TE OGH 2019/6/21 60R55/19x

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Veröffentlicht am 21.06.2019
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Das Handelsgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Präsidentin Dr.in Wittmann-Tiwald (Vorsitzende), Richter Dr. Steinberger und Richterin Mag.a Hotter-Kaiser in der Rechtssache der klagenden Partei Günther SCHIFBÖCK, Grenzweg 18, **, vertreten durch die Salburg Rechtsanwalts GmbH in 1070 Wien, wider die beklagte Partei B* GmbH, **, vertreten durch die Herbst ** Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, wegen Unterlassung (bewertet mit EUR 500,--), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 29.3.2019, GZ 5 C 411/18d-16, in nicht öffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird n i c h t Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 208,32 (darin enthalten EUR 34,72 an USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Wert des Entschei- dungsgegenstandes über-steigt den Betrag von EUR 5.000,-- nicht.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

B e g r ü n d u n g :

Der Kläger brachte vor, dass er als Inhaber einer Radio- und Fernsehempfangseinrichtung bei der Beklagten registriert sei und an diese seit Oktober 2011 „Rundfunkgebühren“ inklusive entsprechender Mehrwertsteuer leiste. Die Einhebung einer Mehrwertsteuer widerspreche jedoch dem Unionsrecht. Der Kläger habe daher einen Anspruch, dass die Beklagte in Hinkunft die Gebühren unionsrechtskonform ohne Umsatzsteuer verrechne, weshalb dem Kläger ein Unterlassungsanspruch zustünde.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht das Klagebegehren, die beklagte Partei habe es in Hinkunft zu unterlassen, der klagenden Partei E*- und Fernsehentgelt mit Mehrwertsteuerbelastung in Rechnung zu stellen, wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück. In rechtlicher Hinsicht führte es – zusammengefasst – aus, dass für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsweges in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus der Klagssachverhalt maßgebend sei. Die Beklagte sei durch die §§ 4 ff RGG auf gesetzlicher Grundlage legitimiert, Gebühren einzuheben, zu denen auch das ORF-Programmentgelt zähle. Dieses werde im Verwaltungsweg eingehoben. Auf Grund der gesetzlichen Legitimation zur Einhebung von Gebühren und dem Unterstellen des Einhebungsverfahrens inklusive Rückerstattungs-abwicklung unter die Allgemeinen Verwaltungsgesetze zur Verwirklichung der öffentlich-rechtlichen Aufträge des Österreichischen E* sei der in Frage stehende Anspruch derart in eine öffentlich-rechtliche Rechtsmaterie eingebettet, dass auf Grund der Zuweisung derselbigen an die Verwaltungsbehörden ein untrennbarer Zusammenhang der geltend gemachten Ansprüche mit öffentlichem Recht bestünde. Der Beklagten obliege gemäß § 6 Abs. 1 RGG die Wahrnehmung der behördlichen Aufgaben nach § 4 Abs. 1 RGG in erster Instanz, gegen die eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht eingebracht werden könne. Zu diesen Aufgaben gehörten auch die Entscheidung über Rückzahlungsanträge. Damit handle es sich bei dem eingeklagten Anspruch nicht nur auf Grund des öffentlich-rechtlichen Zusammenhanges und der Funktion der Einbringung um ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis. Mit § 6 Abs. 1 RGG bestünden gesetzliche Bestimmungen, die die Rechtssache vor die Verwaltungsgerichte orderten. Der Kläger leite seine Ansprüche aus einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis ab, das der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterliege. Dies gelte gleichermaßen für einen Rückzahlungsanspruch wie für einen Unterlassungsanspruch. Die Rechtssache sei daher der ordentlichen Gerichtsbarkeit entzogen. Andernfalls könnten die ordentlichen Gerichte zur Überprüfung der Tätigkeit der Verwaltungsbehörden herangezogen werden; dies würde der verfassungsmäßigen Trennung von Rechtsprechung und Verwaltung zuwiderlaufen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Klägers aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Rechtssache zur Fortsetzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Der Rekurs ist gemäß § 517 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

1. Der Rekurswerber behauptet überschießende Feststellungen, da das Erstgericht bei seinen Ausführungen betreffend eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses dem Vorbringen der Beklagten widerspreche.

Dem ist zu erwidern, dass es sich bei der „Zulässigkeit des Rechtswegs“ um eine Prozessvoraussetzung handelt. Die Ermittlung der Prozessvoraussetzungen und der für ihre Feststellungen erforderlichen Tatsachen erfolgt von Amts wegen. Das Gericht ist bei der amtswegigen Ermittlung nicht an die Tatsachenbehauptungen oder Geständnisse der Parteien gebunden und nicht auf die Formen des Beweisverfahrens beschränkt (Fasching, Lb2 Rz 728).

Schon aus diesem Grund können keine „überschießenden Feststellungen“ vorliegen.

