TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/9 W169 2139646-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.09.2020
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Entscheidungsdatum

09.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W169 2139646-3/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , alias XXXX , geb. XXXX , StA Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.08.2020, Zl. 1095272101-191240338, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 68 AVG als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides wird festgestellt, dass gemäß § 9 BFA-VG idgF eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und dem Beschwerdeführer gemäß §§ 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 2 AsylG 2005 idgF ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ erteilt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Erstes Verfahren:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Somalia, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 18. 11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am 19.11.2015 durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Hierbei gab er an, sein Land verlassen zu haben, weil die Terroristengruppe al Shabaab ihn rekrutieren hätte wollen. Zur Rückkehrbefürchtung gab er an, Angst um sein Leben zu haben.

1.2. Am 29.08.2016 wurde der Beschwerdeführer durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, von der al Shabaab entführt worden zu sein. Nach einem Jahr wäre ihm die Flucht aus dem Areal der al Shabaab gelungen. Er sei daraufhin nach Mogadischu gereist, wo er sich drei Monate aufgehalten habe. Für den Fall einer Rückkehr habe er Angst, von der al Shabaab getötet zu werden.

1.3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt. I.) Unter Spruchpunkt II. wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 17.10.2017 erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer eine an asylrelevanten Merkmalen anknüpfende Bedrohung nicht habe glaubhaft machen können. Bei seinen Schilderungen hätten sich Unstimmigkeiten ergeben, die nicht auf einen selbst erlebten Sachverhalt, sondern auf ein Konstrukt zur Asylerlangung schließen lassen würden.

1.4. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Dabei wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass sich die Behörde nicht hinreichend mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt habe, da sie seine Schilderungen als nicht glaubhaft erachte. Verwiesen wurde auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, wonach sich die Sicherheitslage im Zeitraum vom 7.2014 bis 6.2015 im Bezirk Baraawe verschlechtert habe.

1.5. Am 11.09.2017 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ein, welchem mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.10.2017 stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 17.10.2019 erteilt wurde.

1.6. Am 04.02.2019 wurde der Beschwerdeführer wegen der beabsichtigten Aberkennung seines Status des subsidiär Schutzberechtigten vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Auf Vorhalt, dass sich die allgemeine Sicherheitslage im Herkunftsstaat Somalia grundlegend geändert hätte und nunmehr eine verbesserte Versorgungssicherheit prognostiziert werde, gab der Beschwerdeführer an, dass er nicht aus Somalia ausgereist sei, weil er nichts zu essen gehabt habe. Er hätte ein gutes Leben in Somalia gehabt. Wenn Mogadischu sicher wäre, wäre er freiwillig aus Österreich ausgereist. Er sei nicht wegen „Hunger“, sondern wegen der al Shabaab ausgereist. Befragt zu seinen Familienangehörigen, gab er an, dass seine Schwester, seine Mutter und sein Vater jetzt im Bezirk Hodan in Mogadischu leben. Er stehe in Kontakt mit diesen. Eine Tante mütterlicherseits sei in Baraawe wohnhaft, seine vier Onkel väterlicherseits würden in Mogadischu wohnen. Er gehe keiner Beschäftigung in Österreich nach, sei arbeitsuchend und bekomme sein Geld vom Sozialamt. Er habe im Bundesgebiet nur somalische Freunde und besuche derzeit keinen Deutschkurs.

1.7. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.02.2019 wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid vom 17.10.2016 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 leg.cit. entzogen (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit. nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), sowie die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Somalia festgestellt (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

Folgende Feststellungen wurden dem Bescheid im Wesentlichen zu Grunde gelegt: Die Identität des Beschwerdeführers stehe nicht fest. Er sei ein lediger, kinderloser, somalischer Staatsbürger moslemischen Glaubens und gehöre der Volksgruppe der Ashraf an. Er stamme aus Baraawe, habe jedoch vor seiner Ausreise in Mogadischu gelebt. Er sei gesund und arbeitsfähig.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Lage im Herkunftsstaat wesentlich verbessert habe. Er könne vor Ort auf die Unterstützung zahlreicher Hilfsorganisationen zurückgreifen. Der Beschwerdeführer sei im Jahre 2015 jung nach Österreich gekommen und es seien keine Gründe ersichtlich, warum er nun als gereifter, junger Mann nicht nach Mogadischu zurückkehren könne, zumal er dort drei Monate lang vor seiner Ausreise aus Somalia gelebt habe und auch seine Eltern und seine Schwester dort aufhältig seien. Zu diesen würde er nach wie vor den Kontakt pflegen und sie könnten ihn bei der Begründung einer neuen Existenz unterstützen. Da er sein Leben in Österreich auch ohne familiäre Bindung bzw. ohne soziales Netzwerk geführt habe, zeuge dies von einer guten Anpassungsfähigkeit seiner Person, weshalb er auch in der Lage sei, in seiner Heimat eine neue Existenz mit Hilfe seiner Familie aufzubauen.

In der rechtlichen Beurteilung stützte sich die belangte Behörde im Wesentlichen darauf, dass dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgrund der damaligen Versorgungslage sowie der allgemeinen Lebensbedingungen in Somalia in Bezug auf die Verwirklichung sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse zuerkannt worden sei. Die Versorgungslage habe sich aufgrund der Regenfälle wieder entspannt, er könne auf die Unterstützung zahlreicher Hilfsorganisationen zurückgreifen.

1.8. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und gab im Wesentlichen an, dass die maßgeblichen Gründe für die Gewährung des subsidiären Schutzes weiterhin vorlägen. Die Sicherheitslage sei in Hinblick auf die aktuellen Länderberichte als äußerst prekär einzustufen. Obzwar Mogadischu unter der Kontrolle von AMISOM sei, habe sich an den Gründen, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt hätten, im Wesentlichen nichts geändert. Für den Fall einer Rückkehr drohe dem Beschwerdeführer die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK.

1.9. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte zwecks Erörterung der aktuellen Länderberichte zur aktuellen Lage in Somalia unter Zusammenführung beider Verfahren eine mündliche Verhandlung am 16.04.2019 an.

