TE Vwgh Beschluss 2021/2/9 Ra 2020/19/0358

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Veröffentlicht am 09.02.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des H J in B, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. August 2020, W164 2133967-1/38E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 22. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, sich illegal im Iran aufgehalten zu haben und deswegen nach Europa geflohen zu sein.

2        Mit Bescheid vom 4. August 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.) und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt IV.).

3        Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), die - soweit sie sich gegen die Spruchpunkte I. und II. richtet - mit dem gegenständlichen Erkenntnis (nach Durchführung einer Verhandlung) als unbegründet abgewiesen wurde. Bezüglich der übrigen Spruchpunkte sprach das BVwG aus, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, dem Revisionswerber eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt und der Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides (auf Grund seiner Gegenstandslosigkeit) ersatzlos behoben werde. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das BVwG für nicht zulässig.

4        Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, dem Revisionswerber drohe im Fall der Rückkehr nach Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit konkrete asylrelevante Verfolgung. Es könne weder aus dem Umstand, dass er im Iran geboren und aufgewachsen sei, noch aus seiner Eigenschaft als junger Mann im wehrfähigen Alter und seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara eine konkret gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität abgeleitet werden. Auch daraus, dass sich der Revisionswerber in Österreich gut eingelebt und eine westliche Lebenseinstellung angenommen habe, könne keine konkrete und gegen ihn gezielte aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität abgeleitet werden. Der Revisionswerber sei ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann, der im Iran Berufserfahrung gesammelt habe und in Österreich unmittelbar vor dem Abschluss einer Berufsausbildung stehe. Er spreche eine der Landessprachen Afghanistans. Da er als Sohn afghanischer Eltern im Iran aufgewachsen sei und zwei Jahre lang eine afghanische Schule besucht habe, könne vorausgesetzt werden, dass er mit den kulturellen Gepflogenheiten Afghanistans ausreichend vertraut sei. Er habe zwar noch nie in Afghanistan gelebt und dort auch kein familiäres Netzwerk, unter Beachtung der ständigen höchstgerichtlichen Judikatur sei aber davon auszugehen, dass er dennoch in der Lage sei, sich in der Stadt Mazar-e Sharif, die als stabil gelte, sicher erreichbar sei und geeignete Wohnmöglichkeiten biete, durch Aufnahme von Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6        Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das BVwG hätte sich mit den EASO-Richtlinien auseinandersetzen müssen. Diesen sei zu entnehmen, dass es Rückkehrenden, die noch nie oder sehr lange nicht mehr in Afghanistan gelebt hätten, an überlebensnotwendigem Wissen fehle und daher der Zugang zu grundlegenden Ressourcen eingeschränkt sei. Außerdem gehe aus diesen Richtlinien hervor, dass der Aufbau einer Existenz in Afghanistan für Rückkehrende auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit und der angespannten humanitären Verhältnisse äußerst schwierig sei und für den Erfolg einer Ansiedlung insbesondere stabile soziale Netzwerke essentiell seien. Hätte das BVwG entsprechende Ermittlungen angestellt und dabei insbesondere Bezug auf aktuelle Länderberichte genommen, wäre es zu einem anderslautenden, für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis gelangt. Als Rückkehrer ohne jegliche soziale Anknüpfungspunkte würde der Revisionswerber somit in eine existenzbedrohende Lage geraten. Es wäre ihm auf Grund der weiteren Verschlechterung der humanitären Lage in Zusammenhang mit dem Corona-Virus nicht möglich, Arbeit und Wohnraum zu finden und der Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen in einem weitaus höheren Ausmaß erschwert als der restlichen Bevölkerung. Zudem würde er kaum sozialen Anschluss finden. Er habe im Iran nur eine äußerst spärliche Schulbildung erfahren, verfüge in Afghanistan über keinerlei soziale Kontakte und habe den Iran bereits als Minderjähriger verlassen.

7        Soweit die Revision hinsichtlich der Annahme der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative Ermittlungsmängel und eine unzureichende Auseinandersetzung mit den an das Vorbringen angepassten Länderberichten rügt, macht sie Verfahrensmängel geltend. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel darzulegen. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 19.5.2020, Ra 2019/14/0599, mwN). Das Vorbringen, das BVwG wäre bei entsprechenden Ermittlungen und Berücksichtigung entsprechender Berichte zu einem anderslautenden, für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis gelangt, wird dieser Anforderung nicht gerecht (vgl. VwGH 15.5.2020, Ra 2020/20/0140).

8        Die Frage der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative stellt letztlich eine - von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende - Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. VwGH 5.8.2020, Ra 2020/20/0234, mwN).

9        Weder EASO noch UNHCR gehen von der jedenfalls bestehenden Notwendigkeit der Existenz eines sozialen Netzwerkes in Mazar-e Sharif für einen alleinstehenden, gesunden, erwachsenen Mann ohne besondere Vulnerabilität für die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative aus. Es entspricht zudem der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass allein die Tatsache, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht hindere (vgl. VwGH 11.8.2020, Ra 2020/14/0347, mwN).

10       Weiters ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf Afghanistan zu verweisen, wonach es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden kann, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. VwGH 24.9.2020, Ra 2020/20/0334, mwN).

11       Das BVwG traf hinreichende Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in Mazar-e Sharif (und auch Herat), berücksichtigte die aktuellen UNHCR-Richtlinien sowie die EASO Country Guidance Afghanistan und setzte sich mit den persönlichen Umständen des Revisionswerbers auseinander. Demnach handle es sich bei diesem um einen gesunden, jungen Mann im erwerbsfähigen Alter, der im Iran zwei Jahre lang eine afghanische Schule besucht und Berufserfahrung in der Landwirtschaft sowie in einer Schusterwerkstatt gesammelt habe. In Österreich stehe der Revisionswerber unmittelbar vor dem Abschluss einer Berufsausbildung zum Bürokaufmann und Restaurantfachmann. Überdies spreche er eine der Landessprachen und sei mit den kulturellen Gepflogenheiten des Herkunftsstaates vertraut.

Ausgehend davon begegnet die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif auch ohne familiäre bzw. soziale Anknüpfungspunkte in dieser Stadt im Licht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keinen Bedenken. Ein Abweichen von den Leitlinien der dargelegten Rechtsprechung vermag die Revision auch mit dem Vorbringen, der Revisionswerber habe den Iran bereits als Minderjähriger verlassen und durch die unbestrittenen intensiven Integrationsbemühungen maßgebliche Elemente einer Sozialisation in einer westlichen Gesellschaft erfahren, nicht darzutun (vgl. erneut VwGH Ra 2020/20/0234).

12       Soweit die Revision in diesem Zusammenhang auf eine weitere Verschlechterung der Situation für Rückkehrer auf Grund Covid-19 hinweist, gelingt es ihr damit weder, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorlägen, die eine Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte des Revisionswerbers darstellten, noch aufzuzeigen, dass dem - ungeachtet der schwierigeren wirtschaftlichen Lage - gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerber eine Ansiedlung unter Berücksichtigung der aktuellen Lage dort nicht zumutbar wäre (vgl. dazu bereits VwGH 2.7.2020, Ra 2020/20/0212).

13       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 9. Februar 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190358.L00

Im RIS seit

23.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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