereits mit dem Vorbringen auseinandergesetzt und entschieden, das Gericht die inhaltlich gefallene Entscheidung bestätigt.
Eine Änderung der für die Gewährung von Asyl oder subsidiären Schutz maßgeblichen Umstände im Herkunftsstaat wurde nicht behauptet und kam auch sonst nicht hervor, auch nicht aus Gründen der Pandemie, zumal der Beschwerdeführer auch nicht behauptet hat, einer Risikogruppe anzugehören.
Im Folgeantragsverfahren können - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur neu entstandene Tatsachen, die einen im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geänderten Sachverhalt begründen, zu einer neuen Sachentscheidung führen, nicht aber solche, die bereits vor Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens bestanden haben. Demnach sind behauptete Tatsachen, die bereits zur Zeit des ersten Asylverfahrens bestanden haben, die der Asylwerber jedoch nicht bereits im ersten Asylverfahren vorgebracht hat, von der Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung erfasst. (VwGH 03.04.2019, Ra 2019/20/0104 mwN)
Die behauptete Sachverhaltsänderung muss außerdem zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, und eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. (VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0198 mwN)
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer seinen (dritten) Antrag auf internationalen Schutz auf behauptete Tatsachen gestützt, die seinem Vorbringen zufolge bereits zur Zeit des ersten und des zweiten - in der Sache entschiedenen - Asylverfahrens (vor dem 01.02.2018) bestanden haben, die er jedoch aus den oben (2.4) angeführten Gründen nicht bereits in dem vorangegangenen Verfahren vorgebracht habe. Aus diesem Grund lag schon nach dem Vorbringen des Revisionswerbers keine entscheidungsrelevante Sachverhaltsänderung vor, die im Folgeantragsverfahren Berücksichtigung zu finden hätte. (Vgl. VwGH 03.04.2019, Ra 2019/20/0104 mwN) Darauf, dass ihm fallbezogen auch der glaubhafte Kern fehlt, kommt es bei diesem Ergebnis nicht mehr an.
Das Vorbringen ist damit von der Rechtskraft der vorigen Entscheidung umfasst und damit nicht geeignet, eine neue inhaltliche Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers herbeizuführen.
Damit stand einer neuerlichen Behandlung durch das BFA mangels einer maßgeblichen Sachverhaltsänderung die bereits entschiedene Sache entgegen. Da es demnach den Folgeantrag des Beschwerdeführers zutreffend gemäß § 68 Abs. 1 AVG betreffend den Asyl- und den subsidiären Schutzstatus zurückgewiesen hat, war die Beschwerde bezogen auf Spruchpunkt I und Spruchpunkt II nach § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.
3.2 Zur Nichterteilung des Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III):
Im Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheids sprach das BFA aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ nicht erteilt werde. Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung dieser Aufenthaltsberechtigung wurde nicht behauptet. Aus der Beschwerde und aus den Verwaltungsakten ergeben sich auch keine Hinweise, die nahelegen würden, dass die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung in Betracht kommt. Die Beschwerde war daher auch betreffend Spruchpunkt III abzuweisen.
3.3 Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV)
Nach § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG ist eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Diese Bestimmung bildet in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 auch die Rechtsgrundlage für die Rückkehrentscheidung nach einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082).
Somit ist auch im vorliegenden Fall die Rückkehrentscheidung vorgesehen. Das gilt nur dann nicht, wenn eine Rückkehrentscheidung wegen eines Eingriffs in das Privat- oder Familienleben eines Fremden auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für dauernd unzulässig zu erklären ist. Zu entscheiden ist dabei nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen gegenüber den öffentlichen, ob ein Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig ist.
Bei der Beurteilung, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten ist bzw. ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte darstellt, ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. (VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325 mwN)
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nehmen die persönlichen Interessen des Fremden an seinem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer seines bisherigen Aufenthalts zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247).
Der VwGH hat unter anderem folgende Umstände - meist in Verbindung mit anderen Aspekten - als Anhaltspunkte dafür anerkannt, dass ein Fremder die in Österreich verbrachte Zeit zumindest in gewissem Ausmaß genützt hat, um sich zu integrieren: Die Erwerbstätigkeit des Fremden, das Vorhandensein einer Beschäftigungsbewilligung, eine Einstellungszusage, das Vorhandensein ausreichender Deutschkenntnisse, familiäre Bindungen zu in Österreich lebenden, aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen, ein Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich bzw. die Vorlage von Empfehlungsschreiben, eine aktive Teilnahme an einem Vereinsleben, freiwillige Hilfstätigkeiten, ein Schulabschluss bzw. eine gute schulische Integration in Österreich oder der Erwerb des Führerscheins. (VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005 mwN)
Den Feststellungen nach hat der Beschwerdeführer eine Einstellungszusage. Er erzielte bis zur Pandemie mit Zeitungsverkauf legales Einkommen und verfügt über Deutschkenntnisse, nachgewiesen auf Niveau A2 sowie Teamkollegen einer Fußballmannschaft, sodass von für Arbeit und Sport ausreichenden Deutschkenntnissen ausgegangen werden kann. Ferner besucht er mehrmals wöchentlich Veranstaltungen der Freikirche „Christian Center“, wo er Mitglied ist und ehrenamtlich arbeitet. Über dieses Privatleben hinaus hat der Beschwerdeführer spätestens seit der Geburt seiner Tochter ein Familienleben mit Österreicherinnen, wenn auch ohne gemeinsamen Haushalt.
