Entscheidungsdatum
26.08.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
G309 2196008-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Ing. Mag. Franz SANDRIESSER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA: Irak, vertreten durch Dr. Peter PHILIPP, Rechtsanwalt in 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.04.2018, Zl. XXXX , betreffend internationalen Schutz nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.06.2020, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) verließ seinen Herkunftsstaat Irak am 13.02.2015 und hielt sich bis 01.09.2015 in der Türkei auf. Der BF stellte nach seiner schlepperunterstützten Einreise ins Bundesgebiet am 16.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung gab der BF vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Wien, am 25.09.2015 an, den im Spruch genannten Namen zu führen, am XXXX im Irak geboren zu sein, Staatsangehöriger des Irak zu sein, der arabischen Volksgruppe anzugehören und Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung zu sein. Er sei ledig und habe keine Kinder. Zuletzt habe er in Bagdad im Irak gelebt. Er habe in Bagdad 12 Jahre die Grundschule besucht und 1 Jahr Informatik auf der Universität studiert.
Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, gab der BF an, dass „ XXXX “ von ISIS angegriffen worden sei. Alle Männer hätten mit ihnen kämpfen sollen, andernfalls wären sie umgebracht worden. Deswegen sei der BF und seine Familie umgezogen. Aber dort seien feindlich gesinnte Schiitenmilizen gewesen, da sie Sunniten seien. Seine Familie habe genug Geld gehabt, um alle von dort flüchten zu können. Der BF und sein Bruder seien in die Türkei geflüchtet, da sein Vater ein bisschen Geld gespart habe. Der BF habe in der Türkei gearbeitet und mit dem verdienten Geld sei der BF nach Österreich gekommen, um studieren zu können und eine bessere Zukunft zu haben. Der BF habe weiters Angst um sein Leben im Irak. Der BF befürchte bei einer Rückkehr, dass er im Krieg sterben würde.
2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der BF am 10.04.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), XXXX , im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in arabischer Sprache niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.
Eingangs bestätigte der BF die arabische Sprache zu verstehen, im Verfahren bislang wahrheitsgemäße Angaben gemacht zu haben. Er habe Hepatitis B, stehe nicht in Behandlung und bekomme keine Medikamente. Der BF legte ärztliche Befunde, ein Konvolut an Teilnahmebestätigungen und eine Kopie eines Personalausweises vor. Der BF werde noch weitere Dokumente (Staatsbürgerschaftsnachweis) nachreichen. Der Reisepass sei beim Schlepper verblieben.
Der BF habe mit seiner Familie bis 2003 in Bagdad gelebt. Danach seien sie in die Provinz XXXX , Bezirk XXXX , in das Dorf „ XXXX “ gezogen. Anfang 2015 seien sie wieder nach Bagdad zurückgekehrt. Der BF sei ca. drei Wochen in Bagdad geblieben und sei danach gemeinsam mit seinem Bruder zunächst nach XXXX und weiter in die Türkei gefahren. Seine Familie lebe derzeit in der Türkei, im Irak habe der BF einen Onkel. Der BF habe in der Türkei sechs Monate als Hilfsarbeiter gearbeitet, im Irak habe der Vater für ihn gesorgt. Der BF habe zu seinem Onkel in Bagdad noch Kontakt.
