TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/13 I413 2172917-1

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Veröffentlicht am 13.01.2021
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Entscheidungsdatum

13.01.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I413 2172917-1/45E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Michael-Thomas REICHENVATER, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich vom 15.09.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.01.2019, am 10.03.2020 und am 13.11.2020 zu Recht erkannt:

A)
Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz des ersten Spruchteils des Spruchpunktes III. wie folgt zu lauten hat: „Eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ gemäß § 57 AsylG wird XXXX nicht erteilt.“

B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer stellte mit Datum 02.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge seiner Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 04.06.2015 führte der Beschwerdeführer befragt nach seinen Fluchtgründen aus, dass der IS in Mossul einmarschiert sei und es nun keine Sicherheit mehr gebe.

2.       Am 24.02.2017 wurde der Beschwerdeführer durch die belangte Behörde niederschriftlich einvernommen. Im Zuge dieser Einvernahme gab er befragt zu seinen Fluchtgründen zu Protokoll, er sei im März 2014 Student an einem Tourismuscollege gewesen und habe täglich drei Studenten, welche islamische Wissenschaft studiert hätten, mit dem Taxi von zu Hause zur Universität und retour gebracht. Einer dieser Studenten, XXXX , habe immer wieder über den islamischen Kampf und Islamisten gesprochen und auch den Beschwerdeführer immer wieder gefragt, weswegen dieser nicht mit den Islamisten gehe. Der Beschwerdeführer habe ihm jedoch nie die Gelegenheit gegeben, über das Thema zu sprechen und ihm nur gesagt, er sei ein friedlicher Mensch. An einem Tag habe XXXX gemeint, dass er den Beschwerdeführer töten werde, wenn jemand erfahre, worüber die beiden gesprochen hätten. Am 06.06.2014 um 20:30 Uhr abends habe der Beschwerdeführer schließlich einen Anruf von XXXX aus dem Stande seiner Haft bekommen. Dieser habe den Beschwerdeführer damit bedroht, ihm den Kopf abzuhacken und seinem Vater als Geschenk anzubieten, sobald er aus der Haft entlassen werde. Nach diesem Anruf habe der Beschwerdeführer Angst um sein Leben gehabt, weshalb er auch zu Freunden gezogen und dort ca. zwei Monate geblieben wäre. Nach dem Einmarsch des IS seien alle Häftlinge freigelassen worden, auch XXXX . Am 20.06.2014 sei dieser dann mit weiteren acht Personen bewaffnet beim Beschwerdeführer zu Hause gewesen, um den Beschwerdeführer zu suchen. Sie seien bewaffnet mehrmals zu ihm nach Hause gekommen, weshalb der Beschwerdeführer beschlossen habe, sein Heimatland zu verlassen. Er habe Mossul illegal verlassen müssen, weil sein Name bei den Kontrollposten bekannt gewesen sei. Das letzte Mal, als XXXX zum Haus des Beschwerdeführers gekommen sei, habe er dessen Mutter getötet, das Auto des Beschwerdeführers, das Auto des Vaters sowie das Haus eingenommen und zum Vater des Beschwerdeführers gesagt, er werde den Beschwerdeführer töten, wenn er ihn sehe.

3.       Mit Bescheid vom 15.09.2017, Zl. XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.). Ihm wurde eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.).

4.       Gegen diesen dem Beschwerdeführer am 20.09.2017 zugestellten Bescheid erhob selbiger durch seine Rechtsvertretung mit Datum 04.10.2017 vollumfängliche Beschwerde. Moniert wurde dabei ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, unschlüssige Beweiswürdigung sowie unrichtige rechtliche Beurteilung. Beantragt wurde daher, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und in eventu den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen.

5.       Mit Schriftsatz vom 05.10.2017, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 10.10.2017, legte die belangte Behörde die Beschwerde und den Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.

6.       Aufgrund einer Änderung in der Geschäftsverteilung wurde die Rechtssache mit Datum 25.09.2018 der Gerichtsabteilung I413 des erkennenden Richters zugeteilt.

