TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/8 I413 2164896-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.01.2021
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Entscheidungsdatum

08.01.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I413 2164893-1/16E
I413 2164897-1/12E
I413 2164896-1/12E
I413 2164895-1/12E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 09.12.2020 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , alle StA. IRAK, alle vertreten durch: RA Mag. Dr. Helmut BLUM LL.M. gegen die Bescheide des BFA RD Kärnten Außenstelle Klagenfurt vom 28.06.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.12.2020 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt l. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Abs 1 AsylG wird XXXX , StA. IRAK, der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs 4 AsylG wird XXXX , StA. IRAK, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von 12 Monaten bis zum 09.12.2021 erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. und IV. der angefochtenen Bescheide ersatzlos aufgehoben

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (in Folge: BF1) stellte am 21.07.2015 für sich und seine Tochter, die Drittbeschwerdeführerin (in Folge: BF3) einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, dass in seiner Heimat Bürgerkrieg herrsche und ihr Leben in Gefahr sei. Sie hätten die Türkei verlassen, da sie nach Europa wollten und das Leben dort sehr teuer sei. Seine Frau und sein Sohn seinen mit ihnen in die Türkei gereist, da das Leben dort aber zu teuer sei, hätten sie diese wieder zurück in den Irak geschickt. Im Irak würden seine Frau und seine Eltern und seine Geschwister darauf warten, dass er hier für sie um Asyl ansuche. Griechenland hätten sie verlassen, weil sie kein Asyl erhalten hätten und das Leben dort auch sehr teuer sei. Er habe von Anfang an nach Österreich wollen, da er hier Freunde habe, die ihm gesagt hätten, dass man hier finanzielle Unterstützung erhalte und auch eine Wohnung und Arbeit bekomme. Deshalb habe er seinen Asylantrag hier in Österreich gestellt. Andere Asylgründe außer dem Krieg im Irak habe er nicht. Diesen Asylantrag stelle er auch im Namen seiner Tochter.

2. Die Zweitbeschwerdeführerin (in Folge: BF2) stellte am 13.11.2015 für sich und ihren Sohn, den Viertbeschwerdeführer (in Folge: BF1), einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie mit Angst vor dem IS begründete. Ihr Mann sei bedroht, da er Sunnit sei. Ihr Mann habe sich für die Flucht entschieden und sie sei ihm mit ihrem sieben Monate alten Sohn nachgereist.

3. Am 30.03.2017 wurde der BF1 durch die belangte Behörde einvernommen und ua zu seinen Fluchtgründen befragt. Im Rahmen dieser Einvernahme brachte er vor, es seien überall Milizen gewesen. Sie würden die Sunniten unter Druck setzen. Dann sei der IS (Daesh) gekommen und habe begonnen, sich auszubreiten. Die Leute vom IS seien nett gewesen, aber er sei mit seiner Familie in Richtung Kurdistan gefahren. Sie hätten bei Khanikin nicht mehr weiterfahren dürfen und seien in ein UN-Camp gekommen. Sie seien von den Peshmerga beschimpft worden und hätten sich verpflichtet binnen zwei Monaten das Camp zu verlassen. Sie seien dann zum Schwiegervater nach Bagdad gegangen und dieser habe ihnen geholfen. Sie hätten bei ihm gelebt. Dann sei die Frau schwanger geworden und der BF1 hätte einen Meldezettel benötigt, um die Geburtsurkunde und den Staatsbürgerschaftsnachweis zu bekommen. Er habe den Meldezettel nicht erhalten. Ihm sei zu verstehen gegeben worden, dass er nach Diyala gehen müsse und dass sie ihm nicht als Sunniten helfen würden. Sein Schwager, der Schiit sei, habe ihm dann geholfen, die Papiere zu bekommen. Dann habe er einen Anruf vom Bruder seines Partners aus Diyala bekommen, der ihm mitgeteilt habe, dass der Partner entführt worden sei. Obwohl sie Lösegeld bezahlt hätten, sei er getötet worden. Das sei im Oktober 2014 gewesen und im September 2014 sei er entführt worden. Es sei auch das Büro, das der BF1 mit seinem Partner geführt habe zerstört und die Baumaterialen weggekommen. Sein selber gebautes Haus sei demoliert. Der Partner sei umgebracht worden aus Konkurrenzgründen und weil der BF1 Sunnit sei. Sein Partner sei Schiit, aber kein Fanatiker gewesen. Die Brüder hätten ihm auch erzählt, dass er auf den Listen der Milizen stehe und ihm geraten, nicht mehr zurückzukommen. In Bagdad seien dann auch die Milizen zu seinem Schwiegervater gekommen und hätten ihm gesagt, dass sie wüsste, dass ein Mann aus Diyala hier sei und den Ort verlassen solle. Er vermute, der Mokhtar habe die Informationen weitergegeben. Sie hätten gesagt, dass er ein alter Mann sei, und wenn sie wiederkämen und er noch immer hier sei, Probleme bekomme. Die Leute von der Miliz hätten nur mit dem Schwiegervater gesprochen. Dieser habe ihm gesagt, dass er ihn nicht schützen könne. Er habe seinen Schwager angerufen und dieser habe ihm geraten, das Land zu verlassen. Nach 2-3 Tagen seien sie zum Schwager gegangen und im Juni 2015 seien sie dann, nachdem sie alle Papiere gehabt hatten, weggeflogen. Von Oktober 2014 bis Juni 2015 hätten sie in Angst und unter Druck gelebt.

