Index
L94053 Ärztekammer NiederösterreichNorm
ÄrzteG 1998 §109 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des Verwaltungsausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich, vertreten durch die Graf & Pitkowitz Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Stadiongasse 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 9. August 2018, Zl. LVwG-AV-257/001-2017, betreffend Ermäßigung von Wohlfahrtsfondsbeiträgen (mitbeteiligte Partei: DDr. K V in W, vertreten durch die Spitzauer & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Stock im Eisen-Platz 3), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang, sohin betreffend die Ermäßigung der Pensionsbeiträge (ab 1. Jänner 2016), wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Ein Aufwandersatz findet nicht statt.
Begründung
1 Mit E-Mail vom 29. Februar 2016 beantragte der Mitbeteiligte die „Ermäßigung der Pensionsbeiträge um die Hälfte rückwirkend für 2014 und 2015 sowie für die kommenden Jahre, nachdem der jahrelang gültige Bescheid 2013 ausgelaufen“ sei. Aufgrund einer Netzhautablösung und seit damals progredienter Sehbeeinträchtigung sei mit einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem chirurgischen Berufsleben zu rechnen.
2 Dieser Antrag wurde mit Bescheid der revisionswerbenden belangten Behörde vom 2. November 2016 für den Zeitraum vom 1. Jänner 2014 bis 31. Dezember 2016 abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde von der belangten Behörde mit Beschwerdevorentscheidung abgewiesen und der Bescheid aufrechterhalten.
3 Mit dem angefochtenen, nach Vorlageantrag des Mitbeteiligten ergangenen Erkenntnis sprach das Verwaltungsgericht aus, dass aufgrund der Beschwerde die Beschwerdevorentscheidung gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG dahingehend abgeändert werde, dass der Pensionsbeitrag „ab dem Jahr 2016“ um 50 % ermäßigt werde. Soweit sich die Beschwerde auf die Jahre 2014 und 2015 beziehe, werde sie als unbegründet abgewiesen. Weiters wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig sei.
In den Feststellungen führte das Verwaltungsgericht aus, dass der Mitbeteiligte seit 1994 in die Ärzteliste und seit dem Jahr 2006 zusätzlich in die Zahnärzteliste eingetragen sei. Er sei in einem Krankenhaus in Wien geringfügig beschäftigt und bis Ende des Jahres 2017 Leiter eines Departments Mund-, Kiefer-, und Gesichtschirurgie in einem anderen Krankenhaus in Wien gewesen. Er führe gemeinsam mit seiner Gattin eine Wahlarztpraxis in Niederösterreich und eine Einzelordination in Wien. Die Umsätze des Beschwerdeführers aus selbständiger ärztlicher Tätigkeit in Niederösterreich und in Wien betrügen:
„- 2011: 447.283,92 Euro,
- 2012: 538.610,03 Euro,
- 2013: 533.610,65 Euro,
- 2014: 513.692,91 Euro,
- 2015: 494.389,97 Euro,
- 2016: 366.027,10 Euro,
- 2017: 303.389,64 Euro.“
Dem Mitbeteiligten sei jedenfalls bis zum Jahr 2012 eine Ermäßigung der Pensionsbeiträge de facto gewährt worden, ein Bescheid sei nicht erlassen worden. Der Mitbeteiligte leide an dauerhaft zu behandelnden Erkrankungen der Augen (insbesondere Netzhautablösung und Katarakt), auch bedingt durch eine Diabeteserkrankung, was zuletzt zu mehreren Operationen geführt habe. Die Sehbeeinträchtigung des Mitbeteiligten habe seit dem Jahr 2016 erhebliche Auswirkungen auf die Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit. Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht - soweit hier maßgeblich -, dass Sache des gegenständlichen Verfahrens die Frage sei, ob für die in der Beschwerdevorentscheidung spruchgegenständlichen Jahre 2014, 2015 und 2016 berücksichtigungswürdige Umstände vorlägen bzw. ein Härtefall gegeben sei. Das Vorliegen eines Härtefalls im Sinne des § 15 Abs. 2 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich verneinte das Verwaltungsgericht schließlich für die Jahre 2014 und 2015, da die Sehbeeinträchtigung des Mitbeteiligten vor dem Hintergrund der festgestellten Umsätze noch zu keiner Einschränkung der ärztlichen Tätigkeit geführt habe. Die Verschlechterung sei erst im Jahr 2016 eingetreten, was schließlich auch Operationen erfordert habe. Daher lägen für das Jahr 2016 bei einer Gesamtbetrachtung im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses berücksichtigungswürdige Umstände vor.
Eine Befristung der Ermäßigung mit 31. Dezember 2016 scheide jedoch aus, da sich im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass die für das Jahr 2016 anerkannten berücksichtigungswürdigen Umstände im weiteren Verlauf wegfallen würden. Dies werde auch durch die 2017 für den Mitbeteiligten notwendig gewordenen Operationen sowie dessen aktuellen Gesundheitszustand bestätigt. Der Beitrag sei somit „ab 2016“ um die Hälfte zu reduzieren.