7.       Am 22.01.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer als Partei einvernommen wurde.

8.       Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.04.2019, I413 2172917-1/15E, wurde die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen.

9.       Hiergegen erhob der rechtsvertretene Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 15.05.2019 das Rechtsmittel der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, auch stellte er einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde. Diesem Antrag wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 07.06.2019 Folge gegeben.

10.      Mit Erkenntnis vom 23.09.2019, E 1809/2019-10, hob der Verfassungsgerichtshof das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.04.2019 gemäß I. 1. insoweit auf, als der Beschwerdeführer durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (Art I Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973) verletzt worden ist. 2. Im Übrigen wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und insoweit an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Zusammengefasst begründete der Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung damit, dass die Prüfung des Bundesverwaltungsgerichtes betreffend einer mit Blick auf Art 2 und 3 EMRK gegebenenfalls bestehenden Gefährdungslage ausschließlich pauschal für den Fall einer Rückkehr „in den Irak“ erfolgt sei. Eine solche pauschale Beurteilung der Sicherheits- und Versorgungslage im Irak werde aber den Anforderungen an eine am Maßstab der Art 2 und 3 EMRK vorzunehmenden Beurteilung der Rückkehrsituation in solchen Staaten, in denen die Sicherheits- und Versorgungslage instabil ist und von Provinz zu Provinz variiert, nicht gerecht. Betreffend das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative führt der Verfassungsgerichtshof aus, dass die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes hierzu nicht ausreichen.

11.      Mit Beschluss vom 20.12.2019, Ra 2019/01/0477-4, wies der Verwaltungsgerichtshof die Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes zurück.

12.      Am 10.03.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch, in welcher der rechtsvertretene Beschwerdeführer als Partei sowie die Zeugin XXXX einvernommen wurden. Auch wurde die allgemeine Lage im Irak mit dem Beschwerdeführer und seinem Rechtsvertreter erörtert.

13.      Mit Schreiben vom 06.11.2020 wurden dem Beschwerdeführer die aktuellen Länderberichte zur Situation im Irak übermittelt.

14.      Am 13.11.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine weitere mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer ergänzend einvernommen wurde und die aktuelle Lage im Herkunftsstaat aufgrund der aktuell vorliegenden Berichte von EASO und der Staatendokumentation zum Irak erörtert wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der in Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Zudem werden folgende Feststellungen getroffen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger, Angehöriger der arabischen Volksgruppe, Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung sowie ledig und kinderlos. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer hält sich nach illegaler Einreise seit (spätestens) 02.06.2015 in Österreich auf. Seit 09.06.2015 ist er auch durchgehend mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet melderechtlich erfasst.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er fällt nicht unter die Risikogruppe gemäß der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Definition der allgemeinen COVID-19-Risikogruppe (COVID-19-Risikogruppe-Verordnung), BGBl. II Nr. 203/2020.

Im Bundesgebiet war der Beschwerdeführer im Zeitraum vom 08.08.2018 bis 30.06.2019 als gewerblich selbständig Erwerbstätiger, nämlich als Friseur und Perückenmacher, tätig. Seitdem ging der Beschwerdeführer keiner legalen Beschäftigung mehr nach. Er ist nicht mehr unbeschränkt haftender Gesellschafter der XXXX OG. Einen Tag lang, nämlich am 09.05.2019, war der Beschwerdeführer auch als geringfügig beschäftigter Arbeitnehmer gemeldet.

Er bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Der Beschwerdeführer ist nicht selbsterhaltungsfähig, vielmehr finanziert die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers seinen Lebensunterhalt.

Der Beschwerdeführer stammt aus Mossul, Gouvernement Ninewa. Dort hat er 12 Jahre lang die Schule sowie ein Tourismuskolleg besucht, welches er jedoch nicht abgeschlossen hat. Im Irak wurde der Beschwerdeführer im Tourismus sowie als Taxifahrer tätig. Aufgrund seiner Arbeitserfahrung hat er eine Chance, auch hinkünftig im irakischen Arbeitsmarkt unterzukommen.