1.10. Die diesbezügliche Ladung wurde dem Beschwerdeführer an der im Zentralen Melderegister angeführten Adresse sowie der Beschwerdeführervertretung durch nachweisliche Hinterlegung zugestellt, und es wurde darauf hingewiesen, dass die Verhandlung in seiner Abwesenheit durchgeführt werden kann, wenn er unentschuldigt die Verhandlung versäumen sollte. Der Ladung wurde zudem das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 12.01.2018, in der aktualisierten Fassung vom 17.09.2018, sowie die Anfragendokumentation der Staatendokumentation vom 11. Mai 2018 beigefügt und die Möglichkeit zur schriftlichen Stellungnahme bis zum 09.04.2019 eingeräumt. Diese Möglichkeit haben der Beschwerdeführer sowie der Beschwerdeführervertreter nicht wahrgenommen.

1.11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 16.04.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Somali eine öffentliche, mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer blieb der Verhandlung unentschuldigt fern, sein Rechtsvertreter ist erschienen. Diesem wurde die ordnungsgemäße Ladung des Beschwerdeführers vorgehalten. Der Beschwerdeführervertreter konnte den Beschwerdeführer fernmündlich nicht erreichen bzw. Auskünfte über den Grund seiner Abwesenheit nennen. In der Verhandlung wurden die beiden Beschwerdeverfahren zur gemeinsamen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 AVG zusammengeführt.

Der bisherige Verfahrensablauf wurde zusammengefasst sowie die aktuellen Länderberichte zur Lage im Herkunftsstaat, insbesondere zur veränderten Versorgungslage im gesamten Land und zur gebesserten Sicherheitslage in Mogadischu, erörtert. Schließlich wurde dem Beschwerdevertreter überdies die Möglichkeit zur Abgabe einer diesbezüglichen Stellungnahme bis 26.04.2019 gewährt. Es wurde erörtert, dass der Beschwerdeführer keine Deutschzertifikate vorgelegt hat. Der Beschwerdeführervertreter beantragte, dass der Beschwerdeführer die Möglichkeit erhält, sein Privatleben nochmals erörtern zu können.

1.12. Bezugnehmend auf den in der Verhandlung gestellten Antrag wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes mit Schreiben vom 16.04.2019 dem Beschwerdeführer sowie dem Beschwerdeführervertreter nachweislich eine Aufforderung zur Bekanntgabe und Urkundenvorlage zugestellt. Hierbei wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, bis zum 26.04.2019 sämtliche Integrationsschritte, welche er in Österreich gesetzt hat sowie sämtliche Integrationsunterlagen, vorzulegen.

1.13. Der Beschwerdeführer ist dieser Aufforderung nicht nachgekommen, eine Stellungnahme zu den Länderberichten wurde seitens des Beschwerdeführers und der Rechtsvertretung bis zur angegebenen Frist nicht nachgereicht.

1.14. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.05.2019, W277 2139646-1/14E sowie W277 2139646-2/9E, wurden die Beschwerden gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2016 und vom 06.02.2019 als unbegründet abgewiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass die Fluchtgründe des Beschwerdeführers nicht glaubwürdig seien und dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Somalia keine an asylrelvante Merkmale anknüpfende Verfolgung drohe. Die Versorgungslage habe sich seit Gewährung des subsidiären Schutzes an den Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2016 wesentlich geändert und es sei weiterhin von einer nachhaltigen Beruhigung der Lage in den Städten Mogadischu sowie Baraawe auszugehen. Grundsätzlich würden dem Beschwerdeführer Unterstützungsmöglichkeiten durch internationale Organisationen vor Ort sowie durch seine in Mogadischu lebenden Familienangehörigen zur Verfügung stehen, zumal der Beschwerdeführer den Kontakt zu seinen Eltern und zu seiner Schwester, welche in Mogadischu leben würden, wiederhergestellt habe. Des Weiteren habe er vier Onkel, die in Mogadischu wohnhaft seien und eine Tante, die in Baraawe wohne. Deshalb stehe dem Beschwerdeführer eine inländische Fluchtalternative in Mogadischu offen und sei diese auch zumutbar. Folglich gehe das Gericht davon aus, dass sich der Beschwerdeführer in einer sicheren Region seines Herkunftsstaates, wie in Mogadischu, eine Existenz aufbauen und sichern könne. Es sei auch davon auszugehen, dass die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen in den Hintergrund treten würden.

2. Gegenständliches Verfahren:

2.1. Am 04.12.2019 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag fand die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er seit 16.01.2019 mit einer somalischen Frau verheiratet sei und mit dieser einen gemeinsamen Sohn, welcher am 30.10.2019 in Wien geboren worden sei, habe. Er sei der leibliche Vater dieses Kindes. Sein Sohn habe den Status des Asylberechtigten. Aus diesem Grund stelle er einen neuerlichen Asylantrag. Er wolle nicht von seiner Familie getrennt werden, außerdem habe er Angst, dass er von der al Shabaab getötet werde.

Im Rahmen der Erstbefragung legte der Beschwerdeführer die Geburtsurkunde seines Sohnes vom 08.11.2019, ausgestellt vom Standesamt Wien-Ottakring, vor.

