TE Vwgh Beschluss 2021/2/12 Ra 2020/16/0167

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Veröffentlicht am 12.02.2021
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Index

E3R E02202000
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
35/02 Zollgesetz

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
ZollRDG 1994 §71a
ZollRDG 1994 §83
31992R2913 ZK 1992 Art239

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die vom damaligen Zollamt Feldkirch Wolfurt eingebrachte Revision gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 30. September 2020, Zl. RV/5200113/2013, betreffend Erlass/Erstattung von Einfuhrumsatzsteuer (mitbeteiligte Partei: V GmbH in W, vertreten durch die DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in 1090 Wien, Währinger Straße 2-4), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 15. Februar 2013 teilte das damalige Zollamt Feldkirch Wolfurt der mitbeteiligten Gesellschaft mbH (Mitbeteiligten) die nachträgliche buchmäßige Erfassung von Einfuhrumsatzsteuer in näher angeführter Höhe mit und setzte eine Abgabenerhöhung in näher angeführter Höhe fest. Die Mitbeteiligte habe als indirekte Vertreterin einer P SL, Spanien, zwischen 25. Oktober 2010 und 21. Jänner 2011 mit vier näher bezeichneten Zollanmeldungen Waren zur Überführung in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr angemeldet und dabei - wie sich mittlerweile ergeben habe, zu Unrecht - die Einfuhrumsatzsteuerbefreiung für ein an die Einfuhr unmittelbar anschließendes innergemeinschaftliches Verbringen in Anspruch genommen.

2        Mit Schriftsatz vom 13. März 2013 stellte die Mitbeteiligte den Antrag auf „Erstattung/Erlass“ gemäß Art. 239 ZK in Verbindung mit § 83 ZollR-DG u.a. dieser Beträge an Einfuhrumsatzsteuer und Abgabenerhöhung. Sie habe zusammengefasst alle Pflichten eingehalten, die ihr für die „Durchführung dieser Zollanmeldungen“ gesetzlich oblegen seien.

3        Mit Bescheid vom 22. März 2013 wies das damalige Zollamt Feldkirch Wolfurt diesen Antrag ab, wogegen die Mitbeteiligte mit Schriftsatz vom 2. Mai 2013 Berufung erhob, welche das Zollamt mit Berufungsvorentscheidung vom 29. Mai 2013 abwies. Dagegen reichte die Mitbeteiligte mit Schriftsatz vom 6. Juni 2013 eine Beschwerde ein.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis änderte das Bundesfinanzgericht den bekämpften Bescheid des Zollamtes vom 22. März 2013, gab dem Antrag der Mitbeteiligten (vom 13. März 2013) auf „Erstattung/Erlass“ der mit dem erwähnten Bescheid vom 15. Februar 2013 „vorgeschriebenen Abgaben“ statt und sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Nach Schilderung des Verfahrensganges und Wiedergabe rechtlicher Bestimmungen begründete das Bundesfinanzgericht näher, weshalb seiner Ansicht nach die Mitbeteiligte in gutem Glauben gehandelt und alle ihr zu Gebote stehenden Maßnahmen ergriffen habe, um sicher zu stellen, dass ihr Handeln nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung (der P SL) führe.

6        Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 25.4.2016, Ra 2016/16/0059) sei dieses Kriterium im Verfahren über einen Erlass oder eine Erstattung von Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 239 ZK und § 83 ZollR-DG maßgeblich und die Richtschnur bei der Anwendung des § 83 ZollR-DG (Zitat VwGH 21.11.2017, Ra 2017/16/0037).

7        Die dagegen vom damaligen Zollamt Feldkirch Wolfurt erhobene außerordentliche Revision legte das Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.

8        Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden; er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Gemäß Art. 239 Abs. 1 der im Revisionsfall noch maßgebenden Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 302 vom 19.10.1992, (Zollkodex - ZK) können Einfuhrabgaben - in anderen als den in den Art. 236, 237 und 238 genannten (hier nicht interessierenden Fällen) - erstattet oder erlassen werden; diese Fälle werden nach dem Ausschussverfahren festgelegt. Die Art. 900 bis 903 der im Revisionsfall noch maßgebenden Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 253 vom 11.10.1993, (Zollkodex-Durchführungsverordnung - ZK-DVO) enthalten die Aufzählung von Fällen, in denen die Einfuhrabgaben nach Art. 239 ZK erstattet oder erlassen werden.

11       Für alle anderen Fälle entscheidet nach Art. 899 Abs. 2 ZK-DVO die Behörde - sofern nicht gemäß Art. 905 ZK-DVO die Kommission zu befassen ist - von sich aus, die Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben zu erstatten oder zu erlassen, wenn es sich um besondere Fälle handelt, die sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind.

