TE Vwgh Beschluss 2021/2/10 Ra 2020/19/0353

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Veröffentlicht am 10.02.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art2
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des F H in S, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. November 2019, L521 2150327-1/26E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber - ein irakischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Jesiden - stellte am 12. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, als Jeside vor den Milizen des Islamischen Staates (IS) geflüchtet zu sein.

2        Mit Bescheid vom 27. Februar 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof ab und trat diese über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 28. Juli 2020, E 4620/2019-13, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5        Daraufhin erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG gehe trotz der im Erkenntnis aufgenommenen Länderberichte davon aus, dass die Lage in der Provinz Ninawa sicher sei und es dem Revisionswerber zumutbar sei, dorthin zurückzukehren. Das BVwG nehme insbesondere an, dass der Nord- und Zentralirak nicht unter der Kontrolle des IS lägen, und (wenngleich der IS im ländlichen Raum von Nord- und Zentralirak wieder an Einfluss gewinne) insbesondere in der Provinz Ninawa, in welcher der Revisionswerber bis zu seiner Ausreise gelebt habe und seine Familie noch immer lebe, nicht unmittelbar mit einer Verfolgungsgefahr durch den IS zu rechnen sei. Die Darstellung der Sicherheitslage, die Provinz Ninawa als hinreichend sicher zu betrachten, finde in den Feststellungen, die das BVwG selbst zur maßgeblichen Situation im Nordirak treffe, jedoch keine Deckung. Sowohl die beigelegten aktuellen Berichte als auch die angeführten Feststellungen des BVwG selbst ergäben, dass sich die Sicherheitslage in der Provinz Ninawa momentan alles andere als sicher darstelle. Der Revisionswerber hätte auf Grund der allgemeinen Situation in Ninawa und als Zugehöriger zu den Jesiden zumindest subsidiären Schutz in Hinblick auf seinen Heimatstaat Irak erhalten müssen.

8        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung in Bezug auf Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Beurteilung der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen.

Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. zum Ganzen VwGH 23.9.2020, Ra 2020/14/0134, mwN).

9        Im vorliegenden Fall ging das BVwG davon aus, dass dem Revisionswerber eine Rückkehr in seine Herkunftsregion Ninawa und darüber hinaus auch eine Rückkehr in ein jesidisch dominiertes Gebiet im Distrikt Sheikhan möglich und zumutbar sei. Zu den persönlichen Verhältnissen des Revisionswerbers führte es aus, dass dieser gesund, arbeits- und anpassungsfähig sei, über mehrjährige Berufserfahrung sowie ein Haus in seinem Heimatort verfüge. Das BVwG setzte sich darüber hinaus mit der Sicherheits- und Versorgungslage im Gouvernement Ninawa auseinander und hielt insbesondere fest, dass die Sicherheitslage grundsätzlich stabil sei und infolge der militärischen Niederlage des IS und dem weitgehenden Ende offener Kampfhandlungen ein gravierender Rückgang der sicherheitsrelevanten Vorfälle und der damit einhergehenden zivilen Opfer eingetreten sei. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt finde im Gouvernement Ninawa nicht statt, zumal die gegenwärtigen Zusammenstöße von verbliebenen Anhängern des IS und den staatlichen Sicherheitskräften nicht die Intensität erreichen würden, dass ein bewaffneter Konflikt vorliege. Risikoerhöhende Umstände in Hinblick auf die Person des Revisionswerbers, die eine im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung stark erhöhte Gefährdung durch terroristische Aktivitäten oder in Hinblick auf willkürliche Gewalt im Zuge von Ausschreitungen bei Protesten oder kriminellen Aktivitäten bedeuten würden, seien im Verfahren nicht vorgebracht worden. Es könne auch nicht erkannt werden, dass dem Revisionswerber im Fall einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen würde und auf Grund dessen die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungslage im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liege ausweislich der getroffenen Feststellungen nicht vor, auch wenn die Versorgungssituation und die wirtschaftliche Lage abschnittsweise schlecht seien und gerade wieder zu massiven Protesten der Zivilbevölkerung insbesondere im Süden des Iraks führen würden.

10       Diese Feststellungen vermag die Revision mit ihrem pauschal gehaltenen Vorbringen zu ihrer Zulässigkeit jedenfalls nicht zu entkräften. Soweit die Revision in diesem Zusammenhang einen Ausschnitt der Länderberichte zitiert, wonach unter anderem in der Provinz Ninawa weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem IS und irakischen Sicherheitskräften gerechnet werden müsse, widerspricht dies auch nicht den Feststellungen des BVwG. Im Übrigen bezieht sich der in der Zulässigkeitsbegründung zitierte Auszug der Länderberichte im Wesentlichen auf die im gegenständlichen Fall nicht relevante Provinz Kirkuk.

11       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 10. Februar 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190353.L00

Im RIS seit

23.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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