TE Lvwg Erkenntnis 2021/1/29 LVwG-AV-780/001-2018

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Veröffentlicht am 29.01.2021
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Entscheidungsdatum

29.01.2021

Norm

GewO 1994 §74 Abs2
AVG 1991 §13 Abs8
AVG 1991 §66 Abs4
VwGVG 2014 §27

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Mag. Marzi als Einzelrichter über die Beschwerden 1. der A und des B, 2. der C und des D sowie 3. der E und des F, alle vertreten durch G, Rechtsanwalt in ***, ***, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha vom 25. Juni 2018, Zl. ***, betreffend Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage (Genehmigungswerberin: I OG), nach mündlicher Verhandlung zu Recht:

1.   Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

2.   Eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist nicht zulässig.

Entscheidungsgründe:

1.   Feststellungen:

1.1.  Genehmigter Bestand:

Mit (rechtskräftigem) Bescheid der belangten Behörde vom 11. August 2015, Zl. ***, wurde zwei näher genannten natürlichen Personen gemäß § 77 GewO die gewerbebehördliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb eines Reiterhofs im Standort ***, ***, Grst.Nr. ***, KG ***, Marktgemeinde ***, erteilt.

Nach der Projektbeschreibung und den mit einem Genehmigungsvermerk versehenen, einen Bestandteil des Bescheids bildenden Antragsunterlagen besteht der Reitbetrieb aus einem Stall, einem Waschplatz, einer Reiterstube samt Nebengebäude, einem Heu-Lager, zwei Stallgebäuden mit angeschlossenen Paddocks, einem Mistplatz sowie einer Reithalle (mit den Abmessungen 60x24 Meter).

Nach der Baubeschreibung wird die Reithalle in Stahlkonstruktion auf Punktfundamente errichtet. Der Hallenboden besteht aus Polyfelt Filterflies, 20 cm Rollierung, 25 cm Grädermaterial verdichtet, 20 cm Lehmboden verdichtet und 7 cm Lehmboden unverdichtet. Die Reitbanden werden in Stahlbeton mit ca. 1,6 Meter Höhe hergestellt. Die Mauer angrenzend an den Nachbarbestand wird als Brandabschlussmauer ausgeführt. Die Regenabwässer werden in eine Zisterne mit Überlauf in eine Sickergrube geführt.

Aus der Betriebsbeschreibung ist ersichtlich, dass die täglichen Betriebszeiten zwischen 06:00 und 22:00 Uhr liegen und der Betrieb als „herkömmlicher Reitbetrieb“ geführt werde. Es sollen Reitstunden und Kurse angeboten werden, wobei als zusätzliche Serviceleistung eine „24x66 Meter Reithalle“ angeboten werde.

Die Reithalle ist im nördlichen Teil des Grundstücks situiert (vgl. diesbezüglich den Einreichplan datiert mit 19.01.2015).

1.2.  Situierung der Beschwerdeführer:

Die beschwerdeführenden Parteien E und F bewohnen die Liegenschaft Adresse ***, welche östlich direkt an die Liegenschaft der Betriebsanlage angrenzt. Die beschwerdeführenden Parteien C und D bewohnen die Liegenschaft Adresse ***, westlich direkt angrenzend an das Grundstück, auf welchem sich die Betriebsanlage befindet. Die beschwerdeführenden Parteien A und B bewohnen die Liegenschaft Adresse ***, welche sich wiederum westlich der Betriebsanlage, getrennt durch das Grundstück der beschwerdeführenden Parteien C und D befindet (die genaue Situierung der beschwerdeführenden Parteien ist dem mit einem Genehmigungsvermerk der belangten Behörde vom 25. Juni 2018 versehenen Einreichplan des H, und dem darin enthaltenen Lageplan, zu entnehmen).