Gegen den weiteren Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich und für die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung sprechen andererseits die Umstände, dass der Beschwerdeführer sich seit der Abweisung seines ersten Asylantrages seines unsicheren Aufenthaltes bewusst sein musste, der ab der Entscheidung des AsylGH auch unrechtmäßig war, ferner die illegale Einreise und der Umstand, dass er sein Leben bisher überwiegend im Herkunftsstaat verbracht hat, dort hauptsozialisiert wurde, die Landessprache spricht und mit den regionalen Sitten und Gebräuchen vertraut ist.
Auch wenn ein allfälliges Privat- und Familienleben, das erst nach der Abweisung eines Asylantrages entstanden ist, dadurch deutlich an Gewicht verliert, weil dann der Aufenthaltsstatus grundsätzlich ein unsicherer ist, muss im konkreten Fall Folgendes bedacht werden:
Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist es ein grundlegender Bestandteil des Familienlebens, dass Eltern und Kinder sich der Gesellschaft des jeweiligen anderen Teiles erfreuen können. Davon ausgehend kann eine unzureichende Berücksichtigung des Kindeswohles zur Fehlerhaftigkeit der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG und somit zu einer Verletzung des Art. 8 EMRK führen, weil eine Aufenthaltsbeendigung nicht verfügt werden darf, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. (VfGH 12.10.2016, E1349/2016 mwH)
Diese Überlegungen gelten fallbezogen für das Familienleben zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Tochter, zumal das Auflösen einer Hausgemeinschaft von Eltern und Kindern nicht einmal bei volljährigen Kindern für sich allein zur Beendigung des Familienlebens im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK führt. (VfGH 11.06.2014 B623/2013)
Für das Bestehen eines Familienlebens spielt es angesichts regelmäßiger Kontakte auch nur eine untergeordnete Rolle, ob der Beschwerdeführer obsorgeberechtigt ist und aktuell Unterhaltszahlungen leistet. (VwGH 19.09.2019, Ra 2019/21/0158 mwN)
Wie der Verwaltungsgerichtshof mehrfach erkannte, hat ein Kind grundsätzlich Anspruch auf „verlässliche Kontakte“ zu beiden Elternteilen. Wird es durch die Rückkehrentscheidung gegen den Vater gezwungen, ohne diesen aufzuwachsen, so bedarf diese Konsequenz einer besonderen Rechtfertigung. Eine solche Rechtfertigung ist nicht schon deshalb gegeben, weil die Beziehung zur Kindesmutter und die Geburt des Kindes während des unsicheren Aufenthaltsstatus des Revisionswerbers erfolgte. Sie kann aber etwa dann bejaht werden, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie insbesondere bei - relevanter - Straffälligkeit des Fremden. In solchen Fällen kann es auch gerechtfertigt sein, Personen mit unterschiedlicher Staatsangehörigkeit zu trennen. (VwGH 16.07.2020, Ra 2020/18/0226 mwN)
Die Judikatur erachtet ferner eine Trennung von Familienangehörigen, mit denen ein gemeinsames Familienleben im Herkunftsland nicht zumutbar ist, im Ergebnis nur dann für gerechtfertigt, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie dies insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug der Fall ist. (VwGH 19.06.2020, Ra 2019/19/0475mwN).
Es bedarf fallbezogen keiner Erörterung, dass die Tochter des Beschwerdeführers diesen nicht ohne ihre –seit 16 Jahren in Österreich wohnende – Mutter begleiten könnte, was aber angesichts der beendeten Beziehung und der österreichischen Staatsangehörigkeit der Frauen jedenfalls unzumutbar wäre, und zwar auch unter Berücksichtigung dessen, dass die Mutter in Kenia geboren wurde.
In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof auch ausgesprochen, dass die Aufrechterhaltung des Kontaktes mittels moderner Kommunikationsmittel mit einem Kleinkind kaum möglich ist und dem Vater eines Kindes (und umgekehrt) grundsätzlich das Recht auf persönlichen Kontakt zukommt. (VwGH 06.10.2020, Ra 2019/19/0332 mwN)
Unter Einbeziehung dieser Überlegungen und mit Blick auf den gut 8,5-jährigen Aufenthalt des unbescholtenen Beschwerdeführers, ergibt die individuelle Abwägung der berührten Interessen, dass ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch eine Außerlandesbringung nicht als verhältnismäßig im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK anzusehen ist. Die familiäre Bindung zwischen dem Beschwerdeführer und der Tochter ist naturgemäß nicht nur vorübergehend.
Nach § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG insbesondere im Hinblick darauf begründet abzusprechen, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist. Das ist nur dann der Fall, wenn die sonst drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind, insbesondere dann, wenn die Rückkehrentscheidung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen unzulässig wäre, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht verfügen.