Zu seinen Asylgründen befragt gab der BF an, dass sein Vater ein hochrangiger Offizier in der Ära von Saddam Hussein gewesen sei. Er sei Kampfpilot mit dem militärischen Grad Stabsbrigadier gewesen. Der BF habe mit seiner Familie vor 2003 in Bagdad gelebt, wo sein Vater den Dienst versehen habe. Nach dem Regimesturz sei die Familie nach „ XXXX “ gezogen. Sein Vater sei von der irakischen Regierung gesucht worden, weil er zu Zeiten Saddams ein hochrangiger Pilot der Luftwaffe gewesen sei. Die Familie habe von 2003 bis 2014 in „ XXXX “ gelebt und habe der BF dort die Schule besucht. Sein Vater habe in“ XXXX “ eine Tankstelle und eine Firma für Erdöltransport gehabt. Im 6. Monat des Jahres 2014 hätten die IS Truppen die Gegend des BF unter ihre Kontrolle gebracht. Die Familie sei noch ca. vier Monate in „ XXXX “ verblieben. Wegen ihres Verbleibens in „ XXXX “ sei die Familie von der irakischen Regierung als Anhänger des IS betrachtet worden. Im November 2014 hätten die IS Truppen von der Familie Erpressungsgeld verlangt. Deshalb hätte die Familie den Ort verlassen und sei zum Onkel mütterlicherseits nach Bagdad, „ XXXX “, gegangen. Anfangs sei die Familie von den irakischen Truppen angehalten worden, sein Onkel habe bewirkt, dass die Familie nach fünf Tagen nach Bagdad einreisen habe dürfen. Der Mukhtar des Stadtteils habe von der Familie eine Genehmigung von der Polizei verlangt, damit sie im Stadtteil wohnen hätten dürfen. Der Onkel mütterlicherseits habe für die Familie die Genehmigung nicht bekommen, da es einen Haftbefehl geben würde und sich die Familie der Polizei stelle müsste. Innerhalb von zwei Tagen habe sich der BF mit seinem Bruder nach XXXX begeben und von dort weiter in die Türkei. Die restliche Familie sei sechs Monate später in die Türkei gekommen, da zuerst nur der BF und sein Bruder mit Haftbefehl gesucht worden wären. Gegen den BF bestehe ein offizieller Haftbefehl, da er als Anhänger des IS betrachtet werde. Bei einer Heimkehr ins Heimatland würde der BF verhaftet werden.
3. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA, dem BF zugestellt am 17.04.2018, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 16.09.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG [2005] (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG [2005] (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG [2005] nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG [2005] iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des BF in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).
Begründend führte das BFA nach Wiedergabe der Einvernahme des BF und den Feststellungen zu dessen Person aus, dass die vom BF angegebenen Fluchtgründe nicht glaubhaft seien. Das BFA habe nicht feststellen können, dass der BF im Herkunftsstaat bedroht oder verfolgt werde. Insgesamt sei das Vorbringen des BF aus Angst vor der irakischen Regierung geflüchtet zu sein nicht glaubhaft und habe der BF in Bezug auf seine behaupteten Fluchtgründe und der Rückkehrsituation keinen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Dem BF sei es möglich gewesen in der Türkei, in einem fremden Land mit einer anderen Sprache, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und werde es ihm im Falle einer Rückkehr in den Irak möglich sein für seinen Unterhalt zu sorgen. Er sei arbeitsfähig, leide an keiner schwerwiegenden Krankheit und verfüge im Heimatland über familiäre Anknüpfungspunkte.
4. Mit Verfahrensordnung vom 17.04.2018 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Verfügung gestellt.
5. Mit dem am 16.05.2018 beim BFA eingelangten und mit demselben Tag datierten Schriftsatz erhob der BF vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid. In der Beschwerde wurde nach Darlegung der Beschwerdegründe beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen; den angefochtenen Bescheid zu beheben und dem BF den Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen; je in eventu dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen; die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären und dem BF einen Aufenthaltstitel zu erteilen sowie den Bescheid aufzuheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.