1.3.  Angefochtener Bescheid:

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde – über dahingehenden, mehrfach abgeändertem und präzisiertem Antrag der I OG (in der Folge: Genehmigungswerberin) aus 2017 – die Genehmigung für die gewerbebehördliche Genehmigung zur Änderung dieser Betriebsanlage durch das Projekt „Errichtung und Betrieb von Pferdeställen (2 Offenställe und Stallgebäude) samt Flugdach, Umsituierung der Bewegungshalle (Schrittmaschine) und Abänderung der Mehrzweck-Reithalle“ erteilt.

Die einen Bestandteil des Spruchs des angefochtenen Bescheids bildende Projektbeschreibung lautet (auszugsweis) wie folgt:

„Bau- Maschinenbautechnik:

Entsprechend den vorliegenden Einreichunterlagen bestehend aus zwei Einreichplänen vom 18.5.2017 (ergänzt am 18.7.2017und 25.3.2018) sowie einer zugehörigen Baubeschreibung, erstellt durch H, ist beabsichtigt, den mit Bescheid vom 11.8.2015, Zahl ***, gewerbebehördlich genehmigten Teil des Reiterhofes abzuändern.

Nachfolgende Bauwerke auf dem gegenständlichen Grundstück werden ausschließlich privat genutzt und sind somit nicht Gegenstand eines gewerbebehördlichen Genehmigungsverfahrens:

Wohngebäude, Stallgebäude, Mehrzweckgebäude und entgegen der Bau- bzw. Betriebsschreibung das zur Hauptstraße gerichtete Flugdach sowie der im Einreichplan mit Werkstatt/Maschinenhalle bezeichnete Raum, welcher ehemals als Schuppen im Einreichplan vom 19.1.2015 bezeichnet wurde.

Ergänzend wird bemerkt, dass entgegen dem Genehmigungsbescheid vom 11.8.2015 die Sattelkammer, der Waschplatz, die Reiterstube samt Nebenräumen ebenfalls nicht betrieblich, sondern privat genutzt werden.

Das Heu-Lager an der östlichen Grundstücksgrenze wird gemäß dem ursprünglichen Genehmigungsbescheid genutzt, wobei auf das Erfordernis einer öffnungslosen Brandwand gemäß OIB-Richtlinie 2 hingewiesen wird. Es wird weiters festgehalten, dass das Heu-Lager grundsätzlich zu angrenzenden Nutzungseinheiten brandabschnittsmäßig getrennt wird. In Erweiterung des Heulagers wurde nunmehr neu ein Flugdach errichtet. Dieses wird zum Heu-Lager durch eine Trennwand mit Brandschutzklassifikation abgeschottet, wobei festgehalten wird, dass es sich hierbei um eine bauliche Anlage handelt. Das Flugdach, welches eine betonierte Bodenfläche aufweist, dient als Witterungsschutz für einen betrieblich genutzten Traktor. Eine Treibstoffbevorratung vor Ort ist nicht vorgesehen, die Betankung erfolgt mittels 20 l Kanister.

Weiters sind entsprechend dem vorliegenden Einreichplan an der östlichen Grundgrenze zwei sogenannte Offenställe, ein Stallgebäude, eine Schrittmaschine und eine Reithalle geplant. An der westlichen Grundstückgrenze ist die Errichtung eines Mistplatzes sowie weiterer 2 Offenställe geplant. Die Offenställe bzw. das Stallgebäude weisen teilweise Begrenzungswände auf und werden zu den Grundstücksgrenzen mit öffnungslosen und brandbeständigen Wänden in Massivbauweise (bis zur Dachhaut) ausgeführt. Im Anschluss an die Stallgebäude bzw. Stallbereiche werden Pferdekoppeln vorgesehen.

Entgegen der Darstellung im Einreichprojekt wird nunmehr der Mistplatz analog zum bereits gewerbebehördlich genehmigten Projekt vom 11.8.2015 an drei Seiten mit massiven Wandabschlüssen, welche zumindest bis zur Dachdeckung hochgezogen werden, errichtet und im Zugangsbereich ein verschließbares 2-flügeliges Tor eingebaut. Dieses wird mit Ausnahme der Be- und Entladevorgänge in geschlossenem Zustand gehalten. Die Zufahrt bzw. der Zugang zum Mistplatz erfolgt über den zentral angeordneten Erschließungsweg. Die Fußbodenfläche des Mistplatzes wird mit einem Gefälle zu einem Gully flüssigkeitsdicht und Medium beständig ausgeführt. Für die entsprechende Ausführung des Fußbodens des Mistplatzes wird eine Bestätigung in der Betriebsanlage aufliegen.