4. Die BF2 wurde am selben Tag durch die belangte Behörde niederschriftlich einvernommen. Sie teilte zu den Fluchtgründen mit, dass sie als Sunniten in der Minderheit lebten, Balad Ruz sei in der Nähe des Iran und von der iranischen Revolutionsgruppe und anderen Milizen kontrolliert. Rund um Balad Ruz sei der IS (Daesh) gewesen, der in Balad Ruz Leute rekrutien wollte. Shiiten und Sunniten hätten dort gewohnt. Sie seien in das ALEWA Camp bei Khanikin geflohen. Die Milizen und der IS hätten sie nicht direkt bedroht. Ihr Mann sei Bauunternehmer gewesen und sein Partner sei entführt worden, da Bauunternehmer viel Geld verdienten. Sie hätten Lösegeld von der Familie gefordert und die Familie habe gezahlt, aber der Partner sei dennoch ermordet worden. Die Geschichte des Partners hätten sie im Camp erfahren. Da das Camp im Kurdengebiet gewesen sei, hätten sie nur begrenzte Zeit dortbleiben können. Der XXXX -Clan sei oft in Verbindung mit Saddam Clan oder der politischen Baath Partei gebracht worden XXXX dürften nicht überall im Irak hin. Nachdem die Zeit abgelaufen sei, hätten sie das Kurdengebiet verlassen und zurück nach Diyala nach Balad Ruz wollen. Doch am Chekpoint in Diyala seien sie kontrolliert worden und der Mann habe beim Namen XXXX gesagt, dass ihr Mann auf der Liste der Gesuchten stehe. Er habe ihm gesagt, dass er sie nicht reinlasse und habe gesagt, dass ihr Mann Familie habe und deswegen weggehen solle. Sie seien dann nach Bagdad gefahren und ihr Vater wäre für sie ihr Sponsor gewesen. Sie hätten im Haus des Vaters 4-5 Monate gewohnt. Sie habe ihr Kind bekommen und als ihr Mann die Geburtsurkunde erhalten wollte, hätte er einen Meldezettel vorlegen müssen und so hätten die Leute gewusst, dass XXXX in Bagdad sei. Selbst zum Haus des Vaters seien bewaffnete Leute mit militärischer und ziviler Kleidung in BMW gekommen und hätten gesagt, dass ein Mann mit dem Namen XXXX gesucht werde. Sie hätten zu ihrem Vater gesagte, dass er einen Mann namens XXXX dort habe und dieser Sunnit sei. Er sei ein alter Mann und wohne schon lange dort und würden ihn warnen. Der Mann müsse verschwinden. Nächstes Mal würden sie nicht mehr mit ihm sprechen. Darauf seien sie zur Schwester in Bagdad gezogen. Bis sie Pässe gehabt hätten, seien sie geblieben und seien dann mit dem Flugzeug aus dem Irak ausgereist.

5. Mit angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten und hinsichtlich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“, erließ gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

6. Gegen diesen am 30.06.2017 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid erhoben die Beschwerdeführer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

7. Am 20.07.2017 langten die Beschwerden samt dem jeweiligen Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.

8. Am 14.08.2017 ersuchte der BF1 um Ausfolgung seines Führerscheins. Das Bundesverwaltungsgericht teilte diesem am 26.09.2017 mit, dass sich dieser nicht beim Bundesverwaltungsgericht befinde und ersuchte ihn, sich an die belangte Behörde zu wenden.

9. Auf Grund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 07.08.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache L513 KINZLBAUER Friedrich DDr. abgenommen und neu zugewiesen.

10. Mit Schreiben vom 21.09.2018 teilte der einschreitende Rechtsanwalt die ihm erteilte Vollmacht dem Bundesverwaltungsgericht mit.

11. Mit Schriftsatz vom 27.07.2020 legte der Rechtsvertreter das A2 Zertifikat des Erstbeschwerdeführers sowie zwei Unterstützerschreiben vor.

