TE Vwgh Beschluss 2021/2/11 Ra 2019/08/0172

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Veröffentlicht am 11.02.2021
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
62 Arbeitsmarktverwaltung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze

Norm

AlVG 1977 §8
AlVG 1977 §8 Abs3
ASVG §351b
AVG §39 Abs2
AVG §45 Abs2
AVG §52

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., in der Revisionssache des A P in G, vertreten durch Dr. Karin Prutsch, Mag. Michael Franz Damitner, Mag. Van?o Apostolovski, LL.M., Rechtsanwälte in 8010 Graz, Joanneumring 6/III, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Oktober 2019, G308 2220595-1/4E, betreffend Einstellung des Arbeitslosengeldes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Graz West und Umgebung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4        Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis stellte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - in Bestätigung eines Bescheides bzw. einer Beschwerdevorentscheidung des Arbeitsmarktservice Graz West und Umgebung (AMS) - das Arbeitslosengeld des Revisionswerbers ab dem 26. Februar 2019 gemäß § 9 Abs. 1 iVm. § 24 Abs. 1 AlVG ein.

5        Zur Zulässigkeit der Revision wird geltend gemacht, der Revisionswerber sei entgegen den Annahmen des BVwG nicht arbeitsfähig. Das AMS habe dazu bloß ein Gutachten des Kompetenzzentrums Begutachtung der Pensionsversicherungsanstalt aus dem Fachbereich der Allgemeinmedizin eingeholt. In Hinblick darauf, dass der Revisionswerber nachweislich an einer Depression leide, wären jedoch weitere Ermittlungen zum psychischen Gesundheitszustand des Revisionswerbers durch Einholung eines Gutachtens erforderlich gewesen. Das BVwG habe seine Auffassung, aus dem Beharren des Revisionswerbers darauf, nicht arbeitsfähig zu sein, könne darauf geschlossen werden, dass der Revisionswerber nicht arbeitswillig sei, lediglich auf eine Meinung eines Kommentars gestützt. Insoweit fehle es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

6        Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das AMS verpflichtet ist, die Arbeitsfähigkeit des Arbeitslosen, soweit insoweit Zweifel bestehen, von Amts wegen zu prüfen. Dabei ist eine Untersuchung durch einen Arzt für Allgemeinmedizin zumindest vorerst ausreichend. Soweit dieser die Frage der Arbeitsfähigkeit nicht abschließend zu beurteilen vermag, wäre es Sache dieses Gutachters darzutun, dass und welche weiteren Untersuchungen durch Fachärzte zur Abklärung des Leidenszustandes aus medizinischer Sicht erforderlich sind. Die Zuweisung an das Kompetenzzentrum Begutachtung der Pensionsversicherungsanstalt zur Durchführung einer medizinischer Begutachtung im Sinn des § 351b ASVG ist der Zuweisung an einen Arzt für Allgemeinmedizin gleichzuhalten (vgl. VwGH 24.11.2016, Ra 2016/08/0142, mwN).

7        § 8 Abs. 3 AlVG, wonach das AMS Gutachten des Kompetenzzentrums Begutachtung der Pensionsversicherungsanstalt zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit „anzuerkennen und seiner weiteren Tätigkeit zugrunde zu legen“ hat, enthebt die Behörde nicht von ihrer Verpflichtung, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und die maßgeblichen Rechtsfragen selbst zu beurteilen. Eine Bindung des AMS an ein Gutachten der Ärzte der Pensionsversicherungsanstalt besteht nicht. Aus § 8 Abs. 3 AlVG ergibt sich aber, dass die ärztliche Begutachtung im Hinblick auf das Vorliegen von Invalidität bzw. Berufsunfähigkeit - das für den Pensionsanspruch positive und für den Arbeitslosengeld- bzw. Notstandshilfeanspruch negative Voraussetzung ist - grundsätzlich nur bei einer Stelle - nämlich der Pensionsversicherungsanstalt - erfolgen soll, das Arbeitsmarktservice also jedenfalls dann, wenn ein aktuelles Gutachten von Ärzten der Pensionsversicherungsanstalt bereits vorliegt, zunächst dieses heranzuziehen und kein neues Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben hat. Sollte das Gutachten aber Unschlüssigkeiten oder Unvollständigkeiten aufweisen, so hat das Arbeitsmarktservice zur Schaffung einer einwandfreien Entscheidungsgrundlage Ergänzungen einzuholen oder weitere Sachverständige zu befassen (vgl. näher VwGH 14.3.2013, 2012/08/0311; sowie nochmals 24.11.2016, Ra 2016/08/0142).

