Entscheidungsdatum
23.02.2021Norm
AVG §68 Abs1Text
Im Namen der Republik!
Erkenntnis
Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hat durch sein Mitglied Mag. Nikolaus Brandtner über die Beschwerde der N T GmbH, G, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 17.11.2020 betreffend die Feststellung der nicht mehr gegebenen Verlässlichkeit der namhaft gemachten Person gemäß § 26 Abs 6 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG) und dem Auftrag zur Namhaftmachung einer neuen verantwortlichen Person, zu Recht erkannt:
Gemäß § 28 Abs 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wird der Beschwerde insoweit Folge gegeben als der angefochtene Bescheid wegen entschiedener Sache ersatzlos behoben wird.
Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.
Begründung
1. Mit angefochtenem Bescheid wurde festgestellt, dass die Verlässlichkeit der von der N T GmbH, Lstraße, G, namhaft gemachten verantwortlichen Person (P N) gemäß § 26 Abs 6 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 nicht mehr gegeben sei. Es sei binnen drei Monaten eine neue verantwortliche Person namhaft zu machen.
2. Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin rechtzeitig Beschwerde erhoben. In dieser bringt sie im Wesentlichen vor, sie habe die Straferkenntnisse Zl XXX und YYY nicht erhalten, weshalb davon auszugehen sei, dass die Grundlage für den angefochtenen Bescheid nicht gegeben sei. Ferner werde ersucht, das Nachsichtsverfahren zu eröffnen. Leider sei aufgrund der Situation rund um das Corona-Virus eine entsprechende Rückmeldung nicht möglich gewesen. Es seien zwischenzeitlich sämtliche Auflagen der BH F erfüllt worden und der Umstand, welcher zu einer Verurteilung geführt habe, behoben worden. Ebenso seien Maßnahmen gesetzt worden um die zukünftige Harmonisierung von unterschiedlichen Bescheiden an einem Standort herbeizuführen. In Anbetracht des Schreibens vom Februar und des Bescheides nun vom November könne sehr wohl davon ausgegangen werden, dass eine Verbesserung zu erwarten sei, da die wesentlichen Umstände durch entsprechende Maßnahmen behoben worden und die Bescheidauflagen erfüllt worden seien.
Es werde daher die Aufhebung des Bescheides mangels Grundlage und mangels Schwere der zu bemessenden Verwaltungsübertretungen beantragt sowie die gleichzeitige Eröffnung des Nachsichtsverfahrens.
3. Folgender Sachverhalt steht fest:
Im gegenständlichen Verwaltungsverfahren wurden drei Bescheide verfasst. Ein Bescheid mit der Zl XX, datiert mit 11.05.2020, ein Bescheid mit der Zl YY, datiert mit 29.09.2020 und ein Bescheid mit der Zl ZZ, datiert mit 17.11.2020. Den Bescheiden liegt ein identer Sachverhalt zugrunde. Sie sind an dieselbe Adressatin gerichtet. Der Spruch der Bescheide ist wortgleich. Eine wesentliche Änderung der relevanten Rechtsvorschriften ist nicht erfolgt.
Der Bescheid vom 11.05.2020 wurde der N T GmbH laut im Akt erliegenden Rückscheinen zwei Mal zugestellt. Erstmals erfolgte eine (nachweisliche) Zustellung am 14.05.2020. Nachdem die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 31.08.2020 mitgeteilt hat, der Bescheid vom 11.05.2020 sei ihr nicht zugestellt worden, wurde ihr der Bescheid vom 11.05.2020 abermals mit Schreiben vom 01.09.2020 nachweislich zugestellt. Eine Überprüfung, ob die erste Zustellung aufgrund des § 26a Zustellgesetz (zustellrechtliche Begleitmaßnahmen zu COVID-19, BGBl Nr 200/1982, idF BGBl I Nr 16/2020) bereits rechtmäßig erfolgt war, wurde nicht durchgeführt. Wie sich aus dem Schreiben des Beschwerdeführers vom 21.09.2020 ergibt, war jedenfalls die Zustellung mit Schreiben vom 01.09.2020 erfolgreich (diese ergibt sich auch aus den im Akten erliegenden Rückscheinen).
In der Folge wurde ein inhaltsgleicher Bescheid mit Datum 29.09.2020 erstellt und der Beschwerdeführerin am 01.10.2020 zugestellt. Dieser Bescheid enthielt keine Rechtsmittelbelehrung.
Mit Schreiben vom 05.11.2020 wurde der Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass der Bescheid vom 29.09.2020 keine Rechtsmittelbelehrung enthalten habe. Aus diesem Grund werde der Bescheid neuerlich zugestellt. Inhaltlich und in der Sache würden sich dadurch keine Veränderungen ergeben. Es stehe der Beschwerdeführerin zu, binnen offener Frist eine Beschwerde gegen den Bescheid zu erheben.
In der Folge wurde am 17.11.2020 der angefochtene Bescheid ausgestellt und am 19.11.2020 der Beschwerdeführerin erneut zugestellt.
Gegen die Bescheide vom 11.05.2020 und vom 29.09.2020 wurde keine Beschwerde erhoben. Sie sind somit in Rechtskraft erwachsen.
