TE OGH 2020/12/18 2Ob122/20k

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Veröffentlicht am 18.12.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am 25. Juli 2012 verstorbenen F***** W*****, zuletzt *****, wegen Feststellung des Erbrechts zwischen den Antragstellern 1. mj L***** W*****, 2. mj A***** W*****, beide *****, beide gesetzlich vertreten durch Univ.-Prof. Dr. Michael Enzinger, Rechtsanwalt in Wien, sowie 3. A***** G*****, vertreten durch Gibel Zirm Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, über den Revisionsrekurs des Erstantragstellers und der Zweitantragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. April 2020, GZ 44 R 576/19k-563, mit welchem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 9. November 2019, GZ 9 A 203/12a-528, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin sind schuldig, der Drittantragstellerin binnen 14 Tagen die mit 551,86 EUR bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung (darin 91,98 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]       Der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin sind die Kinder des am 25. Juli 2012 verstorbenen Erblassers, die Drittantragstellerin ist seine Schwester. Der Erblasser hatte mehrfach letztwillig verfügt. Sein (letztes) Testament vom 20. Juli 2012 (in der Folge: „Testament 2012“) lautete wie folgt:

„Erstens: Ich widerrufe sämtliche letztwillige Verfügungen, die ich vor diesem Testament errichtet habe, insbesondere das von Rechtsanwalt […] verwahrte Testament vom 01. 02. 2011.

Zweitens: Meine beiden Kinder […] sowie meine Ehefrau […] berufe ich zu gleichen Teilen, mithin zu je einem Drittel, zu meinen Erben.

Drittens: [...]

Viertens: Die Zuwendung jener Vermögenswerte, die ich zu meinen Lebzeiten der […] Privatstiftung übertragen habe – es sind dies im Wesentlichen von mir geschaffene Kunstwerke, Werknutzungsrechte an meinen Kunstwerken und eine Sammlung von Werken anderer Künstler –, darf von meinen Erben weder angefochten, noch zum Gegenstand von Erbteilsergänzungsforderungen gemacht werden; dies bei sonstigem Verlust des ihnen in Punkt Erstens zugedachten Erbteiles.“

[2]            Im Testament vom 1. Februar 2011 (in der Folge: „Testament 2011“), das in Punkt 1 des Testaments 2012 widerrufen wurde, hatte der Erblasser die Witwe als Erbin und die Kinder als Ersatzerben eingesetzt.

[3]            Ebenfalls am 20. Juli 2012 widmete der Erblasser der in Punkt 4 des Testaments 2012 genannten Privatstiftung beträchtliche Vermögenswerte. Diese Widmung war, wie sich in einem später geführten Verfahren zwischen der Verlassenschaft und der Privatstiftung herausstellte, nicht formgültig (2 Ob 13/18b). Die Vermögenswerte befinden sich daher im Nachlass.

[4]            Die Klage war zunächst von der Witwe und den von einem Kollisionskurator vertretenen Kindern im Namen des Nachlasses (§ 810 ABGB) eingebracht worden, wobei strittig ist, ob die Kinder überhaupt zur Vertretung des Nachlasses befugt waren und ob sie wirksam vertreten wurden. Nach Bestellung eines Verlassenschaftskurators führte dieser das Verfahren namens des Nachlasses; die nun durch einen anderen Kurator vertretenen Kinder traten dem Verfahren im Revisionsstadium als Nebenintervenienten bei und erstatteten eine im Ergebnis erfolgreiche Rechtsmittelbeantwortung.

[5]            Am 30. September 2015 (ON 195) und am 27. Jänner 2016 (ON 217) gaben die Witwe und die durch einen Kollisionskurator vertretenen Kinder aufgrund des Testaments 2012 bedingte Erbantrittserklärungen zu je einem Drittel des Nachlasses ab. Die Schwester des Erblassers gab am 12. Oktober 2017 aufgrund des Gesetzes eine bedingte Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass ab (ON 322). Im darauf folgenden ersten Verfahren über das Erbrecht änderten die nunmehr durch einen Rechtsanwalt gesetzlich vertretenen Kinder mit Schriftsatz vom 13. September 2018 ihre Erbantrittserklärungen dahin ab, dass sie diese – jeweils hilfsweise – auch auf das Testament 2011, ein weiteres Testament vom 10. November 2010 (samt Ergänzungen) und auf das Gesetz stützten (ON 397). Bereits vor dieser Änderung war auch die Witwe gestorben. Ihr Nachlass wird seither nach § 810 ABGB durch die Kinder vertreten.