2.2. Im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 21.07.2020 gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er somalischer Staatsangehöriger sei, sunnitischer Moslem sei und zum Clan der Ashraf gehöre. Er wohne in Wien und habe derzeit kein Einkommen. Er sei in Österreich nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. Außer seiner Ehegattin und seinem Kind habe er keine Verwandten in Österreich. Er habe aber somalische Freunde. Er habe in Österreich den Deutschkurs bis zum Niveau A2 besucht. Jetzt würde er darauf warten, weitere Deutschkurse besuchen zu können. Er könne Deutsch sprechen und verstehen. Er sei gesund, seit 16.01.2019 verheiratet und habe ein Kind. Seine Frau sei jetzt erneut schwanger. Die Ehe mit seiner jetzigen Gattin sei nicht behördlich registriert worden. Es sei eine traditionelle islamische Eheschließung gewesen. Sie hätten eine islamische Heiratsurkunde zum Beweis darüber. Seine Gattin sei auch somalische Staatsangehörige. Sein Sohn sei am 30.10.2019 in Österreich geboren. Zuletzt habe der Beschwerdeführer mit seinem Vater und seiner Schwester im gemeinsamen Haushalt in Somalia in der Stadt Baraawe gelebt. Dort sei er bis Juni 2014 aufhältig gewesen. Im Oktober 2015 habe er Mogadischu schlussendlich verlassen. Auf die Frage, wo er zwischen Juli 2014 und Oktober 2015 gelebt habe, führte der Beschwerdeführer aus, dass er von der Al Shabaab entführt und nach XXXX gebracht worden sei. In Somalia habe sein Vater einen Laden besessen und der Beschwerdeführer habe dort als Hilfsarbeiter gearbeitet; von den Erträgen hätte die Familie leben können. Dieser Laden sei verkauft worden. Es gäbe Verwandte väterlicherseits in Somalia, diese kenne er aber nicht. Sein Vater und seine Schwester hätten zuletzt in Mogadischu gelebt. Sein Bruder lebe in London. Im Mai 2020 sei sein Bruder in Finnland an Krebs gestorben. Den letzten Kontakt zu seiner Schwester und zu seinem Vater in Somalia habe er gehabt, als er sein Heimatland verlassen habe. Von März 2019 bis November 2019 sowie von März bis Mai 2020 habe er sich in Schweden aufgehalten. Sein Bruder sei damals schwer erkrankt. Er habe seinen Bruder noch einmal sehen wollen, habe es aber nicht bis nach Finnland geschafft und sei in Malmö aufhältig gewesen, wo er bei einem Freund gewohnt habe. Auf die Frage, was er von März 2019 bis November 2019 in Schweden gemacht habe, gab der Beschwerdeführer an, dass er damals eine somalische Frau kennengelernt habe. Er habe sich mit dieser zerstritten. Dann habe ihn das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer Einvernahme geladen. Er habe erfahren, dass er seinen Status verliere. Dadurch habe er viel Stress bekommen und deswegen sei er nach Schweden gereist, um „abzuschalten“. Auf die Frage, wie sich sein Familienleben mit seinem Sohn in Österreich gestalte, gab der Beschwerdeführer an, dass seine Frau derzeit hochschwanger sei. Er bringe seinen Sohn zum Spielplatz, versorge ihn und passe auf ihn auf. Er sei für ihn da. Auf die Frage, warum er seine schwangere Frau und seinen Sohn in Österreich zurückgelassen habe, als er in diesem Jahr nach Schweden ausgereist sei, gab der Beschwerdeführer an, dass sein Bruder sehr krank gewesen und im Sterben gelegen sei. Er habe ihn vorher noch einmal sehen wollen. Er bezahle derzeit keinen Unterhalt für seinen Sohn, weil er selbst kein Einkommen habe. Er lebe mit seinem Sohn und seiner Partnerin in Österreich nicht im gemeinsamen Haushalt. Seine Frau lebe in einer Wohnung für Frauen. Am Freitag, Samstag und Sonntag dürfe er jede Woche bei seiner Frau und seinem Sohn schlafen. Sie würden auf eine größere Wohnung warten. Auf die Frage, warum er in Österreich neuerlich einen Asylantrag gestellt habe, gab der Beschwerdeführer an, dass er in Österreich eine Familie gegründet habe. Er habe hier eine Frau geheiratet, mit der er bereits ein Kind habe. Sie sei derzeit hochschwanger und benötige seine Hilfe. Die Probleme, die er damals angegeben habe, warum er Somalia verlassen habe, halte er aufrecht. Er könne nicht nach Somalia zurückkehren. Er möchte bei seiner Familie in Österreich leben. Seine Frau brauche seine Hilfe, er könne seine Familie nicht im Stich lassen. Die Situation in Somalia sei nach wie vor gefährlich. Er habe gar keine Familie mehr in Somalia, zu der er Kontakt habe. Er könne nie von seiner Frau und seinen Kindern getrennt leben. Er wolle seine Kinder unterstützen und erziehen. Er ersuche, ihm einen Status zu gewähren, damit er mit seiner Familie leben und seine Kinder aufziehen könne. Er wolle in Österreich arbeiten und seine Kinder versorgen. Er habe jetzt eine Zukunft und wolle arbeiten und seinen Kindern helfen. Auf Vorhalt, dass seiner Partnerin mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.02.2015 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt worden sei, ihre Ehe jedoch noch nicht vor seiner Einreise nach Österreich bestanden habe, weshalb eine Ableitung des Status von seiner Partnerin nicht möglich sei und darüber hinaus in Österreich keine rechtsgültige Ehe vorliege, sowie auf weiteren Vorhalt, dass sein Sohn im Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 2 AsylG den Status zugesprochen bekommen habe und er von ihm den Status eines Asylberechtigten daher auch nicht ableiten könne, gab der Beschwerdeführer an, dass er das Gesetz nicht kenne und auch nicht „so einen Antrag“ eingebracht habe. Er wolle nur einen Status bekommen, damit er sich in Österreich legal aufhalten und bei seinen Kindern sein könne. Er wolle arbeiten und für diese sorgen. Auf Vorhalt, dass sein Antrag auf internationalen Schutz vom 04.12.2019 wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sei, gab der Beschwerdeführer an, dass er auf die Entscheidung warte. Er halte seine alten Fluchtgründe aufrecht, sein Bruder, den er um Hilfe und Unterstützung ersucht hätte, sei gestorben. Die Situation in Somalia sei noch immer sehr schlecht.