12. Mit Schriftsatz vom 26.11.2020 legte der Rechtsvertreter die folgenden Urkunden: A2 Zertifikat des BF1, Kursbesuchsbestätigung vom 12.10.2020, Kursbesuchsbestätigung „Basisbildung“ vom 27.10.2020, Jahres- und Abschlusszeugnis der BF3, Jahreszeugnis Musikschule der BF3, Schulbesuchsbestätigung der BF3, Teilnahmebestätigung Tanzschule der BF2, Kindergartenbestätigung des BF4, fachliche Äußerung vom 05.11.2020 (psychotherapeutische Behandlung der BF2), Unterschriftenliste Yoga für Frauen für die BF2; Bestätigung ehrenamtlicher Arbeit der BF2 vom 30.10.2020, vier Unterstützungsschreiben sowie Themenpapier zum Irak: Schiitische Milizen vor.

13. Am 09.12.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung durch, in der alle Beschwerdeführer befragt wurden und das Bundesverwaltungsgericht die Lage im Herkunftsstaat erörterte und das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündete.

14. Mit Telefax vom 11.12.2020, eingelangt am selben Tag, beantragte die belangte Behörde die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der in Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Zudem werden nachstehende Feststellungen getroffen.

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer und ihren persönlichen Lebensumständen:

1.1.1. Zum Erstbeschwerdeführer:

Der volljährige BF1 ist irakischer Staatsangehöriger, verheiratet mit der BF2 und Vater von BF3 und BF4. Er ist Araber, gesund und arbeitsfähig und bekennt sich zum muslimisch-sunnitischen Glauben. Er stammt aus Baquba, Diyala, wo er geboren und aufgewachsen ist. Der BF1 besuchte im Irak sieben Jahre die Grund- und Mittelschule, erlernte den Beruf des Dachspenglers und verdiente seinen Lebensunterhalt als Bauunternehmer. Er reiste legal aus dem Irak in die Türkei ein und reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen schlepperunterstützt nach Österreich weiter, wo er am 21.07.2015 für sich und die BF3 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Abgesehen von den BF2 bis BF4 verfügt der BF1 über keine Verwandten in Österreich. Im Irak bestehen keine nennenswerten familiären Bindungen mehr. In Österreich geht der BF1 keiner legalen Beschäftigung nach und lebt von der staatlichen Grundversorgung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig. Der BF1 spricht deutsch auf dem Niveau A2 und besucht einen Deutschkurs auf Niveau B1. Eine soziale oder kulturelle Integration des BF1 besteht nicht. Der BF1 ist nicht strafrechtlich vorbestraft.

1.1.2. Zur Zweitbeschwerdeführerin:

Die volljährige BF2 ist irakische Staatsangehörige, verheiratet mit dem BF1 und Mutter von BF3 und BF4. Sie ist Araberin, gesund und arbeitsfähig und bekennt sich zum muslimisch-sunnitischen Glauben. Sie stammt aus Bagdad, wo sie geboren und aufgewachsen ist. Die BF2 besuchte im Irak die Grund- und Mittelschule sowie die Universität, lebte als Hausfrau und wurde von ihrem Ehemann versorgt. Sie reiste legal aus dem Irak in die Türkei ein und reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen schlepperunterstützt nach Österreich weiter, wo sie am 13.11.2015 für sich und den BF4 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Abgesehen von den BF1, BF3 und BF4 verfügt die BF2 über keine Verwandten in Österreich oder im Irak. In Österreich geht die BF2 keiner legalen Beschäftigung nach und lebt von der staatlichen Grundversorgung. Sie ist nicht selbsterhaltungsfähig. Die BF2 spricht nicht Deutsch. Eine besondere soziale oder kulturelle Integration in Österreich besteht nicht. Die BF2 ist nicht strafrechtlich vorbestraft.

1.1.3. Zur mj. Drittbeschwerdeführerin:

Die minderjährige BF3 ist irakische Staatsangehörige und Tochter von BF1 und BF2. Sie ist Araberin, bekennt sich zum muslimisch-sunnitischen Glauben und ist gesund. Sie stammt aus Bagdad, wo sie geboren ist. Bis zu ihrer Ausreise aus dem Irak wuchs sie in Baquba auf. Die BF3 lebte im Irak gemeinsam mit ihren Eltern, die auch für sie sorgten. Sie reiste legal aus dem Irak in die Türkei ein und reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen schlepperunterstützt nach Österreich weiter, wo sie am 21.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Abgesehen von den BF1, BF2 und BF4 verfügt die BF3 über keine Verwandten in Österreich. Im Irak leben keine nahen Angehörigen. In Österreich geht die BF3 zur Schule und lebt von der staatlichen Grundversorgung. Sie ist nicht selbsterhaltungsfähig. Die BF3 spricht arabisch und deutsch.