[6]            Im ersten Verfahren über das Erbrecht behaupteten die Kinder die Unwirksamkeit (!) des Testaments 2012 wegen Fehlens der Nuncupatio und eines Motivirrtums des Erblassers, wobei darüber aber erst „nach Durchführung des Erbrechtsstreits Gewissheit herrschen“ könne (ON 397). Die Schwester stützte sich demgegenüber auf die Gültigkeit des Testaments 2012 und leitete ihr Erbrecht daraus ab, dass die Erbeinsetzung der Kinder durch Verwirklichung der kassatorischen Klausel in Punkt 4 dieses Testaments weggefallen sei (ON 408).

[7]            Das Erstgericht wies die Erbantrittserklärungen der Witwe und der Kinder aufgrund des Testaments 2012 ab und stellte aufgrund des Gesetzes das Erbrecht der Schwester zum gesamten Nachlass fest, weil das Testament 2012 aufgrund eines wesentlichen Irrtums des Erblassers ungültig sei. Über das Erbrecht der Kinder aufgrund der hilfsweise geltend gemachten älteren Testamente und des Gesetzes entschied es nicht.

[8]            Dieser Beschluss wurde rechtskräftig (2 Ob 90/19b), wobei keine Seite die Nichterledigung der Erbantrittserklärungen der Kinder aufgrund der älteren Testamente und des Gesetzes rügte.

[9]            Mit Schriftsatz vom 10. Jänner 2019 (ON 429) gaben die Kinder neuerlich bedingte Erbantrittserklärungen aufgrund des Testaments 2011 je zur Hälfte des Nachlasses ab; hilfsweise stützten sie sich auf den Titel des Gesetzes. In Bezug auf das Testament 2011 wurden diese Erbantrittserklärungen pflegschaftsgerichtlich genehmigt. Zur Begründung führten die Kinder aus, das Erstgericht habe im ersten Verfahren über das Erbrecht bindend festgestellt, dass das Testament 2012 ungültig sei. Damit seien sowohl der Widerruf der früheren Verfügungen als auch die Bestreitungsklausel unwirksam. Im Übrigen sei diese Klausel ohnehin nicht anwendbar, weil die Kinder die Vermögensübertragung nicht angefochten hätten. Sollten Verfahrenshandlungen der Kinder als Anfechtung zu verstehen sein, wären sie nicht schädlich, da sie sich letztlich als erfolgreich erwiesen hätten. Ein Sachvorbringen zum Vorliegen eines (relevanten) Irrtums erstatteten die Kinder nicht.

[10]           Die Schwester stützte sich im nun folgenden zweiten Verfahren über das Erbrecht wieder auf das Gesetz. Verfahrensrechtlich vertrat sie die Auffassung, dass die Erbrechtsfrage durch den ersten Beschluss abschließend geklärt sei, weil Gegenstand des davor geführten Verfahrens auch die hilfsweise abgegebenen Erbantrittserklärungen aufgrund des Testaments 2011 und des Gesetzes gewesen seien. Zudem hätten die Kinder durch den ersten Beschluss die Parteistellung im Verlassenschaftsverfahren verloren; diese könnten sie durch eine neuerliche Erbantrittserklärung nicht wieder erlangen. Die Kinder könnten sich aber auch in der Sache nicht auf das Testament 2011 stützen. Das Testament 2012 sei gültig, weil kein relevanter Irrtum des Erblassers vorgelegen habe. Damit seien sowohl der Widerruf des Testaments 2011 als auch die kassatorische Klausel wirksam. Die Kinder hätten gegen diese Klausel verstoßen, weil sie – durch ihren jeweiligen gesetzlichen Vertreter – als Vertreter des Nachlasses eine Klage gegen die Privatstiftung auf Herausgabe der Vermögenswerte erhoben und – nach Bestellung eines Verlassenschaftskurators – das Begehren des Nachlasses als Nebenintervenienten unterstützt hätten.