2.3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig sei (Spruch- punkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde ausgeführt, dass gemäß § 55 Abs. 1 a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren keinen entscheidungsrelevanten Sachverhalt vorgebracht habe, der nach rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens entstanden sei. Da weder in der maßgeblichen Sachlage – und zwar weder im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des Beschwerdeführers gelegen sei, noch in jenem, welcher von Amts wegen aufzugreifen sei – noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließen, sei der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen. Hinsichtlich des Spruchpunktes III. wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG nicht vorliegen würden. Weiters wurde festgehalten, dass eine der Rückkehr entgegenstehende Integration des Beschwerdeführers ebenso wenig erkannt werden könne, wie eine der Rückkehr entgegenstehende Situation in Somalia.

Zum Herkunftsstaat stellte das Bundesamt für Fremdwesen und Asyl im Wesentlichen Folgendes fest:

„ 1. Politische Lage

Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 4.3.2019, S.5), aber als autonomer Staat mit eigener Armee und eigener Rechtsprechung funktioniert (NLMBZ 3.2019, S.7). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2018, S.4).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2018, S.5). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten (AA 5.3.2019b). Das Land hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Abs.78), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Der Aufbau von Strukturen auf Bezirksebene geht hingegen nur langsam voran (UNSC 15.5.2019, Abs.50).

Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 4.3.2019, S.4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 5.6.2019b, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2018, S.33).

Die Herausforderungen sind dabei außergewöhnlich groß, staatliche Institutionen müssen von Grund auf neu errichtet werden. Zusätzlich wird der Wiederaufbau durch die Rebellion von al Shabaab, durch wiederkehrende Dürren und humanitäre Katastrophen gehemmt. Außerdem sind Teile der staatlichen Elite mehr mit der Verteilung von Macht und Geld beschäftigt, als mit dem Aufbau staatlicher Institutionen (BS 2018, S.33). In vielen Bereichen handelt es sich bei Somalia um einen „indirekten Staat“, in welchem eine schwache Bundesregierung mit einer breiten Palette nicht-staatlicher Akteure (z.B. Clans, Milizen, Wirtschaftstreibende) verhandeln muss, um über beanspruchte Gebiete indirekt Einfluss ausüben zu können (BS 2018, S.23). Zudem ist die Bundesregierung finanziell von Katar abhängig, das regelmäßig außerhalb des regulären Budgets Geldmittel zur Verfügung stellt (SEMG 9.11.2018, S.30).

Somalia ist keine Wahldemokratie, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2018, S.13f). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 13.3.2019, S.23; vgl. FH 5.6.2019b, A1) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 4.3.2019, S.5f). Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 geplant (AA 5.3.2019b). Angesichts der bestehenden Probleme bleibt aber abzuwarten, ob diese Wahlen wirklich stattfinden werden (NLMBZ 3.2019, S.9). Bei den Vorbereitungen dafür wurden bisher nur wenige Fortschritte gemacht (FH 5.6.2019b, A3).

Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 13.3.2019, S.23), und es gibt diesbezüglich Konflikte mit den Bundesstaaten (NLMBZ 3.2019, S.7).

Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Ende 2016 / Anfang 2017 besetzt (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt. Zuvor waren Abgeordnete unmittelbar durch einzelne Clanälteste bestimmt worden (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b). Das Unterhaus wurde nach Clan-Zugehörigkeit besetzt, das Oberhaus nach Zugehörigkeit zu Bundesstaaten. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2018, S.14/19). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2018, S.22). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b; BS 2018, S.22).

Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 13.3.2019, S.26; vgl. BS 2018, S.13f). Die 4.5-Formel hat zwar politischen Fortschritt gewährleistet, ist aber zugleich Ursprung von Ressentiments (SRSG 13.9.2018, S.2).

Die Präsidentschaftswahl fand am 8.2.2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmaajo“ zum Präsidenten (AA 4.3.2019, S.6; vgl. BS 2018, S.14; USDOS 13.3.2019, S.1). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1). Im März 2017 bestätigte das Parlament Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 5.3.2019b; vgl. BS 2018, S.14). Die aktuelle Regierung agiert wie eine Regierung der nationalen Einheit. Sie wurde so zusammengesetzt, dass alle relevanten Clans und Gruppen sich in ihr wiederfinden (AA 4.3.2019, S.10).

Gemäß einer Quelle üben aber salafistische Netzwerke zunehmend Einfluss auf die Regierung aus (NLMBZ, S.8f). Nach anderen Angaben kann von Salafismus keine Rede sein, vielmehr sind der Präsident und seine Entourage Moslembrüder bzw. deren Ideologie sehr nahestehend (ME 27.6.2019). Wieder eine andere Quelle berichtet, dass die politische Basis des Präsidenten eine nationalistische ist (ICG 12.7.2019, S.10). Gleichzeitig unterwandert al Shabaab das System, indem sie Wahldelegierte zur Kooperation zwingt (Mohamed 17.8.2019).

Das Konzept einer politischen Opposition ist nur schwach ausgeprägt, die Regeln der Politik sind abgestumpft. Misstrauensanträge, Amtsenthebungsverfahren und Wahlen werden zur Bereicherung und zum politischen Machtausbau missbraucht (SRSG 13.9.2018, S.4). Generell sind die Beziehungen zwischen Bundesregierung und Parlament problematisch. Außerdem kam es 2018 zu einer großen Zahl an Personaländerungen, so wurde etwa der Bürgermeister von Mogadischu, zahlreiche Minister und der Chief Justice ersetzt (NLMBZ, S.8f).

Gegen Ende 2018 war vom Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Farmaajo eingeleitet worden. Dieses Verfahren wurde jedoch Mitte Dezember 2018 aus formalen Gründen für ungültig erklärt bzw. zurückgezogen (VOA 20.12.2018; vgl. FH 5.6.2019b, A1; UNSC 15.5.2019, Abs.3). Auch zwischen Ober- und Unterhaus ist es zu politischen Auseinandersetzungen gekommen (AMISOM 15.1.2019a; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.3). Diese wurden im Juli 2019 vorläufig beigelegt (UNSC 15.8.2019, Abs.3).

Ein nationaler Versöhnungsprozess ist in Gang gesetzt worden. Dieser wird international unterstützt (UNSC 21.12.2018, S.6).