In der Sache brachte der Rechtsvertreter des BF im Wesentlichen vor, dass der Vater des BF Mitglied der Baath-Partei gewesen sei und unter Saddam Hussein als Offizier in der Armee als Pilot tätig gewesen sei. Nach dem Sturz von Saddam Hussein habe die Familie aus Angst vor Repressalien der neuen irakischen Regierung sowie vor der Baath-Partei feindlich gesinnten Milizen, Bagdad verlassen und sei in die Provinz XXXX gezogen. Nach dem Einmarsch des IS sei der BF und seine Familie zunähst dortgeblieben, da der Vater des BF bereits ein Geschäft aufgebaut habe und sie noch immer eine Verfolgung aufgrund der irakischen Regierung befürchtet haben. Als der IS aber den BF und seine Familie zunehmend bedroht, Erpressungsgeld gefordert und gewollt habe, dass der BF und sein Bruder für den IS kämpfen, seien sie wieder nach Bagdad geflüchtet. Weil die Familie des BF eine gewisse Zeit unter der IS Herrschaft gelebt habe und nicht gleich beim Einmarsch des IS geflüchtet sei, sei ihnen seitens des irakischen Staates eine Unterstützung für den IS unterstellt worden. Aufgrund dieser vermeintlichen Unterstützung habe zu dieser Zeit gegen den BF und seinen Bruder auch ein Haftbefehl bestanden. Zudem sei aufgrund der früheren Aktivitäten des Vaters des BF für die Baath-Partei, sowie seiner Funktion in der Armee unter Saddam Hussein noch immer nach dem Vater des BF gesucht worden. Deswegen sei es der Familie auch nicht möglich gewesen in Bagdad eine Wohnung zu beziehen. Nur durch die Hilfe des Onkels hätten sie vorübergehend einen Platz zum Übernachten finden können. Der Onkel habe versucht sich, beim Mukthar und der Polizei über eine Wohngenehmigung zu informieren, wodurch die Polizei wieder auf die Familie des BF aufmerksam geworden sei und nach ihnen gesucht habe. Aufgrund dieser Probleme sei der BF gemeinsam mit seinem Bruder über die Türkei nach Österreich geflohen.
Des Weiteren brachte der BF unter Beanstandung des Ermittlungsverfahrens, der Länderfeststellungen, sonstiger Verfahrensmängel, einer mangelhaften Beweiswürdigung und inhaltlicher Rechtswidrigkeit vor, dass das BFA keine Feststellungen bezüglich der Funktion des Vaters des BF in der irakischen Armee unter Saddam Hussein, sowie seiner Mitgliedschaft zur Baath-Partei getroffen habe. Das BFA stütze ihre Feststellungen zur Situation im Irak größtenteils auf unvollständige, nicht auf die konkrete Situation des BF abzielende Länderberichte und werte ihre eigenen Berichte nur unvollständig aus. Dies betreffe vor allem Verfolgungen von Personen die vormals der Baath-Partei angehörten, sowie ehemaligen Angehörigen der irakischen Armee unter Saddam Hussein. Zudem würden Länderberichte bzgl. der Situation von Personen fehlen, denen eine politische Unterstützung des IS vorgeworfen werde, weil sie in vom IS kontrollierten Gebieten gelebt hätten.
Es wird anhand von auszugsweise zitierten Berichten (ACCORD, UNHCR uvm.) die Situation ehemaliger Mitglieder der Baath-Partei bzw. deren Familien dargestellt sowie auf Berichte aus diversen Quellen betreffend eine unterstellte politische Unterstützung des IS, zur fehlenden Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative sowie zur Lage von Binnenvertriebenen und RückkehrerInnen aus dem Ausland verwiesen. Demnach gäbe es für arabische Sunniten auch keine Möglichkeit einer Innerstaatlichen Fluchtalternative im Irak.
Den zitierten Länderberichten sei insbesondere zu entnehmen, dass sowohl ehemalige Mitglieder der Baath-Partei selbst, als auch den Familien, die mit der Baath-Partei in Verbindung gebracht worden seien, im Irak einer weitreichenden Verfolgung ausgesetzt seien. Darüber hinaus ergebe sich aus den von der Behörde angeführten Länderberichten, dass die Sicherheitslage im Irak derzeit zunehmend prekär sei und auch die Versorgungslage von Rückkehrenden Personen nicht gesichert sei.
