TE Vwgh Beschluss 2021/2/4 Ra 2021/18/0010

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Veröffentlicht am 04.02.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §19 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des S B, vertreten durch Mag. Armin Windhager, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5/9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Juli 2020, W225 2161227-1/15E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Daikundi, stellte am 30. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er zusammengefasst damit begründete, er sei von einer mächtigen Nachbarsfamilie beschuldigt worden, eines ihrer Mitglieder sexuell belästigt zu haben. Ihm sei deswegen von einem der Angehörigen mit einem Stein ins Gesicht geschlagen worden. Im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, von dieser Familie getötet zu werden.

2        Mit Bescheid vom 19. Mai 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, während derer der Revisionswerber erstmals vorbrachte, vom Islam abgefallen zu sein, mit dem angefochtenen Erkenntnis ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4        Das BVwG stellte fest, dass die behauptete Gewaltausübung gegen den Revisionswerber durch die Nachbarsfamilie wegen sexueller Belästigung einer dieser Familie angehörenden Frau nicht stattgefunden habe und auch bei einer Rückkehr in den Heimatort nicht drohe. Das Vorbringen des Revisionswerbers sei nicht glaubhaft gewesen, zumal der Revisionswerber dieses in der behördlichen Einvernahme bzw. in der Beschwerdeverhandlung geändert bzw. gesteigert habe. Außerdem seien die behaupteten Vorfälle aus näher genannten Gründen nicht plausibel und die Schilderungen abstrakt und unkonkret geblieben und es hätten sich - näher dargestellte - Widersprüche ergeben. Selbst bei Wahrunterstellung des Fluchtvorbringens sei dem Revisionswerber eine ungefährdete Ansiedlung in Mazar-e Sharif möglich und zumutbar. Im Zusammenhang mit dem in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgebrachten Abfall vom Islam erwog das BVwG, die diesbezüglichen Aussagen des Revisionswerbers seien allgemein gewesen und hätten einstudiert gewirkt. Er habe keine Verhaltensweisen verinnerlicht, die bei einer Rückkehr nach Afghanistan als Glaubensabfall gewertet würden. So trete er etwa nicht religionsfeindlich auf. Der Austritt des Revisionswerbers aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich könne eine innere Abkehr vom Islam nicht darlegen und das entsprechende Register sei nur einem eingeschränkten Personenkreis in Österreich zugänglich und nicht öffentlich einsehbar. Hinsichtlich der Nichtgewährung subsidiären Schutzes legte das BVwG dar, dass dem Revisionswerber eine Rückkehr in seine sicher erreichbare Herkunftsprovinz möglich sei. Alternativ stehe ihm auch eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif offen. Die Rückkehrentscheidung erklärte das BVwG nach Durchführung einer Interessenabwägung für zulässig.

5        Mit Beschluss vom 24. November 2020, E 3321/2020-10, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

6        Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vor, das BVwG habe keine bzw. unzureichende amtswegige Ermittlungen zu den Angaben des Revisionswerbers, etwa in Bezug auf seine Abkehr vom Islam und deren Folgen, den fehlenden Kontakt zu seiner Familie, die Verfolgung des Revisionswerbers als Hazara oder hinsichtlich des fluchtauslösenden Ereignisses, getätigt. Es habe außerdem die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines minderjährigen Revisionswerbers einer besonders sorgfältigen Beweiswürdigung bedürfe, zwar wiedergegeben, ihr aber nicht Rechnung getragen. Da der Revisionswerber seinen Angaben zufolge im Zuge des fluchtauslösenden Ereignisses Opfer einer körperlichen Misshandlung geworden sei, wären das BFA bzw. das BVwG dazu verpflichtet gewesen, „die adäquaten Mechanismen zur Befragung von Folteropfern“, wie etwa ausreichend Zeit vor der Befragung, Anbieten psychotherapeutischer Betreuung und Heranziehung entsprechender Handbücher, einzusetzen. Darüber hinaus sei das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Ergebnisse der Erstbefragung nicht unreflektiert übernommen werden dürften, abgewichen.

7        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Was die behaupteten Verstöße gegen die amtswegige Ermittlungspflicht betrifft, ist zu entgegnen, dass die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterliegt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 17.12.2020, Ra 2020/18/0338, mwN). Die Revision nennt in diesem Zusammenhang zwar „Themenkomplexe“, zu denen Ermittlungen fehlen würden, führt jedoch in keiner Weise aus, welche weiteren Ermittlungen konkret notwendig gewesen wären. Eine grob fehlerhafte Beurteilung des BVwG betreffend seine amtswegigen Ermittlungspflichten wird damit nicht dargetan.