1.1.4. Zum mj. Viertbeschwerdeführer:

Der minderjährige BF4 ist irakischer Staatsangehöriger und Sohn von BF1 und BF2. Er ist Araber, bekennt sich zum muslimisch-sunnitischen Glauben und ist gesund. Er stammt aus Bagdad, wo er geboren ist und bis zu seiner Ausreise aus dem Irak gelebt hat. Der BF4 lebte im Irak gemeinsam mit seinen Eltern, die auch für ihn sorgten. Er reiste legal aus dem Irak in die Türkei ein und reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen schlepperunterstützt nach Österreich weiter, wo er am 13.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Abgesehen von den BF1, BF2 und BF3 verfügt der BF4 über keine Verwandten in Österreich. Im Irak leben keine nahen Angehörigen. In Österreich geht der BF4 in den Kindergarten und lebt von der staatlichen Grundversorgung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig. Der BF4 spricht arabisch und deutsch.

1.2. Zu den Fluchtmotiven der Beschwerdeführer

Die Beschwerdeführer haben den Irak wegen der schlechten Sicherheitslage verlassen und um in Österreich ein besseres Leben zu suchen. Im Falle der Rückkehr in den Irak droht den Beschwerdeführern keine Gefahr der Verfolgung aus Gründen der politischen oder religiösen Überzeugung, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation, Rasse oder sozialen Gruppe.

In ihrem Herkunftsstaat wurden die Beschwerdeführer nicht aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt und es drohte ihnen auch keine ernstliche Verfolgung aus vorgenannten Gründen.

1.3. Zur möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat

Den Beschwerdeführern droht keine reale Gefahr, in ihrem Leben bedroht zu werden, Folter oder erniedrigende Bestrafung oder eine erniedrigende Behandlung zu erleiden oder in ihrem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt zu werden. Ihnen droht im Fall ihrer Rückkehr weder die Todesstrafe, noch besteht eine reale Gefahr, dass ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in ihrem Herkunftsstaat bedroht wäre.

Weder BF3 noch BF4 sind typischen Vulnerabilitäten von Minderjährigen bei der Rückkehr in den Irak ausgesetzt, da ihre arbeitsfähigen und gesunden Eltern mit Ihnen zurückkehren können, sie somit nicht unbegleitet sind und ihre Eltern sie vor typischen Vulnerabilitäten von Minderjährigen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit schützen werden. BF3 und BF4 haben als irakische Staatsbürger das Recht auf kostenlose Schulbildung.

Den BF3 und BF4 droht allerdings wegen der aktuellen COVID-19 Pandemie und den damit verbundenen Schulschließungen aktuell die Gefahr, keine Bildung nach Rückkehr zu erhalten und damit sich keine zur Selbsterhaltungsfähigkeit führende schulische und berufliche Bildung zu erhalten. Außerdem wird es dem BF1 und der BF2 in aktuellen Situationen schwerfallen, eine angemessene bezahlte Arbeit zu finden, womit aktuell das Risiko bestehet, dass der Unterhalt der Kinder bei einer Rückkehr in den Irak aufgrund der aktuellen Pandemiesituation gefährdet sein kann.

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat Irak

Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende für den Beschwerdefall relevante Feststellungen getroffen, soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind:

1.4.1. Allgemeine Sicherheitslage:

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

-        Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

-        FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

-        MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

-        New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

1.4.2. Islamischer Staat (IS):

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS = Daesh) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vgl. BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).

Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).

Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungsziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a).

Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).

Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Ba‘q?bah im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vgl. NINA 17.1.2020).

Die Gegenden, in denen IS Zellen tätig sind, haben sich nach den Einschätzungen von Knights and Almeida seit Ende 2018 fast verdoppelt. Diese Autoren geben 47 Gegenden an, in denen IS-Zellen aktiv sind, in Anbar, Salah al-Din, Baghdad, Diyala, Kirkuk und Ninewa. Die Taktik dieser Zellen richtet sich dahin, den Straßenverkehr zu unterbrechen, die Aussöhnung lokaler Gruppen zu stören und Städte ökonomisch zu blockieren sowie Terrain im offenen Feld zu erhalten. Gegenwärtig ist der IS in folgenden ländlichen Gegenden aktiv: Anbar: südwestliche Anbar Wüste, Horan Tal bis zum al-Abiach Tal bia zum al-Kadef Tal, und der nördliche Teil von Rawa; Ninewa: der südliche Teil der Ninewa Wüste, Baaj; Erbil: Makhmour; Baghdad: der Gürtel; Diyala: die nordöstlichen Gegenden; Kirkuk: der Süden von Kirkuk, Hawija, Zab und Abbasi; Salah al-Din: Shirqat, Khanuqa, Hamrin Berge, Osten des Thathar-Sees. In den vergangenen Jahren hat sich die Aktivität des IS zu einem gewissen Grad südwärts von Kirkuk nach Salah al-Din und Diyala verlegt, wo seine Aktivitäten zugenommen haben. Es hat sich auch gegen Baghdad bewegt. Es hat seine frühere Strategie wiederaufgegriffen, die Kontrolle über größere Ortschaften und ländliche Gegenden zu erlangen (EASO 30.2020).