Die ursprünglich genehmigte Schrittmaschine wurde nunmehr an die östliche Grundstücksgrenze versetzt und weist vergrößerte Abmessungen auf. Die Reithalle wird im Wesentlichen am selben Standort - wie ursprünglich genehmigt - ausgeführt. Abänderungen beziehen sich auf die Außenabmessungen bzw. die Gebäudehöhe. Der Abstand zur westlichen Grundstücksgrenze beträgt im Mittel 3,30 m. In diesem Zusammenhang wird festgehalten, dass die mittlere Gebäudehöhe an der westlichen Gebäudefront der Halle mit 5,4 m planlich ausgewiesen ist. Der Dachüberstand der Halle wird derart ausgeführt, dass ein Abstand von zumindest 2,0 m zur westlichen seitlichen Grundgrenze gegeben ist. Zur nördlichen Grundstücksgrenze verbleibt ein Abstand von zumindest 3,43 m, wobei zum Kirchbergenweg auf Eigengrund 5 Stellplätze eingerichtet werden.

An der östlichen Grundstücksgrenze wird eine öffnungslose Brandwand im Bereich der Reithalle gemäß OIB Richtlinie 2 errichtet.

Die tragenden Konstruktionen werden entsprechend dem statischen Erfordernis bzw. der anzuwendenden Eurocodes und ÖNORMEN ausgeführt. Eine diesbezügliche Bestätigung, erstellt durch die bauausführende Fachfirma hinsichtlich der Reithalle, wird im Betrieb zur Einsichtnahme aufliegen.

Im Wesentlichen unverändert stellt sich die Fluchtwegsituation aus der Reithalle dar, wobei 2 gegenüberliegende Notausgänge aus der Halle gegeben sind und sich Fluchtweglängen unter 40 m ergeben. Notausgangstüren werden im Sinn der Arbeitsstättenverordnung - AStV eingerichtet und entsprechend gekennzeichnet.

Grundsätzlich wird festgehalten, dass die im Genehmigungsbescheid 11.8.2015 getroffenen Aussagen bzw. Auflagen nach wie vor Gültigkeit haben. Hingewiesen wird dabei auf, z.B. die Löschwasserversorgung, die Schlüsseltresore bei den Zufahrtstoren und die Maßnahmen zur Ersten Löschhilfe. Die beiden Zufahrtstore werden händisch öffenbar eingerichtet.

Sämtliche nunmehr betrieblich genutzten Gebäude werden nicht beheizbar eingerichtet; für die Be- und Entlüftung stehen im Wesentlichen öffenbare Fenster zur Verfügung. Oberhalb der Notausgangstüren der Reithalle werden netzunabhängige Fluchtwegorientierungsleuchten mit entsprechenden Piktogrammen montiert.

Relevante Gebäudeteile werden blitzschutzmäßig geerdet. Ein Prüfprotokoll für Blitzschutzanlagen samt Skizze, ausgestellt von der ausführenden Fachfirma, wird im Betrieb zur Einsichtnahme aufliegen.

Für die Schrittmaschine zur Bewegung der Pferde wird eine entsprechende Konformitätserklärung mit CE-Kennzeichnung im Betrieb zur Einsichtnahme aufliegen.

Wasserbautechnik und Gewässerschutz:

Vorgelegt wurde eine Baubeschreibung mit Ergänzungen vom 20.03.2018. In dieser sind neue Flächenangaben aufgenommen. Die gewerbliche Betriebsanlage umfasst nunmehr die Reithalle, die Schrittmaschine, 9 Offenställe mit zugehörigen Auslaufbereichen, den Mistplatz und eine Werkstatt/Maschinenhalle samt Flugdach.

