TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/8 L524 2173009-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.09.2020
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Entscheidungsdatum

08.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L524 2173009-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA Irak, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.09.2017, Zl. 1093278901/151686671, betreffend Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.06.2020, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 03.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag erfolgte eine Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Am 31.08.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen.

Mit Bescheid des BFA vom 22.09.2017, Zl. 1093278901/151686671, wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde am 26.06.2020 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, an der der Beschwerdeführer und ein Vertreter des BFA als Parteien teilnahmen.

II. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger, Araber und Moslem. Der Beschwerdeführer wurde in XXXX , Gouvernement Al Anbar, geboren.

Der Beschwerdeführer besuchte von 1999 bis 2004 die Grundschule. Ab dem Jahr 2004 war der Beschwerdeführer berufstätig. Von 2006 bis 2013 arbeitete der Beschwerdeführer als Tischler. In diesem Zeitraum (ca. im Jahr 2007) erlitt der Beschwerdeführer einen Unfall, auf Grund dessen er ein Jahr nicht gearbeitet hat. Die wegen dieses Unfalls erlittenen Verletzungen wurden bereits im Irak medizinisch behandelt und dort operiert. Der Beschwerdeführer arbeitete auch in einem Restaurant.

Der Beschwerdeführer verließ ca. im Juni 2015 mit seiner gesamten Familie seine Heimatstadt XXXX , nachdem dort der IS herrschte. Der Beschwerdeführer brachte diesbezüglich keine individuellen Verfolgungsgründe vor. Nachdem die Familie XXXX verließ, lebten sie in Bagdad. Die Eltern des Beschwerdeführers rieten ihm, Bagdad zu verlassen. Der Beschwerdeführer brachte auch diesbezüglich keine individuelle Verfolgung vor. Das Vorbringen, dass der Beschwerdeführer mit einer schiitischen Miliz zusammenarbeiten müsse oder getötet würde, ist nicht glaubhaft. Es ist auch nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer von einer schiitischen Miliz gezielt verfolgt worden sei und er alleine wegen seiner Herkunft aus Al Anbar eine Verfolgung zu befürchten hat.

Der Beschwerdeführer lebte ca. sechs oder sieben Monate, bevor er den Irak verließ, mit seiner Familie in Bagdad. Der Beschwerdeführer, seine Eltern, zwei Brüder, die Ehefrau eines Bruders und deren drei Kinder lebten gemeinsam in einer Wohnung in Bagdad. Während seines Aufenthalts in Bagdad lebte der Beschwerdeführer von der Rente seines Vaters. Die Eltern und zumindest zwei Brüder des Beschwerdeführers leben in Bagdad. Der Vater und zwei Brüder erhalten eine staatliche Rente. Der Beschwerdeführer hat drei Schwestern, die verheiratet sind. Eine Schwester lebt in Bagdad, eine weitere Schwester lebt in Al Anbar. Eine Schwester lebt als Asylwerberin in Österreich.

Der Beschwerdeführer verließ ca. im Oktober 2015 den Irak und reiste illegal in Österreich ein, wo er am 03.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der Beschwerdeführer ist nicht verheiratet, führt keine Lebensgemeinschaft und hat keine Kinder. Die in Österreich lebende Schwester hat der Beschwerdeführer seit etwa einem Jahr nicht mehr gesehen, er steht mit ihr aber in telefonischem Kontakt. Der Beschwerdeführer hat 2016 und 2017 zwei Deutschkurse (Lesen & Schreiben 1 und 2) besucht. Weitere Deutschkurse besuchte er nicht. Seine Deutschkenntnisse schätzt der Beschwerdeführer selbst mit „20 Prozent“ ein. Der Beschwerdeführer besucht keine Kurse, keine Vereine und keine Schule. Der Beschwerdeführer ist nicht berufstätig. Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer hatte ca. im Jahr 2007 im Irak einen Unfall, bei dem er eine Schenkelhalsfraktur oder einen Obereschenkelbruch. Seither hat er eine Extremitätenfehlstellung. Der linke Oberschenkelknochen ist ca. zwei Zentimeter länger als der rechte. Im August 2018 wurde eine Operation (Platte ex li dist Femur) durchgeführt. Dabei wurde eine Beinachsenkorrektur vorgenommen und der Beschwerdeführer erhielt ein Implantat. Im Oktober 2019 erfolgte die Metallentfernung und eine Re-Valgisierungsosteotomie. Der Beschwerdeführer nimmt bei Schmerzen Tramabene (Tropfen). Der Beschwerdeführer ist derzeit in keiner medizinischen Behandlung. Der Beschwerdeführer verwendet Krücken. Der Beschwerdeführer gehört keiner Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung an.

Zur Lage im Irak:

Im Juni 2014 startete der sog. Islamische Staat Irak (IS) oder Da'esh, einen erfolgreichen Angriff auf Mossul, die zweitgrößte Stadt des Irak. Der IS übernahm daraufhin die Kontrolle über andere Gebiete des Irak, einschließlich großer Teile der Provinzen Anbar, Salah al-Din, Diyala und Kirkuk. Im Dezember 2017 erklärte Premierminister Haider al-Abadi den endgültigen Sieg über den IS, nachdem die irakischen Streitkräfte die letzten Gebiete, die noch immer an der Grenze zu Syrien unter ihrer Kontrolle standen, zurückerobert hatten. Am 25. September 2017 hat die kurdische Regionalregierung (KRG) ein unverbindliches Referendum über die Unabhängigkeit der kurdischen Region im Irak sowie über umstrittene Gebiete, die unter Kontrolle der KRG stehen, abgehalten. Das Referendum wurde für verfassungswidrig erklärt. Bei den nationalen Wahlen im Mai 2018 gewann keine Partei die Mehrheit, obwohl die meisten Stimmen und Sitze an die Partei des schiitischen Klerikers Muqtada al-Sadr gingen, ein ehemaliger Anti-US-Milizenführer.

Genaue, aktuelle offizielle demographische Daten sind nicht verfügbar. Die letzte Volkszählung wurde 1987 durchgeführt. Das US-Außenministerium schätzt die Bevölkerung im Irak auf rund 39 Millionen. Araber (75 Prozent) und Kurden (15 Prozent) bilden die beiden wichtigsten ethnischen Gruppen. Andere Ethnien sind Turkmenen, Assyrer, Yazidis, Shabak, Beduinen, Roma und Palästinenser. 97 Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Schiiten machen 55 bis 60 Prozent der Bevölkerung aus und umfassen Araber, Shabak und Faili-Kurden. Der Rest der Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Sunniten, einschließlich der sunnitischen Araber, die schätzungsweise 24 Prozent der Gesamtbevölkerung des Irak ausmachen. Die meisten Kurden sind auch Sunniten und machen etwa 15 Prozent der nationalen Bevölkerung aus. Die schiitischen Gemeinden leben in den meisten Gebieten des Irak, konzentrieren sich jedoch im Süden und Osten. Die Mehrheit der Bevölkerung von Bagdad sind Schiiten, insbesondere Vororte wie Sadr City, Abu Dashir und Al Dora. Sunniten leben hauptsächlich im Westen, Norden und im Zentralirak. Die Anzahl der in Bagdad als gemischt betrachteten Gebiete nimmt ab. In einigen Bezirken Bagdads gibt es immer noch bedeutende sunnitische Gemeinden, darunter Abu Ghraib. Die Bezirke A'adamia, Rusafa, Za'farania, Dora und Rasheed haben kleinere Gebiete sunnitischer Gemeinschaften. Gemischte sunnitische-schiitische Gemeinden leben in den Bezirken Rusafa und Karada, kleinere gemischte Gemeinden auch in den Bezirken Doura, Rasheed, Karkh, Mansour und Kadhimiya.