Der Staat hat Gegenwehraktivitäten gegen den IS ergriffen, so in Kirkuk. Wegen der öffentlichen Proteste nahmen diese aber in der Priorität ab. Wegen nachlassender Unterstützung durch die Koalitionskräfte und wegen der Corona-Pandemie verlangsamte sich das Tempo der Gegenwehr und verloren auch die staatlichen Kräfte wieder vom IS befreites Terrain (EASO 30.2020).

Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).

Quellen:

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (18.6.2019): Regional Overview – Middle East 18 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/18/regional-overview-middle-east-18-june-2019/, Zugriff 13.3.2020

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (27.5.2019): Briefing Notes 27. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010482/briefingnotes-kw22-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- BBC News (23.12.2019): Isis in Iraq: Militants 'getting stronger again', https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50850325, Zugriff 13.3.2020

- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

- EASO Iraq (30.2020), Security Situation, October 2020, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf, Zugriff 13.11.2020

- Garda World (3.3.2020): Iraq Country Report, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/iraq, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 13.3.2020

- Military Times (7.7.2019): Iraqi forces begin operation against ISIS along Syrian border, https://www.militarytimes.com/flashpoints/2019/07/07/iraqi-forces-begin-operation-against-isis-along-syrian-border/, Zugriff 13.3.2020

- NINA - National Iraqi News Agency (17.1.2020): ISIS Elements executed a herd of buffalo by firing bullets northeast of Ba‘q?bah. http://ninanews.com/Website/News/Details?key=808154, Zugriff 13.3.2020

- PGN - Political Geography Now (11.1.2020): Iraq Control Map & Timeline - January 2020, https://www.polgeonow.com/2020/01/isis-iraq-control-map-2020.html, Zugriff 13.3.2020

- Portal, The (9.10.2019): Iraq launches a new process of “Will to Victory”, http://www.theportal-center.com/2019/10/iraq-launches-a-new-process-of-will-to-victory/, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

- UN General Assembly (30.7.2019): Children and armed conflict; Report of the Secretary-General [A/73/907–S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf, Zugriff 13.3.2020

- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

1.4.3. Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen:

Die Zahl der durch Gewalt ums Leben gekommenen ist zwischen 2017 und 2019 erheblich gesunken. Waren 2015 noch etwa 17.500 zivile Gewaltopfer im Irak zu beklagen, so ist diese Zahl im Jahr 2019 auf rund 2.300 Gewaltopfer gesunken. Im Jahr 2020 gab es nach vorläufigen Schätzungen bis einschließlich August 650 zivile Todesopfer im Irak (Statista 21.09.2020).

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Februar 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).

Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).

Quellen:

-        ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        EASO Iraq (30.2020), Security Situation, October 2020, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf, Zugriff 13.11.2020

-        IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-        Statista Research Department - deutsches Online-Portal für Statistik (21.09.2020): Anzahl der dokumentierten zivilen Todesopfer im Irakkrieg und in den folgenden Jahren von 2003 bis 2020*, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/163882/umfrage/dokumentierte-zivile-todesopfer-im-irakkrieg-seit-2003/#professional, Zugriff 30.9.2020

1.4.4. Sicherheitslage Diyala (Ba‘q?bah):

Das Gouvernement Diyala liegt im zentral-östlichen Teil des Iraks mit Grenzen zu den Gouvernements Sulaymaniyah, Salah al-Din, Baghdad und Wassit sowie einer internationalen Grenze zum Iran. Es besteht aus sechs Distrikten: Ba‘q?bah, Baladrooz, Khalis, Khanaqin, Kifri und Muqdadiya. Ba‘q?bah (Stadt) mit ca 467.900 Einwohnern ist die Hauptstadt des Gouvernements Diyala.