12       § 83 des Zollrechts-Durchführungsgesetzes (ZollR-DG) in der im Revisionsfall noch maßgebenden Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2010, BGBl. I Nr. 34/2010, lautet:

„§ 83. Im Falle einer Erstattung oder eines Erlasses der sonstigen Eingangs- und Ausgangsabgaben nach den Bestimmungen des Art. 239 ZK in Verbindung mit Art. 899 Abs. 2 ZK-DVO liegt ein besonderer Fall dann vor, wenn sich die Abgabenbelastung als unbillig nach Lage der Sache erweist oder wenn die Existenz des Abgabenschuldners durch die Abgabenbelastung ernsthaft gefährdet ist. Letzterenfalls stellt die betrügerische Absicht oder grobe Fahrlässigkeit des Beteiligten keinen Ausschließungsgrund für die Gewährung einer Erstattung oder eines Erlasses dar, sofern alle sonstigen Voraussetzungen vorliegen und eine Gesamtbetrachtung für eine Entscheidung zugunsten des Antragstellers spricht. Eine Vorlage an die Europäische Kommission hat zu unterbleiben.“

13       Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass der von einem nach § 71a ZollR-DG herangezogenen Gesamtschuldner dagegen eingewandte Vertrauensschutz oder dessen Gutgläubigkeit im Erlass- oder Erstattungsverfahren nach § 83 ZollR-DG zu prüfen ist (vgl. etwa VwGH 28.9.2016, Ra 2016/16/0052, und VwGH 25.4.2017, Ra 2016/16/0059).

14       § 83 ZollR-DG erläutert den in Art. 239 ZK enthaltenen unbestimmten Gesetzesbegriff des „besonderen Falles“ für den Bereich der sonstigen Eingangsabgaben näher. Der Vertrauensschutz einer Person, welche die Sorgfalt eines verständigen Wirtschaftsteilnehmers beachtet hat und alle ihr zu Gebote stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass sein Handeln nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt, ist als Kriterium zu sehen, das im Verfahren über einen Erlass oder eine Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer nach § 83 ZollR-DG maßgeblich ist und als Richtschnur dient, ob sich die Abgabenbelastung als unbillig nach Lage der Sache erweist und ob offensichtliche Fahrlässigkeit vorliegt (vgl. VwGH 21.11.2017, Ra 2017/16/0037).

15       Nach den Vorgaben dieser Rechtsprechung hat das Bundesfinanzgericht im Revisionsfall seine Entscheidung begründet, wonach eine Unbilligkeit nach Lage der Sache vorliege. Das Ergebnis einer im Einklang mit dieser Rechtsprechung erfolgten Prüfung geht in seiner Bedeutung über den Einzelfall nicht hinaus und wirft im Allgemeinen keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf.

16       Das revisionswerbende Zollamt wirft in der Begründung der Zulässigkeit seiner Revision dem Bundesfinanzgericht zunächst vor, von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 28.2.2019, Ra 2019/16/0048) abzuweichen. Das zitierte Erkenntnis betraf allerdings die Erstattung nach Art. 239 ZK einer nach Art. 202 ZK entstandenen Zollschuld und ist für die Fragen zu § 83 ZollR-DG nicht einschlägig.

17       Weiters sieht das revisionswerbende Zollamt die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als uneinheitlich, weil er einerseits ausspreche, dass der Vertrauensschutz am Urteil des EuGH vom 21. Dezember 2011, C-499/10, Vlaamse Oliemaatschappij, zu messen sei (VwGH 21.11.2017, Ra 2017/16/0037, und VwGH 29.6.2020, Ra 2020/16/0060), andererseits ausgesprochen habe, dass dieses Urteil zu einer anderen Rechtsgrundlage der Mehrwertsteuer-Richtlinie des Rates ergangen sei (VwGH 25.4.2017, Ra 2016/16/0059). Dazu ist klarzustellen, dass die getroffene Aussage zu jenem Urteil in VwGH 25.4.2017, Ra 2016/16/0059, zur Frage der Entstehung der Einfuhrumsatzsteuerschuld eines indirekten Vertreters nach § 71a ZollR-DG in der damals maßgeblichen Fassung getroffen wurde und dass die in jenem Urteil des EuGH dargelegten Grundsätze eben nicht bei dieser Frage, sondern (erst) im Verfahren nach § 83 ZollR-DG in der hier und in der zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes jeweils maßgeblichen Fassung als Richtschnur dienen (VwGH 21.11.2017, Ra 2017/16/0037). Die behauptete Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung liegt somit nicht vor.

18       Schließlich hegt das revisionswerbende Zollamt Zweifel, dass sich die vom Bundesfinanzgericht herangezogene, oben zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 21.11.2017, Ra 20/16/0037) zum Vertrauensschutz unter dem Gesichtspunkt der Unbilligkeit nach Lage der Sache grundsätzlich und nicht etwa nur einzelfallbezogen „auf die mitbeteiligte Partei aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit erstreckt, da der VwGH die Rechtsprechung des EuGH ungenau wiedergibt und der EuGH überdies in einem anderen Urteil ausgesprochen hat, dass Abgabenforderungen zum Wesen und Risiko ihrer Tätigkeit gehören.“ Der klare Wortlaut der oben wiedergegebenen Aussagen im zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes (VwGH 21.11.2017, Ra 2017/16/0037, Rn 40) lässt keine Beschränkung auf den Einzelfall erkennen. Welches konkrete „andere“ Urteil des EuGH dem entgegenstünde legt das revisionswerbende Zollamt in der Zulässigkeitsbegründung seiner Revision nicht dar.

19       Insgesamt werden somit keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgeworfen.

20       Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 12. Februar 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020160167.L00

Im RIS seit

14.04.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.04.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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