[11]           Das Erstgericht stellte das Erbrecht der Kinder aufgrund des Testaments 2011 fest und wies die Erbantrittserklärung der Schwester ab.

[12]           Es nahm als erwiesen an, dass Wunsch des Erblassers bei Verfassen des Testaments 2012 „die vollständige Absicherung seiner Stiftung“ vor Ansprüchen der Witwe und der Kinder gewesen sei. Dabei habe er angenommen, dass dies durch Punkt 4 des Testaments erreicht werde. Allfällige Pflichtteilansprüche seien ihm bewusst gewesen, er habe sich jedoch keine Gedanken gemacht, wie sich das Einbringen der Vermögenswerte in die Stiftung auf diese Ansprüche auswirken würde. Weiters traf das Erstgericht Feststellungen zum Wert des Nachlasses und der in die Stiftung eingebrachten Vermögenswerte, aus denen sich ergibt, dass der Nachlass zur Deckung des Schenkungspflichtteils (§ 785 ABGB aF) nicht ausreichte. Rechtlich leitete das Erstgericht aus diesen Feststellungen (neuerlich) die Unwirksamkeit des Testaments 2012 wegen eines Irrtums des Erblassers ab. Da die Pflichtteile der Kinder im Zeitpunkt des Todes im Nachlass nicht gedeckt gewesen seien, sei Punkt 4 des Testaments ihnen gegenüber „ungültig“ gewesen. Es sei davon auszugehen, dass der Erblasser das Testament nicht errichtet hätte, wenn ihm das bewusst gewesen wäre. Damit sei auch der Widerruf des Testaments 2011 unwirksam, weswegen die Kinder aufgrund dieses Testaments erbten.

[13]           Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss dahin ab, dass es das Erbrecht der Schwester feststellte und die aufgrund des Testaments 2011 abgegebenen Erbantrittserklärungen der Kinder abwies. Es bewertete seinen Entscheidungsgegenstand mit über 30.000 EUR und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu.

[14]           Die auf einen anderen Erbrechtstitel gestützte Erbantrittserklärung der Kinder sei zulässig gewesen und habe nach § 164 AußStrG zu einem weiteren Verfahren über das Erbrecht geführt. Eine Bindung bestehe nur an den Spruch, nicht aber an die Begründung der Entscheidung im ersten Verfahren. Daher stehe nur fest, dass die Kinder aufgrund des Testaments 2012 nicht erbten, hingegen sei die Frage, ob dieses Testament wegen Irrtums ungültig gewesen sei, inhaltlich zu prüfen. Ein solcher Irrtum liege nicht vor: Der Erblasser habe zwar darüber geirrt, dass Klausel 4 zu einer vollständigen Absicherung der Stiftung führe. Das sei jedoch ein irrelevanter Rechtsfolgenirrtum. Zudem müsse ein Irrtum folgenlos bleiben, wenn das Aufrechterhalten der letztwilligen Verfügung eher dem Willen des Erblassers entspreche als deren Wegfall. Dieser Wille sei hier auf die möglichst weitgehende Absicherung der Stiftung gerichtet gewesen, die bei Unwirksamkeit des Testaments 2012 völlig wegfiele. Das Testament könne ohne weiteres aufrecht bleiben, wenn man die kassatorische Klausel dahin auslege, dass das Geltendmachen von Pflichtteilsergänzungsansprüchen davon nicht erfasst sei. Zufolge Wirksamkeit des Testaments 2012 bleibe der Widerruf des Testaments 2011 aufrecht, sodass sich die Kinder nicht darauf stützen könnten. Zudem hätten die Kinder der kassatorischen Klausel zuwider gehandelt, weil sie namens des Nachlasses die Klage gegen die Privatstiftung erhoben hätten. Dieser Verstoß könne weder durch die Berufung auf ein älteres Testament noch auf das gesetzliche Erbrecht „saniert“ werden.

[15]           Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, welche Wirkung eine wegen Formmangels erfolgreiche Anfechtung einer Schenkung auf das Erbrecht jener Erben entfalte, die mit einer nicht auf die Frage des Formmangels beschränkten Anfechtung gegen ein Bestreitungsverbot verstoßen hätten.

