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E000 EU- Recht allgemeinNorm
AVG §37Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des I R in S (Slowakei), vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landesgerichtsstraße 18/1/11, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 10. August 2020, Zl. LVwG-S-1749/001-2019, betreffend Übertretungen des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Baden), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 1.1. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 27. Juni 2019 wurde der Revisionswerber schuldig erkannt, er habe es als zur Vertretung nach außen Berufener einer Gesellschaft mit Sitz in der Slowakei zu verantworten, dass drei namentlich genannte Arbeitnehmer von 1. Juni bis 4. August 2016 (auf einer Baustelle in Österreich) beschäftigt worden seien, ohne ihnen das gebührende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in § 49 Abs. 3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, geleistet zu haben. Im Spruch wurden jeweils der ausbezahlte Bruttostundenlohn, das Entgelt laut Kollektivvertrag sowie das prozentuelle Ausmaß der Unterentlohnung angeführt. Dadurch habe der Revisionswerber § 7i Abs. 5 iVm. § 7h Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz - AVRAG verletzt, weswegen über ihn jeweils eine Geldstrafe in Höhe von € 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von 66 Stunden) verhängt und ihm ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vorgeschrieben wurden.
2 1.2. In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Revisionswerber, soweit hier maßgeblich, vor, die belangte Behörde habe zwei der drei Arbeitnehmer ohne ausreichende Begründung kollektivvertraglich zu Unrecht als angelernte Arbeiter und nicht als Hilfsarbeiter eingestuft, obwohl sie lediglich Hilfstätigkeiten auf Grund der Anweisung von Facharbeitern verrichtet hätten und über keine Erfahrung und Qualifikation verfügten. Der dritte Arbeitnehmer sei von der vom Revisionswerber vertretenen Firma als Facharbeiter eingestuft und bezahlt worden, sodass der Tatbestand der Unterentlohnung schon deswegen nicht vorliege. Die vom Revisionswerber vertretene Gesellschaft habe den Arbeitnehmern eine „Reisepauschale (Taggeld)“ in der Höhe von € 45,-- pro Tag der Entsendung nach Österreich bezahlt. Die Gesellschaft sei jedoch für sämtliche Aufwände (zB Reise-, Unterbringungs- und Übernachtungskosten) der Arbeitnehmer aufgekommen, weswegen den Taggeldern keine realen Aufwände gegenübergestanden seien. Die Taggelder seien daher als „Entsendezulage“ zu sehen und dem Entgelt zuzuzählen. Selbst wenn das nach Kollektivvertrag für den Fall, dass eine Verpflegung in natura nicht bereitgestellt werde, vorgesehene Taggeld von € 26,40 vom tatsächlich an die Arbeitnehmer ausgezahlten Taggeld abgezogen würde, ergebe sich eine Überzahlung von € 18,60 pro Tag (€ 2,38 pro Stunde), welche dem Entgelt hinzuzurechnen sei, sodass im Ergebnis keine Unterentlohnung, sondern vielmehr eine Überzahlung vorliege.
3 1.3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der dagegen vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde „insoweit stattgegeben“, als die jeweils verhängten Geldstrafen mit € 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von 33 Stunden) und die anteiligen Kosten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens neu festgesetzt wurden (Im Übrigen, also insbesondere hinsichtlich des Schuldspruches, wurde die Beschwerde erkennbar abgewiesen). Unter einem sprach das Verwaltungsgericht Niederösterreich aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass es sich bei den im Zuge einer Kontrolle (am 4. August 2016) angetroffenen Arbeitnehmern um angelernte Bauarbeiter gehandelt habe, die mehr als nur unqualifizierte Hilfstätigkeiten vor Ort verrichtet hätten. Weiters stellte das Verwaltungsgericht (wörtlich) fest:
„Darüber hinaus erhielten die Arbeitnehmer - ohne einen Rechtsanspruch darauf zu besitzen - eine bestimmte Geldsumme, welche bar - auf der Freiwilligkeit des Beschwerdeführers beruhend - ausbezahlt wurde, Aufwandersätze für die im Ausland verbrachte Zeit der beruflichen Tätigkeit den slowakischen Dienstnehmern geleistet wurden [sic].“
5 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, der dem Straferkenntnis zu Grunde gelegte Sachverhalt sei „objektiv gesetzt und subjektiv in der Schuldform zumindest bewusster Fahrlässigkeit verwirklicht worden“. Das Ausmaß der festgestellten „Unterentlohnung laut Kollektivvertrag“ sei auch der Höhe nach zu bestätigen gewesen. Es komme für die Frage der Beurteilung, ob es sich (gemeint wohl: bei den Taggeldern) um Entgelt oder Aufwandersatz handle, nicht auf die steuer- oder sozialversicherungsrechtliche Beurteilung an. Es dürfe aber nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich hierbei um Zahlungen handle, die „bar auf die Hand“ erfolgt und für die keine „Sozialversicherungsabgaben“ entrichtet worden seien, also um eine „Verkürzung der Abgaben im fiskaltechnischen Sinn“. Diese Beträge könnten daher nicht für die Feststellung des tatsächlich zustehenden und geleisteten kollektivvertraglichen Entgelts hinzugerechnet werden, weil dies sonst „dem Schutzzweck des LSD-BG widersprechen“ würde. Darüber hinaus habe der Revisionswerber keine „Beträge“ (gemeint wohl: Belege) für die behauptete Übernahme der Fahrtkosten und der Kosten von Unterkunft und Verpflegung vorgelegt. Es sei „lebensfremd“ und mit der für das Verwaltungsstrafverfahren notwendigen Sicherheit nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht, dass die vom Revisionswerber vertretene Gesellschaft den Arbeitnehmern neben der Übernahme der Kosten für sämtliche Aufwendungen jeweils ein Taggeld in der Höhe von € 45,-- bezahlt habe.