4 Gegen jenen Spruchteil des angefochtenen Erkenntnisses, mit dem der Pensionsbeitrag des Mitbeteiligten „ab dem Jahr 2016“, sohin ab 1. Jänner 2016, ermäßigt wurde, richtet sich die vorliegende außerordentliche (Amts-)Revision. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 § 111 des Ärztegesetzes 1998, BGBl. I Nr. 169/1998 in der vorliegend maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 110/2001 lautet:
„Ermäßigung der Fondsbeiträge
§ 111. Die Satzung kann bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände auf Antrag des Kammerangehörigen oder des Pensionsleistungsempfängers (§ 109 Abs. 8) nach Billigkeit eine Ermäßigung oder in Härtefällen den Nachlass der Wohlfahrtsfonds- oder Pensionssicherungsbeiträge vorsehen.“
7 Die Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich vom 9. Dezember 2016 lautet auszugsweise:
„§ 15
Ermäßigung der Beiträge
(1) Jede Ermäßigung ist schriftlich unter Vorlage der in § 13 Abs. 1 Beitragsordnung vorgesehenen Unterlagen oder anderer geeigneter Nachweise zu beantragen.
(2) Bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände können die WFF-Beiträge auf Antrag des WFF-Mitgliedes nach Billigkeit ermäßigt oder in Härtefällen nachgelassen werden. Berücksichtigungswürdige Umstände sind insbesondere die Karenz nach dem Mutterschutzgesetz 1979, BGBl Nr. 221/1979, idF BGBl I Nr. 35/2012, die Väterkarenz nach dem Väter-Karenzgesetz 1989, BGBl Nr. 651/1989, idF BGBl I Nr. 58/2010, oder vergleichbaren landesgesetzlichen Regelungen, der Präsenzdienst nach dem Wehrgesetz 2001, BGBl I Nr. 146/2001, idF BGBl I Nr. 63/2012, und der Zivildienst nach dem Zivildienstgesetz 1986, BGBl Nr. 679/1986, idF BGBl I Nr. 87/2012. Darüber hinaus stellen berücksichtigungswürdige Umstände solche Umstände dar, die ohne Verschulden des WFF-Mitgliedes akut und beträchtlich in seine Lebenssituation eingreifen.
...“
8 Zur Zulässigkeit der Revision wird unter Hinweis auf zahlreiche hg. Entscheidungen vorgebracht, das Verwaltungsgericht sei von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur „Sache“ des Beschwerdeverfahrens abgewichen, weil der Bescheid vom 2. November 2016 lediglich die Ermäßigung des Pensionsbeitrags für den Zeitraum von 1. Jänner 2014 bis 31. Dezember 2016, nicht aber für die Zeit danach zum Gegenstand gehabt habe. Weiters liege eine Abweichung von (in der Revision zitierter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor, weil das Verwaltungsgericht zur Beurteilung etwaiger berücksichtigungswürdiger Umstände keine umfassende Prüfung der Ertrags- und Vermögenslage des Mitbeteiligten vorgenommen habe.
9 Die Revision ist aus den in ihr genannten Gründen zulässig; sie ist auch begründet.
10 „Sache“ des Beschwerdeverfahrens ist jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde gebildet hat. Nimmt das Verwaltungsgericht mit einer Entscheidung in einer Angelegenheit, die nicht Gegenstand der Entscheidung der Verwaltungsbehörde war, mithin mit einer „Überschreitung der Sache“ des Verfahrens der belangten Behörde, eine ihm nach dem Gesetz nicht zustehende Kompetenz in Anspruch, belastet es seine eigene Entscheidung mit Rechtswidrigkeit (vgl. etwa VwGH 30.6. 2016, Ra 2016/11/0044; 13.12.2018, Ra 2018/11/0200 bis 0201, jeweils mwN).
Wie bereits in den Ausführungen zum Verfahrensgang wiedergegeben, hat die belangte Behörde nur über den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2016 abgesprochen. Soweit das Verwaltungsgericht jedoch auch für den Zeitraum danach die Pensionsbeiträge ermäßigte, hat es die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten.
11 Das angefochtene Erkenntnis weicht aber auch, soweit es eine Ermäßigung für das Jahr 2016 bejaht, von der hg. Rechtsprechung ab:
Berücksichtigungswürdige Umstände, wie sie § 15 Abs. 2 der Satzung erwähnt, liegen etwa dann vor, wenn ein Fondsmitglied durch krankheitsbedingt erheblich zurückgegangene Einnahmen aus seiner ärztlichen Tätigkeit (bei Fehlen von Vermögensreserven, die zur Entrichtung der Beiträge herangezogen werden können) die Kosten der Lebensführung für sich und seine ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Familienangehörigen nicht mehr bestreiten kann und sich im Verhältnis von Einkommen und Kosten der Lebensführung eine Deckungslücke von mehreren Tausend Euro ergibt (vgl. etwa VwGH 17.12.1998, 98/11/0176, 0177; 24.6.2003, 2001/11/0328; 24.5.2011, 2008/11/0182; 26.2.2015, Ro 2014/11/0045).
Entgegen dieser Judikatur, die eine umfassende Prüfung der Ertrags- und Vermögenslage sowie der Unterhaltspflichten des Mitbeteiligten erfordert hätte, hat sich das Verwaltungsgericht lediglich auf das (unstrittige) Vorliegen der Augenerkrankung des Mitbeteiligten und auf die dargestellten Umsatzrückgänge (vgl. auch dazu VwGH 26.2.2015, Ro 2014/11/0045) gestützt.
12 Da sich das angefochtene Erkenntnis aus den angeführten Gründen somit hinsichtlich der Ermäßigung der Pensionsbeiträge ab dem Jahr 2016 als inhaltlich rechtswidrig erweist, war es im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
13 Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 Abs. 4 VwGG.
Wien, am 15. Februar 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2018110208.L00Im RIS seit
31.03.2021Zuletzt aktualisiert am
31.03.2021