Zum Befund des Bescheides vom 11.08.2015 ergeben sich folgende Änderungen/Ergänzungen bei den Flächenangaben:

? Reithalle: 1.328,98 m².

? Offenstallhaltungen 1 und 4 bis 9: 78,40 m².

gesamte Offenstallflächen 1 bis 9: 122,28 m².

? Schrittmaschine: 178,44 m².

? Überdachter, umbauter Mistplatz mit 28.99 m².

? Werkstatt/Maschinenhalle samt Flugdach: 122,60 m².

[…]

Die gesamten Dachflächen betragen 2.303,41 m². Laut dem Erstprojekt beträgt die zulässige Einleitungsmenge 25,87 l/s.

Der vorgelegten Beilage der J GmbH vom 10.08.2017 ist zu entnehmen, dass ein Teil der Dachflächenwässer der Reithalle versickert werden soll. Die vorhandenen Sickerkörper reichen für einen 5-jährlichen Niederschlag aus, danach wird zum öffentlichen Regenwasserkanal abgeleitet. Laut Verfasser dieser Eingabe können die Regenwässer der Reithalle und der Bewegungshalle über den Schotter- Kieskörper inkl. Überlauf und die Pferdeboxen direkt an den öffentlichen Regenwasserkanal angeschlossen werden.

Bei der Reithalle ist eine Regenwasserzisterne (5,0 m³) für die Sammlung der Dachflächenwässer zur Befeuchtung des Hallenbodens vorgesehen. Die Zisterne hat einen Überlauf in den Regenwasserkanal.

Des Weiteren werden - nicht verunreinigte - Hofflächenwässer ebenfalls in den öffentlichen Regenwasserkanal abgeleitet. Diese Wässer werden über mehrere Rigolrinnen gefasst und abgeleitet.

Laut Projektverfasser hat der öffentliche Regenwasserkanal ausreichend Kapazität.

Eine Bestätigung der Gemeinde wird laut Projekt nachgereicht.“

In der Begründung des angefochtenen Bescheids führte die belangte Behörde u.a. aus, dass die befürchteten Staubbelästigungen durch den Reitplatz, welche neben anderen Einwendungen von den Nachbarn im Verfahren vor der belangten Behörde vorgetragen wurden, durch die Errichtung der Reithalle obsolet seien.

1.4.  Gegen diesen Bescheid vom 25. Juni 2018 erhoben die – damals noch unvertretenen – beschwerdeführenden Parteien – jeweils zulässige – Beschwerden und machten darin unter anderem geltend, „der auf dem Reitplatz derzeit – nach wie vor trotz Inbetriebnahme ohne Errichtung einer Reithalle – verwendete Sand nicht geeignet“ sei. Der Sand „führe zu erheblicher Staubentwicklung beim Reiten.“ Mit dem Bau der Reithalle sei nicht einmal begonnen worden, insofern keine Rede davon sein könne, dass die befürchtete Staubbelästigung – wie im angefochtenen Bescheid ausgeführt – obsolet sei. Im übrigen wurden Gefährdungen des Grundwassers und damit einhergehende Gefährdungen der Gesundheit und des Eigentums der Beschwerdeführer, „extreme Geruchsbelästigungen“ und Belästigungen durch Fliegen aufgrund der Erhöhung der Pferdeanzahl und aufgrund nicht ordnungsgemäßer Entmistung sowie Gesundheitsgefährdungen aufgrund der Ammoniakbelastung geltend gemacht. Weiters brachten die Beschwerdeführer eine Gefährdung von Leben und Gesundheit durch die Nichterrichtung von Brandwänden vor.

1.5.1.  Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht richtete die Genehmigungswerberin an die belangte Behörde ein mit 11. Dezember 2020 datiertes Schreiben. Dieses wurde seitens der belangten Behörde mit Schreiben vom 15. Dezember 2020 „gemäß § 6 AVG zuständigkeitshalber“ übermittelt, wobei die belangte Behörde ausführte, dass es sich bei dem nunmehr eingebrachten Antrag um eine Antragsänderung des ursprünglichen Antrags handle.