Der BF sei in Österreich bereits gut integriert und pflege viele soziale Kontakte. Zudem sei er derzeit bei der TU XXXX als Student gemeldet und studiere Bauingenieurswesen. Er habe auch bereits den A2 Deutschkurs absolviert und sei strafrechtlich unbescholten.
6. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 22.05.2018 vom BFA vorgelegt und langten am 23.05.2018 beim BVwG, Außenstelle Graz, ein.
7. Am 17.03.2020 langte die Vollmacht des rechtsfreundlichen Vertreters, Dr. Peter PHILIPP, des BF ein.
8. Mit Schriftsatz vom 04.06.2020 wurde ergänzend zur Beschwerde vorgebracht, dass der BF seit fast fünf Jahren in Österreich aufhältig und sehr gut integriert sei. In der Zeit seines Aufenthaltes habe er zahlreiche Deutsch- und Integrationskurse besucht. Derzeit besuche er das Bautechnik College an der HTL in XXXX . Der BF sei seit Oktober 2018 in einer aufrechten Lebensgemeinschaft mit der österreichischen Staatsbürgerin XXXX und wohne seit Juni 2019 gemeinsam in XXXX . Seine Lebensgefährtin sei die Eigentümerin dieser Wohnung. Der BF werde finanziell von seiner Lebensgefährtin unterstützt, die bei der Firma XXXX in XXXX beschäftigt sei und ein durchschnittliches Einkommen von monatlich EUR XXXX verdiene. Es wurde beantragt die Lebensgefährtin als Zeugin zum Beweis der aufrechten Lebensgemeinschaft zu laden. Des Weiteren wurde ein Konvolut an Urkunden und Empfehlungsschreiben vorgelegt.
9. Am 25.06.2020 führte das BVwG in der Außenstelle Graz eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des BF, seines Rechtsvertreters, der Zeugin und eines Dolmetschers für die arabische Sprache durch. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem BF Gelegenheit gegeben seine Ausreisemotivation neuerlich umfassend darzulegen. Die Niederschrift der Verhandlung wurde dem BF im Anschluss ausgefolgt und dem BFA per E-Mail übermittelt. Dem BF wurde für eine allfällige schriftliche Stellungnahme zu den Länderdokumentationsunterlagen zur Lage im Irak und Vorlage etwaiger Prüfungszertifikate im Hinblick auf die Deutsche Sprache eine Frist von vier Wochen eingeräumt.
Im Zuge der mündlichen Verhandlung legte der BF einen Staatsbürgerschaftsnachweis und Lichtbilder als Beweismittel vor.
10. Mit dem am 23.07.2020 beim BVwG eingelangten und mit 22.07.2020 datierten Schriftsatz erstattete der BF durch seinen Rechtsvertreter eine Stellungnahme zu den aktuellen länderkundlichen Informationen zur Lage im Irak vom 17.03.2020 sowie zur Integration des BF. Der BF brachte im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass die Länderfeststellungen keinerlei Berichte anführen, die konkret auf die Situation von vormals der Baath-Partei angehörigen Personen und ihren Familienangehörigen eingehen. Bereits in der Beschwerde sei darauf hingewiesen worden, dass sich die Feststellungen zur Situation im Irak grötenteils auf unvollständige, nicht auf die konkrete Situation des BF abzielende Länderberichte stützen würden. Zur Integration wurde ausgeführt, dass der BF die Deutsch-Sprachprüfung A1, A2 und auch B1 abgelegt habe und auch eine Extraprüfung in der HTL absolviert worden sei. Die Deutschprüfung B1 habe er nicht positiv bestanden, jedoch am 01.07.2020 die Prüfung erneut abgelegt. Das Prüfungsergebnis habe er jedoch noch nicht erhalten. Der BF befinde sich seit rund fünf Jahren im Bundesgebiet, und habe zumindest eine erhöhte Integration erreicht. Der BF lebe in einer aufrechten Lebensgemeinschaft mit der österreichischen Staatsbürgerin XXXX , besuche die HTL und könne nebenbei bei der Firma XXXX GmbH als Bote- und Hauskontroller für 20 Stunden pro Woche tätig sein und ein Einkommen von rund EUR 720,00 brutto monatlich verdienen. Zudem verfüge die Lebensgefährtin über eine Eigentumswohnung. Der BF besuche die HTL erst seit letztem Schuljahr und sei der mangelnde Schulerfolg einerseits auf die anfänglichen Sprachbarrieren und schließlich auch der Covid-19 Situation geschuldet. Es sei geplant das Schuljahr zu wiederholen. Der BF brachte weitere Beweismittel in Vorlage.