8        Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung weiters ausgeführt, dass es nicht grundsätzlich unzulässig ist, dass sich das BVwG - unter Abstandnahme von der Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens - auf das vom AMS im behördlichen Verfahren eingeholte Gutachten des Kompetenzzentrums Begutachtung der PVA stützt. Voraussetzung ist, dass das Gutachten hinsichtlich der Befundaufnahme, der Diagnosestellung und der sachverständigen Schlussfolgerungen qualitativen Mindestanforderungen genügt, sodass auf das Gutachten eine schlüssige Beweiswürdigung gegründet werden kann. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so hat das Verwaltungsgericht von Amts wegen ein gerichtliches Sachverständigengutachten einzuholen, ohne dass die Partei zuvor eigene Gutachten beibringen oder auch nur die Unschlüssigkeit des Gutachtens eigens behaupten müsste (vgl. VwGH 31.7.2018, Ra 2017/08/0129, mwN).

9        Das Gutachten des Kompetenzzentrums Begutachtung der Pensionsversicherungsanstalt, auf das das BVwG seine Beurteilung hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit des Revisionswerbers stützte, wurde von einer Ärztin für Allgemeinmedizin erstellt. Die Sachverständige berücksichtigte unter anderem - neben dem chirurgischen bzw. orthopädischen und internistischem Fachbereich zugehörigen Leiden -auch die Krankheitszustände des Revisionswerbers aus dem Fachbereich der Psychiatrie. Ihrer Beurteilung legte sie neben einer persönlichen Untersuchung auch die im Verfahren des AMS vom Revisionswerber vorgelegten medizinischen Unterlagen zu Grunde und führte aus, sie habe auch mit einem Facharzt für Psychiatrie Rücksprache gehalten, die Einholung weiterer Fachgutachten sei nicht erforderlich. Vor diesem Hintergrund vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass das Gutachten des Kompetenzzentrums Begutachtung im Sinn der zitierten Rechtsprechung nicht den erforderlichen qualitativen Mindestanforderungen entsprochen hätte. Es kann somit nicht als unvertretbar angesehen werden, dass das BVwG dieses Gutachten seiner Beweiswürdigung zu Grunde gelegt und kein weiteres Gutachten eingeholt hat.

10       Entgegen der Revision liegt Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vor, unter welchen Voraussetzungen von einer Arbeitsunwilligkeit einer arbeitslosen Person auszugehen ist, wenn diese sich trotz Vorliegens eines Gutachtens, aus dem sich ergibt, dass - wie im vorliegenden Fall - Arbeitsfähigkeit im Sinn des § 8 Abs. 1 AlVG besteht, weigert, zumutbare Beschäftigungen anzunehmen. Danach hat das AMS ein solches Gutachten der arbeitslosen Person vorzuhalten und sie dabei unter ausführlicher Rechtsbelehrung zur Äußerung aufzufordern, ob sie bereit ist, eine dem Gutachten entsprechende und ihr nach § 9 AlVG zumutbare Beschäftigung anzunehmen. Im Fall einer ablehnenden Stellungnahme trotz der genannten Vorhalte ist die Behörde berechtigt, Arbeitsunwilligkeit anzunehmen (vgl. VwGH 23.3.2015, Ro 2014/08/0033, mwN). Von dieser Rechtsprechung sind auch das AMS und diesem folgend das BVwG inhaltlich ausgegangen. Dass die Beurteilung des BVwG, der Revisionswerber sei in diesem Sinn als arbeitsunwillig anzusehen, im vorliegenden Einzelfall unvertretbar erfolgt wäre, legt die Revision nicht konkret dar. Im Übrigen würde auch die vom Revisionswerber behauptete Arbeitsunfähigkeit gemäß § 7 Abs. 2 iVm § 8 AlVG einem Anspruch auf Arbeitslosengeld entgegen stehen.

11       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 11. Februar 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019080172.L00

Im RIS seit

27.04.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.04.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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