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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des F A, vertreten durch Mag. Verena Pitterle, Rechtsanwältin in 3001 Mauerbach, Dolleschelgasse 2/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. August 2020, W200 2176488-1/13E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Baghlan, beantragte am 8. November 2015 internationalen Schutz, weil er (und seine Familie) vor den Taliban flüchten habe müssen. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) brachte er vor, in Afghanistan nicht so frei leben zu können wie in Österreich. Er habe „keine Religion“ mehr. Würde er das in Afghanistan zugeben, wäre das für ihn lebensgefährlich. Außerdem sei er jetzt - mit einer österreichischen Staatsbürgerin - verlobt und wolle sie nicht mehr allein lassen.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz in Bestätigung des vorangegangenen Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 6. Oktober 2017 ab. Gleichzeitig stellte das BVwG fest, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und es erteilte dem Revisionswerber eine „Aufenthaltsberechtigung plus“. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.
3 Gegen die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit geltend macht, das BVwG habe „entgegen der Judikatur des VwGH nicht geprüft, ob dem Revisionswerber im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund des Unterlassens religiöser Betätigungen asylrelevante Verfolgung“ drohe und verkenne zudem, dass es sich beim Fluchtgrund der Apostasie um einen sogenannten „Nachfluchtgrund“ handle. Es habe sich diesbezüglich einer „unzulässigen Scheinbegründung“ bedient. Außerdem stütze das BVwG seine „Abweisungsbegründung“ darauf, dass Mazar-e Sharif als inländische Fluchtalternative für den Revisionswerber in Betracht käme. Tatsächlich melde der UNHCR in den aktuellen am 30. August 2018 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender mit näherer Begründung in Bezug auf die genannte Stadt massive Bedenken hinsichtlich der dortigen Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative an. Mazar-e Sharif erfülle die vom Verwaltungsgerichtshof ausgearbeiteten Kriterien einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht.
4 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:
Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
5 Entgegen dem Revisionsvorbringen hat sich das BVwG in der angefochtenen Entscheidung auch mit dem Vorbringen des Revisionswerbers beschäftigt, wegen der behaupteten Abkehr vom islamischen Glauben in Afghanistan bedroht zu sein. Es führte aus, der Revisionswerber sei als Angehöriger der muslimischen Religion sunnitischer Ausrichtung aufgewachsen, sei allerdings gegenwärtig nicht sonderlich religiös interessiert. Es könne jedoch nicht festgestellt werden, dass der Revisionswerber tatsächlich ernsthaft und von innerlicher Überzeugung getragen vom islamischen Glauben abgefallen sei und ihm deshalb bei Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung drohe. In der Beweiswürdigung setzte sich das BVwG mit dem vorgebrachten Abfall des Revisionswerbers vom islamischen Glauben näher auseinander und verwies insbesondere auf seine diesbezüglichen - nur pauschal vorgetragenen und wenig überzeugenden - Angaben in der mündlichen Verhandlung. Es trifft somit weder zu, dass das BVwG das angesprochene Fluchtvorbringen nicht geprüft hätte, noch, dass es sich dabei einer bloßen Scheinbegründung bedient oder in rechtlicher Hinsicht die Bedeutung eines möglichen Nachfluchtgrundes (im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG 2005) nicht erkannt hätte. Eine asylrelevante Bedrohung des Revisionswerbers wurde vom Verwaltungsgericht vielmehr - in einer vertretbaren Beweiswürdigung - verneint.
6 Zum subsidiären Schutz verwies das BVwG den Revisionswerber auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der afghanischen Stadt Mazar-e Sharif. Die Revision bestreitet zwar, dass diese innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar sei, bringt aber in der Zulassungsbegründung keinen Sachverhalt vor, der für ihre Ansicht sprechen könnte. Sie verweist bloß auf die einschlägigen Richtlinien des UNHCR, die jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif nicht generell ausschließen, sondern von der Prüfung der Umstände des Einzelfalls abhängig machen (vgl. UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018, S. 124 ff).
7 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 4. Februar 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180394.L00Im RIS seit
23.03.2021Zuletzt aktualisiert am
23.03.2021