TE Vwgh Erkenntnis 2021/2/1 Ra 2018/16/0121

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Veröffentlicht am 01.02.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §279 Abs1
BAO §293
BAO §93 Abs2
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und den Hofrat Dr. Mairinger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die vom Finanzamt Kirchdorf Perg Steyr in 4560 Kirchdorf an der Krems, Pernsteinerstraße 23-25, eingebrachte Revision gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 18. Mai 2018, Zl. RV/5100799/2018, betreffend Familienbeihilfe für Juli bis November 2017 (mitbeteiligte Partei: S R in G, vertreten durch Mag. Harald Wiesmayr, Rechtsanwalt in 4360 Grein, Hauptstraße 10), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 20. Dezember 2017 wies das Finanzamt einen Antrag der Mitbeteiligten „vom 12.12.2017“ auf Familienbeihilfe für ihre namentlich genannte Tochter für den Zeitraum Juli bis November 2017 ab. In der Begründung führte das Finanzamt aus, die Tochter der Mitbeteiligten habe nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt, dem 1. September 2017, die exekutivdienstliche Ausbildung begonnen, weshalb ihr für den Zeitraum von Juli bis November 2017 kein Familienbeihilfenanspruch zustehe.

2        In der gegen den Abweisungsbescheid vom 20. Dezember 2017 erhobenen Beschwerde brachte die Mitbeteiligte vor, das Finanzamt habe zu Unrecht ihren Antrag „vom 12.12.2017“ auf Gewährung von Familienbeihilfe für ihre Tochter abgewiesen, da diese nach Absolvierung der Matura die exekutivdienstliche Ausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt, dem 1. Dezember 2017, begonnen habe, sodass ihr auch für den Zeitraum von Juli bis November 2017 die Familienbeihilfe zustehe.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht (nach Ergehen einer abweisenden Beschwerdevorentscheidung durch das Finanzamt und der Stellung eines Vorlageantrags durch die Mitbeteiligte) der Beschwerde der Mitbeteiligten Folge und hob den Bescheid des Finanzamts vom 20. Dezember 2017 ersatzlos auf. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Bundesfinanzgericht für nicht zulässig.

4        In der Begründung wurde ausgeführt, „[dem] Bundesfinanzgericht liegt zwar ein Antrag betreffend Familienbeihilfe für die Tochter [der Mitbeteiligten] vor: Im Dok. Scan Nr. 3 wurde der undatierte Antrag auf Familienbeihilfe [...] der Sondervertrag für die Tochter [...] ab 01. Dezember 2017 mit einem handschriftlichen Zusatz (mit den Eckdaten [der Mitbeteiligten] und der Tochter und dem Zeitraum ab 07/2017) [der Mitbeteiligten] vorgelegt. Ein Antragdatum vom ‚12.12.2017‘ war jedoch nicht enthalten.“

5        Ein weiterer Formularantrag mit einem Datum „vom 12.12.2017“ liege dem Bundesfinanzgericht nicht vor. Auch ergebe sich aus der dem Bundesfinanzgericht bekannten Aktenlage kein sonstiger Hinweis auf einen Antrag „v. 12.12.2017“.

6        Der Bescheid des Finanzamts vom 20. Dezember 2017 spreche mit der Abweisung eines Antrags „vom 12.12.2017“ daher über ein Anbringen ab, das überhaupt nicht gestellt worden sei.

7        Das Gericht habe das Antragsdatum „12.12.2017“ nicht verifizieren können. Eine mögliche Mängelbehebung sei vom Finanzamt auch nicht durchgeführt worden.

8        Das richtige Datum eines Anbringens sowie dessen Einlangens oder dessen Postaufgabe sei nicht nur für die Identifizierbarkeit des Anbringens, sondern auch für die Berechnung von Fristenläufen maßgebend. Es sei daher fehlerhaft, ein Anbringen mit einem gänzlich anderen Datum zu bezeichnen, möge dieses auch in einem zeitlichen Nahebereich zum Datum des Einlangens stehen.

9        Die richtige Bezeichnung von Anbringen (§ 85 BAO) und Bescheiden (§§ 92 bis 96 BAO) sei gerade im Familienbeihilfenverfahren von Bedeutung. Es sei keineswegs völlig unüblich, dass von Beihilfenwerbern hintereinander an verschiedenen Tagen Anbringen mit unterschiedlichem Inhalt gestellt würden. Dem Antragsdatum komme daher, anders als etwa bei von Amts wegen einzuleitenden Verfahren, wie einem Verfahren zur Rückforderung von Familienbeihilfe gemäß § 26 FLAG, im Verfahren betreffend die Zuerkennung von Familienbeihilfe oder einer Ausgleichszahlung wesentliche Bedeutung zu.

10       Als Sache des Beschwerdeverfahrens, somit als Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, sei jene Angelegenheit anzusehen, die den Inhalt des Spruchs des Bescheids der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde bilde. Dem Bundesfinanzgericht sei es verwehrt, durch eine Änderung des Antragsdatums, auf welches sich ein antragsbedürftiger Bescheid in seinem Spruch beziehe, den Prozessgegenstand auszutauschen. Spreche ein antragsbedürftiger Bescheid über einen Antrag „vom Tag X“ ab, sei Sache des Beschwerdeverfahrens ein Antrag „vom Tag X“ und nicht ein solcher „vom Tag Y“. Habe die Behörde mit ihrem Bescheid daher ein nicht gestelltes Anbringen „vom Tag X“ vermeintlich erledigt, sei der diesbezügliche Bescheid ersatzlos aufzuheben.

