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41 Innere AngelegenheitenNorm
EMRK Art8 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die Abweisung von Anträgen auf Verlängerung von Aufenthaltsberechtigungen für eine jugoslawische Familie mit langjährigem Aufenthalt im Inland und im Inland geborenen, österreichische höhere Schulen besuchenden Kindern; verfassungswidrige Annahme der Notwendigkeit der Antragstellung vom Ausland aus aufgrund der bereits abgelaufenen Sichtvermerke; analoge Vorgangsweise zur Fallgruppe der Verlängerungsanträge verfassungsrechtlich gebotenSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch den jeweils angefochtenen Bescheid in dem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern, zu Handen ihres Rechtsvertreters, die mit je 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Bei den vier Beschwerdeführern handelt es sich um eine Familie (Ehegatten und zwei Kinder) mit israelischer Staatsangehörigkeit, die seit Jänner 1991 in Österreich lebt. Der Vater der Beschwerdeführerin zu B2844/94 ist österreichischer Staatsbürger. Der Beschwerdeführer zu B2858/94 (Ehemann bzw. Vater der beiden ebenfalls beschwerdeführenden Kinder) verfügt über eine aufrechte Beschäftigungsbewilligung und ist als angestellter Geschäftsführer tätig. Die beschwerdeführenden Kinder besuchen ein Bundesgymnasium und Bundesrealgymnasium bzw. eine Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht.
2. Die letzten Sichtvermerke der Beschwerdeführer liefen am 30. Oktober 1993 bzw. 30. Jänner 1994 ab. Am 25. März 1994 beantragten sie die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Diese Anträge wurden vom Landeshauptmann von Wien jedoch mit der Begründung abgewiesen, daß die Antragstellung verspätet sei.
Die gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen wurden mit vier im wesentlichen gleichlautenden Bescheiden des Bundesministers für Inneres unter Bezugnahme auf §13 iVm §6 Abs2 des Aufenthaltsgesetzes - AufG, BGBl. 466/1992 - abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdeführer, welche die Frist zur Stellung eines Verlängerungsantrages versäumt hätten, hätten einen Erstantrag vom Ausland aus stellen müssen, weshalb die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausgeschlossen und auf ihr Vorbringen - auch im Zusammenhang mit ihren persönlichen Verhältnissen - nicht weiter einzugehen sei.
3. Gegen diese vier Berufungsbescheide richten sich die vorliegenden, auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerden, mit denen insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des jeweils angefochtenen Bescheides begehrt wird.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:
1. Die angefochtenen, Aufenthaltsbewilligungen nach dem AufG versagenden Bescheide greifen in das den Beschwerdeführern, die sich als Familie seit mehreren Jahren in Österreich aufhalten und nach der Aktenlage hier sozial völlig integriert sind, durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein. Ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).
2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 16.6.1995, B 1611-1614/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist es im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des durch §6 Abs2 AufG geschaffenen Regelungssystems geboten, Fälle, in denen seit langer Zeit in Österreich aufhältige Fremde die Frist, innerhalb der ein Antrag iS des §13 AufG zu stellen gewesen wäre, nur relativ geringfügig versäumt haben, unter den zweiten Satz des §6 Abs2 AufG, wonach Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung auch vom Inland aus gestellt werden können, zu subsumieren.
3. Die belangte Behörde hat dadurch, daß sie in den Beschwerdefällen, die Fremde betreffen, die bereits mehrere Jahre als Familie in Österreich leben, hier (der Familienerhalter) ordnungsgemäß beschäftigt und sozial integriert sind und die Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung innerhalb kurzer Zeit nach Ablauf der Geltungsdauer ihrer letzten Sichtvermerke gestellt haben, die Bestimmung des §6 Abs2 erster Satz AufG angewendet und die Versagung der Aufenthaltsbewilligungen, ohne auf die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführer einzugehen, mit der Begründung der verspäteten Antragstellung abgewiesen hat, §6 Abs2 einen verfassungswidrigen, weil gegen Art8 EMRK verstoßenden Inhalt unterstellt.
Die angefochtenen Bescheide waren daher aus diesem Grund aufzuheben.
III. Die Kostenentscheidung
gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von je 3.000,-- S enthalten.
IV. Diese Entscheidung konnte
gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
Schlagworte
Aufenthaltsrecht, Privat- und FamilienlebenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:B2843.1994Dokumentnummer
JFT_10049371_94B02843_00