TE OGH 2021/2/24 7Ob4/21w

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Veröffentlicht am 24.02.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der betroffenen Person H***** K*****, geboren am *****1964, *****, vertreten durch Dr. Christopher Kempf, Rechtsanwalt in Spittal an der Drau; Erwachsenenvertreter Mag. R***** O*****, Rechtsanwalt, *****, über den Revisionsrekurs der betroffenen Person gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 18. November 2020, GZ 3 R 153/20i-238, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Spittal an der Drau vom 28. August 2020, GZ 2 P 155/02g-232, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

[1]       Für den Betroffenen ist seit 1998 ein Erwachsenenvertreter bestellt. Mit Eingabe vom 8. und 9. 1. 2020 beantragte er zum wiederholten Mal, die (gerichtliche) Erwachsenenvertretung zu beenden, mit jener vom 6. 5. 2020, den Erwachsenenvertreter zu entheben.

[2]       Nach Vorliegen des vom Erstgericht eingeholten Clearingberichts des Erwachsenenschutzvereins lud das Erstgericht den Betroffenen zu der für den 19. 5. 2020 anberaumten Tagsatzung. Da der Betroffene nicht erschienen war, beschränkte sich der Kontakt auf ein Telefongespräch. Nach Einlangen des danach vom Erstgericht beauftragten Gutachtens aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und Neurologie lud das Erstgericht den Betroffenen zu der für den 1. 8. 2020 anberaumten Tagsatzung, zu der er wiederum nicht erschien. Auch der für den 26. 8. 2020 anberaumten Tagsatzung blieb er trotz Ladung fern.

[3]            Mit seinem Beschluss wies das Erstgericht in Punkt 1. den Antrag des Betroffenen auf Beendigung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung ab. In Punkt 2. erneuerte es die gerichtliche Erwachsenenvertretung, wobei es aussprach, dass Mag. R***** O***** als gerichtlicher Erwachsenenvertreter mit den Wirkungsbereichen Vertretung vor Ämtern, Behörden, Gerichten und Sozialversicherungsträgern sowie Verwaltung von Einkommen, Vermögen und Verbindlichkeiten bestellt bleibt. Weiters ordnete es für den Abschluss von Kredit- und Finanzierungsverträgen einen Genehmigungsvorbehalt an.

[4]            Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss.

[5]       Dagegen wendet sich der Revisionsrekurs des Betroffenen mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[6]       Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[7]       1.1 Der Betroffene macht mit seinen Ausführungen, sein rechtliches Gehör sei verletzt worden, weil das Erstgericht sich keinen persönlichen Eindruck von ihm durch eine persönliche Anhörung bzw in einer mündlichen Verhandlung verschafft habe, einen schwerwiegenden Verfahrensverstoß nach § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG geltend. Die in § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG genannten Verfahrensverstöße nach §§ 56, 57 Z 1 und 58 AußStrG können auch dann in einem Revisionsrekurs geltend gemacht werden, wenn sie vom Rekursgericht verneint oder im Rekurs nicht geltend gemacht wurden (vgl RS0121265). Dabei hat der Rekurswerber aber selbst bei Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels aufzuzeigen (RS0120213 [T14]).

[8]            1.2 Das Erneuerungsverfahren ist dem Bestellungsverfahren nachgebildet, die Voraussetzungen dort sind auch Maßstab für die Erneuerung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung. Daher ist in diesem Verfahren vom Erstgericht jedenfalls der Erwachsenenschutzverein zu befassen und eine Erstanhörung durchzuführen, während im Verfahren über die Beendigung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung das Erstgericht nur jene Erhebungsmaßnahmen zu setzen hat, die es für erforderlich hält (vgl 3 Ob 2/18z mwN).

[9]            1.3 Nach dem insoweit einschlägigen § 118 AußStrG (Schauer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 128 Rz 29 mwN) hat sich der Richter einen persönlichen Eindruck zu verschaffen (Abs 1). § 118 Abs 2 AußStrG ordnet an, dass das Gericht den Betroffenen aufzusuchen hat, wenn diesem das Erscheinen vor Gericht unmöglich, untunlich oder seinem Wohl abträglich ist. Eine Vorführung ist nicht (mehr) zulässig.