11       Gegen dieses Erkenntnis, das am 24. Mai 2018 zugestellt worden ist, richtet sich die vorliegende Revision des Finanzamts, in der zur Zulässigkeit vorgebracht wird, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob ein undatiertes Anbringen einer Partei im Bescheidspruch mit dem Datum des Einlangens eindeutig bezeichnet sei, wenn es damit ohne Zweifel identifiziert werden könne und sohin dem Antragsprinzip bei antragsgebundenen Verfahren entsprochen werde.

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

13       Die Revision ist zulässig und begründet.

14       Im Revisionsfall ist unstrittig, dass die Mitbeteiligte einen formlosen, undatierten Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe für ihre namentlich genannte Tochter ab Juli 2017 gestellt hat, indem sie dem Finanzamt eine Kopie des Vertrags betreffend die exekutivdienstliche Ausbildung ihrer Tochter ab 1. Dezember 2017 mit einer Haftnotiz übermittelte, auf der sie um Gewährung der Familienbeihilfe für ihre Tochter ab Juli 2017 ersuchte.

15       In der Revision wird vom Finanzamt - wie bereits in seinen E-Mails an das Bundesfinanzgericht vom 22. Mai 2018 - vorgebracht, dieser undatierte Antrag der Mitbeteiligten auf Gewährung von Familienbeihilfe für ihre Tochter ab Juli 2017 sei am 12. Dezember 2017 beim Finanzamt eingelangt, was durch den auf der Rückseite des Antrags angebrachten Eingangsstempel des Finanzamts mit dem Datum „12.12.2017“ ersichtlich sei. Daher habe das Finanzamt im Spruch des Bescheids vom 20. Dezember 2017 den Antrag der Revisionswerberin als solchen „vom 12.12.2017“ bezeichnet.

16       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter der Sache des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesfinanzgericht jene Angelegenheit zu verstehen, die den Inhalt des Spruchs des Bescheids der Abgabenbehörde erster Instanz bildet (vgl. etwa VwGH 13.9.2018, Ro 2016/15/0012, mwN).

17       Wird im Spruch des erstinstanzlichen Bescheids über einen bestimmten Antrag abgesprochen und damit die Sache des Verfahrens festgelegt, ist es dem Bundesfinanzgericht verwehrt, im Bescheidbeschwerdeverfahren über einen anderen Antrag abzusprechen, käme dies doch dem Austausch des Prozessgegenstands gleich.

18       Im revisionsgegenständlichen Fall hat das Finanzamt mit dem Bescheid vom 20. Dezember 2017 über einen Antrag der Mitbeteiligten „vom 12.12.2017“ auf Gewährung der Familienbeihilfe für die Tochter der Mitbeteiligten für den Zeitraum Juli bis November 2017 abgesprochen. Die Mitbeteiligte hat gegen diesen Bescheid des Finanzamts, „mit welchem der Antrag vom 12.12.2017 auf Gewährung von Familienbeihilfe“ abgewiesen wurde, Beschwerde eingebracht.

19       Im gegenständlichen Fall liegt lediglich ein einziger Antrag der Mitbeteiligten an das Finanzamt vor. Der Antrag ist mit dem Inhalt des Antragsbegehrens (Gewährung der Familienbeihilfe ab Juli 2017 für die namentlich genannte Tochter der Mitbeteiligten) hinreichend konkretisiert und individualisiert. Dieser Antrag wurde von der Mitbeteiligten nicht mit einem Datum versehen; der Antrag trägt also kein Erstellungsdatum. Es ist daher aktenwidrig, wenn das Bundesfinanzgericht im angefochtenen Erkenntnis ausführt, das Finanzamt habe das Anbringen „mit einem gänzlich anderen Datum“ bezeichnet.

Das Bundesfinanzgericht führt in seiner Entscheidungsbegründung auch aus, „Sache des Beschwerdeverfahrens [sei] ein Antrag vom Tag X und nicht ein solcher vom Tag Y“, und übersieht auch damit, dass der Antrag, über den das Finanzamt durch den mit Beschwerde bekämpften Bescheid abgesprochen hat, undatiert ist.

20       Es ergibt sich im gegenständlichen Fall aus der Aktenlage eindeutig, über welchen Antrag das Finanzamt abgesprochen hat. Die Beschwerde der Mitbeteiligten lässt klar erkennen, dass auch für sie ohne Zweifel festgestanden ist, welchen Antrag das Finanzamt abgewiesen hat; die Beschwerde wendet sich gegen die Abweisung eben dieses Antrags.

21       Das Finanzamt hatte zudem dem Bundesfinanzgericht mit E-Mail vom 22. Mai 2018 mitgeteilt, dass sich das im Abweisungsbescheid genannte Datum „12.12.2017“ auf den Tag des Einlangens des undatierten Antrags beim Finanzamt bezieht.

22       Der Ansicht des Bundesfinanzgerichts, das Finanzamt habe über einen Antrag abgesprochen, der gar nicht gestellt worden sei (und die Beschwerde wende sich sohin gegen die Abweisung eines gar nicht gestellten Antrags), kann daher nicht gefolgt werden.

23       Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes selbst die Angabe eines fehlerhaften Antragsdatums im Spruch eines Bescheids unbeachtlich ist, wenn sich aus dem Zusammenhang des Bescheids eindeutig ergibt, dass ein anderes Datum gemeint war, selbst wenn dieser offensichtliche Fehler von der Behörde nicht gemäß § 293 BAO berichtigt wurde (vgl. VwGH 17.11.2010, 2007/13/0124).

24       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am 1. Februar 2021

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2018160121.L00

Im RIS seit

14.04.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.04.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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