Föderalisierung: Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, wurden im Rahmen eines international vermittelten Abkommens von 2013 bis 2016 die Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und HirShabelle neu gegründet (AA 5.3.2019b; vgl. USDOS 13.3.2019, S.1; BS 2018, S.4f/12). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 5.3.2019b; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.22). Mit der Gründung der Bundesstaaten und einem relativ demokratisch erfolgten Machtwechsel konnten wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus gestellt werden (AA 4.3.2019, S.4). Beim Prozess der Föderalisierung gab es in den letzten Jahren signifikante Fortschritte (BS 2018, S.3). Allerdings hat keine dieser Verwaltungen die volle Kontrolle über die ihr nominell unterstehenden Gebiete (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. BS 2018, S.15).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S.55f).

Wichtige Detailfragen zur föderalen Staatsordnung sind weiterhin ungeklärt, z.B. die Einnahmenverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten; die jeweiligen Zuständigkeiten im Sicherheitsbereich; oder die Umsetzung der für 2020 geplanten Wahlen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7) – und die gesamte Frage der Machtverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten (UNSC 15.5.2019, Abs.25; vgl. UNSC 21.12.2018, S.5).

Die Bundesregierung tut sich schwer, in den Bundesstaaten Macht und Einfluss geltend zu machen (NLMBZ 3.2019, S.7). Außerdem kommt es in den Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten immer wieder zu (politischen) Spannungen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7), die manchmal auch in Gewalt eskalierten (BS 2018, S.4).

Zusätzlich haben die Bundesstaaten abseits des Nationalen Sicherheitsrates 2017 einen Kooperationsrat der Bundesstaaten (CIC) geschaffen, welcher unter Ausschluss der Bundesregierung arbeitet (SEMG 9.11.2018, S.5; vgl. AA 5.3.2019b). Während andere Mitglieder des CIC den Dialog mit der Bundesregierung verweigerten (AMISOM 12.10.2018), hat der Präsident von HirShabelle, Mohamed Abdi Waare, diesen zwischenzeitlich gesucht (AMISOM 12.10.2018; vgl. UNSC 21.12.2018, S.1). Der CIC hat bereits zweimal die Kooperation mit der Bundesregierung suspendiert (SEMG 9.11.2018, S.31f), so etwa im September 2018. Im Oktober 2018 haben alle Bundesstaaten außer HirShabelle angekündigt, gemeinsame Sicherheitskräfte aufzustellen (UNSC 21.12.2018, S.1). Generell herrscht zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten ein besorgniserregendes Maß an Misstrauen (SRSG 13.9.2018, S.3). Dadurch wird auch die Lösung von Schlüsselfragen zu Politik und Sicherheit behindert (UNSC 15.5.2019, Abs.2; vgl. SRSG 3.1.2019, S.2).

Bei dieser Auseinandersetzung kommt u.a. die Krise am Golf zu tragen: In Somalia wird eine Art Stellvertreterkrieg ausgetragen, bei welchem die unterschiedlichen Interessen und Einflüsse speziell von Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) eine Rolle spielen. Dies hat die schon bestehenden Spannungen zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten weiter verschärft, erstere ist in zunehmende Isolation geraten (SEMG 9.11.2018, S.4/30; vgl. ICG 12.7.2019, S.9; FH 5.6.2019b, C1). Diese Entwicklung hat zur Destabilisierung Somalias beigetragen (NLMBZ 3.2019, S.10). Allerdings gibt es zumindest Anzeichen für eine Verbesserung der Situation (UNSC 15.5.2019, Abs.80). So hat sich Präsident Farmaajo für die Verschlechterung der Beziehungen zu den Bundesstaaten öffentlich entschuldigt (ICG 12.7.2019, S.9). Die Bundesregierung versucht insbesondere HirShabelle und Galmudug in ihr Lager zu ziehen (BMLV 3.9.2019). Trotzdem bleiben die Spannungen bestehen (UNSC 15.8.2019, Abs.2).

South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Der SWS wurde in den Jahren 2014/2015 etabliert, Sharif Hassan Sheikh Adam zum ersten Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Im Dezember 2018 wurde im SWS neu gewählt (AA 5.3.2019b). In der Folge ist im Jänner 2019 mit Abdulaziz Hassan Mohamed „Lafta Gareen“ ein neuer Präsident angelobt worden (AMISOM 17.1.2019a; vgl. UNSC 27.12.2018; UNSC 15.5.2019, Abs.4). Zuvor war es zu Anschuldigungen gegen die Bundesregierung gekommen, sich in den Wahlkampf eingemischt zu haben. Ein Kandidat – der ehemalige stv. Kommandant der al Shabaab, Mukhtar Robow – war verhaftet worden, was zu gewaltsamen Demonstrationen geführt hat (SRSG 3.1.2019, S.2f; vgl. UNSC 21.12.2018, S.2). Beim Aufbau der Verwaltung konnten Fortschritte erzielt werden (BMLV 3.9.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

-        AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia – Innenpolitik, URL, Zugriff 10.4.2019

-        AMISOM (5.7.2019): Somalia starts process to integrate Ahlu Sunna forces into the Somali Security Forces, URL, Zugriff 16.7.2019

-        AMISOM (17.1.2019a): 17 January 2019 - Morning Headlines [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail

-        AMISOM (15.1.2019a): 15 January 2019 - Daily Monitoring Report [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail

-        AMISOM (12.10.2018): 12 October 2018 - Daily Monitoring Report [Quelle: Jowhar News], Newsletter per E-Mail

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (26.8.2019): Briefing Notes 26. August 2019

-        BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

-        BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

-        BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

-        EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation, URL, Zugriff 24.6.2019

-        FH - Freedom House (5.6.2019b): Freedom in the World 2019 - Somalia, URL, Zugriff 22.7.2019

-        ICG - International Crisis Group (12.7.2019): Somalia-Somaliland: The Perils of Delaying New Talks - Africa Report N°280, URL, Zugriff 8.7.2019