6 1.4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, erwogen:
8 2. Die Revision ist zulässig, weil sie zutreffend vorbringt, das Verwaltungsgericht sei von Art. 3 Abs. 7 UAbs. 2 der Richtlinie 96/71/EG abgewichen, wonach Entsendezulagen als Bestandteil des Mindestlohns gelten, soweit sie nicht als Erstattung für infolge der Entsendung tatsächlich entstandene Kosten gezahlt würden.
9 3.1. Die §§ 7e, 7h und 7i Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz - AVRAG, BGBl. Nr. 459/1993, in der im Revisionsfall gemäß § 19 Abs. 1 Z 38 AVRAG maßgeblichen Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 44/2016 lauten (auszugsweise):
„Kompetenzzentrum LSDB
§ 7e. (1) Für die Kontrolle des dem/der nicht dem ASVG unterliegenden Arbeitnehmer/in nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag in Österreich unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien zustehenden Entgelts im Sinne des § 7i Abs. 5 wird die Wiener Gebietskrankenkasse als Kompetenzzentrum Lohn- und Sozialdumping Bekämpfung (Kompetenzzentrum LSDB) eingerichtet.
...
(3) Stellt das Kompetenzzentrum LSDB fest, dass der/die Arbeitgeber/in dem/der Arbeitnehmer/in im Sinne des Abs. 1 nicht zumindest das nach Abs. 1 zustehende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien leistet, hat es Anzeige an die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde zu erstatten. Mit der Anzeige ist ein bestimmtes Strafausmaß zu beantragen. Die Anzeige ist der Abgabenbehörde zum Zwecke der Nachverrechnung von Abgaben elektronisch zur Kenntnis zu übermitteln. Auf Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag beruhende Überzahlungen bei den nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührenden Entgeltbestandteilen sind auf allfällige Unterentlohnungen im jeweiligen Lohnzahlungszeitraum anzurechnen.
(4) Das Kompetenzzentrum LSDB kann die Kollektivvertragspartner, die den für den/die Arbeitnehmer/in maßgeblichen Kollektivvertrag abgeschlossen haben, zur Ermittlung des dem/der Arbeitnehmer/in unter Beachtung der Einstufungskriterien nach Abs. 1 zustehenden Entgelts anhören. Erhebt ein/e Arbeitgeber/in begründete Einwendungen gegen die vom Kompetenzzentrum LSDB angenommene Einstufung, hat das Kompetenzzentrum LSDB die Kollektivvertragspartner anzuhören. Eine Stellungnahme der Kollektivvertragspartner hat eine gemeinsame zu sein. Aufwandersätze und Sachbezüge dürfen, soweit der Kollektivvertrag nicht anderes bestimmt, für die Zwecke der Bestimmung des kollektivvertraglichen Entgelts nicht angerechnet werden.
...
Feststellung von Übertretungen durch die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse
§ 7h. (1) Stellt die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse im Rahmen ihrer Tätigkeit fest, dass der/die Arbeitgeber/in dem/der Arbeitnehmer/in im Sinne des Abschnitts I BUAG oder im Sinne des § 33d BUAG nicht zumindest das ihm/ihr nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührende Entgelt im Sinne des § 7i Abs. 5 unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien leistet, gilt § 7e Abs. 3, Abs. 4 letzter Satz und Abs. 5 mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Kompetenzzentrums LSDB die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse tritt.