4. Dieser Sachverhalt wird auf Grund der Aktenlage als erwiesen angenommen. Dieser Sachverhalt ist unstrittig.
5. § 68 Abs 1 bis 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl Nr 51/1991, idF BGBl I Nr 33/2013, lautet:
„§ 68.
(1) Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, sind, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
(2) Von Amts wegen können Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, sowohl von der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden.
(3) Andere Bescheide kann die Behörde, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat
oder die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde im öffentlichen Interesse insoweit abändern, als dies zur Beseitigung von das Leben oder die Gesundheit von Menschen gefährdenden Missständen oder zur Abwehr schwerer volkswirtschaftlicher Schädigungen notwendig und unvermeidlich ist. In allen Fällen hat die Behörde mit möglichster Schonung erworbener Rechte vorzugehen.
(4) Außerdem können Bescheide von Amts wegen in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde als nichtig erklärt werden, wenn der Bescheid
1.
von einer unzuständigen Behörde oder von einer nicht richtig zusammengesetzten Kollegialbehörde erlassen wurde,
2.
einen strafgesetzwidrigen Erfolg herbeiführen würde,
3.
tatsächlich undurchführbar ist oder
4.
an einem durch gesetzliche Vorschrift ausdrücklich mit Nichtigkeit bedrohten Fehler leidet.“
Die Anordnung des § 68 Abs 1 AVG zielt in erster Linie darauf ab, die wiederholte Aufrollung einer bereits „entschiedenen Sache“ ohne nachträgliche Änderung (dh bei Identität) der Sach- und Rechtslage auf Antrag der Partei oder durch die Behörde selbst (von Amts wegen) zu verhindern (vgl dazu Hengstschläger/Leeb, AVG, § 68, Rz 12 und die dort zitierte Judikatur).
Unter „Unwiederholbarkeit“ des Bescheides ist das Verbot zu verstehen, in der durch den Bescheid erledigten Sache, solange der Bescheid aufrecht ist, noch einmal ein Verfahren durchzuführen und neuerlich eine (weitere) Entscheidung zu fällen, gleichgültig ob mit dieser der Vorbescheid bestätigt, abgeändert oder aufgehoben wird. Wurde über einen bestimmten Sachverhalt bescheidmäßig abgesprochen, kann bei gleichbleiben der tatsächlichen Verhältnisse und rechtlichen Grundlagen keine weitere Entscheidung in dieser Sache (wie gesagt nicht einmal eine gleichlautende, „bestätigende“) ergehen. Eine solche ist inhaltlich rechtswidrig und verletzt das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf eine Verfahren vor dem gesetzlichen Richter. Sie derogiert dem abgeänderten (aufgehobenen, bestätigten) Bescheid und ist gemäß § 69 Abs 1 Z 4 AVG ein Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG, § 68 Rz 20 und die dort zitierte Judikatur).
Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Partei in keinem Recht verletzt ist, wenn die Behörde unter Missachtung der materiellen Rechtskraft in derselben Sache noch einmal entscheidet und den gleichen abweisenden Bescheid erlässt (Hinweis: Hengstschläger/Leeb, AVG, § 68, Rz 20) ist für den gegenständlichen Fall nicht anzuwenden, da die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid beschwert wird und dessen Behebung beantragt hat. Setzt sich die Behörde über das Recht der Partei auf Beachtung der Unabänderlichkeit hinweg und erlässt sie in einer schon entschiedenen Sache nochmals gesetzwidriger Weise eine Sachentscheidung, nimmt sie eine ihr nach dem Gesetz nicht zustehende Kompetenz in Anspruch. Durch den inhaltlich rechtswidrigen Bescheid wird die Partei im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Eine neuerliche Entscheidung in derselben Sache ist nur amtswegig unter den Voraussetzungen des § 68 Abs 2 bis 4 AVG oder aufgrund besonderer gesetzlicher Ermächtigung zulässig (vgl dazu Hengstschläger/Leeb, AVG, § 68, Rz 48).
Da die belangte Behörde im gegenständlichen Verfahren bei identischer Sach- und Rechtslage bereits (zumindest) zweimal einen rechtskräftigen Bescheid erlassen hatte (Bescheid vom 11.05.2020 und vom 29.09.2020), hat sie durch die neuerliche Sachentscheidung einen inhaltlich rechtswidrigen Bescheid erlassen. Die Beschwerdeführerin wurde im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Die Voraussetzungen des § 68 Abs 2 bis 4 AVG lagen nicht vor. Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben.
6. Die Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehlt, ob eine Person durch die amtswegige Erlassung eines inhaltsgleichen, die Person verpflichtenden Bescheides in Rechten verletzt sein kann (vgl die Rechtsprechung VwGH 25.04.1985, 85/02/0083, 24.03.2010, 2006/06/0333 und 27.08.2013, 2011/06/0044).
Schlagworte
entschiedene Sache, ne bis idem, res iudicataAnmerkung
Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof (28.09.2021, Ro 2021/05/0023, 0024) zurückgewiesen.European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGVO:2021:LVwG.401.3.2020.R1Zuletzt aktualisiert am
13.10.2021