Betreffend den Aufenthaltsort der Familie des Beschwerdeführers sowie hinsichtlich des Kontakts zu derselben konnten keine Feststellungen getroffen werden. In Österreich ist der Beschwerdeführer mit der aus Ghana stammenden XXXX verlobt, welche er im August bzw. September 2018 kennengelernt hat. Seit 06.05.2019 leben der Beschwerdeführer und XXXX in einem gemeinsamen Haushalt. Im Bundesgebiet verfügt der Beschwerdeführer auch über anderweitige soziale Kontakte. Es leben keine Verwandten des Beschwerdeführers in Österreich.

Der Beschwerdeführer hat im Bundesgebiet mehrerlei Integrationsmomente gesetzt. So besuchte er im Zeitraum vom 09.06.2015 bis 08.07.2016 in der Gemeinde XXXX regelmäßig einen Deutschkurs, auch verrichtete er auf Nachfrage gemeinnützige Arbeiten in der Gemeinde. Er nahm an einer außerordentlichen Spracherwerbsmaßnahme für AsylwerberInnen in Grundversorgung im Ausmaß von 24 Unterrichtseinheiten sowie am A1-Deutschkurs „Deutsch – ABC für Integration: Als bessere Chance für Integration“ im Ausmaß von 50 Unterrichtseinheiten teil, weiters auch an einem 16-stündigen (01.08.2017 bis 02.08.2017) Erste-Hilfe-Grundkurs des Österreichischen Roten Kreuzes. In den A1.2-Deutschkurs „Deutsch – ABC für Integration: Als bessere Chance für Integration“ stieg der Beschwerdeführer verspätet ein, weshalb er nicht die erforderliche 75%-ige Anwesenheit erbringen konnte, jedoch als sprachlich in der Lage für den Besuch eines Folgekurses auf A1.3-Niveau eingestuft wurde. Beim Österreichischen Roten Kreuz leistete der Beschwerdeführer im Zeitraum vom 24.05.2017 bis zum 15.07.2019 insgesamt freiwillig 68 Stunden bei der Team Österreich Tafel. Die Integrationsprüfung auf Sprachniveau A2 konnte der Beschwerdeführer am 29.01.2020 positiv absolvieren. Neben den guten Deutschkenntnissen konnte der Beschwerdeführer einen Arbeitsvorvertrag seitens des Friseursalons XXXX , datiert mit 29.10.2020, in Vorlage bringen.

Ansonsten weist der Beschwerdeführer in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in beruflicher und sozialer Hinsicht auf.

Er ist im Bundesgebiet strafrechtlich unbescholten.

1.2. Dem Beschwerdeführer droht im Irak keine Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nationalität, Rasse oder sozialen Gruppe oder aus Gründen der politischen oder religiösen Überzeugung.

1.3. Zur Rückkehrsituation des Beschwerdeführers:

Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Der Beschwerdeführer verfügt über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung.

Im Falle seiner Rückkehr in den Irak droht dem Beschwerdeführer weder Folter, noch unmenschliche Bestrafung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe. Es droht ihm mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr, durch einen bewaffneten zwischenstaatlichen oder innerstaatlichen Konflikt in seiner körperlichen Integrität oder seinem Leben gefährdet zu werden, wenn er in den Irak zurückkehrt.

Nicht festgestellt werden kann auch, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

1.4. Zu den Feststellungen zur Lage im Irak:

Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen getroffen, soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind:

1.4.1. Allgemeine Sicherheitslage:

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

-        Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

-        FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

-        MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

-        New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

1.4.2. Islamischer Staat (IS):

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vgl. BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).

Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).

Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungsziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a).

Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).

Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Baquba im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vgl. NINA 17.1.2020).