Der Konflikt mit dem IS hat die Wirtschaft des Irak erheblich geschwächt. Die irakische Wirtschaft ist weiterhin stark vom Öl abhängig und ihr wirtschaftliches Vermögen hängt eng mit den globalen Ölpreisen zusammen. Die Weltbank prognostiziert, dass sich die Wirtschaft durch den Wiederaufbau nach Konflikten und die Verbesserung der Sicherheitslage erholen wird.

Die Verfassung garantiert das Recht auf Gesundheitsfürsorge und es gibt ein staatliches Gesundheitswesen und Behandlungsmöglichkeiten sind vom Staat bereitzustellen. Der Irak verfügt über öffentliche und private Krankenhäuser. Die medizinische Grundversorgung erfolgt sowohl in privaten als auch in öffentlichen Kliniken. Die Gesundheitsinfrastruktur hat unter jahrzehntelangen Konflikten gelitten. Das Gesundheitswesen ist begrenzt, insbesondere in von Konflikten betroffenen Gebieten und in Gegenden mit einer großen Anzahl von Binnenvertriebenen.

Die Verfassung sieht eine obligatorische Grundschulausbildung vor. Für Kinder in der Region Kurdistan besteht die Schulpflicht bis zum Alter von 15 Jahren. Der Irak war einst regional führend in der Bildung, aber jahrelange Konflikte haben zu sinkenden Bildungsergebnissen geführt. Kinder, die sich derzeit in der Schule befinden, werden ca. 10,1 Jahre Schulunterricht erhalten. Die durchschnittliche Schulzeit der derzeit über 25-Jährigen lag bei 6,6 Jahren. Mädchen hatten mit 9,7 Jahren eine niedrigere erwartete Schulzeit, verglichen mit Knaben mit 11,5 Jahren. Rund 80 Prozent der Iraker im Alter von über 15 Jahren sind gebildet. Wohlhabende Familien in Bagdad haben Zugang zu höherer Bildung von privaten und internationalen Schulen. Die privaten Schulgebühren in Bagdad betragen durchschnittlich rund 1.300 USD pro Monat.

Der öffentliche Sektor ist bei weitem der größte Arbeitgeber und der private Sektor ist unterentwickelt. Während die Regierung den größten Teil ihrer Einnahmen aus Ölexporten erwirtschaftet, beschäftigt die Ölindustrie nur wenige Mitarbeiter. Die Regierung beschäftigt schätzungsweise 40 Prozent der irakischen Arbeitskräfte. Im UNDP-Bericht 2016 wurde eine Arbeitslosenquote von 16,9 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit auf 35,1 Prozent geschätzt.

Die irakische Verfassung garantiert grundlegende Menschenrechte einschließlich Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Chancengleichheit, Privatsphäre und Unabhängigkeit der Justiz. Die Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Nationalität, der Herkunft, der Hautfarbe, der Religion, der Meinung, des wirtschaftlichen oder sozialen Status.

Die Verfassung macht den Islam zur offiziellen Religion des Staates. Es garantiert die Glaubens- und Religionsfreiheit für alle Personen, einschließlich Christen, Yazidis und Sabäer-Mandäer. Auf der Scharia beruhende Regelungen verbieten zwar eine Konversion vom islamischen Glauben, doch ist keine Strafverfolgung hierfür bekannt. Nach irakischem Recht wird ein Kind unter 18 Jahren automatisch zum Islam konvertiert, wenn auch einer seiner nicht-muslimischen Eltern konvertiert ist.

Nach der Absetzung von Saddam Hussein und der (von Sunniten dominierten) Ba'ath-Partei aus der Regierung fühlten sich viele Sunniten ausgegrenzt. Das US-Außenministerium und internationale Menschenrechtsgruppen berichten von regierungsnahen Streitkräften, die sunnitische Männer anzugreifen versuchen, die aus IS-kontrollierten Gebieten fliehen und verhindern, dass Sunniten die von der Regierung kontrollierten Gebiete verlassen. Außerhalb der vom IS kontrollierten Gebiete wurden Sunniten in der Form belästigt und diskriminiert, dass sie bei Kontrollpunkten in aufdringlicher Weise kontrolliert wurden und Dienste minderer Qualität in sunnitischen Gebieten bereitgestellt werden. Sunniten sind außerhalb von Gebieten, die kürzlich vom IS kontrolliert wurden, aufgrund ihrer Religion einem geringen Risiko gesellschaftlicher Gewalt ausgesetzt. In Gebieten, in denen sie eine Minderheit sind, sind Sunniten einem mäßigen Risiko von Diskriminierung durch die Behörden und der Gesellschaft ausgesetzt. Das Risiko der Diskriminierung variiert je nach lokalem Einfluss und Verbindungen.

Bei der Einreise in den Irak über die internationalen Flughäfen, einschließlich der Region Kurdistan, werden Personen, die illegal ausgereist sind, nicht festgenommen. Es werden jene Iraker bei der Rückkehr festgenommen, die eine Straftat begangen haben und gegen die ein Haftbefehl erlassen worden war. Um den Irak zu verlassen, sind gültige Dokumente (in der Regel ein Pass) und eine entsprechende Genehmigung (z. B. ein Visum) für die Einreise in das vorgesehene Ziel erforderlich. Eine illegale Ausreise aus dem Irak ist rechtswidrig, jedoch sind keine Strafverfahren gegen Einzelpersonen wegen illegaler Ausreise bekannt. Iraker, die einen irakischen Pass verloren haben oder nicht haben, können mit einem laissez-passer in den Irak einreisen. Die Einreise mit einem laissez passer-Dokument ist üblich und Personen, die damit einreisen, werden weder gefragt, wie sie den Irak verlassen haben, noch werden sie gefragt, warum sie keine anderen Dokumente haben. Dem britischen Innenministerium zufolge können Grenzbeamte am Flughafen Bagdad ein Schreiben ausstellen, um die Verbringung an den Herkunftsort oder die Umsiedlung einer Person im Irak zu erleichtern. (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 09.10.2018)

In der ersten Septemberwoche 2019 gab es 39 sicherheitsrelevante Vorfälle. Dabei betrifft ein solcher Vorfall den Fund eines Massengrabs mit 13 Toten im Süden von Mossul. Die meisten Vorfälle, nämlich 14, ereigneten sich in Diyala. Neun Vorfälle ereigneten sich in Ninewa, sieben in Bagdad, fünf in Salah al-Din, zwei in Kirkuk und jeweils einer in Anbar und Babil. (Musings on Iraq, 17.09.2019)

In der zweiten Septemberwoche 2019 ereigneten sich weniger Vorfälle als in der Vorwoche, nämlich insgesamt 30. Zwei dieser Vorfälle waren Leichenfunde. Diese Woche ereigneten sich die meisten Vorfälle, nämlich elf, in Kirkuk. In Diyala waren es neun Vorfälle. Ein Vorfall war in Anbar. Dabei handelt es sich um den Fund eines Massengrabs mit 15 Toten. Jeweils drei Vorfälle entfielen auf Bagdad, Ninewa und Salah al-Din. Einer der drei Vorfälle in Ninewa betraf den Fund von neun Leichen in der Altstadt von West-Mossul. Bei den anderen zwei Vorfällen handelte es sich um Sprengfallen im Gebiet Hamam al-Alil, 27 Kilometer südlich von Mossul. Von den drei Vorfälle in Salah al-Din war einer eine Schießerei, die zur Folge hatte, dass die Autobahn von Tuz Kurmatu nach Bagdad kurze Zeit gesperrt war. Während es in der ersten Septemberwoche in Bagdad eine Reihe von Sprengfallen gab, kehrte in der zweiten Septemberwoche wieder Normalität ein, mit nur drei Schießereien im Norden und Westen. (Musings on Iraq, 23.09.2019)