-        ISS - Institute for Security Studies / Meressa K Dessu / Dawit Yohannes (28.2.2019): Is this the right time to downsize AMISOM?, URL, Zugriff 13.3.2019

-        ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation

-        Mohamed, Abdirizak Omar / Hiiraan.com (17.8.2019): The Recent Al-Shabab Resurgence: Policy Options for Somalia, URL, Zugriff 23.8.2019

-        NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

-        SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), URL, Zugriff 8.1.2019

-        SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Nicholas Haysom (3.1.2019): Statement to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

-        SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Michael Keating (13.9.2018): Briefing to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

-        UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019

-        UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

-        UNSC - UN Security Council (27.12.2018): January 2019 Monthly Forecast, URL, Zugriff 15.7.2019

-        UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019

-        UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (24.10.2017): Mohamed Abdi Waare inaugurated as the second President of HirShabelle state, URL, Zugriff 4.9.2019

-        USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

-        VOA - Voice of America / Mohamed Olad Hassan (20.12.2018): Somalia's Parliament Drops Impeachment of President, URL, Zugriff 22.1.2019

1.       Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Die Sicherheitslage bleibt instabil und unvorhersagbar (AMISOM 7.8.2019, S.2). Zwar ist es im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 zu weniger sicherheitsrelevanten Zwischenfällen und auch zu einer geringeren Zahl an Todesopfern gekommen, doch ist die Sicherheitslage weiterhin schlecht. Sie ist vom bewaffneten Konflikt zwischen AMISOM (African Union Mission in Somalia), somalischer Armee und alliierten Kräften auf der einen und al Shabaab auf der anderen Seite geprägt. Zusätzlich kommt es in ländlichen Gebieten zu Luftschlägen (NLMBZ 3.2019, S.17). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (USDOS 13.3.2019, S.1). Wer sich in Somalia aufhält, muss sich der Gefährdung durch Terroranschläge, Kampfhandlungen, Piraterie sowie kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein (AA 17.9.2019). Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2018, S.31).

Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das „urban island scenario“ besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017, S.21; vgl. BMLV 3.9.2019).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden – etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017, S.21/91f; vgl. BMLV 3.9.2019).

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2019). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und – in noch stärkerem Ausmaß – in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (17.9.2019): Somalia – Reise- und Sicherheitshinweise – Reisewarnung, URL, Zugriff 17.9.2019

-        ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), URL, Zugriff 23.1.2019

-        AMISOM (7.8.2019): Progress Report of the Chairperson of the Commission on the situation in Somalia/AMISOM, URL, Zugriff 22.8.2019

-        BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

-        BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

-        LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (9.4.2019): Somalia – Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, URL, Zugriff 8.5.2019

-        NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

-        USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

1.1.    Süd-/Zentralsomalia

Die Sicherheitslage bleibt volatil (UNSC 15.8.2019, Abs.13; vgl. AA 17.9.2019). Al Shabaab bleibt auch weiterhin die größte Quelle von Unsicherheit in Somalia (SRSG 3.1.2019, S.3; vgl. SEMG 9.11.2018, S.4; UNSC 21.12.2018, S.3).

Al Shabaab führt nach wie vor eine effektive Rebellion (LWJ 8.1.2019). Al Shabaab hat sich ihre operative Stärke und ihre Fähigkeiten bewahrt (UNSC 21.12.2018, S.3; vgl. NLMBZ 3.2019, S.20), führt weiterhin Angriffe auf Regierungseinrichtungen, Behördenmitarbeiter, Sicherheitskräfte, internationale Partner und öffentliche Plätze – z.B. Restaurants und Hotels – durch (UNSC 15.8.2019, Abs.13; vgl. AA 17.9.2019).

Dabei hat sich die Gruppe in erster Linie auf die Durchführung von Sprengstoffanschlägen und gezielten Attentaten verlegt (SRSG 3.1.2019, S.3) und kann sowohl gegen harte (militärische) als auch weiche Ziele vorgehen (NLMBZ 3.2019, S.10). Al Shabaab bleibt zudem weiterhin in der Lage, komplexe asymmetrische Angriffe durchzuführen (SEMG 9.11.2018, S.4). Neben Angriffen auf militärische Einrichtungen und strategischen Selbstmordanschlägen auf Regierungsgebäude und städtische Gebiete wendet al Shabaab auch Mörser- und Handgranatenangriffe an, legt Hinterhalte und führt gezielte Attentate durch (NLMBZ 3.2019, S.10). Al Shabaab verfügt auch weiterhin über Kapazitäten, um konventionelle Angriffe und größere Attentate (u.a. Selbstmordanschläge, Mörserangriffe) durchzuführen (LWJ 15.10.2018). Al Shabaab ist auch in der Lage, fallweise konventionelle Angriffe gegen somalische Kräfte und AMISOM durchzuführen, z.B. am 1.4.2018 gegen sogenannte Forward Operational Bases der AMISOM in Buulo Mareer, Golweyn und Qoryooley (Lower Shabelle) (SEMG 9.11.2018, S.22). Nach anderen Angaben kann al Shabaab keine konventionellen Angriffe mehr durchführen. Die Gruppe hat sich v.a. auf Sprengstoffanschläge und gezielte Attentate verlegt (SRSG 3.1.2019, S.3).

Im März und April 2019 kam es zu einem signifikanten Anstieg an Angriffen in Mogadischu. Es kommt weiterhin zu Anschlägen mit improvisierten Sprengsätzen, Mörserangriffen und gezielten Attentaten. Alleine im März 2019 wurden 77 Anschläge mit Sprengsätzen verzeichnet – die höchste Zahl seit 2016. Der Großteil dieser Anschläge betraf Mogadischu, Lower Shabelle, Lower Juba und Gedo (UNSC 15.5.2019, Abs.12f). Ähnliches gilt für den Monat Ramadan (5.5.-3.6.); danach ging die Zahl an Vorfällen zurück (UNSC 15.8.2019, Abs.14). Von Gewalt durch al Shabaab am meisten betroffen sind Mogadischu, Lower und Middle Shabelle; Jubaland, Bay und Hiiraan sind zu einem geringeren Ausmaß betroffen (UNSC 21.12.2018, S.4).