In diesem Schreiben vom 11. Dezember 2020 beantragte die Genehmigungswerberin Folgendes:

„4.  Antrag auf Änderung der Betriebsanlage von Reithalle auf Reitplatz

1.  Aus den vorgenannten Gründen stellt hiermit die Einschreiterin den

Antrag

auf Änderung der (bestehenden) Betriebsanlagengenehmigung im Teilbereich Reithalle auf Reitplatz.

Es wird beantragt für die gewerbliche Betriebsanlage Reitplatz die Betriebsanlagengenehmigung zu erteilen. Es wird ausdrücklich ersucht für die Betriebsanlage Reitplatz die Genehmigung zu erteilen. Es sind die erforderlichen Beilagen und Anlagen gemäß § 353 Gewerbeordnung bereits durch die [Genehmigungswerberin] selbst vorgelegt worden bzw. den vorliegenden Antrag angeschlossen. Die Erfordernisse des § 74 Abs. 2 GewO sind erfüllt. Es liegt weder eine Gefährdung durch die verfahrensgegenständliche Betriebsanlage für Leben und Gesundheit des Gewerbetreibenden vor, und es werden auch nicht die Nachbarn wie unrichtigerweise von denen behauptet wird, durch Geruch, Lärm, Staub, Erschütterung oder anderer Weise belästigt.“

Begründend wird in diesem Antrag u.a. ausgeführt, dass „der derzeitige Reitplatz nach der Gewerbeordnung bereits genehmigt bzw. jedenfalls genehmigungsfähig“ sei. Eine Genehmigung für eine Reithalle impliziere, dass sich darunter ein Reitplatz befinde, weshalb davon auszugehen sei, dass der Reitplatz von der bestehenden Betriebsanlagengenehmigung (für die Reithalle) umfasst sei. Selbst wenn man davon ausginge, dass ein Antrag auf Änderung der Betriebsanlage erforderlich sei, entspreche der derzeitige Reitplatz den Erfordernissen der GewO und seien die Interessen der Nachbarn gemäß § 74 Abs. 2 GewO erfüllt. Es würden zwei Hallen an den Reitplatz angrenzen, was die Staubbelästigung „minimieren“ würde. Eine Lärmentwicklung sei nicht gegeben, weil der Reitplatz „nicht direkt an die benachbarten Liegenschaften angrenzt.“ Darüber hinaus bestehe in der Nachbarschaft ein großer Rinderbetrieb und dadurch schon erhebliche Lärmbelästigung. Eine Staubentwicklung sei auch nicht gegeben, da die Bewässerungsanlage auf den neuesten Stand gebracht worden sei. Ferne sei die Gefahr der Staubentwicklung auch deshalb nicht gegeben, da eine neue „Beschüttung“ mit einem anderen Sandprodukt erfolgen werde, sodass ein höherer Feuchtigkeitsspeicher gegeben sei und die Staubentwicklung nicht erhöht würde, sondern sogar minimiert werde. Die neue „Beschüttung“ erfolge durch Quarzsand mit Reibelagshäckseln, wodurch die Staubbildung erst gar nicht entstehe. Nach Erteilen der Baugenehmigung werde der Reitplatz neu beschüttet. Die Minimierung der Feinstaubbelastung liege auch im Eigeninteresse und eine optimale Befeuchtung gewährleiste eine Eintrittstiefe von 1,5 cm, wodurch es zu einer geringen Belastung der Sehnen und Bänder der Pferde komme und die Änderung damit auch der Pferdegesundheit diene.