...
Strafbestimmungen
§ 7i. ...
(5) Wer als Arbeitgeber/in einen/e Arbeitnehmer/in beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm/ihr zumindest das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in § 49 Abs. 3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen. Bei Unterentlohnungen, die durchgehend mehrere Lohnzahlungszeiträume umfassen, liegt eine einzige Verwaltungsübertretung vor. Auf Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag beruhende Überzahlungen bei den nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührenden Entgeltbestandteilen sind auf allfällige Unterentlohnungen im jeweiligen Lohnzahlungszeitraum anzurechnen. Hinsichtlich von Sonderzahlungen für die in § 7g Abs. 1 Z 1 und 2 genannten Arbeitnehmer/innen liegt eine Verwaltungsübertretung nach dem ersten Satz nur dann vor, wenn der/die Arbeitgeber/in die Sonderzahlungen nicht oder nicht vollständig bis spätestens 31. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres leistet. Sind von der Unterentlohnung höchstens drei Arbeitnehmer/innen betroffen, beträgt die Geldstrafe für jede/n Arbeitnehmer/in 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer/innen betroffen, für jede/n Arbeitnehmer/in 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall 4 000 Euro bis 50 000 Euro.
...“
10 3.2. Art. 3 der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Entsenderichtlinie) lautet (auszugsweise):
„Artikel 3
Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, daß unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird,
- durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder
- durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche im Sinne des Absatzes 8, sofern sie die im Anhang genannten Tätigkeiten betreffen,
festgelegt sind:
...
c) Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze; dies gilt nicht für die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme;
...
Zum Zweck dieser Richtlinie wird der in Unterabsatz 1 Buchstabe c) genannte Begriff der Mindestlohnsätze durch die Rechtsvorschriften und/oder Praktiken des Mitgliedstaats bestimmt, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird.
...
(7) Die Absätze 1 bis 6 stehen der Anwendung von für die Arbeitnehmer günstigeren Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen nicht entgegen.
Die Entsendungszulagen gelten als Bestandteil des Mindestlohns, soweit sie nicht als Erstattung für infolge der Entsendung tatsächlich entstandene Kosten wie z.B. Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten gezahlt werden. (...)
...“
11 4.1. In den Revisionsgründen wird - über den Inhalt der Zulässigkeitsbegründung hinaus - vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe den entscheidungswesentlichen Sachverhalt lückenhaft und falsch festgestellt, weil es unzutreffend davon ausgegangen sei, dass die Arbeitnehmer das „Taggeld“ „bar auf die Hand“ erhalten hätten. Ebenso fehlten Feststellungen darüber, welche Aufwände die Arbeitgeberin konkret übernommen hätte.
12 Die Revision ist auch begründet.
13 4.2. Das angefochtene Erkenntnis beruht auf der Auffassung, die strittigen „Taggelder“ könnten (von vornherein) nicht zu dem den Arbeitnehmern geleisteten Entgelt iSd. § 7i Abs. 5 AVRAG zählen, da für diese keine Sozialversicherungsabgaben geleistet worden seien und insoweit eine „Abgabenverkürzung“ vorliege. Mit dieser Auffassung hat das Verwaltungsgericht die Rechtslage verkannt:
14 4.3.1. Gemäß § 7i Abs. 5 erster Satz AVRAG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer als Arbeitgeber einen Arbeitnehmer beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm zumindest das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in § 49 Abs. 3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten. Nach den Gesetzesmaterialien sind von der Lohnkontrolle alle Entgeltbestandteile erfasst, wobei der Ausnahmekatalog des § 49 Abs. 3 ASVG zu beachten ist (vgl. RV 319 BlgNR XXV. GP, 11), welcher in seiner Z 1 u.a. Vergütungen des Dienstgebers an den Dienstnehmer enthält, durch welche die durch dienstliche Verrichtungen für den Dienstgeber veranlassten Aufwendungen des Dienstnehmers abgegolten werden (Auslagenersatz).