Nach einem Anstieg der Angriffe Anfang September 2019 sind diese Mitte des Monats wieder auf einen Mittelwert zurückgegangen. Während es im August außerhalb von Diyala kaum Angriffe gab, fanden im September im gesamten Zentralirak welche statt. Es gab in der dritten Septemberwoche 2019 28 sicherheitsrelevante Vorfälle im gesamten Irak. Acht Vorfälle in Bagdad, fünf in Kirkuk, vier in Diyala. Zwei Vorfälle fanden in Ninewa statt und jeweils ein Vorfall in Anbar, Babil, Kerbala und Salah al-Din. Jener Vorfall in Kerbala war eine der selten vorkommenden Autobomben. Dabei gab es zwölf Tote und fünf Verletzte. Ninewa und Salah al-Din, die früher die Hauptfronten des IS waren, sind jetzt nur noch zweitrangig. Im Vergleich dazu sind die Vorfälle in Diyala und Kirkuk weiterhin hoch. (Musings on Iraq, 01.10.2019)

In der ersten Oktoberwoche 2019 gab es nur drei Zwischenfälle in Anbar, Diyala und Ninewa. In der zweiten Oktoberwoche gab es 14 Vorfälle, davon fünf in Diyala, drei in Kikruk, jeweils zwei in Ninewa und Salah al-Din und jeweils einen in Anbar und Babil. Im Zentralirak ist der IS am aktivsten. Ninewa und Salah al-Din sind weniger wichtiger für den IS. In Kirkuk und Diyala findet die meiste Gewalt statt. In Bagdad gab es im September die meisten Angriffe. Anfang Oktober gab es wegen der in Bagdad stattgefundenen Proteste keine Angriffe. (Musings on Iraq, 22.10.2019)

Es gibt kaum noch Autobomben im Irak. In Diyala gab es bis Mitte Oktober 2019 keine einzige Autobombe. In Kirkuk gab es im Jänner 2019 die einzige Autobombe des Jahres. In Ninewa gab es drei Autobomben und zwar im Februar, März und Mai. In Salah al-Din gab es vier Autobomben im Jänner, März, April und August. Früher wurden vom IS routinemäßig Autobomben in städtischen Gebieten eingesetzt. Jetzt kommen diese kaum noch vor und zeigen, dass der IS schwer angeschlagen ist.

Bis Mitte Oktober 2019 gab es in Ninewa zwei Attacken auf Checkpoints, die sich beide im Februar ereigneten. In Salah al-Din gab es vier Attacken auf Checkpoints und zwar im Jänner, Mai, Juli und September. In Kirkuk gab es zwölf Attacken (vier im Jänner, eine im März, drei im Mai, zwei im Juni und zwei im September). In Diyala gab es mit 46 die meisten Attacken und bis auf Oktober in jedem Monat. (Musings on Iraq, 01.10.2019 und 22.10.2019)

Im Zuge der nationalen Proteste in Bagdad und allen südlichen Provinzen kam es zu Eskalationen zwischen Demonstranten und den Sicherheitskräften. Am 25.10.2019 starben 42 Personen, davon 12 in Diwaniya, 9 in Maysan, 9 in Dhi Qar, 8 in Bagdad, 3 in Basra und eine Person in Muthanna. Insgesamt wurden weitere 2312 Personen verwundet. Während der ersten Runde von Protesten von 1.10. bis 9.10.2019 wurden 149 Zivilisten getötet. (Musings on Iraq, 26.10.2019)

Seit 01.10.2019 kam es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah al-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen. Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung, aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak. Im Zuge dieser Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt. Die irakischen Sicherheitskräfte gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. (Kurzinformation der Staatendokumentation, 30.10.2019, Sicherheitsupdate 3. Quartal 2019 und jüngste Ereignisse)

Im Juni 2019 wurden die letzten Betonblöcke um die Grüne Zone in Bagdad, der Regierungsbezirk, abgebaut. Die Bevölkerung hat jetzt freien Zugang zu den gut zehn Quadratkilometern, die bis dahin No-Go-Zone war: Der "Hochsicherheitstrakt" im Zentrum von Bagdad ist Vergangenheit. Mit der Öffnung der Grünen Zone hat Iraks Premierminister Adel Abdul Mahdi sein Versprechen eingelöst, das er bei seinem Amtsantritt im Oktober letzten Jahres gegeben hat. Der Bezirk soll ein normales Stadtviertel von Bagdad werden. Seit November wurde Schritt für Schritt abgebaut: Checkpoints aufgelöst, Stacheldraht entfernt, Betonblöcke auf Tieflader geladen und abgefahren. Hundertausende sollen es gewesen sein. Allein in den letzten zwei Monaten hat Bagdads Stadtverwaltung 10.000 Mauerteile abfahren lassen, wie ein Angestellter berichtet. Die Betonblöcke wurden zum Militärflughafen Al-Muthana im Zentrum von Bagdad gefahren und dort abgekippt. Einige von ihnen finden Wiederverwertung in einem Ring, der derzeit um Bagdad gezogen wird, um Terroristen vor dem Eindringen zu hindern. Andere dienen dem Hochwasserschutz. Wieder andere werden als Baumaterial für Silos verwendet. (Mauerfall in Bagdad: Das Ende der Grünen Zone, Wiener Zeitung, 05.06.2019)

Die meisten der Schutzmauern, die in den letzten zehn Jahren errichtet wurden, um öffentliche und private Gebäude zu sichern, wurden abgerissen. Stattdessen finden sich dort jetzt Parks und Grünflächen. Im Zuge der Veränderungen wurde in Bagdad auch das erste Frauencafé eröffnet. Dort können sich Frauen ohne Begleitung von Männern treffen und ihre Kopftücher und die lange Abaya ablegen, die auf den Straßen so verbreitet sind. Im Café "La Femme" werden Wasserpfeifen angeboten und von einer Frau zubereitet. Es werden alkoholfreie Champagnercocktails, Softgetränke und Snacks serviert. Bisher haben sich noch keine Männer in dieses weibliche Heiligtum gewagt - obwohl sich das Café in einem Hochhaus zusammen mit anderen Restaurants, einer Sporthalle für Männer und nur einem Aufzug befindet. Der Kundenkreis von Adel-Abid umfasst vor allem Frauen aus der Mittel- und Oberschicht. Für ihre jungen Kundinnen organisiert sie reine Frauenfeste zu Geburtstagen, Verlobungen und Abschlussfeiern. Die ältere Generation trinkt lieber Kaffee und hört den alten irakischen Sängern zu, die auf der Musikanlage bevorzugt gespielt werden. Frauen können jetzt Unternehmen führen. Da der "Islamische Staat" verdrängt und die gegenwärtige politische Stabilität zu spüren ist, fordern irakische Frauen immer mehr ihren Anteil am öffentlichen Raum der Stadt. In Mansour, dem Stadtviertel, in dem sich "La Femme" befindet, sind die meisten Cafés und Restaurants heute gemischt, und auch Frauen rauchen dort Wasserpfeife. Der frische Wind des Wandels hat auch das Straßenbild verändert. Frauen kleiden sich wieder bunter, anstatt sich hinter schwarzen Schleiern zu verstecken. Die Entwicklung geht so weit, dass junge Frauen sich immer seltener ein Kopftuch umbinden. Ehen zwischen Sunniten und Schiiten erleben ein Comeback im Irak; unter den Jugendlichen in Bagdad sind sie sogar zum neuen Standard geworden. So wie bei Merry al-Khafaji, die kürzlich Mustafa al-Ani geheiratet hat. Gemeinsam sitzen die beiden Mittzwanziger bei einer Wasserpfeife in einem beliebten Bagdader Garten, sie trägt ihr dunkles Haar offen und ein grünes T-Shirt mit Jeans. Traditionell wählen Eltern die Partner ihrer Kinder, aber Merry al-Khafaji und Mustafa al-Ani lernten sich in dem Telekommunikationsunternehmen kennen, für das sie beide arbeiten. Mittlerweile entwickeln sich immer mehr Liebesbeziehungen bei der Arbeit, im Studium oder in Workshops. Auch soziale Medien haben eine starke Wirkung. Sie eröffnen jungen Menschen einen neuen Weg, neue Freunde in der konservativen irakischen Gesellschaft zu finden. (Die neuen Freiheiten von Bagdad, qantara.de 01.07.2019)