Die Gegenden, in denen IS Zellen tätig sind, haben sich nach den Einschätzungen von Knights and Almeida seit Ende 2018 fast verdoppelt. Diese Autoren geben 47 Gegenden an, in denen IS-Zellen aktiv sind, in Anbar, Salah al-Din, Baghdad, Diyala, Kirkuk und Ninewa. Die Taktik dieser Zellen richtet sich dahin, den Straßenverkehr zu unterbrechen, die Aussöhnung lokaler Gruppen zu stören und Städte ökonomisch zu blockieren sowie Terrain im offenen Feld zu erhalten. Gegenwärtig ist der IS in folgenden ländlichen Gegenden aktiv: Anbar: südwestliche Anbar Wüste, Horan Tal bis zum al-Abiach Tal bia zum al-Kadef Tal, und der nördliche Teil von Rawa; Ninewa: der südliche Teil der Ninewa Wüste, Baaj; Erbil: Makhmour; Baghdad: der Gürtel; Diyala: die nordöstlichen Gegenden; Kirkuk: der Süden von Kirkuk, Hawija, Zab und Abbasi; Salah al-Din: Shirqat, Khanuqa, Hamrin Berge, Osten des Thathar-Sees. In den vergangenen Jahren hat sich die Aktivität des IS zu einem gewissen Grad südwärts von Kirkuk nach Salah al-Din und Diyala verlegt, wo seine Aktivitäten zugenommen haben. Es hat sich auch gegen Baghdad bewegt. Es hat seine frühere Strategie wiederaufgegriffen, die Kontrolle über größere Ortschaften und ländliche Gegenden zu erlangen (EASO 30.2020).

Der Staat hat Gegenwehraktivitäten gegen den IS ergriffen, so in Kirkuk. Wegen der öffentlichen Proteste nahmen diese aber in der Priorität ab. Wegen nachlassender Unterstützung durch die Koalitionskräfte und wegen der Corona-Pandemie verlangsamte sich das Tempo der Gegenwehr und verloren auch die staatlichen Kräfte wieder vom IS befreites Terrain (EASO 30.2020).

Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).

Quellen:

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (18.6.2019): Regional Overview – Middle East 18 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/18/regional-overview-middle-east-18-june-2019/, Zugriff 13.3.2020

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (27.5.2019): Briefing Notes 27. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010482/briefingnotes-kw22-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- BBC News (23.12.2019): Isis in Iraq: Militants 'getting stronger again', https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50850325, Zugriff 13.3.2020

- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

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- Garda World (3.3.2020): Iraq Country Report, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/iraq, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

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- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 13.3.2020

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- NINA - National Iraqi News Agency (17.1.2020): ISIS Elements executed a herd of buffalo by firing bullets northeast of Baquba. http://ninanews.com/Website/News/Details?key=808154, Zugriff 13.3.2020

- PGN - Political Geography Now (11.1.2020): Iraq Control Map & Timeline - January 2020, https://www.polgeonow.com/2020/01/isis-iraq-control-map-2020.html, Zugriff 13.3.2020

- Portal, The (9.10.2019): Iraq launches a new process of “Will to Victory”, http://www.theportal-center.com/2019/10/iraq-launches-a-new-process-of-will-to-victory/, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

- UN General Assembly (30.7.2019): Children and armed conflict; Report of the Secretary-General [A/73/907–S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf, Zugriff 13.3.2020

- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

1.4.3. Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen:

Die Zahl der durch Gewalt ums Leben gekommenen ist zwischen 2017 und 2019 erheblich gesunken. Waren 2015 noch etwa 17.500 zivile Gewaltopfer im Irak zu beklagen, so ist diese Zahl im Jahr 2019 auf rund 2.300 Gewaltopfer gesunken. Im Jahr 2020 gab es nach vorläufigen Schätzungen bis einschließlich August 650 zivile Todesopfer im Irak (Statista 21.09.2020).

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Februar 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).

Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).

Quellen:

-        ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        EASO Iraq (30.2020), Security Situation, October 2020, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf, Zugriff 13.11.2020

-        IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-        Statista Research Department - deutsches Online-Portal für Statistik (21.09.2020): Anzahl der dokumentierten zivilen Todesopfer im Irakkrieg und in den folgenden Jahren von 2003 bis 2020*, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/163882/umfrage/dokumentierte-zivile-todesopfer-im-irakkrieg-seit-2003/#professional, Zugriff 30.9.2020

1.4.4   Sicherheitslage Bagdad

Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).

Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020).

Dabei wurden am 7.und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad (Joel Wing 5.3.2020).

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar (Joel Wing 6.1.2020; vgl Joel Wing 5.3.2020)

Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren (Joel Wing 3.2.2020).

Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements, darunter auch in Bagdad, zu teils gewalttätigen Demonstrationen.

Quellen:

- Al Monitor (11.3.2016): The rise of Islamic State sleeper cells in Baghdad, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/iraq-baghdad-belts-harbor-islamic-state.html, Zugriff 13.3.2020

- ISW - Institute for the Study of War (2008): Baghdad Belts, http://www.understandingwar.org/region/baghdad-belts, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020

- OFPRA - Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, https://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf, Zugriff 13.3.2020

Im Einklang mit der allgemeinen Verbesserung der Sicherheitslage im Jahr 2018 und 2019 wird auch über Bagdad berichtet, dass sich die Sicherheitslage dort weitgehend stabilisiert hat. Über das Jahr 2018 hinweg blieben Überreste des IS in den Vororten von Bagdad („Bagdad-Gürtel“) aktiv und starteten gelegentliche USBV-Angriffe auf zivile Ziele. Es wird jedoch berichtet, dass die Fähigkeit des IS, Großanschläge mit hohen Opferzahlen durchzuführen, signifikant zurückgegangen ist. Anfang 2019 wurde berichtet, dass der IS sich weitgehend zurückgezogen hat, während die ISF ihre Kontrolle über den „Bagdad-Gürtel“ verstärkte, wodurch die Sicherheitsvorfälle noch weiter abnahmen. Jedoch soll der IS im April 2019 versucht haben, seine Stützzone in den südwestlichen Gegenden des Bagdad-Gürtels auszudehnen. Während es in den vergangenen Jahren Berichte über fast tägliche Entführungen aus politischen Gründen oder gegen Lösegeld gab, wurde für das Jahr 2018 und Anfang 2019 diesbezüglich von einem Rückgang berichtet. In Bagdad ereignen sich nach wie vor Fälle gezielter Tötungen hochrangiger Persönlichkeiten.

In Bezug auf die Lage in der Stadt Bagdad vertritt UNHCR die Ansicht, dass die einzigen Personengruppen, hinsichtlich derer keine externe Unterstützung vorauszusetzen ist, arabisch-schiitische und arabisch-sunnitische alleinstehende, körperlich leistungsfähige Männer und kinderlose Ehepaare im arbeitsfähigen Alter ohne identifizierte besondere Vulnerabilitäten sind. Abhängig von den jeweiligen Umständen sind solche Personen möglicherweise in der Lage, in der Stadt Bagdad ohne Unterstützung durch ihre Familie und/oder ihren Stamm zu bestehen.

Quellen:

-        UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen: https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2020/01/Schutzerw%C3%A4gungen-Irak-2019-korrigiert.pdf, S 23f sowie S 141, Zugriff 16.06.2020

-        UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen

Im Jahr 2018 wurden in Bagdad insgesamt 392 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet, welche zu 566 Todesopfern geführt hatten. Die Anzahl der zivilen Todesopfer hatte sich hierbei im Vergleich zum Vorjahr 2017 – wo es noch zu 487 sicherheitsrelevanten Vorfällen mit insgesamt 1032 zivilen Todesopfern gekommen war – mehr als halbiert.

Die Anzahl ziviler Todesopfer pro 100.000 Einwohner halbierte sich im Gouvernement Bagdad vom Jahr 2017 auf 2018 ebenfalls von 7,36 auf 14,38.