[10]           1.4 Im vorliegenden Fall war der Betroffene im erstgerichtlichen Verfahren durch den Erwachsenenvertreter vertreten, er wurde zu sämtlichen Tagsatzungen auch persönlich geladen, die von ihm schriftlich beantragte Erörterung des ihm übermittelten Gutachtens wurde durchgeführt und vom Erstgericht ein telefonischer Kontakt hergestellt. Letztlich verschaffte sich das Erstgericht nur deshalb keinen persönlichen Eindruck vom Betroffenen, weil dieser trotz mehrerer Ladungsversuche zu den anberaumten Tagsatzungen nicht erschien, obwohl ihm – nach den Ergebnissen des eingeholten Gutachtens die Teilnahme ohne Gefährdung seines Wohls möglich gewesen wäre. Damit liegen keine Anhaltspunkte vor, aufgrund derer das persönliche Erscheinen des Betroffenen vor Gericht unmöglich, untunlich oder seinem Wohl abträglich gewesen wäre und ihn daher das Erstgericht aufzusuchen gehabt hätte. Der geltend gemachte Verfahrensmangel hat nicht das Gewicht einer Gehörverletzung. Eine Relevanz ist im Übrigen auch nicht zu erkennen, ergibt sich doch weder aus dem Akt noch aus den Rechtsmittelausführungen, welcher inhaltliche Beitrag hätte gewonnen werden können.

[11]     2.1 § 128 AußStrG regelt das Verfahren zur Änderung (Erweiterung oder Einschränkung), Übertragung, Erneuerung und Beendigung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung. Nach dessen Abs 1 sind – soweit nichts anderes bestimmt ist – die Vorschriften über die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters anzuwenden.

[12]     Nach § 271 ABGB setzt die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters – soweit hier interessierend nach Z 1 – voraus, dass eine volljährige Person bestimmte Angelegenheiten aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfähigkeit nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen kann.

[13]           2.2 Im Verfahren zur Erneuerung ist zu überprüfen, ob die Voraussetzungen, die zur Bestellung des gerichtlichen Erwachsenenvertreters geführt haben, weiterhin vorliegen und ob die bisherige Vertretung (im bestehenden oder einem anderen Umfang) aufrecht bleibt (Schauer aaO Rz 14).

[14]           2.3 Die Beendigung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung kommt vor allem in Betracht bei Besserung des Zustands des Betroffenen, der nicht mehr an einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung leidet, der Wegfall von Angelegenheiten, die zu besorgen sind, die Bereitschaft von nächsten Angehörigen die gesetzliche Erwachsenenvertretung zu übernehmen oder der Wegfall der Notwendigkeit der gerichtlichen Erwachsenenvertretung, weil der Betroffene mit Unterstützung selbst seine Angelegenheiten im erforderlichen Ausmaß besorgen kann (Schauer aaO Rz 15).

[15]           2.4 Für die Beurteilung der Notwendigkeit der Erneuerung aber auch des Nichtvorliegens der Voraussetzungen für eine beantragte Beendigung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung sind entsprechende Feststellungen erforderlich, die sich sowohl auf die psychische Krankheit oder eine vergleichbare Beeinträchtigung als auch auf das Erfordernis der Aufrechterhaltung bzw Erneuerung beziehen.

[16]           2.5 An einem dementsprechenden Tatsachensubstrat fehlt es: Das Erstgericht stellte die Erkrankungen des Betroffenen fest. Es fehlen aber jegliche Feststellungen, ob und in welchem Umfang aus diesen Erkrankungen eine Beeinträchtigung der Fähigkeit zur selbstbestimmten Verhaltenssteuerung (weiterhin) resultiert. Damit ist aber die Beurteilung, ob die gerichtliche Erwachsenenvertretung aufrecht zu erhalten und zu erneuern ist, zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht möglich.

[17]           2.6 Dem Revisionsrekurs war daher mangels ausreichenden Tatsachensubstrats Folge zu geben, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Textnummer

E130817

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00004.21W.0224.000

Im RIS seit

05.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.07.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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