[16]           Der gegen diese Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs der Kinder ist zwar nicht aus dem vom Rekursgericht genannten Grund, wohl aber deswegen zulässig, weil formelle Fragen des Verfahrens über das Erbrecht einer Klarstellung bedürfen. Er ist aber nicht berechtigt.

[17]           

Rechtliche Beurteilung

1. Die Schwester vertritt die Auffassung, dass die Einmaligkeitswirkung der Entscheidung im ersten Erbrechtsverfahren einem weiteren Verfahren entgegensteht. Das wäre zwar von Amts wegen wahrzunehmen (§§ 71 Abs 4 iVm 56 AußStrG) und ist daher vorweg zu prüfen, trifft aber nicht zu:

[18]           1.1. Richtig ist, dass sich die Kinder im ersten Verfahren hilfsweise auch auf das Testament 2011 und den Titel des Gesetzes gestützt hatten. Hätte das Erstgericht darüber entschieden, könnte die Rechtskraft (Einmaligkeitswirkung) seiner Entscheidung (RS0007171) dem vorliegenden Verfahren entgegenstehen. Tatsächlich entschied das Erstgericht aber ausdrücklich nur über die Erbantrittserklärung aufgrund des Testaments 2012 und stellte nur insofern das (bessere) Erbrecht der Witwe fest. Ein Entscheidungswille in Bezug auf die weiteren Erbrechtstitel ist auch den Gründen des Beschlusses nicht zu entnehmen. Das Erstgericht hat daher den hilfsweise gestellten Antrag auf Feststellung des Erbrechts aufgrund der älteren Testamente und des Gesetzes nicht erledigt.

[19]           1.2. Die Nichterledigung eines Antrags kann von den Parteien auch im Außerstreitverfahren mit Beschlussergänzungsantrag (§ 41 AußStrG iVm § 423 ZPO) oder mit Rekurs (§ 57 Z 3 AußStrG) geltend gemacht werden (6 Ob 191/98a; 6 Ob 141/04k). Unterbleibt das, scheidet der Antrag aus dem Verfahren aus (1 Ob 181/16y; Thunhart in Schneider/Verweijen, AußStrG § 41 Rz 15; vgl zum Zivilprozess RS0041490).

[20]           1.3. Im vorliegenden Verfahren hat keine der Parteien die Nichterledigung der hilfsweise gestellten Anträge bekämpft. Damit schieden diese aus dem Verfahren aus; insbesondere waren sie nicht von der Entscheidung über das Erbrecht erfasst. Die Einmaligkeitswirkung dieser Entscheidung steht daher dem neuerlichen Geltendmachen des Erbrechts aufgrund eines anderen Erbrechtstitels, also insbesondere aufgrund des Testaments 2011, nicht entgegen. Damit kann offen bleiben, ob die Ergänzung der Erbantrittserklärungen um weitere Berufungsgründe einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurft hätte.

[21]           2. Aufgrund der mit Schriftsatz vom 10. Jänner 2019 aufgrund des Testaments 2011, hilfsweise aufgrund des Gesetzes abgegebenen Erbantrittserklärung der Kinder war ein weiteres Verfahren über das Erbrecht zu führen.

[22]           2.1. Der im Verfahren über das Erbrecht unterlegene Erbansprecher verliert die Parteistellung im Verlassenschaftsverfahren. Er kann sein Erbrecht auf der Grundlage des in seiner Erbantrittserklärung geltend gemachten Berufungsgrundes auch nicht mehr erfolgreich mit Erbschaftsklage geltend machen. Gestützt auf einen anderen Berufungsgrund steht ihm aber jedenfalls die Erbschaftsklage offen (Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 161 Rz 33; Verweijen in Schneider/Verweijen, AußStrG § 161 Rz 9; Spruzina in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 799 Rz 29; 3 Ob 272/07g; zum alten Recht wohl auch Ferrari-Hofmann-Wellenhof, Die Erbschaftsklage [1991] 166 f).