Die Stadtviertel mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen, welche zu zivilen Todesopfern geführt haben, waren Adamiyah – mit 78 sicherheitsrelevanten Vorfällen und insgesamt 94 zivilen Todesopfern – gefolgt von Al-Rusafa (77 Vorfälle/161 zivile Todesopfer) und Al-Mada'in (63 Vorfälle/69 zivile Todesopfer). Die mit Abstand höchste Anzahl ziviler Todesopfer pro 100.000 Einwohnern wurde in Al-Tarmia verzeichnet (35,80), gefolgt von Al-Mada'in (15,91) und Adamiyah (8,25).

Bei den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen im Jahr 2018 in Bagdad handelte es sich um Schießereien (46,4%), gefolgt von Exekutionen/sumerischen Tötungen (30,6%) und unkonventionellen Spreng- oder Brandvorrichtung (20,7%).

Für das Jahr 2019 verzeichnete EASO bei 42 Vorfällen 37 getötete Zivilpersonen und im ersten Halbjahr 2020 bei 4 Vorfällen 3 getötete Zivilpersonen.

Quellen:

-        EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Security Situation, March 2019, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/publications/EASO-COI-Report-Iraq-Security-situation.pdf, S 57-58, S 72-80 sowie S 82-85, Zugriff 16.06.2020

-        EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Security Situation, October 2020, https://coi.easo.europa.eu/administration /easo/PLib/10_2020:EASO:COI:Report:Iraq:Security_situation.pdf (Zugriff 11.01.2021)

Im Gouvernement Bagdad ereignen sich nach wie vor sicherheitsrelevante Vorfälle, jedoch nicht flächendeckend und mit derartiger Regelmäßigkeit, dass automatisch Gründe vorliegen würden um die Annahme zu rechtfertigen, dass eine nach Bagdad zurückkehrende Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

Quellen:

-        EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Security Situation, March 2019, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/publications/EASO-COI-Report-Iraq-Security-situation.pdf, S 57-58, S 72-80 sowie S 82-85, Zugriff 16.06.2020

-        EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Security Situation, October 2020, https://coi.easo.europa.eu/administration /easo/PLib/10_2020:EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf (Zugriff 11.01.2021)

1.4.5. Sicherheitslage Nord- und Zentralirak

Der Islamische Staat (IS) ist im Zentralirak nach wie vor am aktivsten (Joel Wing 3.2.2020), so sind Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala nach wie vor die Hauptaktionsgebiete der Aufständischen (Joel Wing 2.12.2019).

In den sogenannten „umstrittenen Gebieten“, die sowohl von der Zentralregierung als auch von der kurdischen Regionalregierung (KRG) beansprucht werden, und wo es zu erheblichen Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen durchzuführen (Kurdistan24 7.8.2019). Die Sicherheitsaufgaben in den „umstrittenen Gebieten“ werden zwischen der Bundespolizei und den Volksmobilisierungskräften (al-Hashd ash-Sha‘bi/PMF) geteilt (Rudaw 31.5.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).

Bei den zwischen Bagdad und Erbil „umstrittenen Gebieten“ handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel der zwischen dem „arabischen“ und „kurdischen“ Irak liegt und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt (Crisis Group 14.12.2018). Die „umstrittenen Gebiete“ umfassen Gebiete in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal Afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya and Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala (USIP 2011). Die Bevölkerung der „umstrittenen Gebiete“ ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Schabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom IS zurück und verteidigten sie, bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die „umstrittenen Gebiete“ umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen (Crisis Group 14.12.2018).

Gouvernement Ninewa

Der Islamische Staat (IS) hat seine Präsenz in Ninewa durch Kräfte aus Syrien verstärkt und führte seine Operationen hauptsächlich im Süden und Westen des Gouvernements aus (Joel Wing 3.5.2019). Er verfügt aber auch in Mossul über Zellen (Joel Wing 5.6.2019). Es wird außerdem vermutet, dass der IS vorhat in den Badush Bergen, westlich von Mossul, Stützpunkte einzurichten (ISW 19.4.2019).

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Ninewa 40 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 33 Toten und 25 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es zwölf Vorfälle mit 35 Toten und 15 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Ninewa ereigneten sich im Süden des Gouvernements (Joel Wing 3.2.2020).