Verwiesen wird überdies auf ein Reitplatz- und Bewässerungskonzept, wonach „zur Vermeidung von Staub an regenfreien Tagen“ ein Bewässerungskonzept vorgesehen sei, wobei eine Bewässerung an allen vier Seiten des Reitplatzes angebracht werde, um an regenfreien Tagen ein Austrocknen der Trittschicht zu vermeiden. Durch die Beregnung werde die komplette Fläche bewässert und die Vermeidung von Staubbelastung gewährleistet. Aus diesem Konzept sei ersichtlich, dass ein ausgeklügelte4s Bewässerungssystem bestehe, welches sicherstelle, dass die Fläche des Reitplatzes an regenfreien Tagen immer befeuchtet bleibe und somit kein Staub entstehe.

1.5.2.  Der diesem Schreiben in vierfacher Ausfertigung beigelegten „Beschreibung zur Abänderung der Betriebsanlagengenehmigung ‚Errichtung und Betrieb eines Reiterhofes‘“ ist (auszugsweise) u.a. Folgendes zu entnehmen (vgl. Seite 9):

„Zur Vermeidung von Staubentwicklung an regenfreien Tagen wird eine Bewässerung an allen 4 Seiten des Reitplatzes angebracht. Diese wird an regenfreien Tagen betrieben um ein Austrocknen der Trittschicht zu vermeiden. Insgesamt 8 fix verbaute Versenkregner an den Außenwänden […] werden […] verbunden und über eine Saugpumpe […] aus dem Regenwasserreservoir versorgt.

[…]

Zur Vermeidung des Trockenlaufens der Saugpumpe wird auch ein Direktanschluss an die Trinkwasserleitung zur Nachspeisung verlegt. Sollte im Regenwassertank der Minimumstand erreicht werden wird mittels Kontrollsonde ein Signal an die Trinkwasserleitung gegeben, der diesen mit Wasser zur Beregnung versorgt.

[…]“

2.   Beweiswürdigung:

Die Feststellungen gründen auf dem in der mündlichen Verhandlung vom 14. September 2020 erörterten Verwaltungsakt sowie dem Schreiben der Genehmigungswerberin vom 11. Dezember 2020 samt diesem beiliegender Projektunterlagen. Im getroffenen Umfang sind die Feststellungen unstrittig.

3.   Rechtliche Erwägungen:

3.1.1.  Zur „Einheit“ der vorliegenden Betriebsanlage:

Unter einer gewerblichen Betriebsanlage im Sinne der §§ 74 ff GewO 1994 ist die Gesamtheit jener Einrichtungen zu verstehen, die dem Zweck des Betriebs eines Unternehmens gewidmet sind und in einem örtlichen Zusammenhang stehen. Nicht die einzelnen Maschinen, Geräte oder die beim Betrieb vorkommenden Tätigkeiten bilden den Gegenstand der behördlichen Genehmigung, sondern die gesamte gewerbliche Betriebsanlage, die eine Einheit darstellt. Einrichtungen, die unter Bedachtnahme auf die Kriterien des § 74 Abs. 2 Einleitungssatz GewO 1994 mit einer gewerblichen Betriebsanlage in einem sachlichen (betrieblichen) und örtlichen Zusammenhang stehen, zählen zu dieser Betriebsanlage. Sie können, weil die GewO 1994 nicht vorsieht, dass für eine Betriebsanlage Genehmigungen mehrfach nebeneinander erteilt werden können, nicht „abgesondert“ genehmigt werden. Vielmehr bewirkt die Errichtung und Inbetriebnahme einer mit einer rechtskräftig genehmigten Betriebsanlage in einem solchen Zusammenhang stehenden Einrichtung bei Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des § 81 GewO 1994 eine genehmigungspflichtige Änderung der genehmigten Anlage, wobei die Genehmigung auch die bereits genehmigte Anlage soweit zu umfassen hat, als es wegen der Änderung zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 GewO 1994 umschriebenen Interessen gegenüber der bereits genehmigten Anlage erforderlich ist (vgl. zB VwGH vom 12. April 2018, Ra 2018/04/0092).

Es bedarf nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts keiner näheren Erörterung, dass die Reithalle bzw. der Reitplatz eine Einheit mit der Betriebsanlage und somit dem Projektgegenstand darstellt.