Im Juni 2019 wurde das neue deutsch-irakische Beratungszentrum für Jobs, Migration und Reintegration in Bagdad eröffnet. Es ist das zweite seiner Art im Irak neben dem Beratungszentrum in Erbil, das seine Arbeit bereits im April 2018 aufgenommen hatte. Im Mittelpunkt der Arbeit des Beratungszentrums steht die Schaffung attraktiver und langfristiger Bleibeperspektiven. Zu den angebotenen Leistungen gehören Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie die Unterstützung bei Existenzgründungen. Das Zentrum steht Rückkehrenden ebenso offen wie Binnenvertriebenen und der lokalen Bevölkerung und fördert damit auch die Stärkung des irakischen Privatsektors. In den kommenden Jahren soll das Beratungszentrum schrittweise in die lokalen Strukturen überführt werden, um den langfristigen und nachhaltigen Betrieb zu sichern. (Neues deutsch-irakisches Beratungszentrum in Bagdad eröffnet, BMZ 13.06.2019)

Mitglieder rivalisierender irakischer Motorrad-Clubs, die in Leder mit Nieten und schwarzen Baskenmützen gekleidet waren, tanzten Breakdance und ließen mit ihren tätowierten Armen Neon-Leuchtstäbe kreisen. Der Tanzkreis des Mongols Motorcycle Club war einer von mehreren bei der ‚Riot Gear Summer Rush‘, einer Automobilshow samt Konzert in einem Sportstadion im Herzen von Bagdad. Die Szene hatte etwas ganz anderes als jene Bilder, die üblicherweise aus der Stadt der Gewalt und des Chaos ausgestrahlt wurden. Aber fast zwei Jahre, nachdem der Irak den islamischen Staat besiegte, hat die Hauptstadt ihr Image stillschweigend verändert. Seit die Explosionsschutzwände – ein Merkmal der Hauptstadt seit der US-geführten Invasion im Jahr 2003, bei der Saddam Hussein gestürzt wurde – gefallen sind, hat sich eine weniger restriktive Lebensweise etabliert. „Wir haben diese Party veranstaltet, damit die Leute sehen können, dass der Irak auch über diese Art von Kultur verfügt und dass diese Menschen das Leben und die Musik lieben“, sagte Arshad Haybat, ein 30-jähriger Filmregisseur, der die Riot Gear Events Company gründete. Riot Gear hat bereits zuvor ähnliche Partys im Irak veranstaltet, aber dies war die erste, die für die Öffentlichkeit zugänglich war. Der Tag begann damit, dass junge Männer importierte Musclecars und Motorräder vorführten. Bei Einbruch der Dunkelheit wurde die Show zu einer lebhaften Veranstaltung für elektronische Tanzmusik (EDM). Das irakische Hip-Hop-Kollektiv „Tribe of Monsters“ spielte eine Mischung aus EDM- und Trap-Musik, während junge Männer Verdampfer in ihren Händen hielten und neben Blitzlichter und Rauchmaschinen tanzten, während sie ihre Bewegungen live auf Snapchat und Instagram übertrugen. Es war eine berauschende Mischung aus Bagdads aufkeimenden Subkulturen: Biker, Gamer und EDM-Enthusiasten. Was die meisten gemeinsam hatten, war, dass sie im Irak noch nie einer solchen Veranstaltung beigewohnt hatten. Obwohl von jungen Männern dominiert, nahmen auch viele Frauen an der Veranstaltung teil. Einige von ihnen tanzten in der Nähe der Hauptbühne. Die Veranstalter stellten jedoch sicher, dass eine „Familiensektion“ zur Verfügung stand, damit Frauen, Familien und Liebespaare auch abseits der wilden Menschenmenge tanzen konnten. (Tanzpartys kehren nach Bagdad zurück, mena-watch, 22.08.2019)

Im Oktober 2019 begann eine Protestbewegung in Bagdad und in den südlichen irakischen Provinzen und setzt sich aus Personen unterschiedlichen Alters und Geschlechts zusammen. Die DemonstrantInnen drücken auf der Straße ihre Frustration über hohe Jugendarbeitslosigkeit, mangelhafte öffentliche Dienste und chronische Korruption im Land aus. Insbesondere Studenten entwickelten sich laut Al Jazeera zum Rückgrat der Protestbewegung. Die Demonstrationen breiteten sich in Provinzen im Süd- und Zentralirak aus, darunter Babil, Dhi-Qar, Diyala, Karbala, Maysan, Muthana, Nadschaf, Qadisiya und Wasit. Die kurdischen Regionen im Norden, sowie die sunnitischen Mehrheitsgebiete im Westen blieben größtenteils ruhig. Die erste Phase der Protestbewegung dauerte vom 1. bis zum 9. Oktober an. Laut eines Sprechers des Innenministeriums hatten DemonstrantInnen 51 öffentliche Gebäude und acht Parteizentralen während dieser ersten Protestphase in Brand gesetzt. Eine zweite Protestwelle brach am 24. Oktober in Bagdad und Provinzen Süd- und Zentraliraks aus. Die Demonstrationen dauerten im Dezember weiter an, mit tausenden Protestierenden im Südirak, die nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten Adel Abdel Mahdi einen unabhängigen Kandidaten forderten. Die Protestbewegung, die eine Revision des politischen Systems im Irak forderte, setzte sich im Jänner fort. Zeitgleich führten US-Angriffe gegen die vom Iran unterstützten Volksmobilisierungskräfte (Popular Mobilization Forces, PMF), sowie der tödliche Angriff auf den iranischen General Qasem Soleimani nahe des Flughafens Bagdad am 3. Jänner 2020 zu separaten Demonstrationen, die von pro-iranischen Gruppierungen angeführt wurden und die sich gegen amerikanischen Einfluss im Land richteten. Premieminister Adel Abdel Mahdi zeigte sich öffentlich von Beginn der Proteste um eine Lösung bemüht. Am 8.Oktober 2019 stimmte das Parlament über ein Maßnahmenpaket ab, das unter anderem Ausbildungsprogramme für junge Arbeitslose und die Bereitstellung einer monatlichen Unterstützungsleistung für Familien unter der Armutsgrenze ermöglichen sollte. Der Ministerrat legte daraufhin ein zweites 13-Punkte-Paket vor, das sich unter anderem mit Subventionen und der Bereitstellung von Wohnraum für Arme befasste. Am 16. Oktober kündigte der Oberste Justizrat die Einrichtung eines zentralen Strafgerichtshofs zur Korruptionsbekämpfung an. Das Ministerium für Arbeit und Soziales hat seitdem damit begonnen, gewissen benachteiligten Familien monatliche Auszahlungen zukommen zu lassen. Am 29. November 2019 beugte sich Adel Abdel Mahdi dem innenpolitischen Druck sowie dem Wunsch der DemonstrantInnen und kündigte seinen Rücktritt als Ministerpräsident an. Am 24. Dezember 2019 verabschiedete das irakische Parlament ein neues Wahlgesetz, doch ein neuer Premierminister war noch nicht gefunden worden. Am 1. Februar 2020 wurde Mohammed Tawfiq Allawi, ein ehemaliger Kommunikationsminister, zum Premierminister ernannt. Die genaue Zahl der bei Protesten Getöteten und Verletzten ist unklar. Human Rights Watch berichtet, dass laut irakischem Gesundheitsministerium die Zahl der Todesopfer Mitte Dezember 2019 511 Menschen erreicht habe. Laut der irakischen Menschenrechtskommission wurden bis Ende Dezember mindestens 490 DemonstrantInnen getötet. Amnesty International geht mit 23. Jänner 2020 von mehr als 600 Menschen aus, die seit Oktober 2019 im Zusammenhang mit den Protesten ihr Leben verloren haben. (ACCORD, Aktuelle politische Entwicklungen – Protestlage, 04.03.2020)

Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH führt im Irak das Projekt „Privatsektorentwicklung und Beschäftigungsförderung / Entwicklungsorientierte (Re-)Integration der irakischen Jugend“ durch. Das Vorhaben unterstützt die irakische Regierung dabei, Wirtschaftsreformen zu entwickeln und Investitionsanreize zu schaffen. Es steht in engem Austausch mit politischen Partnern, zivilgesellschaftlichen Gruppen und der Privatwirtschaft. Grundlegend für die Reformen sind neustrukturierte Prozesse für die Politikentwicklung und empirische Daten, die unter anderem Wirtschaftsforschungsnetzwerke zur Verfügung stellen. Dadurch kann die Regierung wirtschaftspolitische Entscheidungen treffen, die auf Fakten basieren. Ziel ist es, die Regulierungen für Investitionen zu vereinfachen, transparenter zu gestalten und dadurch vor Korruption zu schützen. Um den Ausbau der Privatwirtschaft zu fördern, sind Unternehmensgründungen nötig. Das Projekt unterstützt die irakische Regierung dabei, eine Vereinfachung von Regularien umzusetzen und Gründer/innen einen Zugang zu Finanzmitteln zu schaffen. In Zusammenarbeit mit Universitäten führt das Projekt Gründerwettbewerbe durch, bei denen Studierende Unterstützung für die ersten Schritte als Gründer/in erhalten. Das Vorhaben arbeitet außerdem mit Ausbildungseinrichtungen zusammen, um arbeitsmarktorientierte Qualifizierungsangebote zu entwickeln. Weiterbildungen und die Vermittlung von Praktika und Jobs werden kombiniert, um jungen Menschen den Einstieg auf dem Arbeitsmarkt zu erleichtern. Frauen und Rückkehrer/innen bilden dabei einen besonderen Schwerpunkt. Bei der Entwicklung und Umsetzung der Schulungsangebote arbeitet das Projekt zum Teil auch mit internationalen Unternehmen zusammen. Dadurch sollen Trainingsinhalte optimal auf die Bedarfe der Arbeitgeber/innen abgestimmt werden und Teilnehmer/innen gezielt auf ihre Tätigkeiten vorbereitet werden. Damit mehr Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft entstehen, arbeitet das Projekt eng mit lokalen Kammern und Industrieverbänden zusammen. Gemeinsam werden Beratungsleistungen zu Themen wie Buchführung, Marketing und Darlehensverwaltung entwickelt, die sich gezielt an kleine und mittelständische Firmen richten. Durch die Beratungen können Unternehmen ihre Geschäftstätigkeiten verbessern und ausweiten, um dadurch neue Arbeitsplätze zu schaffen. In Branchen mit einem besonders starken Wachstumspotenzial unterstützt das Projekt Unternehmen bei der Markteinführung innovativer Produkte und Dienstleistungen. Das betrifft beispielsweise die Solarenergie oder die Abfallaufbereitung. Dadurch erschließen die Unternehmen neue Geschäftsfelder und gleichzeitig entstehen neue Jobs in den entsprechenden Bereichen. (GIZ, Förderung der Privatwirtschaft – Investitionen und Jobs für neue Perspektiven)

Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH führt im Irak das Projekt „Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) – Neue Job-Perspektiven für eine moderne Jugend im Irak“ durch. Die Bevölkerung des Irak ist eine der jüngsten weltweit. Fast zwei Drittel aller Irakerinnen sind jünger als 25 Jahre, viele von ihnen sind Binnenvertriebene im eigenen Land oder Geflüchtete aus den Nachbarstaaten. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie kaum Beschäftigungsperspektiven haben; jede/r Fünfte von ihnen ist arbeitslos. Bei den größten Arbeitgebern des Landes, der Erdölindustrie und dem öffentlichen Dienst, finden sich immer weniger Erwerbsmöglichkeiten. Die Erdölförderung macht 99 Prozent der irakischen Staatseinnahmen aus, trotzdem sind hier nur ein Prozent aller landesweit Erwerbstätigen beschäftigt. Mehr als die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung ist im öffentlichen Dienst tätig, der jedoch mit sinkenden Staatseinnahmen aufgrund des fallenden Ölpreises keine langfristige Perspektive bietet. Die Privatwirtschaft ist hingegen bislang kaum entwickelt. Junge Iraker/innen interessieren sich zunehmend für den Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) als mögliches Berufsfeld. Die Grundvoraussetzungen dafür sind gut: Mobiles Internet in Breitbandqualität ist nahezu landesweit verfügbar und ermöglicht somit eine flexible Arbeitsweise. Allerdings entsprechen weder die verfügbaren Weiterbildungsangebote, noch die Lehrpläne der angebotenen Studiengänge den Anforderungen des irakischen Arbeitsmarkts. Ein eigenes Unternehmen zu gründen scheitert oft an fehlenden staatlichen Unterstützungsstrukturen und dem mangelnden Zugang zu Krediten oder Kapital von Investoren. Junge Arbeitssuchende, vor allem Frauen, Binnenvertriebene und Geflüchtete sollen von besseren Beschäftigungsperspektiven im Bereich IKT profitieren. (GIZ, Startup your future – Irakische Jugend als Tech-Gründer)

Die Zahl der Binnenvertriebenen (IDP’s) wird seit April 2014 aufgezeichnet, jene der Rückkehrer seit April 2015. Seit Juni 2017 sinkt die Zahl der IDPs kontinuierlich. Zum 31.12.2019 wurden 1,4 Millionen IDPs (235.772 Haushalte), verteilt auf 18 Gouvernements und 104 Distrikte identifiziert. Im Vergleich zum letzten Bericht ging die Zahl der IDPs um 29.868 zurück. Die höchsten Rückgänge wurde in Ninewa (-18.552), Salah al-Din (-5.604) und in Erbil (-5.388) verzeichnet. Die Zahl der Rückkehrer liegt bei 4,6 Millionen (766.075 Haushalte) in 8 Gouvernements und 38 Distrikten. Damit stieg die Zahl der Rückkehrer, verglichen mit dem letzten Bericht, um 135.642 Personen. Verglichen mit dem vorherigen Beobachtungszeitraum (110.658) ist dies Zahl nur leicht gestiegen, sie ist aber doppelt so hoch wie die drei davor liegenden Beobachtungszeiträume (45.012, 38.256 und 54.900). Die meisten Personen kehrten nach Anbar (94.350), Ninewa (27.858) und Salah al-Din (11.352) zurück. Nahezu alle Haushalte (95%, 4.368.594 Personen) kehrten an ihren vor der Vertreibung gewöhnlichen Wohnsitz zurück, der sich in einem guten Zustand befand. Zwei Prozent (76.086) leben in anderen privaten Einrichtungen (gemietete Häuser, Hotels, Gastfamilien). Drei Prozent der Rückkehrer (151.770) leben in kritischen Unterkünften (informelle Siedlungen, religiöse Gebäude, Schulen, unfertige, aufgegebene oder zerstörte Gebäude). Im gesamten Jahr 2019 sank die Zahl der IDPs um 388.200 Personen, jene der Rückkehrer nahm um 431.130 Personen zu. (Displacement Tracking Matrix, Master List Report 113, November – December 2019)

