TE Vwgh Erkenntnis 2021/1/15 Ra 2020/20/0370

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Veröffentlicht am 15.01.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §45 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, über die Revision des H M in W, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. August 2020, W242 2194691-1/26E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am 26. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Dazu führte er im Wesentlichen aus, aufgrund seiner Konversion zum Christentum im Iran verfolgt worden zu sein und im Fall seiner Rückkehr Verfolgung zu befürchten.

2        Mit Bescheid vom 28. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Das Verwaltungsgericht legte seine beweiswürdigenden Überlegungen dar und führte aus, aus welchen Gründen es auch im Hinblick auf die Aussagen zweier Zeugen (eines Pastors und des H) zum Ergebnis gelange, dass es sich fallbezogen um eine Scheinkonversion handle. Das Gericht hielt fest, dass der Revisionswerber in der Verhandlung plausibel habe beschreiben können, auf welchen Grundlagen seine christliche Religion beruhe und welche Glaubensinhalte im Zuge der Taufvorbereitung vermittelt worden seien. Der Zeuge H habe dargelegt, dass er mit dem Revisionswerber mehrfach gebetet habe, dieser mit Glaubensfragen an ihn herangetreten sei und er davon ausgehe, dass keine Scheinkonversion vorliege. Der Zeuge habe versucht, seine Ansicht mit Beispielen zu untermauern, die jedoch in Bezug auf eine christliche Lebensführung nur abstrakt und detailarm gehalten gewesen seien. Eine tatsächliche Umsetzung des erworbenen Wissens zum christlichen Glauben und dessen Werten im Leben und Wirken des Revisionswerbers sei nicht dargetan worden, sodass sich daraus kein Bild einer von christlichen Werten abgeleiteten und dadurch bestimmten Lebensführung ergebe. Die Angaben des Zeugen H hätten unter Berücksichtigung der übrigen, im angefochtenen Erkenntnis dargelegten, zahlreichen Unstimmigkeiten und des anlässlich der mündlichen Verhandlung gewonnenen, persönlichen Eindrucks des Richters nichts an der Auffassung zu ändern vermocht, wonach das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers konstruiert sei. Aus den nur teilweise unmittelbaren Wahrnehmungen der Zeugen lasse sich eine tatsächliche innere, christliche Überzeugung des Revisionswerbers nicht ableiten.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, in der zur Zulässigkeit zusammengefasst vorgebracht wird, das Gericht habe sich nicht in adäquater und schlüssiger Weise mit den Ergebnissen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, insbesondere mit den konkreten Angaben des Zeugen H, in dessen Haushalt der Revisionswerber in Österreich etwa zwei Jahre gelebt habe, sowie mit einer detaillierten, schriftlichen Stellungnahme einer mit der Glaubenseinstellung des Revisionswerbers näher vertrauten Person, Frau MMag. Dr. K, auseinandergesetzt.

6        Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7        Die Revision ist aus den von ihr genannten Gründen zulässig und berechtigt.

8        Das Bundesverwaltungsgericht ging erkennbar davon aus, dass dem Revisionswerber aufgrund einer Konversion vom Islam zum Christentum im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung drohe, wenn er den christlichen Glauben dort tatsächlich ausübte. Das Verwaltungsgericht vertritt jedoch die Ansicht, dass Letzteres nicht der Fall sein werde, und stützte sich dabei auf seine von der Revision bekämpften, beweiswürdigenden Überlegungen, wonach die Konversion des Revisionswerbers zum Christentum nur zum Schein erfolgt sei.

9        Der Verwaltungsgerichtshof ist zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat.

10       Die Beweiswürdigung ist damit nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt und darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt wurden. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigte (vgl. dazu etwa VwGH 6.8.2020, Ra 2020/18/0017, mwN).

11       Den dargestellten Anforderungen wird das angefochtene Erkenntnis insofern nicht gerecht, als es an einer inhaltlich nachvollziehbaren Würdigung der Aussagen des Zeugen H fehlt und eine Auseinandersetzung mit einer dem Gericht vorliegenden, schriftlichen Stellungnahme von Frau MMag. Dr. K zur Gänze unterblieb. Diese war zu einem Verhandlungstermin als Zeugin erschienen, jedoch konnte ihre Vernehmung infolge des zeitlichen Verlaufs dieser Verhandlung nicht stattfinden, sodass der Revisionswerber im Hinblick auf einen weiteren Verhandlungstermin, an dem die vom Gericht geladene Zeugin verhindert war, auf deren Einvernahme über Nachfrage des Gerichts verzichtete und diese die in Rede stehende, schriftliche Darstellung ihrer persönlichen Wahrnehmungen als „schriftliche Zeugenaussage“ an das Bundesverwaltungsgericht übermittelte.

12       Dass sich - wie in der Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts angeführt - die Aussagen des Zeugen H detailarm und abstrakt gestaltet hätten, ist anhand der mehrseitigen Niederschrift über die Vernehmung dieses Zeugen nicht ersichtlich. Unstimmigkeiten, die das Bundesverwaltungsgericht in seinen die Aussagen des Zeugen H betreffenden beweiswürdigenden Erwägungen anspricht, scheinen sich auf die behauptete Konversion des Revisionswerbers im Iran sowie auf dessen Aktivitäten in sozialen Netzwerken zu beziehen, jedoch nicht auf die - nach dem Vorbringen des Revisionswerbers - auch in Österreich im Laufe mehrerer Jahre gewonnene, aktuelle Glaubenseinstellung, die bei der Befragung des Zeugen H als zentrales Thema im Vordergrund stand. Folglich ist anhand des angefochtenen Erkenntnisses nicht schlüssig nachvollziehbar, dass das Bundesverwaltungsgericht die Ermittlungsergebnisse des von ihm geführten Verfahrens vollständig und umfassend in seine beweiswürdigende Beurteilung miteinbezog.

13       Aus den genannten Gründen erweist sich die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts als mangelhaft. Da nicht auszuschließen ist, dass das Gericht bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen, für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, erweist sich dieser Verfahrensmangel - wie in der Revision auch aufgezeigt - als relevant.

14       Somit war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

15       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 15. Jänner 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020200370.L00

Im RIS seit

08.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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