In einem ersten Schritt ist somit festzuhalten, dass eine Trennbarkeit der Reithalle/des Reitplatzes von der übrigen Betriebsanlage insofern nicht vorliegt, eine „abgesonderte“ Genehmigung des mit Schreiben vom 11. Dezember 2020 eingebrachten Änderungsantrags demnach – wie auch die belangte Behörde offenkundig meint – nicht zulässig ist.

3.1.2.  Zum Vorliegen einer „wesentlichen Änderung“ des Projekts:

3.1.2.1.  Gemäß § 13 Abs. 8 AVG kann der verfahrenseinleitende Antrag in jeder Lage des Verfahrens geändert werden. Durch die Antragsänderung darf die Sache aber ihrem Wesen nach nicht geändert und die sachliche und örtliche Zuständigkeit nicht berührt werden. Wie weit eine Antragsänderung konkret gehen darf, hängt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs entscheidend davon ab, ob die Änderung vor Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides oder erst im Zuge eines allfälligen Rechtsmittelverfahrens erfolgt. Zwar ist auch dort eine Antragsänderung – weiterhin – grundsätzlich zulässig, allerdings zieht § 66 Abs. 4 AVG solchen Projektmodifikationen engere Grenzen als der bloß auf das Wesen der Sache abstellende § 13 Abs. 8 AVG. So ist die Entscheidungsbefugnis der Berufungsbehörde nämlich gemäß § 66 Abs. 4 AVG auf die „Sache“ des erstinstanzlichen Verfahrens beschränkt. Ist diese nicht überschritten, hat die Behörde das Verfahren nach der Antragsänderung insoweit zu ergänzen, als dies in Hinblick auf seinen Zweck notwendig ist. Im Mehrparteienverfahren darf die Änderung keine zusätzlichen subjektiven Rechte mitbeteiligter Parteien berühren und darüber hinaus auch bisher geltend gemachte Rechte nicht anders tangieren (vgl. das auf die Rechtslage nach § 27 VwGVG zweifellos übertragbare Erkenntnis des VwGH vom 18. August 2017, Ro 2015/04/0006).

Änderungen des Projekts im Zuge des Genehmigungsverfahrens, die nicht geeignet sind, gegenüber dem ursprünglichen Projekt neue oder größere Gefährdungen, Belästigungen usw. im Sinn des § 74 Abs. 2 GewO 1994 herbeizuführen, sind als gemäß § 13 Abs. 8 AVG nicht wesentliche Antragsänderung zulässig (vgl. zB VwGH vom 12. September 2016, Ra 2014/04/0037, mit Hinweis auf die zu – im Gegensatz dazu – unzulässigen Änderungen ergangene Rechtsprechung).

Zur Frage, wo die Grenze zwischen einer – nach § 13 Abs. 8 AVG unzulässigen – wesentlichen Antragsänderung und einer zulässigen unwesentlichen Antragsänderung liegt, hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dies sei letztlich eine Wertungsfrage, wobei darauf abzustellen sei, ob das Vorhaben durch die Änderung in einer für andere Beteiligte nachteiligen Weise oder so geändert werde, dass zusätzliche oder neue Gefährdungen entstehen (zB VwGH vom 14. Oktober 2015, Ra 2015/04/0055).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, ist eine wesentliche Antragsänderung als Stellung eines neuen Antrages unter konkludenter Zurückziehung des ursprünglichen Antrages zu werten. Erfolgt eine solche Änderung während des Rechtsmittelverfahrens, bewirkt die (konkludente) Zurückziehung des ursprünglichen verfahrenseinleitenden Antrages den Wegfall der Zuständigkeit der Behörde zur Erlassung des Bescheides und damit nachträglich dessen Rechtswidrigkeit. Das Verwaltungsgericht ist somit angehalten, den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben. Voraussetzung für diese Schlussfolgerung ist allerdings, dass der zweite Antrag eine Änderung des ursprünglichen Antrags darstellt. Nur dann kann von einer konkludenten Zurückziehung des ersten Antrags ausgegangen werden (vgl. VwGH vom 12. September 2016, Ra 2014/04/0037).