Das Gesundheitsministerium stellt medizinische Versorgung, Leistungen und Rehabilitation für Menschen mit Behinderungen bereit. Es gibt mehrere Einrichtungen für Kinder und junge Erwachsene mit Behinderungen. Es gibt Darlehensprogramme für Menschen mit Behinderungen für die Berufsausbildung. Es sind Gesundheitsdienste für Menschen mit Behinderungen verfügbar. In der Regel konzentrieren sie sich auf Menschen mit körperlichen Behinderungen, die sie mit Rollstühlen, Prothesen, Krücken, Physiotherapie und Hörgeräten versorgen. (UK Home Office, Iraq: Medical and healthcare issues, May 2019)

Im Irak gibt es 2.676 bestätigte Covid-19-Fälle, 870 aktive Fälle, 107 Todesfälle, 1.702 genesene Personen. Insgesamt wurden beinahe 125.000 Tests durchgeführt. 15 Prozent der Fälle ereigneten sich in der Autonomen Region Kurdistan. (UNOCHA, Iraq: Covid-19, Situation Report No. 13, 10.05.2020)

III. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seiner Herkunft, zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit, zu seiner illegalen Einreise sowie zu seiner Antragstellung zur Erlangung internationalen Schutzes ergeben sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren und den Verwaltungsakten.

Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer nicht verheiratet ist, keine Lebensgemeinschaft führt und keine Kinder hat, ergeben sich aus den Angaben in der mündlichen Verhandlung (Seite 4 des Verhandlungsprotokolls). Die Feststellungen zu seiner in Österreich lebenden Schwester ergeben sich ebenso aus seinem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung (Seite 4 des Verhandlungsprotokolls). Die Feststellungen zum Besuch von zwei Deutschkurse ergeben sich aus den Teilnahmebestätigungen (AS 99 und 101). Die Feststellungen, dass er weitere Deutschkurse nicht besuchte, er seine Deutschkenntnisse selbst mit „20 Prozent“ einschätzt und er keine Kurse, keine Vereine und keine Schule besucht sowie nicht berufstätig ist, ergeben sich aus den Angaben in der mündlichen Verhandlung (Seiten 4 und 5 des Verhandlungsprotokolls).

Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung bezieht und strafrechtlich unbescholten ist, ergeben sich aus einem GVS-Auszug und einem Strafregisterauszug.

Die Feststellung zu seinem Unfall im Jahr 2007 ergibt sich aus seinen Angaben vor dem BFA (AS 54) und den in Österreich erfolgten Operationen aus den vorgelegten Arztberichten (OZ 7). Die Feststellung, dass er Tramabenetropfen nimmt, ergibt sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung (Seite 3 des Verhandlungsprotokolls). Die Feststellung, dass er schon im Irak medizinisch behandelt und operiert wurde, ergibt sich aus seinem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung (Seite 6 des Verhandlungsprotokolls).

Hinsichtlich des Zeitpunkts seines Unfalls im Irak gab der Beschwerdeführer vor dem BFA an, dass dies 2007 gewesen sei (AS 54). Vor dem Bundesverwaltungsgericht meinte er, sich nicht mehr genau erinnern zu können, wann dies passiert sei, räumte aber ein, dass es um sein14. Lebensjahr passiert sei (Seiten 5 und 6 des Verhandlungsprotokolls). Es erfolgte daher die Feststellung, dass der Beschwerdeführer ca. im Jahr 2007 bei einem Unfall verletzt wurde. Wenn der Beschwerdeführer dann behauptet, er habe bis zu dem Unfall gearbeitet (Seite 7 des Verhandlungsprotokolls), ist dies aber mit seinen Angaben vor dem BFA nicht vereinbar, wo er erklärte von 2006 bis 2013 gearbeitet zu haben (AS 56). Der Beschwerdeführer erklärte auch, dass er fünf Jahre die Schule besucht habe (Seite 7 des Verhandlungsprotokolls) und gab vor dem BFA an, dass dies von 1999 bis 2004 gewesen sei (AS 56). Wenn der Beschwerdeführer dann vor dem Bundesverwaltungsgericht behauptet, nach Ende des Schulbesuchs ca. 10 Jahre gearbeitet zu haben (Seite 7 des Verhandlungsprotokolls), bedeutet dies, dass er ca. von 2004 bis 2014 gearbeitet hat. Damit steht fest, dass der Beschwerdeführer nach seiner Verletzung weitergearbeitet hat, was er auch selbst so vor dem Bundesverwaltungsgericht angab. Demnach war er ein Jahr im Krankenstand und hat dann weitergearbeitet (Seite 7 des Verhandlungsprotokolls).

Dass der Beschwerdeführer derzeit in keiner medizinischen Behandlung ist, ergibt sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung (Seiten 3 und 4 des Verhandlungsprotokolls). In der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer vor, dass im Juli 2020 eine Operation durchgeführt werden soll, bei der Metall aus seinem Bein entfernt werden soll. Einen Nachweis dafür legte er in der mündlichen Verhandlung jedoch nicht vor. Über Nachfrage des Bundesverwaltungsgerichts im August 2020 teilte der Beschwerdeführer mit, dass die behauptete Operation nicht stattgefunden habe und auf einen „unbestimmten Zeitpunkt“ verschoben worden sei. Im November 2020 gebe es eine radiologische Untersuchung (OZ 11). Aus sämtlichen vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen ergibt sich nicht, dass eine Operation geplant war bzw. ist. Aus den übermittelten Dokumenten (OZ 11) ergibt sich nur die radiologische Untersuchung im November 2020, jedoch kein Hinweis auf eine geplante Operation.

Die Feststellungen zu den im Irak lebenden Eltern und Brüdern ergeben sich aus dem Vorbringen vor dem Bundesverwaltungsgericht (Seiten 4, 8 und 9 des Verhandlungsprotokolls). Die Feststellungen zu seiner Schulbildung und seiner Berufstätigkeit im Irak ergeben aus den Angaben vor dem BFA (AS 56) und vor dem Bundesverwaltungsgericht (Seite 7 des Verhandlungsprotokolls).

Hinsichtlich seiner Religionszugehörigkeit brachte der Beschwerdeführer vor dem BFA vor, dass er Sunnit sei (AS 56). Er konnte kein Dokument vorlegen, aus dem hervorginge, dass er sunnitischer Moslem sei. In der mündlichen Verhandlung wiederholte er, dass er Sunnit sei, doch konnte er auf Nachfrage seine konkrete sunnitische Glaubensrichtung nicht angeben. Er meinte zunächst, er verstünde nicht, was mit der Frage nach der konkreten sunnitischen Glaubensrichtung gemeint sei. Nachdem ihm die Frage erläutert wurde, gab er an, er sei „nur Moslem und Sunnite“. Er sei neutral und nicht so vertieft in diese Angelegenheiten (Seiten 6 und 7 des Verhandlungsprotokolls). Dieses Aussageverhalten des Beschwerdeführers spricht dafür, dass er gar nicht sunnitischer Moslem ist und mit der Erklärung, nicht so vertieft in diese Angelegenheiten zu sein, bloß weitere Nachfragen, die sein mangelndes Wissen über den sunnitischen Glauben wegen seiner nicht gegebenen Zugehörigkeit zu dieser Glaubensgemeinschaft offenbaren können, zu verhindern. Dass dem Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung die Frage nach der konkreten sunnitischen Glaubensrichtung erläutert werden musste, spricht dafür, dass er kein sunnitischer Moslem ist. In anderen Beschwerdeverfahren (zB 2148416) zeigte sich nämlich, dass Beschwerdeführer sehr wohl in der Lage sind, zumindest ihre konkrete sunnitische Glaubensrichtung anzugeben. Der Beschwerdeführer verfügt über zumindest fünfjährige Schulbildung, weshalb es ihm möglich sein müsste, die konkrete sunnitische Glaubensrichtung zu benennen, der er angehöre. Da der Beschwerdeführer dazu nicht im Stande war, ist es nicht glaubhaft, dass er sunnitischer Moslem ist. Es konnte daher auf Grund der aufgezeigten Umstände nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer sunnitischer Moslem ist.