15 4.3.2. Maßgeblich für die Frage, inwieweit das strittige „Taggeld“, welches in Zusammenhang mit der Entsendung der Arbeitnehmer geleistet worden sein soll, als Bestandteil des den Arbeitnehmern gemäß § 7i Abs. 5 erster Satz AVRAG zu leistenden Entgelts betrachtet werden kann, ist Art. 3 Abs. 7 UAbs. 2 der Entsenderichtlinie (vgl. VwGH 9.11.2016, Ro 2015/11/0015; 30.7.2018, Ra 2018/11/0140). Art. 3 Abs. 7 UAbs. 2 der Entsenderichtlinie bestimmt nämlich in Bezug auf Entsendungszulagen, inwieweit diese Lohnbestandteile im Rahmen der in Art. 3 der Richtlinie festgelegten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen als Bestandteil des Mindestlohns gelten (vgl. EuGH 12.2.2015, C-396/13, Sähköalojen ammattiliitto ry, Rn 33).
16 Demnach gelten Entsendungszulagen als Bestandteil des Mindestlohns, soweit sie nicht als Erstattung für infolge der Entsendung tatsächlich entstandene Kosten wie zB Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten gezahlt werden. Insoweit solche Beträge aber als Erstattung für die genannten Zwecke gezahlt werden, dürfen sie nicht als Bestandteile des Mindestlohns berücksichtigt werden (vgl. EuGH 14.4.2005, C-341/02, Kommission gegen Deutschland, Rn 29).
17 So hat der EuGH im Urteil C-396/13, „Taggelder“, welche die Nachteile ausgleichen sollten, die den Arbeitnehmern durch die Entsendung auf Grund der Entfernung von ihrem gewohnten Umfeld entstanden und die nicht als Erstattung für infolge der Entsendung tatsächlich entstandene Kosten gezahlt wurden, als „Entsendungszulage“ im Sinne von Art. 3 Abs. 7 UAbs. 2 der Entsenderichtlinie und damit als Bestandteil des Mindestlohns eingestuft (Rn 46-50). Hingegen darf die Übernahme der Unterbringungskosten nach Wortlaut und Zweck von Art. 3 Abs. 7 UAbs. 2 der Entsenderichtlinie nicht bei der Berechnung des den Arbeitnehmern tatsächlich geleisteten Mindestlohns berücksichtigt werden (Rn 58-60), ebenso wenig wie Essengutscheine bzw. als Ausgleich für die Unterbringungskosten gezahlte Zulagen, um die den Arbeitnehmern infolge ihrer Entsendung tatsächlich entstandenen Lebenshaltungskosten zu erstatten (Rn 61-63).
18 4.3.3. Im Revisionsfall hat das Verwaltungsgericht die strittigen „Taggelder“ bei der Bestimmung des den Arbeitnehmern geleisteten Entgelts nicht berücksichtigt, weil für diese keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt worden seien (wozu im Übrigen im angefochtenen Erkenntnis entsprechende Feststellungen fehlen). Damit hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.
19 4.4.1. Im Übrigen erfordert die hier entscheidungsmaßgebliche Frage, ob die strittigen „Taggelder“ als Entgeltbestandteile zu berücksichtigen sind, einwandfreie - vom Verwaltungsgericht zu treffende - Feststellungen dazu, ob bzw. welche Kosten der Arbeitnehmer betreffend ihre Hin- und Rückreise, ihre Unterbringung und ihre Verpflegung die Arbeitgeberin tatsächlich übernommen hat einerseits, sowie zu Höhe und Zweck dieser „Taggelder“ andererseits (vgl. VwGH 9.11.2016, Ro 2015/11/0015).
20 4.4.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind im Sinne des § 60 AVG in der Begründung der Erkenntnisses der Verwaltungsgerichte die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen, sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Das Verwaltungsgericht hat somit den entscheidungswesentlichen Sachverhalt festzustellen und die Gründe anzugeben, welche das Verwaltungsgericht in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen (vgl. etwa VwGH 11.10.2019, Ra 2017/11/0080, mwN).
21 4.4.3. Diesen Anforderungen genügt die - disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung erfolgte - Beweiswürdigung, wonach die Behauptung des Revisionswerbers, diese „Taggelder“ seien über die Bezahlung der Fahrtkosten sowie der Kosten für Unterkunft und Verpflegung hinaus zusätzlich ausgezahlt worden, „lebensfremd“ und „auch unter Berücksichtigung rudimentärer, als Beweise gedachter schriftlicher Aufzeichnungen, als Schutzbehauptung zu werten“ sei, nicht. Das Verwaltungsgericht hat das angefochtene Erkenntnis daher auch mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.
22 4.5. Das angefochtene Erkenntnis war folglich gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen vorrangig wahrzunehmender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
23 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 15. Februar 2021
Gerichtsentscheidung
EuGH 62013CJ0396 Sähköalojen ammattiliitto VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtliche BeurteilungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020110179.L00Im RIS seit
31.03.2021Zuletzt aktualisiert am
31.03.2021