Al Shabaab hat auch die Angriffe mit Mörsern verstärkt. Dabei ist eine zunehmende Treffsicherheit zu verzeichnen. Außerdem führt die Gruppe weiterhin (sporadisch) komplexe Angriffe durch (UNSC 15.5.2019, Abs.14f).

Kampfhandlungen: In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. AMISOM (African Union Mission in Somalia) und al Shabaab (AA 4.3.2019, S.16; vgl. AA 17.9.2019). Die Gruppe führt täglich kleinere Angriffe auf AMISOM, Armee und Regierung durch, alle paar Wochen kommt es zu einem größeren Angriff (BS 2018, S.7). Dies betrifft insbesondere die Regionen Lower Juba, Gedo, Bay, Bakool sowie Lower und Middle Shabelle. Die Region Middle Juba steht in weiten Teilen unter Kontrolle von al Shabaab (AA 4.3.2019, S.16). Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt (LIFOS 3.7.2019, S.22). Die Bezirke Merka, Qoryooley und Afgooye sind nach wie vor stark von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen diesen Städten liegt im Fokus von al Shabaab (ME 27.6.2019). In Süd-/Zentralsomalia bleibt al Shabaab auch für Stützpunkte von Armee und AMISOM eine Bedrohung. Sie behält die Fähigkeit, selbst in schwer befestigte Anlagen in Mogadischu einzudringen (LWJ 3.9.2018).

Ferner kommt es immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander (AA 17.9.2019). Auch somalische und regionale Sicherheitskräfte töteten Zivilisten und begingen sexuelle Gewalttaten – v.a. in und um die Region Lower Shabelle (USDOS 13.3.2019, S.11). Zusätzlich wird die Sicherheitslage durch die große Anzahl lokaler und sogar föderaler Milizen verkompliziert (BS 2018, S.8). Es gibt immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Milizen einzelner Sub-Clans bzw. religiöser Gruppierungen wie Ahlu Sunna Wal Jama’a (AA 4.3.2019, S.16; vgl. HRW 17.1.2019). Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden (AA 4.3.2019, S.16).

Bei Kampfhandlungen gegen al Shabaab, aber auch zwischen Clans oder Sicherheitskräften kommt es zur Vertreibung, Verletzung oder Tötung von Zivilisten (HRW 17.1.2019).

Gebietskontrolle: Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA 4.3.2019, S.5). Die Regierung war nicht immer in der Lage, gewonnene Gebiete abzusichern, manche wurden von al Shabaab wieder übernommen (BS 2018, S.7). Mittlerweile wird zumindest versucht, nach der Einnahme neuer Ortschaften rasch eine Zivilverwaltung einzusetzen, wie im Zuge der Operation Badbaado 2019 in Lower Shabelle zu erkennen war. Trotzdem beherrschen die neu errichteten Bundesstaaten nicht viel mehr als die größeren Städte. Der effektive Einfluss von AMISOM und den somalischen Verbündeten bleibt meist auf das jeweilige Stadtgebiet konzentriert. Teils kommt es zu weiteren (militärischen) Exkursionen (ME 27.6.2019). Die meisten von Regierung/AMISOM gehaltenen Städte sind aber Inseln im Gebiet der al Shabaab (LI 21.5.2019a, S.3; vgl. BFA 8.2017, S.26). AMISOM muss an vielen Einsatzorten von UNSOS aus der Luft oder über See versorgt werden, da Überlandrouten nur eingeschränkt nutzbar sind (UNSC 21.12.2018, S.9).

In einigen Städten ist es in jüngerer Vergangenheit zu Verbesserungen gekommen. Dies gilt mehrheitlich auch für Mogadischu (ME 27.6.2019). Eine Infiltration von unter Kontrolle der Regierung stehenden Städten mittels größerer Kampfverbände von al Shabaab kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor (BFA 8.2017, S.26; vgl. BMLV 3.9.2019). Andererseits führen ausstehende Soldzahlungen zu Meutereien bzw. zur Aufgabe gewonnener Gebiete durch Teile der Armee (z.B. in Middle Shabelle im März 2019) (BAMF 1.4.2019).

Al Shabaab kontrolliert große Teile des ländlichen Raumes in Süd-/Zentralsomalia und bedroht dort die Städte (LWJ 8.1.2019). Außerdem kontrolliert al Shabaab wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Regierungskontrolle Blockaden aufrecht (HRW 17.1.2019).

AMISOM/Operationen: Die Truppensteller von AMISOM glauben nicht daran, dass Regierungskräfte über die notwendigen Kapazitäten verfügen, um wichtige Sicherheitsaufgaben zu übernehmen (HRW 17.1.2019). Die Regierung ist selbst bei der Sicherheit von Schlüssel-Einrichtungen auf AMISOM angewiesen (BS 2018, S.7). Vor desaströsen Auswirkungen eines voreiligen Abzugs von AMISOM wird gewarnt (SRSG 13.9.2018, S.5). Bereits ein Teilabzug im Rahmen einer „Rekonfiguration“ könnte zur Aufgabe sogenannter Forward Operating Bases (FOBs) führen (UNSC 15.5.2019, Abs.72). Die Kräfte von AMISOM sind ohnehin überdehnt (ME 27.6.2019), und schon in den Jahren 2016 und 2017 fielen manche Städte aufgrund des Abzugs von AMISOM zurück an al Shabaab (LI 21.5.2019a, S.1). Auch im Rahmen der Truppenreduzierung im Jahr 2019 hat AMISOM FOBs räumen müssen – etwa Faafax Dhuun (Gedo); andere wurden an die somalische Armee übergeben (ME 14.3.2019).