In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer gefragt, ob seine Angaben zu seinem Fluchtgrund in der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem BFA richtig waren. Er behauptete, dass einige Dinge falsch protokolliert worden seien. Er habe sich mit dem damaligen Dolmetscher nicht gut verstanden und er sei auch gesundheitlich nicht in der Lage gewesen, richtige Angaben zu machen, da er damals Schmerzmedikamente genommen habe und unkonzentriert gewesen sei (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls). Auf die Nachfrage, was falsch protokolliert worden sei, behauptete er aber, sich nicht erinnern zu können und meinte, wenn ihm das Protokoll vorgelesen würde, könnte er sagen, was falsch sei. Dieses Vorbringen spricht nun nicht dafür, dass tatsächlich etwas falsch protokolliert wurde, da der Beschwerdeführer von sich aus angeben können müsste, was falsch sei, wenn er dies schon behauptet. Dem Beschwerdeführer wurde das Protokoll schließlich nicht vorgelesen. Er gab dann an, es sei protokolliert, dass er Probleme mit der Regierung und den Milizen hätte. Dies sei nicht richtig, da er nur Probleme mit den Milizen habe. Danach behauptete er, es seien noch zwei weitere Fragen nicht richtig protokolliert worden, aber er könne sich nicht mehr daran erinnern (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls). Wenn der Beschwerdeführer bloß behauptet, es sei etwas falsch protokolliert worden, sich aber nicht daran erinnern kann, was das sei, ist es nicht einmal ansatzweise glaubhaft, dass tatsächlich etwas falsch protokolliert wurde. Der Beschwerdeführer konnte auch nicht plausibel erklären, weshalb die angeblichen falschen Protokollierungen in seiner Beschwerde nicht erwähnt werden. Hier behauptete er, er hätte seinem Vertreter gesagt, dass nicht alles richtig protokolliert sei. Ein derartiges Vorbringen findest sich aber nicht in der Beschwerde (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls). Auch dies spricht nicht dafür, dass tatsächlich etwas falsch protokolliert wurde. Außerdem ist auf das Vorbringen in der Beschwerde selbst zu verweisen, wo ausgeführt wird, dass der Beschwerdeführer in Bagdad zwischen die Milizen und die Regierung geraten sei (AS 365). Es wird also genau das, was der Beschwerdeführer angeblich in der Einvernahme nicht gesagt hat, in der Beschwerde erneut vorgebracht. Auch dies spricht nicht für eine falsche Protokollierung. Schließlich ist noch darauf zu verweisen, dass der Beschwerdeführer vor dem BFA erklärte, den Dolmetscher zu verstehen (AS 52) und physisch sowie psychisch in der Lage zu sein, wahrheitsgemäße Angaben zu machen (AS 52). Nachdem ihm das Protokoll rückübersetzt wurde, erklärte der Beschwerdeführer auch, dass alles korrekt protokolliert worden sei und er nichts berichtigen oder ergänzen wolle. Er habe auch alles verstanden, was er gefragt worden sei und er habe den Dolmetscher einwandfrei verstanden (AS 63). Es bestehen daher keine Zweifel an der Richtigkeit des Protokolls der Einvernahme vor dem BFA.

Außerdem ist noch darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer schon zu Beginn der Einvernahme vor dem BFA behauptet hat, dass er nicht alles habe sagen können, was er sagen habe wollen. Er kritisierte, dass er nicht richtig gefragt worden sei (AS 52f). Als ihm dann die Gelegenheit geboten wurde, richtigzustellen, was nicht richtig festgehalten worden sei, forderte der Beschwerdeführer den Einvernahmeleiter auf, ihm Fragen zu stellen, damit er das beantworten könne (AS 53). Dies gleicht seinem Aussageverhalten vor dem Bundesverwaltungsgericht, wo er verlangte, dass ihm das Protokoll der Einvernahme vor dem BFA vorgelesen werde, damit er sagen könne, was falsch protokolliert worden sei. Es ist hier erneut darauf zu verweisen, dass eine Person von sich aus angeben können muss, was falsch protokolliert worden sei, wenn sie eine derartige Behauptung aufstellt, andernfalls ihre Behauptung nicht glaubhaft ist. Letztendlich stellte sich in der Einvernahme vor dem BFA heraus, dass der Beschwerdeführer seinen Fluchtgrund in der Erstbefragung ausführlicher hätte schildern wollen, seine zum Fluchtgrund gemachten Angaben in der Erstbefragung aber richtig protokolliert wurden und es keinen Fehler im Protokoll der Erstbefragung gibt (AS 53).

Dieses gesamte Aussageverhalten des Beschwerdeführers verdeutlicht, dass der Beschwerdeführer einfach Behauptungen aufstellt, die nicht richtig sind, was gegen seine persönliche Glaubwürdigkeit spricht.

Seinen Antrag auf internationalen Schutz begründete der Beschwerdeführer damit, dass er mit seiner Familie ca. im Juni 2015 seine Heimatstadt XXXX verließ, nachdem dort der IS herrschte. Danach habe die Familie in Bagdad gelebt und seine Eltern hätten ihm geraten, Bagdad zu verlassen. Eine konkret gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung in XXXX brachte der Beschwerdeführer nicht vor. Er bezog sich bloß auf die allgemeine Lage, die dort durch das Auftreten des IS geherrscht habe, weshalb die ganze Familie XXXX verlassen habe und nach Bagdad gezogen sei. Auch hinsichtlich seines Aufenthalts in Bagdad schilderte der Beschwerdeführer keine individuell gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen. Er brachte nur vor, dass seine Eltern ihm, nachdem er sich in Bagdad einen Reisepass habe ausstellen lassen, geraten hätten, in die Türkei oder einen anderen Ort zu reisen (AS 60). Er habe mehrere Versuche für seine Ausreise unternommen, sei auch einmal wieder in den Irak zurückgeschickt worden und sei schließlich im Oktober 2015 endgültig aus dem Irak ausgereist (AS 60).