2. Zur Zulässigkeit des Rechtswegs

In seinem Erkenntnis vom 27.2.2013, 2010/17/0022, hat der VwGH ausgesprochen, dass die B* GmbH (im Folgenden: B*) für die Entscheidung über einen Rückzahlungsantrag, der auch die Rückzahlung des ORF-Programmentgelts umfasste, zuständig ist, weil die B* für die Einbringung bzw Einhebung der betroffenen Abgaben und Entgelte zuständig ist und dies auch allfällige Rückzahlungsanträge einschließt.

Auch das Handelsgericht Wien hatte sich bereits mehrfach mit der Zulässigkeit des Rechtswegs für die Rückforderung des Programmentgelts gegen die B* auseinanderzusetzen (1 R 284/04t, 1 R 264/09h, 65 Cg 71/18w).

In allen drei genannten Entscheidungen ist das Handelsgericht Wien zum Ergebnis gelangt, dass die Leistung des Programmentgelts im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses erbracht wird. In den zwei zitierten Rechtsmittelent-scheidungen wurde daher die Zulässigkeit des Rechtsweges für Bereicherungsansprüche für angeblich rechtsgrundlos geleistetes Programmentgelt verneint.

Diesen Entscheidungen folgte auch das HG Wien in seinem Beschluss vom 13.11.2018, 65 Cg 71/18b. Darin führte es aus, dass das Rechtsverhältnis der (dortigen) Kläger zur Beklagten (E*) dem öffentlichen Recht zuzuordnen sei und deren Anspruch aus diesem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis abgeleitet werde. Die durch den Gesetzgeber erfolgte „Zwischenschaltung“ der B* zur Einhebung des Programmentgelts führe nicht dazu, dass dadurch die Zuordnung des Anspruchs abweichend zu beurteilen wäre und die Durchsetzung statt auf dem Verwaltungsweg im Zivilrechtsweg zu erfolgen hätte.

Das Rekursgericht sieht keinen Grund, von dieser Judikatur abzugehen.

Der Rekurswerber bringt vor, ein Unterlassungsbegehren könne nicht im Verwaltungsverfahren durchgesetzt werden, weshalb der Rechtsweg zulässig sei. Allerdings übersieht der Rekurswerber, dass es nach der zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie (Rechberger/Klicka in Rechberger, ZPO4 Vor § 226 Rz 15) nicht nur auf das Klagebegehren, sondern auch auf den Klagegrund ankommt. Der Kläger konnte jedoch in keiner Weise darlegen, dass er die von ihm begehrte Unterlassung aus einem privatrechtlichen Anspruch ableiten kann.

Abschließend wird zur gesamten Thematik auf die zutreffende und detaillierte Beurteilung des Erstgerichtes verwiesen (§ 526 Abs 3 iVm § 500a ZPO).

3. Zur europarechtlichen Komponente betreffend die Grundsätze der Effektivität und Äquivalenz

In den verbundenen Rechtssachen C-295/04 bis C-298/04 (Manfredi ua) hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ausgesprochen, dass die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung von Rechtsbehelfsverfahren, die den Schutz der dem Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, in Ermangelung ihrer einschlägigen Gemeinschaftsregelung Aufgabe des innerstaatlichen Rechts des einzelnen Mitgliedsstaates ist. Nach dem EuGH dürfen diese Verfahren nicht weniger günstig ausgestaltet werden als bei entsprechenden Rechtsbehelfen, die nur innerstaatliches Recht betreffen (Äquivalenzgrundsatz). Die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte darf nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden (Effektivitätsgrundsatz).

In der Entscheidung C-35/05 (Reemtsma) sprach der EuGH aus, dass ein System, in dem ein Dienstleistungserbringer, der die Mehrwertsteuer irrtümlich an die Steuerbehörden entrichtet hat, deren Erstattung verlangen kann; könne der Dienstleistungsempfänger eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung einer nicht geschuldeten Leistung erheben, entspreche dies den Grundsätzen der Neutralität und der Effektivität.

Legt man diesen Beurteilungsgesichtspunkt auf den vorliegenden Fall um, muss dies zum Ergebnis führen, dass auch die dem Kläger zustehenden Möglichkeiten den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität entsprechen. Die vom Erstgericht näher dargelegte Möglichkeit der Rückforderung einer behaupteten unzulässigen Steuer kann im Verwaltungsrechtsweg erfolgen und bei einem unabhängigen Gericht (Bundesverwaltungsgericht) bekämpft werden.

Die Anregung auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens war daher nicht aufzugreifen (acte claire).

Der Vollständigkeit halber ist auf die Entscheidung 7 Ob 192/09z zu verweisen, in der der OGH aussprach, dass der Verstoß gegen öffentliches Recht nicht schon einen privatrechtlichen Unterlassungsanspruch begründet.

Dem insgesamt unberechtigten Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Der Bewertungsausspruch basiert auf § 526 Abs 3 iVm § 500 Abs 2 Z 1 ZPO unter Beachtung der vom Kläger vorgenommenen Bewertung seines Unterlassungsbegehrens.

Der Ausspruch über die Kostentragung beruht auf den §§ 50, 41 ZPO.

Die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses ergibt sich aus § 528 Abs 2 Z 1 ZPO.

Textnummer

EWH0000060

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LG00007:2019:06000R00055.19X.0621.000

Im RIS seit

05.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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