[23]           2.2. Bisher nicht geklärt ist hingegen die Frage, ob der andere Berufungsgrund auch noch im Verlassenschaftsverfahren selbst geltend gemacht werden kann, solange das Gericht noch nicht an die Einantwortung gebunden ist, und ob daher auf Grundlage einer neuen Erbantrittserklärung des im ersten Verfahren unterlegenen Erbansprechers ein weiteres Verfahren über das Erbrecht zu führen ist (§ 164 AußStrG). Die Entscheidung 3 Ob 272/07g bezeichnete die Verneinung dieser Frage in einem nicht weiter begründeten obiter dictum als „zumindest gut vertretbar“, dem folgt ohne weitere Begründung Spruzina (in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 799 Rz 29). Sonst wird die Frage im Schrifttum nicht erörtert (vgl etwa Verweijen in Schneider/Verweijen, AußStrG § 161 Rz 9; Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 161 Rz 33; Welser, Erbrechts-Kommentar §§ 799, 800 Rz 21; Sailer in KBB6 § 800 Rz 8).

[24]           2.3. Nach § 164 AußStrG ist ein weiteres Verfahren über das Erbrecht zu führen, wenn eine Partei nach Feststellung des Erbrechts, aber vor Bindung des Gerichts an die Einantwortung eine Erbantrittserklärung abgibt. Ein Erbansprecher kann daher eine schon früher mögliche Erbantrittserklärung „nachschieben“ (Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 164 Rz 5 ff; Verweijen in Schneider/Verweijen, AußStrG § 164 Rz 4). Zweck dieser Bestimmung ist (auch) das Ermöglichen einer (möglichst) abschließenden Klärung der Erbrechtsfrage schon im Verlassenschaftsverfahren.

[25]           2.4. Wortlaut und Zweck von § 164 AußStrG erfassen auch eine auf einen anderen Berufungsgrund gestützte Erbantrittserklärung durch eine im ersten Verfahren über das Erbrecht unterlegene Partei. Ein Grund, gerade sie auf die Erbschaftsklage zu verweisen, ist nicht erkennbar. Zwar ist richtig, dass das Zulassen einer solchen Erklärung zu einer Verzögerung des Verfahrens führt. Das gilt aber in gleicher Weise für neue Erbantrittserklärungen Dritter, die jedenfalls von § 164 AußStrG erfasst sind. Die damit verbundene Verzögerung kann das Gericht durch die Verbindung der Entscheidung über das Erbrecht mit der Einantwortung hintanhalten. Unterbleibt eine solche Verbindung, so besteht kein Anlass, einen bereits unterlegenen, aber nun einen weiteren Berufungsgrund nennenden Erbansprecher anders zu behandeln als eine neu auftretende Partei. Im Übrigen liegt es auch im Interesse des Gegners, dass die Erbrechtsfrage möglichst schon im Verlassenschaftsverfahren geklärt und so die Unsicherheit einer drohenden Erbschaftsklage vermieden wird.

[26]           2.5. Die Kinder wurden daher durch ihre auf das Testament 2011 gestützte Erbantrittserklärung wieder Partei. An der Zulässigkeit des zweiten Verfahrens über das Erbrecht besteht kein Zweifel.

[27]           3. Das Erstgericht hatte in der Entscheidung im ersten Verfahren über das Erbrecht angenommen, dass das Testament 2012 wegen eines relevanten Irrtums ungültig gewesen sei. Daran sind die Gerichte im zweiten Verfahren nicht gebunden.

[28]           3.1. Die Bindungswirkung der Rechtskraft besteht nur in Bezug auf die im Vorverfahren entschiedene Hauptfrage, nicht aber an eine dort beurteilte Vorfrage (RS0042554; RS0041180; RS0041342). Dabei ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, worüber im Vorverfahren als Hauptfrage entschieden wurde. Maßgebend dafür ist grundsätzlich der Spruch der Entscheidung; die Gründe sind nur zu dessen Auslegung und Individualisierung heranzuziehen (RS0043259; RS0041357).

[29]           3.2. Im vorliegenden Fall bezieht sich der Spruch der Entscheidung im ersten Verfahren ausschließlich auf das (verneinte) Erbrecht aufgrund des Testaments 2012. Daher könnte bei strenger Sicht die Auffassung vertreten werden, dass die Gültigkeit dieses Testaments dort nur eine Vorfrage bildete. In diesem Fall wäre die Bindung von vornherein darauf beschränkt, dass sich die Kinder nicht mehr auf ihr Erbrecht aufgrund des Testaments 2012 berufen könnten.