In der Einvernahme vor dem BFA schilderte der Beschwerdeführer, dass er, als er in Bagdad den Reisepass beantragt habe, einen Ausweis vorgelegt habe, auf dem ersichtlich sei, dass er aus Al Anbar stamme. Dann sei er zwei Stunden befragt worden. Das sei wie eine „schwere Einvernahme“ gewesen (AS 61). In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer befragt, ob es während seines Aufenthalts in Bagdad irgendwelche Vorkommnisse gegeben habe. Diesen vor dem BFA geschilderten Vorfall erwähnte er jedoch nicht mehr. Er sprach hier vielmehr davon, dass er einmal, als er einkaufen gegangen sei, bei einem Kontrollposten zwei Stunden befragt worden sei, als sie auf seinem Ausweis gesehen hätten, dass er Sunnite sei (Seite 11 des Verhandlungsprotokolls). Die einzigen beiden vom Beschwerdeführer im gesamten Verfahren geschilderten Vorfälle widersprechen somit einander eklatant und zwar in welchem Zusammenhang sich dies ereignet hätte (Antragstellung für einen Reisepass – auf dem Weg zum Einkaufen) und aus welchem Grund (Herkunft aus Al Anbar – Religionszugehörigkeit). Zudem ist der vor dem Bundesverwaltungsgericht geschilderte Vorfall, der auf dem Weg zum Einkaufen passiert sei, mit den Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA nicht vereinbar, wo er behauptete, er habe nicht einkaufen gehen können, weil auf seinem Ausweis stünde, dass er aus Al Anbar stamme (AS 60). Es sei daher ein „unbekannter Mann“ für die Familie einkaufen gegangen und habe für sie eine Wohnung gefunden und ihnen Essen gegeben (AS 61). Diese widersprüchlichen Angaben sprechen nicht dafür, dass sich das alles tatsächlich ereignet hat.

In der mündlichen Verhandlung schilderte der Beschwerdeführer auch einen weiteren Vorfall. Dabei sei er auf der Suche nach einer Mietwohnung gewesen, als er in einer Ortschaft viele bewaffnete Personen gesehen habe, die zu den Milizen gehören würden. Er habe Angst bekommen und sei sofort zurückgegangen (Seite 11 des Verhandlungsprotokolls). Daraus kann nun keine Verfolgungshandlung des Beschwerdeführers abgeleitet werden und zudem ist dies wiederum nicht mit den Angaben vor dem BFA vereinbar, wo er erklärte, dass ein „unbekannter Mann“ eine Wohnung für die Familie gefunden habe (AS 61). Vor dem BFA behauptete der Beschwerdeführer noch nicht, dass er selbst auf der Suche nach einer Mietwohnung gewesen sei und es dabei zu diesem Vorfall gekommen sei. Wegen dieses gesteigerten Vorbringens ist es nicht glaubhaft, dass sich dieser Vorfall ereignet haben soll.

In seiner Beschwerde brachte der Beschwerdeführer vor, dass er in Bagdad einer gezielten Verfolgung von schiitischen Milizen ausgesetzt gewesen sei und ein Nachbar der Familie eng mit den Milizen in Verbindung gestanden habe und an diese Informationen über den Beschwerdeführer geliefert habe (AS 365). In der Einvernahme vor dem BFA schilderte der Beschwerdeführer noch keinen konkreten Vorfall, der sich mit einer schiitischen Miliz ereignet hätte. Eine gezielte Verfolgung brachte er gar nicht vor. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erklärte der Beschwerdeführer, dass er vor dem BFA alle Gründe bereits genannt habe (Seite 11 des Verhandlungsprotokolls) und nannte auch hier konkreten Vorfall mit einer Miliz. Er gab nur an, dass er in einer Ortschaft viele bewaffnete Personen gesehen habe, die zu den Milizen gehören würden. Er habe Angst bekommen und sei sofort zurückgegangen. Dass er einer gezielten Verfolgung von einer schiitischen Miliz ausgesetzt gewesen sei, wie in der Beschwerde behauptet, ist daher nicht glaubhaft.

Als der Beschwerdeführer gefragt wurde, weshalb er nicht in Bagdad geblieben sei, erklärte er, dass man entweder mit den Milizen mitarbeiten müsse oder von ihnen getötet werde. Auf Nachfrage gab er jedoch an, dass er selbst nie von Milizen aufgefordert worden sei, mit ihnen mitzuarbeiten (Seite 11 des Verhandlungsprotokolls). Dies behauptete er weder vor dem BFA noch in seiner Beschwerde. Sein Vorbringen, man müsse mit den Milizen mitarbeiten steht auch in völligem Widerspruch zu seinem Beschwerdevorbringen, wonach er einer gezielten Verfolgung einer Miliz ausgesetzt gewesen sei. Auch dieses widersprüchliche und gesteigerte Vorbringen des Beschwerdeführers lässt seine Behauptung nicht glaubhaft erscheinen. Das Vorbringen, dass man mit einer Miliz zusammenarbeiten müsse, erscheint auch deshalb als nicht glaubhaft, da eine schiitische Miliz, wohl keinen Sunniten – wie es der Beschwerdeführer zu sein behauptet – in ihren eigenen Reihen haben will.

Auf Grund des geschilderten Aussageverhaltens des Beschwerdeführers, der aufgetretenen Widersprüche, der teils vagen Angaben und des gesteigerten Vorbringens, ergibt eine Gesamtschau der getätigten Ausführungen zweifelsfrei, dass durch die Schilderungen des Beschwerdeführers eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht werden konnte.

Die Feststellungen zur Lage im Irak stützen sich auf die oben angeführten Quellen. Es handelt sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation im Irak ergeben. Angesichts der Seriosität der darin angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Der Beschwerdeführer trat diesen Feststellungen nicht entgegen.

IV. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

1. Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, "aus Gründen" (Englisch: "for reasons of"; Französisch: "du fait de") der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0047 unter Hinweis auf VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031).

Die Gefahr der Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH 23.02.2017, Ra 2016/20/0089 unter Hinweis auf VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151, mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er aufgrund staatlicher Verfolgung mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm dieser Nachteil aufgrund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es ihm nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohl begründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 24.03.2011, 2008/23/1101 unter Hinweis auf VwGH 22.03.2000, 99/01/0256; mwN).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119 unter Hinweis auf VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793, mwN).

Der Beschwerdeführer brachte eine individuelle Verfolgung nicht vor und die von ihm geschilderten Vorfälle konnte er nicht glaubhaft machen, weshalb die Voraussetzung für die Gewährung von Asyl, die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe, nicht vorliegt.

Hinsichtlich der Herkunft des Beschwerdeführers aus Al Anbar und seinem Vorbringen, die Einwohner Al Anbars würden als dem IS nahestehend angesehen werden, ist auf die UNHCR-Erwägungen zu verweisen, wonach sunnitisch-arabische Personen aus von ISIS-besetzten Gebieten kollektiv verdächtigt würden mit ISIS verbunden zu sein oder zu unterstützen und verschiedenen Vergeltungsmaßnahmen in Form von Gewaltanwendung und Missbrauch ausgesetzt seien, ist dazu festzuhalten, dass sich UNHCR dabei auf drei Berichte stützt, nämlich „Moving Forward Together, Leaving No One Behind: From Stigmatization to Social Cohesion in Post-Conflict Iraq“ vom 31.10.2018, „The Limits of Punishment“ vom Mai 2018 und „Meet Iraq’s Sunni Arabs A strategic profile“ von Oktober 2017. Für jene im Bericht „The Limits of Punishment“ gezogene Schlussfolgerung, wonach Personen Vergeltungsmaßnahmen in Form von Gewaltanwendung und Missbrauch ausgesetzt seien, wird in dem Bericht nicht angeführt, auf welche Datenbasis bzw. Quelle sich diese Schlussfolgerung stützt. Es werden auch keine konkreten diesbezüglichen Vorfälle angeführt, die eine solche Schlussfolgerung zuließen. Der Bericht „Moving Forward Together, Leaving No One Behind: From Stigmatization to Social Cohesion in Post-Conflict Iraq“ basiert auf Interviews, die Ende Juli/Anfang August 2018 mit NGOs im Irak geführt wurden. Der Bericht „Meet Iraq’s Sunni Arabs A strategic profile“ gibt seine Quellen nicht bekannt. Allen drei Berichten ist gemein, dass sie im Entscheidungszeitpunkt nicht die gebotene Aktualität aufweisen.

Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfol

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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