11. Mit dem am 03.08.2020 beim BVwG eingelangten und mit demselben Tag datierten Schriftsatz wurde das Zeugnis über die erfolgreich bestandene Sprachprüfung über das Sprachniveau B1 übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF:
Der BF führt den im Spruch angeführten Namen, ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung. Er wurde am XXXX in Bagdad geboren. Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Bis zu seiner Ausreise am 13.02.2015 lag der private und familiäre Lebensmittelpunkt des BF in Bagdad bzw. in der Provinz XXXX . Der BF lebte mit seinen Eltern und Geschwistern bis zum Jahr 2003 in Bagdad und danach bis Anfang 2015 in der Provinz XXXX . Seine Eltern und Geschwister befinden sich derzeit in der Türkei. In Bagdad lebt die Großmutter mütterlicherseits. Der BF hat zu seiner Familie und seiner Oma regelmäßig Kontakt. Im Bundesgebiet hat der BF weder Verwandte, noch nahe Angehörige. Der BF spricht Arabisch und besitzt Sprachkenntnisse der deutschen Sprache auf Niveau B1.
Der BF besuchte im Herkunftsstaat 6 Jahre lang die Grundschule und 6 Jahre lang das Gymnasium. Der BF verfügt über einen Maturaabschluss. Der BF hat im Irak einige Monate Architektur studiert.
Der BF verfügt über einen Personalausweis nicht jedoch über einen Reisepass.
Der BF ist ein körperlich gesunder, arbeitsfähiger Mann mit höherer Schulbildung samt Maturaabschluss und Berufserfahrung als Hilfsarbeiter. Der BF leidet an keiner schweren oder unmittelbar lebensbedrohlichen Erkrankung, jedoch wurde beim BF bereits im Heimatland chronische Hepatitis B diagnostiziert. Er steht aufgrund dieser Erkrankung in keiner medikamentösen Behandlung.
Der BF verfügt über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat. Der BF verfügt über familiäre Anknüpfungspunkte im Irak.
Der BF verließ den Irak am 13.02.2015 und fuhr mit dem Auto von Bagdad nach XXXX und weiter mit dem Bus in die Türkei. Der BF ist bis zum 01.09.2015 in der Türkei geblieben, wo er als Hilfsarbeiter beschäftigt war. In weiterer Folge ist der BF schlepperunterstützt per Schiff und Auto nach Griechenland, und über Mazedonien, Serbien, Ungarn schließlich nach Österreich gebracht worden, wo er am 16.09.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Er reiste rechtswidrig ins Bundesgebiet ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.
Der BF bezieht seit der Antragstellung bis dato Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und ist nicht erwerbstätig. Der BF verfügt über einen bis 04.10.2020 gültigen Arbeitsvorvertrag von der Firma XXXX , wonach er als Bote- und Hauskontrollor für 20 Stunden und ein Arbeitsentgelt von EUR 720,00 brutto eingestellt werden könnte.
Der BF wurde an der TU XXXX zum Bachelorstudium Bauingenieurwesen und Infrastrukturmanagement im Wintersemester 2017/2018 zugelassen, brach das Studium jedoch ab. Im Schuljahr 2019/2020 besuchte der BF das 4-semestrige Kolleg für Berufstätige für Bautechnik an der HTL „ XXXX “ in XXXX , kann jedoch keinen positiven Schulerfolg aufweisen.