Bei diesem Ergebnis war damit spruchgemäß der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV des angefochtenen Bescheides stattzugeben und festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.
Kommt es aber zum Ausspruch, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sei auf Dauer unzulässig, so ordnet § 58 Abs. 2 AsylG 2005 für diesen Fall an, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen „zu prüfen“ ist, was heißt, dass gegebenenfalls ein solcher „Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK“ zu erteilen ist. Die dauerhafte Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung führt gemäß § 55 AsylG 2005 nämlich entweder zur Erteilung einer ‚Aufenthaltsberechtigung plus‘ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 oder zur Erteilung einer ‚Aufenthaltsberechtigung‘ gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005. (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0224 mwH).
Nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z. 1), und dazu noch in Z. 2 genannte Integrationsmerkmale vorliegen. Wenn nur die Voraussetzung der Z. 1 erfüllt ist, dann gebührt gemäß Abs. 2 eine „Aufenthaltsberechtigung“.
Die erwähnten Integrationsmerkmale als zusätzliche Voraussetzung bestehen entweder in der Ausübung einer erlaubten Erwerbstätigkeit im Entscheidungszeitpunkt, mit der die Geringfügigkeitsgrenze erreicht wird, oder in der Erfüllung des Moduls I der Integrationsvereinbarung.
Letzteres würde nach § 11 Abs. 2 IntG fallbezogen außer den Deutschkenntnissen (auf Niveau A2) den Nachweis der Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verlangen. Da dieser Nachweis nicht erbracht ist, gebührt dem Beschwerdeführer die „Aufenthaltsberechtigung“.
Im Sinne des § 58 Abs. 2 AsylG 2005 steht es auch dem BVwG zu, in jeder Verfahrenskonstellation über einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 abzusprechen (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0187). Daher war aus Anlass der Beschwerde die „Aufenthaltsberechtigung“ wie im Spruch geschehen von Amts wegen zu erteilen.
Nach § 54 Abs. 2 AsylG 2005 sind Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, somit auch die in § 54 Abs. 1 Z. 2 angeführte „Aufenthaltsberechtigung“, auf zwölf Monate auszustellen, die mit dem Ausstellungsdatum beginnen. Dies war sohin zusätzlich auszusprechen, um damit die Basis für die Ausstellung durch das BFA nach § 58 Abs. 7 AsylG 2005 zu schaffen.
3.4 Zur Zulässigkeit der Abschiebung, zur Ausreisefrist und zum Einreiseverbot (Spruchpunkte V bis VII):
Die Rückkehrentscheidung des BFA war wie eben gezeigt aufzuheben. Als die mit der Rückkehrentscheidung von Spruchpunkt IV verbundenen, ebenfalls aufzuhebenden Nebenaussprüche sind fallbezogen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers (Spruchpunkt V) und jener des Nichtbestehens einer Frist für dessen freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI) sowie das Einreiseverbot (Spruchpunkt VII) aus dem Rechtsbestand zu entfernen, die auf der Rückkehrentscheidung beruhen.
3.5 Zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung:
Das BFA hat den Folgeantrag zu Recht wegen entschiedener Sache nach § 68 AVG zurückgewiesen. Für eine solche Zurückweisung gilt die Regelung in § 16 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG, wonach eine Beschwerde gegen eine solche Entscheidung keine aufschiebende Wirkung hat, wenn ihr nicht das Bundesverwaltungsgericht diese (nach § § 17 Abs. 1 BFA-VG) zuerkennt.
Die Zuerkennung hat von Amts wegen zu geschehen, dem Beschwerdeführer kommt kein Antragsrecht in Bezug auf die begehrte Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zu. Über einen trotzdem gestellten und somit unzulässigen Antrag wäre in Form einer Zurückweisung zu entscheiden. (VwGH 21.02.2017 Fr 2016/18/0024)
Mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der Hauptsache wird ein dort gestellter Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung allerdings gegenstandslos. (VwGH 07.06.2017, Ra 2017/17/0129 mwN) Eine Entscheidung über den Antrag erübrigte sich daher.
4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.
Unbeschadet dessen kann das BVwG nach § 21 Abs. 6a BFA-VG über Beschwerden gegen zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren ohne Abhaltung einer Verhandlung entscheiden. Zu diesen zählen auch Beschwerden gegen eine vor Zulassung des Verfahrens ausgesprochene Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 68 AVG. (VwGH 03.04.2019, Ra 2019/20/0104)
Das Gericht musste sich auch keinen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen, da es sich um einen eindeutigen Fall in dem Sinne handelt, dass auch bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn der persönliche Eindruck ein positiver ist. (Vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0422 mwN)
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zu Neuerungen im Folgeantrag oder zu den Voraussetzungen der Zurückweisung nach § 68 Abs. 1 AVG, zum Prüfungsumfang bei zurückweisenden Bescheiden wegen entschiedener Sache oder zu Aufenthaltstiteln nach den §§ 55 ff AsylG 2005 bei festgestelltem Familienleben.
Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.
Schlagworte
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ECLI:AT:BVWG:2020:I419.1427649.4.01Im RIS seit
05.03.2021Zuletzt aktualisiert am
05.03.2021