Der Islamische Staat (IS) ist im Zentralirak nach wie vor am aktivsten (Joel Wing 3.2.2020), so sind Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala nach wie vor die Hauptaktionsgebiete der Aufständischen (Joel Wing 2.12.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020). Das Gouvernement Diyala zählt regelmäßig zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen und als die gewalttätigste Region des Irak (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 9.9.2019) und ist weiterhin ein Kerngebiet des IS (Joel Wing 3.2.2020). Trotz wiederholter Militäroperationen in Diyala kann sich der IS noch immer in den ausgedehnten Gebieten, die sich vom westlichen Teil Diyalas bis zu den Hamreen Bergen im Norden des Gouvernements erstrecken, sowie in den schwer zugänglichen Gebieten nahe der Grenze zum Iran halten (Xinhua 22.12.2019). Es kommt in Diyala regelmäßig zu Konfrontationen des IS mit Sicherheitskräften und zu Übergriffen auf Städte (Joel Wing 5.8.2019). Die 5. Irakische Armee Division ist in Dyiala stationiert. Ihre Soldaten sind häufig Ziele von Anschlägen des IS (EASO 10.2020).

Der IS hat Zugang zu allen ländlichen Gebieten in Diyala (Joel Wing 5.8.2019), aus denen er einerseits Zivilisten vertreibt, um dort Basen zu errichten, und wo er anderseits wiederholt die lokale Verwaltung und Sicherheitskräfte angreift (Joel Wing 9.9.2019). So häufen sich Berichte über die zunehmende Vertreibung von Zivilisten aus ländlichen Gebieten, beispielsweise aus den Bezirken Khanaqin und Jalawla, wegen der Bedrohung durch den IS und dem Unvermögen der Sicherheitskräfte (Irakische Armee/ISF und PMF) für deren Sicherheit zu sorgen (Joel Wing 25.11.2019; vgl Rudaw 3.12.2019). Ein Hauptproblem Diyalas ist die mangelhafte Kommunikation zwischen den vielen unterschiedlichen Sicherheitsakteuren in der Region (Joel Wing 9.9.2019), andererseits gibt es generell zu wenige Sicherheitskräfte in Diyala, was der IS auszunutzen versteht (Joel Wing 5.8.2019). Die übrigen Vorfälle betrafen hauptsächlich den Norden und das Zentrum von Diyala (EASO 10.2020). Im Süden und Westen gab es hingegen kaum sicherheitsrelevante Vorfälle (Joel Wing 9.9.2019).

Ende 2019 und Anfang 2020 hat der IS seinen Aktionsschwerpunkt verschoben. Während sich bisher die meisten Vorfälle im Distrikt Khanaqin, rund um die Städte Khanaqin und Jalawla, ereigneten, verlegte der IS seinen Fokus zunehmend auf das Zentrum des Gouvernements, insbesondere auf den Distrikt Muqdadiya (Joel Wing 6.1.2020; vgl Joel Wing 3.2.2020), sowie auch in die westlichen Gebiete Diyalas. Diese Verlagerung wird im Zusammenhang mit einer Kampagne der irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in Khanaqin gesehen. Damit zeigt der IS aber auch, dass er die Kapazität hat im gesamten Gouvernement aktiv zu werden (Joel Wing 3.2.2020).

Im Zeitraum 2019-2020 ereigneten sich in den Gegenden um Ba’q?bah und Khanaqin die tödlichsten Attacken (USDOD 03.2020). Im Gegenzug wurden Luftangriffe auf IS-Verstecke in und um die Hareem Berge durch die internationale Koalitionsstreitkräfte berichtet. Beispielsweise gingen die irakischen Kräfte am 08.07.2019 in einer viertägigen Mission „Siegeswille“ gegen Schläferzellen des IS im nördlichen Irak, einschließlich von Dyiala vor. IS-Schläferzellen führen immer noch sog. „hit-and-run“ Schläge gegen Regierungs-Checkpoints, Strukturen und Vertreter der Regierung durch. Ziel der Mission der irakischen Streitkräfte war es, IS-Basen, IS-Trainingscamps, Depots und Tunnels zu zerstören. Am 29.12.2019 wurde die 8. Stufe der Mission „Siegeswille“ begonnen. Am 11.06.2020 begannen die ISF gemeinsam mit PUK-Terrorismusabwehrkräften eine Operation gegen Reste des IS im Khanaqin Distrikt (EASO 10.2020).

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Diyala 78 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 65 Toten und 93 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), nach den Berechnungen von EASO (10.2020) ereigneten sich im Zeitraum Jänner bis Dezember 2019 im Gouvernement Diyala insgesamt 55 Vorfälle mit 47 Toten und 64 Verletzten. EASO (30.2020) verzeichnet im Zeitraum Jänner bis Juli 2020 48 Vorfälle mit 46 Toten und 67 Verletzten.