12       Im Übrigen hat das BVwG betreffend sämtliche der in der Revision genannten „Themenkomplexe“ das Vorbringen des Revisionswerbers in der behördlichen Einvernahme und in der Beschwerdeverhandlung berücksichtigt und auch entsprechende Ermittlungen angestellt. Zum einen hat es sich mit der in der Beschwerdeverhandlung vorgebrachten Abkehr vom Islam beweiswürdigend auseinandergesetzt, entsprechende Länderfeststellungen zur Situation von Apostaten in Afghanistan getroffen und den Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung zu den Gründen für seinen vorgebrachten Abfall vom Islam befragt. Zum anderen hat das BVwG ausführlich dargelegt, weshalb es aufgrund der vorliegenden Beweisergebnisse - entgegen dem Revisionsvorbringen - von einem weiter bestehenden Kontakt zwischen dem Revisionswerber und seiner Familie in Afghanistan ausgehe. Darüber hinaus setzte sich das BVwG mit der Situation der schiitischen Minderheit der Hazara in Afghanistan und der Frage einer drohenden Verfolgung des Revisionswerbers aufgrund seiner Volks- und Religionsgruppenzugehörigkeit näher auseinander und kam - unter Bezugnahme auf aktuelle Länderberichte - zu dem Schluss, dass das Vorliegen einer Gruppenverfolgung in Hinblick auf die Volksgruppe der Hazara oder von Angehörigen der Religionsgemeinschaft der Schiiten in Afghanistan zu verneinen sei.

13       Sofern die Revision vorbringt, das BVwG habe bei seiner Beweiswürdigung die zum Zeitpunkt der Ausreise vorliegende Minderjährigkeit des Revisionswerbers nicht im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes berücksichtigt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Revisionswerber zum Zeitpunkt seiner Einvernahme vor dem BFA bereits volljährig war. Das BVwG setzte sich zudem mit dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers auseinander und stützte sich auf eine der Glaubhaftigkeit abträgliche Steigerung des Vorbringens, auf näher genannte Unplausibilitäten, Widersprüche sowie die bloß abstrakte und unkonkrete Darstellung der Fluchtgründe. Dem Einvernahmeprotokoll des BFA ist überdies zu entnehmen, dass der Revisionswerber darauf hingewiesen wurde, dass er bloß ein abstraktes Vorbringen erstattet habe und ausdrücklich - unter Anführung von Beispielen - aufgefordert wurde, konkrete Angaben zu den Geschehnissen zu machen.

14       Vor diesem Hintergrund gelingt es der Revision auch mit dem Hinweis auf die Minderjährigkeit des Revisionswerbers im Zeitpunkt seiner Ausreise nicht, aufzuzeigen, dass die Beweiswürdigung fallbezogen unvertretbar wäre, zumal die Revision auch nicht darlegt, welche vom BVwG als nicht nachvollziehbar oder widersprüchlich bewerteten Angaben aus welchen auf die damalige Minderjährigkeit des Revisionswerbers zurückzuführenden Gründen in einem anderen Licht zu sehen wären (vgl. VwGH 21.2.2020, Ra 2020/18/0003).

15       Sofern die Revision rügt, das BFA bzw. das BVwG hätten die „adäquaten Mechanismen zur Befragung von Folteropfern“ anzuwenden gehabt, ist darauf hinzuweisen, dass aus dem Einvernahmeprotokoll des BFA und dem Verhandlungsprotokoll des BVwG hervorgeht, dass der Revisionswerber zu Beginn der jeweiligen Befragungen seine Einvernahmefähigkeit ausdrücklich bestätigte und er im weiteren Verlauf der - in Anwesenheit einer Vertrauensperson durchgeführten - behördlichen Einvernahme gefragt wurde, ob er sich wohlfühle, sich konzentrieren könne und den Dolmetscher verstehe, was der Revisionswerber bejahte. Ergänzend gab er an, er fühle sich gut und die Einvernahme könne fortgesetzt werden. Aus dem behördlichen Einvernahmeprotokoll ist auch ersichtlich, dass der Revisionswerber gegen Ende der Einvernahme gefragt wurde, ob er in der Lage gewesen sei, alles zu erzählen und genug Zeit gehabt habe, was dieser wiederum bejahte und überdies bestätigte, dass die Befragung in einer respektvollen und angenehmen Atmosphäre stattgefunden habe. Ausgehend davon ist ein relevanter Verfahrensfehler in Bezug auf den festgestellten Sachverhalt nicht erkennbar. Somit hängt die Entscheidung über die Revision auch nicht von der dort aufgeworfenen Frage ab, „inwiefern das Istanbul-Protokoll bei Misshandlungen aufgrund einer Diskriminierung durch Dritte“ zur Anwendung komme und eine staatliche Mitwirkung voraussetze (vgl. zur Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Lösung abstrakter Rechtsfragen aufgrund von Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG etwa VwGH 7.9.2020, Ra 2020/18/0207, mwN).

16       Soweit die Revision ein Abweichen von der hg. Rechtsprechung schließlich darin sieht, dass sich das BVwG auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers im Verhältnis zur Erstbefragung berufen habe, ist ihr zuzustimmen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben hat, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl hat der Verwaltungsgerichtshof aber betont, dass es nicht generell unzulässig ist, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 26.8.2020, Ra 2020/18/0132, mwN).

17       Das BVwG stützte sich in seinen beweiswürdigenden Überlegungen zwar einleitend auf die Änderung des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA im Vergleich zur Erstbefragung, darüber hinaus aber auch auf zusätzliche, für sich tragende Erwägungen, insbesondere darauf, dass der Revisionswerber nicht nachvollziehbare, bloß abstrakte und widersprüchliche Angaben gemacht habe. Es gelingt der Revision mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen daher nicht, eine die Rechtssicherheit beeinträchtigende, unvertretbare Beweiswürdigung aufzuzeigen (vgl. zum diesbezüglichen Prüfmaßstab etwa VwGH 29.10.2020, Ra 2020/18/0374, mwN).

18       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 4. Februar 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180010.L00

Im RIS seit

23.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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