TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/22 L516 1268457-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.09.2020
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Entscheidungsdatum

22.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
AsylG-DV 2005 §4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch


L516 1268457-4/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Pakistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.07.2017, Zahl IFA 354067403 + Verfahren 14072427, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 4 AsylG-DV als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 58 Abs 11 Z 2 AsylG als unbegründet abgewiesen.

III. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 10 Abs 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs 3 und Abs 9 sowie § 46 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte am 28.11.2013 beim Amt der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35 (MA 35), einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung“ gemäß § 43 Abs 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) in der zum damaligen Zeitpunkt gültigen Fassung. Mit Schreiben vom 26.12.2013 stellte der Beschwerdeführer einen Zusatzantrag gemäß § 19 Abs 8 NAG nach der zum damaligen Zeitpunkt gültigen Rechtslage.

Das BFA wies diesen Antrag zunächst mit Bescheid vom 08.04.2015 gemäß § 58 Abs 11 Z 2 AsylG zurück; jener Bescheid wurde durch Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.02.2016, L516 1268457-3/4E, ersatzlos aufgehoben. Das BFA wies den Antrag des Beschwerdeführers nunmehr mit Bescheid vom 17.07.2017 (I.) (erneut) gemäß § 58 Abs 11 Z 2 AsylG zurück, erließ (II.) gemäß § 10 Abs 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 3 FPG, stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei, sprach aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage und wies (III.) den Zusatzantrag auf Heilung gemäß § 4 Abs 1 AsylG-DV vom 26.12.2013 ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: S=Seite; AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift; SN=schriftliche Stellungnahme; EG=Eingabe; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich; SD=Staatendokumentation des BFA; LIB=Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA]

1.1 Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen und sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan. In seinem pakistanischen Reisepass lautet sein Vorname XXXX und sein Nachname XXXX , als Geburtsdatum ist der XXXX eingetragen. Seine Identität steht fest. (Erkenntnis AsylGH vom 13.01.2009, Zahl C2 268457-1/2008/26E; pakistanischer Reisepass, OZ 6)

1.2 Der Beschwerdeführer reiste spätestens am 23.03.2004 in Österreich ein und stellte an diesem Tag einen Asylantrag, welcher mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 13.01.2009, C2 268457-1/2008/26E abgewiesen und der Beschwerdeführer nach Pakistan ausgewiesen wurde (AS 91ff). Am 28.11.2013 stellte er beim Amt der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35 (MA 35), einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung“ gemäß § 43 Abs 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) in der zum damaligen Zeitpunkt gültigen Fassung. Mit Schreiben vom 26.12.2013 stellte der Beschwerdeführer einen Zusatzantrag gemäß § 19 Abs 8 NAG nach der zum damaligen Zeitpunkt gültigen Rechtslage.

1.3 Der Beschwerdeführer verfügte mit Unterbrechungen bis 10.09.2018 über eine Wohnsitzmeldung in Österreich (ZMR). Der Beschwerdeführer bestand die Deutschprüfung auf dem Sprachniveau A2 am 14.09.2016 (ÖSD-Zertifikat, AS 168). Ihm wurde ein arbeitsrechtlicher Vorvertrag für eine Tätigkeit in Wien ausgestellt (AS 170) und er legte drei Unterstützungsschreiben vom September 2016 vor (AS 171-173). Er ist strafrechtlich unbescholten (Strafregister der Republik Österreich).

1.4 Im Zeitraum zwischen 20.07.2015 und 26.08.2017 verfügte der Beschwerdeführer über eine von der Republik Italien ausgestellte Berechtigung zum Aufenthalt („permesso di soggiorno“). Aktuell verfügt der Beschwerdeführer über keinen gültigen Aufenthaltstitel für Italien (OZ 9).

1.5 Am 29.03.2018 wurde der Beschwerdeführer bei der Einreise von Italien nach Österreich fremdenpolizeilich kontrolliert, wobei er erstmals seinen von 25.02.2015 bis 24.02.2020 gültigen Reisepass vorlegte. Er gab weiters an, dass er seit Juni 2014 in Italien lebe, wo auch seine Tante, sein Onkel und deren Kinder leben würden. Er habe seit zwei Monaten eine Firma angemeldet, verdiene etwa EUR 500 monatlich und habe zuvor als Hausmeister gearbeitet. Er beabsichtige, ein Visum für seine Frau und seinen Sohn für Italien zu beantragen. Er wolle nicht in Österreich bleiben, sondern besuche hier nur hin und wieder Freunde. Er wolle in Italien leben. Er fliege öfters nach Pakistan um seine Frau und sein Kind zu besuchen (NS LPD 29.03.2018).

1.6 Der Beschwerdeführer gab bis heute weder dem BFA noch dem Bundesverwaltungsgericht und auch nicht seiner vormaligen Vertretung eine aktuelle Zustelladresse bekannt. Seit 2017 besteht kein Kontakt mehr zwischen dem Beschwerdeführer und seiner früheren rechtlichen Vertretung (Stellungnahme OZ 8).

