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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art130 Abs1 Z3Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, in der Revisionssache des C E in W, zu Handen Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, als Kammerkommissär für Edward W. Daigneault, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 29. Oktober 2018, VGW-151/016/13607/2018-2, betreffend Zurückweisung einer Säumnisbeschwerde in einer Angelegenheit wegen Aufenthaltskarte (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.
Aufwandersatz wird nicht zugesprochen.
Begründung
1.1. Der Revisionswerber, ein mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheirateter nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am 1. März 2018 beim Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 iVm. § 57 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).
1.2. Die belangte Behörde führte über den Antrag ein Ermittlungsverfahren durch, im Zuge dessen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) der belangten Behörde mit Schreiben vom 8. März 2018 mitteilte, dass massive Bedenken gegen die Ausstellung einer Aufenthaltskarte bestünden, da eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vorliege. Es werde gegen den Revisionswerber ein Aufenthaltsverbot nach § 67 Fremdenpolizeigesetz 2005 erlassen werden, wobei der Ausgang des Verfahrens der belangten Behörde mitgeteilt werde.
Mit Verständigung vom 30. Juli 2018 gab das Landesgericht für Strafsachen Wien der belangten Behörde bekannt, dass der Revisionswerber wegen des Verdachts auf Verletzung des § 27 Suchtmittelgesetz in Untersuchungshaft genommen worden sei.
Mit Schreiben vom 29. August 2018 teilte das BFA der belangten Behörde mit, dass das Verfahren betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den Revisionswerber noch im Laufen sei und der Abschluss des Verfahrens umgehend bekannt gegeben werde.
Nach der Aktenlage fand eine solche Bekanntgabe jedenfalls bis Oktober 2018 nicht statt.
2.1. Mit Schreiben vom 8. Oktober 2018 - bei der belangten Behörde eingelangt am 10. Oktober 2018 - erhob der Revisionswerber betreffend seinen Antrag vom 1. März 2018 Säumnisbeschwerde nach Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG.
2.2. Die belangte Behörde holte den Bescheid nicht gemäß § 16 VwGVG nach, sondern legte die Beschwerde unter Anschluss der Akten dem Verwaltungsgericht vor.
3.1. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 29. Oktober 2018 wies das Verwaltungsgericht die Säumnisbeschwerde gemäß § 55 Abs. 3 NAG iVm. § 8 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurück.
3.2. In der Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus:
Die sechsmonatige Frist des § 8 Abs. 1 VwGVG zur Entscheidung über den am 1. März 2018 gestellten Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte hätte zwar grundsätzlich (bereits) mit 1. September 2018 geendet. Allerdings sehe § 55 Abs. 3 letzter Satz NAG vor, dass der Ablauf der Frist des § 8 VwGVG während eines beim BFA anhängigen Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung gehemmt sei.
Vorliegend sei die belangte Behörde mit Schreiben des BFA vom 8. März 2018 verständigt worden, dass gegen den Revisionswerber ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung anhängig sei. Damit sei der Ablauf der Entscheidungsfrist gehemmt worden und habe die belangte Behörde nicht mehr säumig werden können.
Die Anhängigkeit eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung und damit die Hemmung der Entscheidungsfrist dauere so lange an, bis entweder eine Mitteilung des BFA über das Unterbleiben einer Aufenthaltsbeendigung ergehe, woraufhin die Behörde die Dokumentation vorzunehmen habe (vgl. § 55 Abs. 4 NAG), oder eine Mitteilung des BFA über die in Rechtskraft erwachsene Aufenthaltsbeendigung erfolge, woraufhin die Behörde zur Verfahrenseinstellung berechtigt sei (vgl. § 55 Abs. 6 NAG).
Gegenständlich sei eine solche Mitteilung des BFA, wonach entweder eine Aufenthaltsbeendigung unterbleibe oder rechtskräftig erfolgt sei, bis zur Erhebung der Säumnisbeschwerde nicht ergangen. Vielmehr sei die belangte Behörde zuletzt mit weiterem Schreiben des BFA vom 29. August 2018 informiert worden, dass das Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung noch laufe und mit der Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu rechnen sei.