Quellen:

- Anadolu Agency (13.12.2019): Death toll in Iraq from suspected terror blasts hits 15, https://www.aa.com.tr/en/middle-east/death-toll-in-iraq-from-suspected-terror-blasts-hits-15/1672348, Zugriff 13.3.2020

- BasNews (16.1.2020): Car Bomb Hits Iraqi Army Convoy, Kills Two, http://www.basnews.com/index.php/en/news/iraq/574768, Zugriff 13.3.2020

- Crisis Group (14.12.2018): Reviving UN Mediation on Iraq’s Disputed Internal Boundaries, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/194-reviving-un-mediation-iraqs-disputed-internal-boundaries, Zugriff 13.3.2020

- ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (25.11.2019): Islamic State Forcing People Out Of Rural Diyala, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/11/islamic-state-forcing-people-out-of.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State’s New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.5.2019): Islamic State Announces New Offensive But Amounts To Little So Far, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/islamic-state-announces-new-offensive.html, Zugriff 13.3.2020

- Kurdistan24 (23.12.2019): Car bomb kills 2 Iraqi soldiers, wounds one in western Anbar, https://www.kurdistan24.net/en/news/649d80f9-2f80-474a-b371-331269bb7792, Zugriff 13.3.2020

- Kurdistan24 (7.8.2019): ISIS increases activity in Iraq's disputed territories, https://www.kurdistan24.net/en/news/16f3d2f2-8395-40b8-94f3-ebbd183f398d, Zugriff 13.3.2020

- NINA - National Iraqi News Agency (29.12.2019): An Officer and /3 / fighters were wounded by a suicide bombing, west of Tharthar Valley, https://ninanews.com/Website/News/Details?key=804671, Zugriff 13.3.2020

- Rudaw (12.12.2019): ISIS militants kill 11 PMF in Saladin attack: security officials, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/121220193, Zugriff 13.3.2020

- Rudaw (3.12.2019): Diyala villagers flee spike in attacks by resurging Islamic State, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/03122019, Zugriff 13.3.2020

- Rudaw (31.5.2019): Iraqi Security Forces ignore ISIS attacks on Kakai farmlands, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/31052019, Zugriff 13.3.2020

- USIP - United States Institute of Peace (2011): Iraq‘s Disputed Territories, https://www.files.ethz.ch/isn/128591/PW69.pdf, Zugriff 13.3.2020

- Xinhua (22.12.2019): Iraqi soldier killed, 7 civilians wounded in separate attacks in Iraq, http://www.xinhuanet.com/english/2019-12/22/c_138648985.htm, Zugriff 13.3.2020

Im Einklang mit der allgemeinen Verbesserung der Sicherheitslage im Jahr 2018 und 2019 im Irak, wird auch über Ninewa berichtet, dass sich die Sicherheitslage dort weitgehend stabilisiert hat, wenn auch dieses Gouvernement die höchste Intensität von zivilen Gewaltopfern im Irak pro 100.000 Einwohner im Jahr 2017 und 2018 aufwies. Im Jahr 2018 wurden im Gouvernement Ninewa insgesamt 217 sicherheitsrelevante Vorfälle gezählt, die zivile Todesfälle mit sich brachten. Es wurden 46.5 zivile Tote pro 100.000 Einwohner im Jahr 2018 in diesem Gouvernement gezählt. Im Vergleich dazu ereigneten sich im Jahr 2017 268.2 zivile Todesfälle pro 100.000 Einwohner bei 600 sicherheitsrelevanten Vorfällen. UNAMI Zählte für 2018 182 sicherheitsrelevante Vorfälle mit zivilen Opfern im Vergleich zu 2.621 im Jahr 2017. Die höchste Intensität von zivilen Gewaltopfern wurde 2018 im Distrikt Sinjar (14 Vorfälle mit 95 zivilen Todesopfern [113 zivile Todesopfer pro 100.000 Einwohner]) und in Mosul, wo 183 Vorfälle 1.369 zivile Todesopfer forderten (62 zivile Todesopfer pro 100.000 Einwohner). Keine zivilen Todesopfer wurden in Al-Shikhan und Akre verzeichnet und die Intensität in Hatra war mit 16.2 zivilen Todesopfern pro 100.000 Einwohnern und Telefar mit 20 zivilen Todesopfern pro 100.000 Einwohnern geringer.

