TE Bvwg Beschluss 2020/9/2 W256 2199192-1

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Veröffentlicht am 02.09.2020
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Entscheidungsdatum

02.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W256 2199192-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX geboren am XXXX , StA. Somalia, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25. Mai 2018, Zl. XXXX , den Beschluss:

A) Der angefochtene Bescheid wird betreffend Spruchpunkt I. gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer ist der minderjährige Sohn vom XXXX und XXXX , welche als gesetzliche Vertretung am 26. April 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz für den Beschwerdeführer gestellt haben. Darin führten diese aus, dass der Beschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe habe und sich ihrem Verfahren anschließe.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Mai 2018 wurden u.a. die Anträge der Eltern des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt A.I.), der Status von subsidiär Schutzberechtigten wurde diesen dagegen jeweils zuerkannt (Spruchpunkt A.II.) und diesen eine befristete Aufenthaltsberechtigung jeweils erteilt (Spruchpunkt A.III). Darin wurde u.a. festgestellt, dass die Mutter, XXXX dem Clan der Hawiye und der Vater XXXX dem Clan der Madhibaan angehöre. Die u.a. behauptete Verfolgung wegen einer Mischehe wurde als nicht glaubhaft angesehen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde ihm dagegen zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III). Begründend führte die belangte Behörde – soweit hier wesentlich – aus, dass im vorliegenden Fall ein Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG 2005 vorliege. Der Beschwerdeführer sei in Österreich geboren und habe seine gesetzliche Vertretung keine eigenen Fluchtgründe für den Beschwerdeführer vorgebracht. Zudem seien dem Vorbringen der gesetzlichen Vertretung auch keinerlei Anhaltspunkte bzw. Hinweise zu entnehmen, die eine Verfolgung oder Gefahr einer solchen begründen könnten. Die gesetzliche Vertreterin sei nicht in der Lage gewesen, der belangten Behörde glaubhaft darzulegen, dass der Beschwerdeführer einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sei. Da keinem anderen Familienmitglied der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden sei, komme auch für den Beschwerdeführer die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten im Familienverfahren nicht in Betracht. Da u.a. den Eltern mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes jedoch der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, sei auch dem Beschwerdeführer dieser Status zuzuerkennen gewesen.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids richtet sich die vorliegende Beschwerde des Beschwerdeführers. Die belangte Behörde habe sich in keiner Weise mit den Fluchtgründen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Insbesondere habe es die belangte Behörde auch unterlassen, die gesetzliche Vertretung dazu einzuvernehmen. Diesfalls hätten die Eltern ausführen können, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der Mischehe seiner Eltern, aber auch wegen der Gefahr einer Zwangsrekrutierung bzw. aufgrund seiner besonderen Situation als minderjähriger, männlicher Angehöriger eines Mindesheitenclans in Somalia asylrelevante Verfolgung drohe.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung:

zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungs-gerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. auch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2017, Zl. Ra 2016/12/0109, Rz 18ff.).

Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen mangelhaft:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Im vorliegenden Fall haben die Eltern des Beschwerdeführers als gesetzliche Vertretung für den Beschwerdeführer und damit für einen Familienangehörigen im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

§ 34 Abs. 4 AsylG 2005 ordnet ausdrücklich an, dass jeder Antrag eines Familienangehörigen gesondert zu prüfen und über jeden mit gesondertem Bescheid abzusprechen ist.

Daraus folgt aber, dass für jeden Familienangehörigen allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln sind. Nur wenn solche – nach einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren – nicht hervorkommen, ist dem Familienangehörigen jener Schutz zu gewähren, der bereits einem anderen Familienangehörigen gewährt wurde (siehe dazu u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. März 2015, Ra 2014/19/0063 m.v.w.H sowie das Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes vom 15. Oktober 2018, Ra 2018/14/0143).

In Bezug auf die Ermittlung von Fluchtgründen ordnet § 19 Abs. 2 AsylG eine verpflichtende Einvernahme des Asylwerbers durch den zur Entscheidung berufenen Organwalter an. Damit soll – nach den Erläuterungen zur RV 952 BlgNR XXII. GP – ein Asylwerber die Möglichkeit erhalten, von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter persönlich angehört zu werden.