Der BF nahm an diversen Workshops zu den Themen Sicherheit, Werte und Politik, Lebenslauf und Kompetenzen teil und besuchte einen Erste-Hilfe-Kurs beim Arbeiter Samariter-Bund. Der BF ist seit November 2018 ehrenamtlich bei der Wiener Tafel tätig.
Der BF nahm an Deutschkursen teil und legte zuletzt die Deutschsprachprüfung auf dem Niveau B1 positiv ab.
Der BF führt seit Oktober 2018 eine Beziehung mit der österreichischen Staatsbürgerin XXXX und lebt mit ihr seit Juni 2019 im gemeinsamen Haushalt. Ansonsten pflegt er die üblichen sozialen Kontakte und weist Empfehlungsschreiben von Privatpersonen auf.
Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten und weist im Bundesgebiet durchgehend Wohnsitzmeldungen auf.
1.2. Zu den Fluchtmotiven des BF:
Das Vorbringen des BF vor dem BFA, in der Beschwerde, Beschwerdeergänzung, Stellungnahme und in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates wonach – im Wesentlichen zusammengefasst – er den Irak verlassen habe, weil ihm Verfolgung aufgrund der ehemaligen Mitgliedschaft seines Vaters zur Baath-Partei und der Funktion des Vaters als Offizier und Pilot in der irakischen Armee unter dem Regime Saddam Hussein drohe, sowie weil gegen ihn ein Haftbefehl bestehe, da ihm seitens der irakischen Regierung eine Unterstützung des IS unterstellt werde, wird dieser Entscheidung nicht als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt. Weitere Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates wurden nicht vorgebracht.
Der BF war im Irak nicht politisch tätig und hatte weder mit den Behörden des Herkunftsstaates noch sonst Schwierigkeiten aufgrund seiner politischen Überzeugung, seiner Volksgruppenzugehörigkeit (Araber), seines Religionsbekenntnisses (sunnitischer Islam) oder sonstige Probleme zu gewärtigen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Herkunftsstaat aus Gründen seines sunnitischen Glaubens oder aus anderen Gründen durch eine Miliz bedroht oder verfolgt worden wäre.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in seinem Herkunftsstaat einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.
Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des BF festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.
Ein konkreter Anlass für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates am 13.02.2015 konnte nicht festgestellt werden. Auch sonstige Gründe, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat allenfalls entgegenstehen würden, konnten nicht festgestellt werden.
1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat:
Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der gegenüber dem BF offengelegten Quellen und den Länderberichten (Stand 17.03.2020) getroffen:
1 Politische Lage
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).
An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018). Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).
Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019). Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).
Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).
Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).
Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019). Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020
- AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020
- CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020
- DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020
- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020
- Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020
- NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0, Zugriff 17.3.2020
- Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020
- RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020
- Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020
- ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020
1.1 Parteienlandschaft
Letzte Änderung: 17.3.2020
Laut einer Statistik der irakischen Wahlkommission beläuft sich die Zahl der bei ihr registrierten politischen Parteien und politischen Bewegungen auf über 200. 85% davon, national und regional, haben religiös-konfessionellen Charakter (RCRSS 24.2.2019). Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da‘wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (eng. SCIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander – eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018). Die Gründung von Parteien, die mit militärischen oder paramilitärischen Organisationen in Verbindung stehen ist verboten (RCRSS 24.2.2019) und laut Executive Order 91, die im Februar 2016 vom damaligen Premierminister Abadi erlassen wurde, sind Angehörige der Volksmobilisierungskräfte (PMF) von politischer Betätigung ausgeschlossen (Wilson Center 27.4.2018). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018). Im Jahr 2018 traten über 500 Milizionäre und mit Milizen verbundene Politiker, viele davon mit einem Naheverhältnis zum Iran, bei den Wahlen an (Wilson Center 27.4.2018). Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikte zwischen Kräften, die auf Gouvernements-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren, gekennzeichnet. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018). Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018). Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon (ein Bündnis aus der Sadr-Bewegung und der Kommunistischen Partei) unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fatah-Koalition des Führers der Badr-Milizen, Hadi al-Amiri und der Nasr-Allianz unter Haider al-Abadi und der Dawlat al Qanoon-Allianz des ehemaligen Regierungschefs Maliki (LSE 7.2018).
