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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §21 Abs7Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des M H in G, vertreten durch Mag. Kurt Kulac, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 27/IV, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. November 2020, W153 2168494-2/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 12. Mai 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Mit Bescheid vom 12. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit Gültigkeit bis zum 12. Juli 2018. Begründend führte die Behörde aus, der Revisionswerber sei ein unbegleiteter Minderjähriger und geriete bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat in eine aussichtslose Lage, weil er in Afghanistan keine Lebensgrundlage vorfände und über kein soziales Netzwerk in einer sicheren Provinz verfüge. In Anbetracht der prekären Sicherheits- und Versorgungslage in seiner Herkunftsregion, der hohen Arbeitslosenrate und der mangelnden Ausbildungsmöglichkeiten in Afghanistan erweise sich eine Rückkehr des Revisionswerbers nach Afghanistan als unzumutbar.
3 Mit Erkenntnis vom 9. November 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als unbegründet ab.
4 Über Antrag des Revisionswerbers verlängerte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 9. Juli 2018 die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 12. Juli 2020.
5 Mit Bescheid vom 14. November 2019 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen ab, entzog ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
6 Mit Erkenntnis vom 3. August 2020, Ra 2020/20/0083, hob der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Februar 2020, mit dem die gegen den Bescheid vom 14. November 2019 erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer Verhandlung abgewiesen worden war, aufgrund der Missachtung der Verhandlungspflicht wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.
7 Im fortgesetzten Verfahren führte das Bundesverwaltungsgericht eine Verhandlung durch und wies mit dem angefochtenen Erkenntnis die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 14. November 2019 erneut als unbegründet ab. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Gericht für nicht zulässig.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Die Revision macht zur Begründung ihrer Zulässigkeit - unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 - geltend, es hätten sich weder die Sicherheitslage in Afghanistan noch die persönlichen Umstände des Revisionswerbers im Vergleich zum „Zuerkennungszeitpunkt“ wesentlich und dauerhaft geändert. Die einzige dauerhafte Veränderung sei darauf zurückzuführen, dass der Revisionswerber mittlerweile volljährig sei. Die Wesentlichkeit dieser Veränderung setze allerdings den Zugewinn von Erfahrungen in diversen Lebensbereichen voraus. Solche Erfahrungen habe der Revisionswerber jedoch bislang entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht in relevantem Umfang sammeln können.
12 Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung dieses Schutzstatus (§ 8 Abs. 1 leg. cit.) nicht oder nicht mehr vorliegen. Die Anwendung des - vom Bundesverwaltungsgericht vorliegend herangezogenen - zweiten Tatbestandes des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 setzt voraus, dass sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes und der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) geändert hat (vgl. VwGH 5.8.2020, Ra 2020/20/0154, mwN).
13 In Bezug auf die Frage, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, sodass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, kommt es regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses an. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich durchaus auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Herkunftsland gegebenen Situation liegen können, darstellen. In diesem Sinn kann bei einem Fremden, dem als Minderjähriger subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, das Erreichen der Volljährigkeit eine Rolle spielen, etwa dadurch, dass im Lauf des fortschreitenden Lebensalters in maßgeblicher Weise Erfahrungen in diversen Lebensbereichen hinzugewonnen werden (vgl. VwGH 29.11.2019, Ra 2019/14/0449, mwN).
14 Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Begründung seiner Entscheidung - die sich maßgeblich auf Änderungen in den persönlichen Umständen des Revisionswerbers bezieht, sodass dem Vorbringen, wonach eine wesentliche Änderung der Sicherheitslage im Herkunftsstaat nicht eingetreten sei, der Boden entzogen ist - zusammengefasst aus, der Revisionswerber habe an Lebenserfahrung, Ausbildung, Berufserfahrung und Reife hinzugewonnen und befinde sich im Gegensatz zu den Zeitpunkten der Zuerkennung und der Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (womit offenkundig der Zeitpunkt der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemeint ist) nicht mehr in derselben vulnerablen Situation. Der Revisionswerber sei selbsterhaltungsfähig und habe gezeigt, dass es ihm auch in einer ihm fremden Umgebung möglich sei, alleine für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Der nunmehr volljährige, gesunde und arbeitsfähige Revisionswerber, der über Schulbildung verfüge und in Österreich Berufserfahrung in der Gastronomie und als Hilfsarbeiter in der Lederverarbeitung gesammelt habe, habe den größten Teil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht, sei mit den dortigen kulturellen Gegebenheiten vertraut, beherrsche diverse Landessprachen seines Herkunftsstaates, habe in Österreich Deutsch und Englisch gelernt und verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Er sei nunmehr in der Lage, sich in den afghanischen Städten Herat oder Mazar-e Sharif auch ohne ein vor Ort verfügbares familiäres oder soziales Netzwerk gegebenenfalls mit finanzieller Unterstützung durch seine in Pakistan und der Türkei lebenden Familienangehörigen eine Existenzgrundlage zu sichern.
15 Das Bundesverwaltungsgericht stützte seine Entscheidung somit nicht nur auf den Eintritt der Volljährigkeit des Revisionswerbers, sondern berücksichtigte auch die von ihm fallbezogen als maßgeblich erachteten, im Lauf des fortschreitenden Lebensalters hinzugewonnenen Erfahrungen des Revisionswerbers, insbesondere die gesammelte Berufserfahrung und die dadurch erworbene Selbsterhaltungsfähigkeit. Dass die vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorgenommene Beurteilung, wonach sich die persönlichen Umstände des Revisionswerbers wesentlich und nicht nur vorübergehend geändert hätten, sodass ihm die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat und Mazar-e Sharif nunmehr zugemutet werden könne, im Ergebnis unvertretbar wäre, vermag die Revision nicht darzutun (siehe etwa auch VwGH 5.10.2020, Ra 2020/20/0329, mwN).
16 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 1. Februar 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200011.L00Im RIS seit
08.03.2021Zuletzt aktualisiert am
08.03.2021