Nach 2015 hat AMISOM keine großen Offensiven gegen die al Shabaab mehr geführt (ISS 28.2.2019; vgl. SEMG 9.11.2018, S.22), der Konflikt befindet sich in einer Art „Warteschleife“ (ICG 27.6.2019, S.1). Im aktuellen Operationsplan von AMISOM sind ausschließlich kleinere offensive Operationen vorgesehen, welche insbesondere der Absicherung relevanter Versorgungsrouten dienen. Tatsächliche Vorstöße auf das Gebiet der al Shabaab sind so gut wie keine vorgesehen. Das heißt, dass AMISOM lediglich auf die Absicherung wesentlicher gesicherter Räume (v.a. Städte) und wichtiger Versorgungsrouten abzielt (ME 14.3.2019). In diesem Sinne ist auch die Operation Badbaado (Lower Shabelle) zu sehen, bei welcher v.a. somalische Truppen herangezogen wurden (ME 27.6.2019). Ein weiteres Zurückdrängen von al Shabaab durch AMISOM kann auf dieser Grundlage nicht erwartet werden (ME 14.3.2019).

Islamischer Staat (IS): Neben al Shabaab existieren in Süd-/Zentralsomalia auch kleinere Zellen des sog. IS (LWJ 16.11.2018). Deren Aktivitäten haben sich ausgedehnt, der IS verübt Mordanschläge in – v.a. – Mogadischu, Afgooye und Baidoa (SEMG 9.11.2018, S.4/28f; vgl. LWJ 4.1.2019; NLMBZ 3.2019, S.15). Dort verfügt der IS über ein Netzwerk. Unklar bleibt, ob dieses mit der IS-Fraktion in Puntland in Kontakt steht (SEMG 9.11.2018, S.4/28f; vgl. NLMBZ 3.2019, S.16). Insgesamt hat sich der IS im Zeitraum Oktober 2017 bis August 2018 zu 50 Attentaten bekannt, tatsächlich konnten nur 13 verifiziert werden (SEMG 9.11.2018, S.4/28f). Die Fähigkeiten des IS in und um Mogadischu sind auf gezielte Attentate beschränkt (UNSC 21.12.2018, S.3).

Zivile Opfer: Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur durch al Shabaab führten 2018 zu hunderten zivilen Todesopfern und Verletzten (HRW 17.1.2019). Allerdings sind Zivilisten nicht das Primärziel (NLMBZ 3.2019, S.12; vgl. LWJ 9.11.2018), wiewohl sie als Kollateralschaden in Kauf genommen werden (NLMBZ 3.2019, S.12; vgl. LI 28.6.2019, S.8). So wurde z.B. als Grund für einen Angriff auf das Sahafi Hotel in Mogadischu am 9.11.2018 von al Shabaab angegeben, dass dort Offiziere und Regierungsvertreter wohnen würden (LWJ 9.11.2018). Der Umstand, dass bei al Shabaab willkürliche Angriffe gegen Zivilisten nicht vorgesehen sind, unterscheidet die Methoden der Gruppe von jenen anderer Terroristen (z.B. Boko Haram) (NLMBZ 3.2019, S.12).

Im Zeitraum Jänner-September 2018 sind in Somalia bei Sprengstoffanschlägen mindestens 280 Menschen ums Leben gekommen, 220 wurden verletzt. 43% der Opfer waren Zivilisten; hauptsächlich betroffen waren die Regionen Lower Shabelle und Benadir/Mogadischu (USDOS 13.3.2019, S.13).

Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten. Im Jahr 2018 kam es bei Zusammenstößen zwischen Clanmilizen sowie zwischen diesen und al Shabaab in Puntland, Galmudug, Lower und Middle Shabelle, Lower Juba, Hiiraan und Bay zu Todesopfern. Zusätzlich kommt es zu Kämpfen zwischen Clans und Sub-Clans, v.a. im Streit um Wasser und Land. Im Jahr 2018 waren davon v.a. die Regionen Hiiraan, Galmudug, Lower und Middle Shabelle betroffen (USDOS 13.3.2019, S.2/11f). Derartige Kämpfe sind üblicherweise lokal begrenzt und dauern nur kurze Zeit, können aber mit großer – generell gegen feindliche Kämpfer gerichteter – Gewalt verbunden sein (LI 28.6.2019, S.8).


Insgesamt werden die Zahlen ziviler Opfer (Tote und Verletzte) wie folgt angegeben:

Verletzte und Tote

5.5.2019-21.7.2019

(78 Tage)

14.12.2018-4.5.2019

(142 Tage)

1.1.2018-30.11.2018

(334 Tage)

Opfer gesamt

322

757

1384

Opfer/Tag

4,13

5,33

4,14

Quelle

(UNSC 15.8.2019, Abs.46)

(UNSC 15.5.2019, Abs.55)

(UNSOM 11.2018)

Jahres-Hochrechnung

1506,80

1945,81

1512,46

In Relation zur Gesamtbevölkerung

1:8163

1:6321

1:8132

Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 12,3 Millionen Einwohnern (UNFPA 1.2014, S.31f) – wobei andere Quellen von mindestens 14,7 Millionen ausgehen (USDOS 21.6.2019, S.2) – lag die Quote getöteter oder verletzter Zivilisten in Relation zur Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia zuletzt bei 1:8163.

Luftangriffe: Es kommt vermehrt zu US-Luftangriffen. Die Zahl stieg von 15 im Jahr 2016 auf 35 im Jahr 2017 und weiter auf 47 im Jahr 2018 (LWJ 8.1.2019). Dabei wurden 2018 von der US-Luftwaffe 326 Personen getötet. Alleine im Jänner und Feber 2019 meldete AFRICOM weitere 24 Luftschläge mit 225 Getöteten – nach Angaben von AFRICOM ausschließlich Kämpfer der al Shabaab (TNYT 10.3.2019). Danach ging die Frequenz zurück. Bis Ende April waren es 28 Luftschläge (UNSC 30.4.2019). Angriffe finden in mehreren Regionen statt, in jüngerer Zeit, z.B. am 23.2.2019 auf Stützpunkte von al Shabaab in der Ortschaft Qunyow Barrow (Middle Juba), nahe Aw

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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