[30]           3.3. Es kann dahin stehen, ob diese Begründung in ihrer Allgemeinheit zutrifft. Denn im konkreten Fall ist die Bindungswirkung schon aus anderen Gründen zu verneinen:

[31]           (a) Die Entscheidung im ersten Verfahren beruhte in Wahrheit auf der Unschlüssigkeit des Standpunkts der Kinder: Diese hatten ausdrücklich – wohl aus verfahrenstaktischen Gründen – die Ungültigkeit des Testaments 2012 (auch) aufgrund eines relevanten Irrtums behauptet. Damit konnten sie ihr Erbrecht aber von vornherein nicht auf dieses Testament stützen. Hingegen hatte die Schwester die Gültigkeit des Testaments behauptet und ihre eigene Erbantrittserklärung (nur) auf das Zuwiderhandeln der Kinder gegen das Bestreitungsverbot in dessen Punkt 4 gestützt. Mangels Einwands hatte das Gericht daher nicht inhaltlich zu entscheiden, ob tatsächlich ein relevanter Irrtum des Erblassers vorlag. Vielmehr hatte es die Erbantrittserklärung der Kinder schon aufgrund ihres – nach § 161 Abs 1 AußStrG maßgebenden – Vorbringens abzuweisen.

[32]           (b) Unter diesen besonderen Umständen kann aber von vornherein keine Bindung der Schwester an die Annahme eines tatsächlich vorliegenden und relevanten Irrtums des Erblassers bestehen. Denn diese Annahme war für die Entscheidung im ersten Verfahren irrelevant; es genügte die ausdrückliche Behauptung der Kinder, dass das Testament, auf das sie sich stützten, ungültig sei. Damit kann die Bindungswirkung des Beschlusses im ersten Verfahren aber jedenfalls nur das im Spruch festgestellte Nichtbestehen des Erbrechts der Kinder aufgrund des dort geprüften Testaments und das insofern bessere Erbrecht der Schwester erfassen. Denn nicht notwendige Entscheidungselemente (hier also die Annahme, dass tatsächlich ein relevanter Irrtum vorlag) können keinesfalls zur Auslegung oder Individualisierung des Spruchs herangezogen werden (RS0041357 [T10]).

[33]           (c) Zweck der Bindungswirkung ist es im Übrigen, Vorbringen der Parteien abzuschneiden, das bereits im Vorverfahren als Hauptfrage geprüft und erledigt wurde. Die Schwester könnte daher auch bei weitester Auslegung der Bindungswirkung nur dann an die Annahme eines Irrtums gebunden sein, wenn sie im Vorverfahren einen solchen Einwand erhoben und damit obsiegt hätte. Tatsächlich hat sie aber den gegenteiligen Standpunkt vertreten. Dass die Kinder ein solches – zur Unschlüssigkeit ihres Rechtsschutzantrags führendes – Vorbringen erstattet haben, kann nicht dazu führen, dass die Schwester im zweiten Verfahren mit der in diesem Verfahren relevanten Behauptung der Gültigkeit des Testaments 2012 präkludiert wäre.

[34]           3.5. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass die im ersten Verfahren obsiegende Schwester die Annahme der Ungültigkeit des Testaments 2012 mangels Beschwer nicht bekämpfen konnte. Zwar ist richtig, dass § 161 Abs 1 AußStrG die gesonderte Entscheidung über das Erbrecht durch Verweis auf § 36 Abs 2 AußStrG als Zwischenbeschluss im Sinn dieser Bestimmung qualifiziert. Eine Beschwer der Schwester durch die Begründung dieses Beschlusses, die sie allenfalls zu dessen Bekämpfung berechtigt hätte (RS0040958), lag aber nicht vor. Denn dies hätte vorausgesetzt, dass die Endentscheidung (hier also die Einantwortung) durch die Begründung des Beschlusses berührt werden konnte. Das war aber nicht der Fall, da durch den Beschluss das bessere Recht der Schwester gegenüber jenem der Kinder aus dem Testament 2012 feststand, sodass an der Einantwortung nach dem Stand des konkreten Verfahrens kein Zweifel bestand. Hypothetische Weiterungen dieses Verfahrens durch neuerliche Erbantrittserklärungen konnten die Beschwer nicht begründen.