Im Hinblick darauf sei jedoch die Entscheidungsfrist des § 8 Abs. 1 VwGVG bei Erhebung der Säumnisbeschwerde am 10. Oktober 2018 nach wie vor gehemmt gewesen. Die belangte Behörde sei daher jedenfalls nicht mit der Entscheidung säumig gewesen. Die Beschwerde sei deshalb zurückzuweisen gewesen.
3.3. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4.1. Gegen diesen Beschluss wendet sich die außerordentliche Revision wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, hilfsweise Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, mit einem Aufhebungsantrag bzw. einem Antrag auf inhaltliche Entscheidung im Ausgangsverfahren selbst.
4.2. Mit Schriftsatz vom 6. März 2020 teilte der Revisionswerber mit, dass die belangte Behörde mittlerweile über seinen Antrag entschieden und ihm die beantragte Aufenthaltskarte ausgefolgt habe. Er sei damit klaglos gestellt.
Der Revisionswerber bescheinigte diese Angaben, indem er eine Ablichtung der ihm am 29. Jänner 2020 (mit Gültigkeit bis zum 29. Jänner 2025) ausgestellten Aufenthaltskarte vorlegte.
5.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist mit der Einstellung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens im Sinn des § 33 Abs. 1 VwGG nicht nur bei formeller Klaglosstellung, sondern auch bei „Gegenstandslosigkeit“ der Beschwerde bzw. der Revision vorzugehen. Gegenstandslosigkeit wird angenommen, wenn durch Änderung maßgeblicher Umstände zeitlicher, sachlicher oder prozessualer Art das rechtliche Interesse des Beschwerdeführers bzw. Revisionswerbers an der Entscheidung wegfällt, dieser somit klaglos gestellt wird. Liegt das Rechtsschutzbedürfnis - als Prozessvoraussetzung für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof - schon bei Einbringung der Revision nicht vor, ist diese unzulässig; fällt diese Voraussetzung erst nach Einbringung einer zulässigen Revision weg, führt dies zur Einstellung des Verfahrens (siehe VwGH 21.11.2018, Ro 2018/03/0004; 22.5.2019, Ra 2017/04/0122; u.v.a.).
5.2. Hat also während des Revisionsverfahrens betreffend einen Beschluss, mit dem eine Säumnisbeschwerde zurückgewiesen wurde, die Verwaltungsbehörde über den Antrag, bezüglich dessen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begehrt worden war, entschieden, so ist das Revisionsverfahren betreffend den Beschluss über die Zurückweisung der Säumnisbeschwerde gemäß § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und einzustellen (vgl. VwGH 24.4.2018, Ra 2017/05/0113, mwN).
6. Fallbezogen hat - wie oben dargelegt - die belangte Behörde mittlerweile über den Antrag des Revisionswerbers entschieden, der Gegenstand der Säumnisbeschwerde war, welche das Verwaltungsgericht mit dem in Revision gezogenen Beschluss zurückgewiesen hat. Vor diesem Hintergrund ist jedoch die Revision - nach der aufgezeigten Rechtsprechung - wegen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.
7. Mangels einer formellen Klaglosstellung liegt die Voraussetzung für einen Kostenzuspruch an den Revisionswerber gemäß § 55 VwGG nicht vor. Die Zuerkennung von Aufwandersatz nach § 58 Abs. 2 VwGG setzt voraus, dass die Entscheidung hierüber keinen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert. Dies ist im Revisionsfall freilich nicht gegeben. Folglich wird - im Sinn der freien Überzeugung nach § 58 Abs. 2 VwGG - kein Aufwandersatz zuerkannt (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation etwa VwGH 21.11.2018, Ro 2018/03/0004).
Wien, am 11. Februar 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2018220291.L00Im RIS seit
27.04.2021Zuletzt aktualisiert am
27.04.2021