Von einer solchen Einvernahme kann – wie aus § 19 Abs. 2 AsylG hervorgeht – grundsätzlich nur in jenen Fällen abgesehen werden, in denen der Asylwerber auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen.

Das entbindet die belangte Behörde aber nicht von ihrer oben dargestellten Pflicht, für jeden Familienangehörigen allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln, weshalb sie – dem Zweck des § 19 Abs. 2 AsylG 2005 entsprechend – in solch einem Fall unter Umständen dazu befähigte Personen zu befragen hat.

Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde mit den Fluchtgründen des Beschwerdeführers in keiner Weise gesondert auseinandergesetzt. Jedenfalls kann weder dem vorlegten Verwaltungsakt, noch dem angefochtenen Bescheid entnommen werden, dass die belangte Behörde diesbezügliche Erhebungen, wie z.B. eine Einvernahme der Eltern des Beschwerdeführers, in irgendeiner Form durchgeführt hat. Der in der Begründung enthaltene Hinweis im angefochtenen Bescheid, die gesetzliche Vertretung habe im Verlauf des Verfahrens eine individuelle und aktuelle Verfolgung des Beschwerdeführers nicht darlegen können, kann vor dem Hintergrund dieser fehlenden Ermittlungstätigkeit in Bezug auf den Beschwerdeführer jedenfalls nicht nachvollzogen werden.

Dabei wird nicht übersehen, dass die Eltern des Beschwerdeführers im Antragsschreiben „eigene“ Asylgründe des Beschwerdeführers ausgeschlossen haben. Dass der Beschwerdeführer keine – sich aus dem Verfahren der Eltern allfällig ergebende – Asylgründe habe, wurde allerdings nicht ausgeführt. Davon abgesehen kann ein im Antragsformular getätigter Hinweis der gesetzlichen Vertretung, das minderjährige Kind verfüge über keine eigenen Fluchtgründe, die belangte Behörde ohnedies nicht von ihrer gesetzlichen Verpflichtung, von sich aus tätig zu werden, entbinden.

Vor dem Hintergrund der obigen Rechtslage wäre die belangte Behörde demnach verpflichtet gewesen, sich (und zwar auch von sich aus) mit dem Antrag des Beschwerdeführers, insbesondere mit seinen Fluchtgründen gesondert auseinanderzusetzen. Die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten, weil – wie in der rechtlichen Beurteilung im angefochtenen Bescheid ausgeführt – auch den sonstigen Familienangehörigen dieser Status nicht zuerkannt wurde, vermag eine ordentliche gesonderte Auseinandersetzung mit den Fluchtgründen des Beschwerdeführers - wie oben dargelegt – jedenfalls nicht hinreichend aufzuzeigen.

Dadurch, dass die belangte Behörde dies verkannte und sich insofern in keiner Weise mit dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers (gesondert) auseinandergesetzt hat, wurde dem Beschwerdeführer aber die Möglichkeit einer eingehenden und gesonderten Auseinandersetzung mit seinen Fluchtgründen genommen.

Da somit der maßgebliche Sachverhalt nicht feststeht, war im Hinblick auf diese besonders gravierenden Ermittlungslücken eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt (vgl. dazu den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Zl. Ra 2015/09/0088).

Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren angehalten, sich mit den Fluchtgründen des Beschwerdeführers gesondert auseinanderzusetzen und dazu konkrete Ermittlungsschritte, sei es durch eine gezielte Befragung der Eltern, durch Einholung von entsprechenden Länderberichten oder durch weitere sich daraus ergebender Maßnahmen, zu setzen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist – auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes – nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich war das Verfahren betreffend den Beschwerdeführer zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass die angefochtenen Bescheide "aufzuheben" waren. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).

zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ungeeignete Ermittlungen gesetzt hat, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Fluchtgründe Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W256.2199192.1.00

Im RIS seit

03.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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