Der Zerstörungsgrad ist in West-Mosul, das vollständig zerstört bleibt, und in Sinjar hoch. Berichten zufolge verblieben 8 Mio explosive Rückstände in Mosul Stadt. Unfälle sind häufig und einige Bereiche der Stadt bleiben unzugänglich. Andere Bereiche im Gouvernement haben auch schwere Zerstörung erlitten, einschließlich des Hamdaniya Distrikts, Zummar und Rabia Sub-Distrikte von Telefar und Qayara sowie insbesodere Ba’aj, berichteweise die Stadt mit der höchsten Zerstörung im Irak. Zudem sind Wohngebäude und Infrastruktur beschädigt und müssen im Speziellen wiedererrichtet werden.

Konkurrenz zwischen den Sicherheitsakteuern über die territoriale Kontrolle, Institutionen und Ressourcen verursacht in der örtlichen Gemeinschaft Unsicherheit.

Mit Dezember 2019 zählt Ninewa zu den ersten unter den führenden Gouvernements in Bezug auf Rückkehrer, mit einer Zahl von 1.614.150 Rückkehrern gemäß IOM Daten. Das Gouvernement beherbergt 1.073.994 Vertriebene, wovon 539.436 aus dem Gouvernement selbst stammen. Gemäß UNOCHA zählt Ninewa zu den Gouvernements mit dem höchsten Bedarf an humanitärer Hilfe und der höchsten Zahl hilfsbedürftiger Personen (2.168.222). Es gibt auch Berichte betreffend die verweigerte Rückkehr wegen des Vorwurfs einer IS-Nahebeziehung, erzwungene Wiederansiedlungen und erzwungener oder verfrühter Rückkehr, welche oft in einer zweiten Vertreibung resultieren.

In Bezug auf die Lage in Ninwea vertritt EASO (Country Guidance, S 117) den Standpunkt, dass unter Berücksichtigung aller Faktoren, geschlossen werden kann, dass die „bloße Anwesenheit“ in diesem Gebiet nicht genügt, um ein reales Risiko eines ernsten Schadens gemäß Art 15(c) der Statusrichtlinie im Gouvernement Ninewa zu begründen. Allerdings erreicht die willkürliche Gewalt einen hohen Grad, weshalb ein niedriger Grad an individuellen Elementen benötigt wird, um substanzielle Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass einer in diese Gegend zurückkehrenden Zivilperson ein reales Risiko eines ernsten Schadens gemäß Art 15(c) der Statusrichtlinie entgegensteht. Jedoch muss beachtet werden, dass die Distrikte Al-Shikhan, Akre, Hatra und Telafar von willkürlicher Gewalt verhältnismäßig weniger betroffen sind.

Quellen:

-        EASO Iraq (30.2020), Security Situation, October 2020, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf, Zugriff 13.11.2020

Während in Diyala in den Jahren 2014 bei insgesamt 2.158 sicherheitsrelevanten Vorfällen 1.466 Personen getötet, 2015 bei 899 Vorfällen 755 Personen getötet, 2016 bei 2.791 Vorfällen 1.701 Personen getötet sowie 2017 bei 2.621 1.514 Personen getötet wurden, wurden im Jahr 2018 insgesamt 182 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet, welche zu 86 Todesopfern geführt hatten. Im Jahr 2019 sank die Zahl der Vorfälle auf 62, bei denen 68 Tote zu beklagen waren. Im ersten Halbjahr 2020 kamen bei 27 Vorfällen 14 Zivilpersonen ums Leben. Die Anzahl der zivilen Todesopfer und der sicherheitsrel

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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