Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §8 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des S S H T, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2020, L512 2147402-1/21E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein pakistanischer Staatsangehöriger schiitischer Konfession, stellte am 26. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu brachte er vor, in seinem Herkunftsstaat von den Taliban verfolgt worden zu sein.
2 Mit Bescheid vom 11. Jänner 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Mit Beschluss vom 22. September 2020, E 2305/2020-9, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
5 Daraufhin erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Die Revision richtet sich (in ihrer Zulässigkeitsbegründung) im Wesentlichen gegen die Beweiswürdigung des BVwG, die Nichterteilung von subsidiärem Schutz und die im Rahmen der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK.
8 Das BVwG hat im Rahmen einer umfangreichen Beweiswürdigung dargelegt, weshalb es das Vorbringen des Revisionswerbers für nicht glaubwürdig erachtete. Dabei zog es die Angaben des Revisionswerbers im Rahmen der mündlichen Verhandlung und bei den Einvernahmen vor dem BFA heran und führte im Detail aus, worin es Widersprüche und Ungereimtheiten in seinen Aussagen erkannte.
9 Wenn die Revision pauschal ausführt, das BVwG habe sich nicht ausreichend mit dem Vorbringen des Revisionswerbers auseinandergesetzt und sich nur auf Erwägungen des BFA gestützt, gelingt es ihr nicht aufzuzeigen, dass das BVwG im vorliegenden Fall die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. VwGH 3.12.2020, Ra 2020/19/0108, mwN). Deshalb führt auch das Vorbringen des Revisionswerbers, das BVwG hätte nähere Nachforschungen dazu betreiben müssen, ob eine Verfolgung durch die Taliban entgegen dessen Ansicht auch in Pakistan möglich sei, nicht zum Erfolg.
10 Der Berücksichtigung des Vorbringens des Revisionswerbers, wonach er befürchte, im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat auf Grund seines mittlerweile gelebten westlichen Lebensstils von den Taliban verfolgt zu werden, steht schon das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot (§ 41 VwGG) entgegen (vgl. VwGH 21.12.2020, Ra 2020/19/0222 bis 0224, mwN).
11 In Zusammenhang mit der Beanstandung der Nichterteilung von subsidiärem Schutz bringt die Revision vor, der Revisionswerber werde sich im Fall einer Rückkehr nach Pakistan auf Grund der Covid-19-Pandemie mangels Arbeitsmöglichkeiten keine Existenz aufbauen können und laufe Gefahr, von kriminellen Banden ausgebeutet, erpresst und bedroht zu werden.
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 3.12.2020, Ra 2020/19/0108, mwN).
13 Im vorliegenden Fall traf das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung konkrete - sowohl die persönliche Situation des Revisionswerbers als auch die allgemeine Sicherheits- und Menschenrechtslage im Herkunftsstaat betreffende - Feststellungen auf Grundlage des im Zeitpunkt der Entscheidung aktuellen Länderinformationsblattes und ergänzte sie durch Feststellungen zur aktuellen Covid-19-Situation, für die es ebenfalls aktuelle Quellen heranzog. Es kam zu dem Ergebnis, dass für den Revisionswerber im Fall einer Rückkehr nach Pakistan eine Gefahr der Verletzung seiner in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte nicht bestehe, weil er ein mobiler, arbeitsfähiger Mensch sei, dem es freistehe, eine Beschäftigung bzw. zumindest Gelegenheitsarbeiten anzunehmen und der mit Unterstützung durch seine noch in Pakistan lebende Familie rechnen könne.
14 Selbst wenn sich für den Revisionswerber infolge der seitens pakistanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus und von Erkrankungen an Covid-19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellen würde, ist damit für den Revisionswerber nichts zu gewinnen, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre (vgl. VwGH 7.9.2020, Ra 2020/20/0297; VwGH 9.11.2020, Ra 2020/20/0373).
15 Was die Beanstandung der im Rahmen der Rückkehrentscheidung durch das BVwG vorgenommenen Interessenabwägung betrifft, ist darauf zu verweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie, wie vorliegend der Fall, auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt ist und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 6.10.2020, Ra 2019/19/0332, mwN).
16 Im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigte das BVwG die Dauer des Aufenthalts des Revisionswerbers in Österreich von über fünf Jahren, seine Bemühungen um Integration sowie den Besuch von Deutschkursen und stellte den privaten Interessen des Revisionswerbers am Verbleib in Österreich die dagegensprechenden öffentlichen Interessen, insbesondere seine Verurteilung durch das Landesgericht Salzburg wegen Suchtmitteldelikten gegenüber. Dabei kam das BVwG zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen gegenüber den persönlichen Interessen des Revisionswerbers überwiegen würden. Dass diese Interessenabwägung unvertretbar wäre, zeigt die Revision durch die pauschale Auflistung von nach Art. 8 EMRK zu berücksichtigenden Elementen nicht auf.
17 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 5. Februar 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190458.L00Im RIS seit
23.03.2021Zuletzt aktualisiert am
23.03.2021