[35]           4. Damit hatten die Vorinstanzen inhaltlich über das Vorliegen eines zur Ungültigkeit des Testaments 2012 führenden Irrtums zu entscheiden. Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass kein solcher Irrtum vorlag, trifft uneingeschränkt zu (§ 70 Abs 3 Satz 2 AußStrG). Den diesbezüglichen Ausführungen des Revisionsrekurses ist Folgendes entgegenzuhalten:

[36]           4.1. Nach dem im konkreten Fall noch anwendbaren § 572 ABGB idF vor dem ErbRÄG 2015 blieb die Verfügung auch dann gültig, wenn der vom Erblasser angegebene Beweggrund „falsch befunden“ wurde, es wäre denn erweislich, dass der Wille des Erblassers „einzig und allein auf diesem irrigen Beweggrund beruht hätte“. Damit war (und ist auch nach geltendem Recht) jedenfalls die Kausalität des Irrtums erforderlich (Welser in Rummel/Lukas, ABGB4 §§ 570–572 Rz 3 f; derselbe, Erbrechts-Kommentar § 572 Rz 1 f, Fischer-Czermak/Pierer in Klang3 §§ 570–572 Rz 21, alle mwN). Nach der – in der Lehre teilweise bestrittenen (Nachweise bei Welser und Fischer-Czermak/Pierer aaO) – Rechtsprechung musste darüber hinaus auch die Ausschließlichkeit des irrigen Motivs nachgewiesen werden (RS0012420; RS0012445 [T3]); zumindest durfte kein anderes wesentliches Motiv – als nicht ausschließbar – übrig bleiben (RS0012420 [T3]; vgl auch RS0012439). Zudem konnte der Irrtum nicht wahrgenommen werden, wenn das Aufrechterhalten der Verfügung eher dem Willen des Erblassers entsprach als deren Wegfall (RS0012890; Fischer-Czermak/Pierer in Klang3 §§ 570–572 Rz 29; Welser in Rummel/Lukas, ABGB4 §§ 570–572 Rz 7; derselbe, Erbrechts-Kommentar § 570 Rz 5, alle mwN).

[37]           4.2. Im vorliegenden Fall wollte der Erblasser mit dem Testament 2012 die Stiftung gegen Ansprüche der Witwe und der Kinder absichern. Aus den Feststellungen des Erstgerichts lässt sich nur ein Irrtum des Erblassers darüber ableiten, dass das Testament diesen Zweck voll erfüllen konnte. Das traf tatsächlich nicht zu, weil jedenfalls Ansprüche nach § 951 ABGB aF drohten. Ein Anhaltspunkt dafür, dass der Erblasser das Testament in Kenntnis dieses Umstands nicht verfasst und so die Stiftung gänzlich schutzlos gelassen hätte, ist den Feststellungen aber nicht einmal ansatzweise zu entnehmen. Damit fehlt es jedenfalls an der Kausalität des Irrtums für die Errichtung des Testaments. Zudem besteht kein Zweifel, dass das Aufrechterhalten des Testaments mit dem Bestreitungsverbot eher dem Willen des Erblassers entspricht als die unbeschränkte Erbfolge der Kinder (als Ersatzerben) aufgrund des Testaments 2011. Denn sonst folgte aus der Unmöglichkeit, die Stiftung durch das Bestreitungsverbot vollständig zu schützen, der vollständige Wegfall dieses Schutzes. Dieses Ergebnis kann dem Erblasser keinesfalls unterstellt werden.

[38]           5. Im Ergebnis ist daher von der Wirksamkeit des Testaments 2012 auszugehen. Mit diesem Testament wurde (insbesondere) das Testament 2011 widerrufen, sodass die Kinder ihr Erbrecht nicht darauf stützen können. Ihr Revisionsrekurs muss daher scheitern, ohne dass es darauf ankäme, ob auch die Bestreitungsklausel ihrem Erbrecht entgegenstünde.

[39]     6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 78 Abs 2 iVm 185 AußStrG.

Textnummer

E130815

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00122.20K.1218.000

Im RIS seit

05.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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