3.1.2.2.  Zunächst ist festzuhalten, dass über den verfahrenseinleitenden Antrag infolge der Anhängigkeit der zulässigen Beschwerden (noch) nicht abschließend abgesprochen wurde. Entgegen der aus dem Änderungsantrag der Genehmigungswerberin vom 11. Dezember 2020 hervorleuchtenden Rechtsmeinung besteht daher wegen des Grundsatzes der „Einheit der Betriebsanlage“ kein Raum dafür, die in diesem Schreiben genannten Änderungen in einem gesonderten Verfahren vorzunehmen.

Nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts ist es offenkundig, dass es durch die beantragten Änderungen zu neuen und größeren Gefährdungen bzw. Belästigungen (u.a.) der (beschwerdeführenden) Nachbarn insbesondere durch Staubentwicklung kommen kann. Dies ergibt sich schon daraus, dass mit der gegenständlichen Antragsänderung ein zuvor nicht projektiertes „Bewässerungskonzept Reitplatz“ einhergeht, welches gerade dazu dienen soll, die Staubentwicklung auf die Nachbarliegenschaften zu minimieren.

Es liegt somit auf der Hand, dass durch die mit Schreiben vom 11. Dezember 2020 erfolgte Antragsänderung eine potentiell größere Staubentwicklung zu erwarten ist als von einer geschlossenen Reithalle (vgl. zB VwGH vom 18. März 2015, Ro 2015/04/0002, wonach es zur Beurteilung, ob Auswirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 GewO 1994 nicht auszuschließen sind, in der Regel genügt, auf das allgemeine menschliche Erfahrungsgut zurückzugreifen).

Daher ist die Genehmigungswerberin mit ihrer Rechtsmeinung, wonach die mit Bescheid aus 2015 erfolgte Genehmigung einer Reithalle die Genehmigung eines Reitplatzes „mitumfassen“ würde nicht im Recht, sind doch wie dargestellt bei einem offenen Reitplatz (mit erforderlichem Bewässerungskonzept) andere bzw. zusätzliche Emissionen zu erwarten als bei einer geschlossenen Reithalle.

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob diese Antragsänderung genehmigungsfähig ist, geht es doch zunächst nur um die Beurteilung, ob von der Antragsänderung neue oder zusätzliche Gefährdungen oder nachteilige Auswirkungen ausgehen können.

3.1.3.  Nach dem Vorgesagten überschreitet die mit Schreiben vom 11. Dezember 2020 erfolgte Antragsänderung die zulässigen Grenzen des § 13 Abs. 8 AVG und damit auch die „Sache“ im Sinne des § 27 VwGVG.

Da die Würdigung der von der Partei selbst stammenden Beweismittel und die darauf gestützte rechtliche Beurteilung dieser Partei nicht vor der Erlassung des Erkenntnisses zur Kenntnis gebracht werden muss (zB VwGH vom 09. September 2020, Ra 2019/22/0216), ist ohne weiteres Verfahren spruchgemäß zu entscheiden.

Die belangte Behörde wird nunmehr über den geänderten Antrag bescheidmäßig abzusprechen haben.

3.2.  Die Revision ist nicht zulässig, da sich die Entscheidung auf die zitierte und einheitliche Rechtsprechung bzw. die klare und eindeutige Rechtslage stützt (zur Unzulässigkeit der Revision bei klarer Rechtslage zB VwGH vom 15. Mai 2019, Ro 2019/01/0006). Nicht revisibel ist auch die vertretbare Auslegung eines Schriftstücks oder einer Parteierklärung (zB VwGH vom 25. Mai 2020, Ra 2020/11/0031).

Schlagworte

Gewerberecht; Betriebsanlage; Einheit; Antragsänderung; Rechtsmittelverfahren;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.AV.780.001.2018

Zuletzt aktualisiert am

02.03.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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