(LSE 7.2018)
Quellen:
- CGP - Center for Global Policy (4.2018): The Role of Iraq‘s Shiite Militias in the 2018 Elections, https://www.cgpolicy.org/wp-content/uploads/2018/04/Mustafa-Gurbuz-Policy-Brief.pdf, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020
- LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf, Zugriff 13.3.2020
- RCRSS - Rawabet Center for Research and Strategic Studies (24.2.2019): Law of political parties in Iraq: proposals for amendment, https://rawabetcenter.com/en/?p=6954, Zugriff 13.3.2020
- Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff 13.3.2020
2 Sicherheitslage
Letzte Änderung: 17.3.2020
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019). Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019). In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019). Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019). Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020
- Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020
- New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
2.1 Islamischer Staat (IS)
Letzte Änderung: 17.3.2020
Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vgl. BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020). Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019). Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a).
Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wiederaufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).
Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Baquba im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vgl. NINA 17.1.2020). Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).
Quellen:
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (18.6.2019): Regional Overview – Middle East 18 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/18/regional-overview-middle-east-18-june-2019/, Zugriff 13.3.2020
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (27.5.2019): Briefing Notes 27. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010482/briefingnotes-kw22-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- BBC News (23.12.2019): Isis in Iraq: Militants 'getting stronger again', https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50850325, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- Garda World (3.3.2020): Iraq Country Report, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/iraq, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 13.3.2020
- Military Times (7.7.2019): Iraqi forces begin operation against ISIS along Syrian border, https://www.militarytimes.com/flashpoints/2019/07/07/iraqi-forces-begin-operation-against-isis-along-syrian-border/, Zugriff 13.3.2020
- NINA - National Iraqi News Agency (17.1.2020): ISIS Elements executed a herd of buffalo by firing bullets northeast of Baquba. http://ninanews.com/Website/News/Details?key=808154, Zugriff 13.3.2020
- PGN - Political Geography Now (11.1.2020): Iraq Control Map & Timeline - January 2020, https://www.polgeonow.com/2020/01/isis-iraq-control-map-2020.html, Zugriff 13.3.2020
- Portal, The (9.10.2019): Iraq launches a new process of “Will to Victory”, http://www.theportal-center.com/2019/10/iraq-launches-a-new-process-of-will-to-victory/, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020
- UN General Assembly (30.7.2019): Children and armed conflict; Report of the Secretary-General [A/73/907–S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
2.2 Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen
Letzte Änderung: 17.3.2020
Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020). Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020). Die folgende Grafik von ACCORD zeigt im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 26.2.2020).
(ACCORD 26.2.2020)
Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 2.2020).
(IBC 2.2020)
Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Oktober 2019 361 zivile Todesopfer im Irak, im November 274 und im Dezember 215, was jeweils einer Steigerung im Vergleich zum Vergleichszeitraum des Vorjahres entspricht. Im Jänner 2020 wurden 114 zivile Todesopfer verzeichnet, was diesen Trend im Vergleich zum Vorjahr wieder umdrehte (IBC 2.2020).
(IBC 2.2020)
Quellen:
- ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020
- IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019,https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
2.3 Sicherheitslage Bagdad
Letzte Änderung: 17.3.2020
Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017). Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008). Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020). Dabei wurden am 7.und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad (Joel Wing 5.3.2020). Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar (Joel Wing 6.1.2020; vgl Joel Wing 5.3.2020).
Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pr