Quellen:

-        Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak: Sicherheitslage Ba‘q?bah vom 26.08.2020

-        EASO Iraq (10.2020), Security Situation, October 2020, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf, Zugriff 13.11.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State’s New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020

-        Rudaw (3.12.2019): Diyala villagers flee spike in attacks by resurging Islamic State, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/03122019, Zugriff 13.3.2020

-        USDOD, Lead Inspector General for Operation Inherent Resolve – Quarterly Report to the United States Congress – January 1, 2020-March 42, 2020, 13 May 2020 (USDOS 03.2020), S 23, https://media.defense.gov/2020/May/13/2002298979/-1/-1/1/LIG_OIR_Q2_MAR2020_GOLD_508_0513.PDF, Zugriff 13.11.2020

-        Xinhua (22.12.2019): Iraqi soldier killed, 7 civilians wounded in separate attacks in Iraq, http://www.xinhuanet.com/english/2019-12/22/c_138648985.htm, Zugriff 13.3.2020

Im Einklang mit der allgemeinen Verbesserung der Sicherheitslage im Jahr 2018 und 2019 im Irak, wird auch über Diyala berichtet, dass sich die Sicherheitslage dort weitgehend stabilisiert hat, wenn auch dieses Gouvernement nach wie vor eine hohe Gewaltrate verzeichnet und in einigen Distrikten die Gewalt auch gegenüber dem Vorjahr gestiegen ist. Die höchste Intensität von zivilen Gewaltopfern wurde 2018 in den Distrikten Al-Muqdadiya (46.4 zivile Todesopfer pro 100.000 Einwohner), Khifri (33,8 zivile Todesopfer pro 100.000 Einwohner) und Baladrooz (21,4 zivile Todesopfer pro 100.000 Einwohner), während die niedrigste Intensität in Ba’q?bah (0,7 zivile Todesopfer pro 100.000 Einwohner) und Al-Khalis (5,1 zivile Todesopfer pro 100.000 Einwohner) verzeichnet wurde.

In Bezug auf die Lage in Diyala vertritt EASO (Country Guidance, S 111) den Standpunkt, dass unter Berücksichtigung aller Faktoren, geschlossen werden kann, dass die „bloße Anwesenheit“ in diesem Gebiet nicht genügt, um ein reales Risiko eines ernsten Schadens gemäß Art 15(c) der Statusrichtlinie im Gouvernement Diyala zu begründen. Allerdings erreicht die willkürliche Gewalt einen hohen Grad, weshalb ein niedriger Grad an individuellen Elementen benötigt wird, um substanzielle Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass einer in diese Gegend zurückkehrenden Zivilperson ein reales Risiko eines ernsten Schadens gemäß Art 15(c) der Statusrichtlinie entgegensteht. Jedoch muss beachtet werden, dass die Distrikte Ba’q?bah und Al-Khalis von willkürlicher Gewalt verhältnismäßig weniger betroffen sind.

Quellen:

-        EASO Iraq (30.2020), Security Situation, October 2020, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf, Zugriff 13.11.2020

Während in Diyala in den Jahren 2014 bei insgesamt 1.233 sicherheitsrelevanten Vorfällen 590 Personen getötet und 2015 bei 2.131 Vorfällen 233 Personen getötet wurden, wurden im Jahr 2018 insgesamt 142 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet, welche zu 45 Todesopfern geführt hatten. Im Jahr 2019 sank die Zahl der Vorfälle auf 55, bei denen 47 Tote zu beklagen waren. Die Anzahl der zivilen Todesopfer und der sicherheitsrelevanten Vorfälle sank somit gegenüber den Jahren 2014 und 2015 erheblich.

Die Anzahl ziviler Todesopfer pro 100.000 Einwohner beträgt in Ba’q?bah nur mehr 0,7 Opfer und liegt bei den niedrigsten im ganzen Gouvernement Dyiala, für welches eine Rate von 16,4 Todesopfer pro 100.000 Einwohner dokumentiert ist, wenn auch diese Rate niedriger als 2017 (17.1 zivile Todesopfer pro 100.000 Einwohner) ist. Zum Vergleich dazu liegt die Anzahl ziviler Todesopfer pro 100.000 Einwohner im 50 km von Ba’q?bah entfernten Bagdad im gleichen Zeitraum bei 7,4 zivilen Todesopfern pro 100.000 Einwohner.

Quellen:

-        EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Security Situation, March 2019, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/publications/EASO-COI-Report-Iraq-Security-situation.pdf, S 57-58, S 72-80 sowie S 82-85, Zugriff 16.06.2020

-        EASO Iraq (10.2020), Security Situation, October 2020, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf, Zugriff 13.11.2020

Im Gouvernement Diyala ereignen sich nach wie vor sicherheitsrelevante Vorfälle, jedoch nicht flächendeckend und mit derartiger Regelmäßigkeit, dass automatisch Gründe vorliegen würden um die Annahme zu rechtfertigen, dass eine nach Ba’q?bah zurückkehrende Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

Quellen:

-        EASO Country Guidance: Iraq, Guidance note and common analysis, June 2019, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Iraq_2019.pdf, S 29, Zugriff 16.06.2020

-        EASO Iraq (30.2020), Security Situation, October 2020, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf, Zugriff 13.11.2020

1.4.5. Sicherheitslage in Bagdad:

Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis

50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).

Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020).

Dabei wurden am 7.und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad (Joel Wing 5.3.2020).

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar (Joel Wing 6.1.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020)

Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren (Joel Wing 3.2.2020).

Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements, darunter auch in Bagdad, zu teils gewalttätigen Demonstrationen.

Quellen:

- Al Monitor (11.3.2016): The rise of Islamic State sleeper cells in Baghdad, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/iraq-baghdad-belts-harbor-islamic-state.html, Zugriff 13.3.2020

- ISW - Institute for the Study of War (2008): Baghdad Belts, http://www.understandingwar.org/region/baghdad-belts, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020

- OFPRA - Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, http://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf, Zugriff 13.3.2020

Im Einklang mit der allgemeinen Verbesserung der Sicherheitslage im Jahr 2018 und 2019 wird auch über Bagdad berichtet, dass sich die Sicherheitslage dort weitgehend stabilisiert hat. Über das Jahr 2018 hinweg blieben Überreste des IS in den Vororten von Bagdad („Bagdad-Gürtel“) aktiv und starteten gelegentliche USBV-Angriffe auf zivile Ziele. Es wird jedoch berichtet, dass die Fähigkeit des IS, Großanschläge mit hohen Opferzahlen durchzuführen, signifikant zurückgegangen ist. Anfang 2019 wurde berichtet, dass der IS sich weitgehend zurückgezogen hat, während die ISF ihre Kontrolle über den „Bagdad-Gürtel“ verstärkte, wodurch die Sicherheitsvorfälle noch weiter abnahmen. Jedoch soll der IS im April 2019 versucht haben, seine Stützzone in den südwestlichen Gegenden des Bagdad-Gürtels auszudehnen. Während es in den vergangenen Jahren Berichte über fast tägliche Entführungen aus politischen Gründen oder gegen Lösegeld gab, wurde für das Jahr 2018 und Anfang 2019 diesbezüglich von einem Rückgang berichtet. In Bagdad ereignen sich nach wie vor Fälle gezielter Tötungen hochrangiger Persönlichkeiten.

In Bezug auf die Lage in der Stadt Bagdad vertritt UNHCR die Ansicht, dass die einzigen Personengruppen, hinsichtlich derer keine externe Unterstützung vorauszusetzen ist, arabisch-schiitische und arabisch-sunnitische alleinstehende, körperlich leistungsfähige Männer und kinderlose Ehepaare im arbeitsfähigen Alter ohne identifizierte besondere Vulnerabilitäten sind. Abhängig von den jeweiligen Umständen sind solche Personen möglicherweise in der Lage, in der Stadt Bagdad ohne Unterstützung durch ihre Familie und/oder ihren Stamm zu bestehen.

Quellen:

- UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen: https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2020/01/Schutzerw%C3%A4gungen-Irak-2019-korrigiert.pdf, S 23f sowie S 141, Zugriff 16.06.2020

Im Jahr 2018 wurden in Bagdad insgesamt 392 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet, welche zu 566 Todesopfern geführt hatten. Die Anzahl der zivilen Todesopfer hatte sich hierbei im Vergleich zum Vorjahr 2017 – wo es noch zu 487 sicherheitsrelevanten Vorfällen mit insgesamt 1032 zivilen Todesopfern gekommen war – mehr als halbiert. Im Jahr 2019 ereigneten sich 42 sicherheitsrelevante Vorfälle, bei denen 37 Personen ums Leben kamen und 13 verletzt wurden. Für die erste Jahreshälfte wurden vier sicherheitsrelevante Vorfälle mit drei Toten und fünf Verletzten verzeichnet (EASO, Iraq: Security Situation, Oct. 2020, S 81).

Die Anzahl ziviler Todesopfer pro 100.000 Einwohner halbierte sich im Gouvernement Bagdad vom Jahr 2017 auf 2018 ebenfalls von 7,36 auf 14,38.

Die Stadtviertel mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen, welche zu zivilen Todesopfern geführt haben, waren Adamiyah – mit 78 sicherheitsrelevanten Vorfällen und insgesamt 94 zivilen Todesopfern – gefolgt von Al-Rusafa (77 Vorfälle/161 zivile Todesopfer) und Al-Mada'in (63 Vorfälle/69 zivile Todesopfer). Die mit Abstand h

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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