1.7 Zur Lage in Pakistan

Politische Lage

Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa. Die FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) sind nach einer Verfassungsänderung im Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert worden. Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete von GilgitBaltistan und Azad Jammu & Kashmir, dem auf der pakistanischen Seite der Demarkationslinie (“Line of Control”) zwischen Indien und Pakistan liegenden Teil Kaschmirs. Beide Gebiete werden offiziell nicht zum pakistanischen Staatsgebiet gerechnet und sind in Teilen autonom. Das Hauptstadtterritorium Islamabad (“Islamabad Capital Territory”) bildet eine eigene Verwaltungseinheit (AA 1.2.2019a).

Die gesetzgebende Gewalt in Pakistan liegt beim Parlament (Nationalversammlung und Senat). Daneben werden in den Provinzen Pakistans Provinzversammlungen gewählt. Die Nationalversammlung umfasst 342 Abgeordnete, von denen 272 vom Volk direkt für fünf Jahre gewählt werden. Es gilt das Mehrheitswahlrecht. 60 Sitze sind für Frauen, 10 weitere für Vertreter religiöser Minderheiten reserviert (AA 1.2.2019a). Die reservierten Sitze werden von den Parteien gemäß ihrem Stimmenanteil nach Provinzen besetzt, wobei die Parteien eigene Kandidatenlisten für diese Sitze erstellen. (Dawn 2.7.2018).

Bei der Wahl zur Nationalversammlung (Unterhaus) am 25. Juli 2018 gewann erstmals die Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI: Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit) unter Führung Imran Khans die Mehrheit (AA 1.2.2019a). Es war dies der zweite verfassungsmäßig erfolgte Machtwechsel des Landes in Folge (HRW 17.1.2019). Die PTI konnte durch eine Koalition mit fünf kleineren Parteien sowie der Unterstützung von neun unabhängigen Abgeordneten eine Mehrheit in der Nationalversammlung herstellen (ET 3.8.2018). Imran Khan ist seit Mitte August 2018 Premierminister Pakistans (AA 1.2.2019).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von Parlament und Provinzversammlungen gewählt. Am 9. September 2018 löste Arif Alvi von der Regierungspartei PTI den seit 2013 amtierenden Präsidenten Mamnoon Hussain (PML-N) Staatspräsident regulär ab (AA 1.2.2019a).

Sicherheitslage allgemein

Die Bedrohung durch Terrorismus und Extremismus bleibt zentrales Problem für die innere Sicherheit des Landes (AA 1.2.2019a; vgl. USDOS 19.9.2018). Landesweit ist die Zahl der terroristischen Angriffe seit 2009, zurückgegangen (PIPS 7.1.2019; vgl. AA 21.8.2018, USDOS 19.9.2018). Konflikte mit dem Nachbarland Indien werden gelegentlich gewaltsam ausgetragen (EASO 10.2018 S 16).

Die Taliban und andere militante Gruppen verüben Anschläge insbesondere in Belutschistan und in Khyber-Pakhtunkhwa (AA 21.8.2018), aber auch in Großstädten wie Karatschi (AA 1.2.2019a). Über 90 % der terroristischen Anschläge sowie Todesopfer entfielen 2018 auf die zwei Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa (PIPS 7.1.2019). Die Anschläge zielen vor allem auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei. Opfer sind aber auch politische Gegner der Taliban, Medienvertreter, religiöse Minderheiten, Schiiten, sowie Muslime, die nicht der strikt konservativen Islam-Auslegung der Taliban folgen, wie die Sufis (AA 1.2.2019a).

Die Operationen der Rangers [siehe dazu Abschnitt 5] in Karatschi (ab 2013), Militäroperationen in Nord-Wasiristan und der Khyber Agency [Stammesbezirke der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, Anm.], sowie landesweite Anti-Terror-Operationen als Teil des National Action Plan (NAP) trugen dazu bei, den rückläufigen Trend bei der Zahl der Vorfälle und der Opfer auch 2018 aufrecht zu halten (PIPS 7.1.2019 S 20; vgl. EASO 10.2018 S 18). In den ehemaligen Stammesgebieten (Federally Administered Tribal Areas – FATA) konnte das staatliche Gewaltmonopol überwiegend wiederhergestellt werden (AA 21.8.2018), die Militäraktionen gelten als abgeschlossen (Dawn 29.5.2018). Viele militante Gruppen, insbesondere die pakistanischen Taliban, zogen sich auf die afghanische Seite der Grenze zurück und agitieren von dort gegen den pakistanischen Staat (AA 21.8.2018).

Sicherheitslage - Punjab und Islamabad

Die Bevölkerung der Provinz Punjab beträgt laut Zensus 2017 110 Millionen. In der Provinzhauptstadt Lahore leben 11,1 Millionen Einwohner (PBS 2017d). Islamabad, die Hauptstadt Pakistans, ist verwaltungstechnisch nicht Teil der Provinz Punjab, sondern ein Territorium unter Bundesverwaltung (ICTA o.D.). Die Bevölkerung des Hauptstadtterritoriums beträgt laut Zensus 2017 ca. zwei Millionen Menschen (PBS 2017d).

Die Sicherheitslage in Islamabad ist besser als in anderen Regionen (EASO 10.2018 S 93). Die Sicherheitslage im Punjab gilt als gut (SAV 29.6.2018). Mehrere militante Gruppierungen, die in der Lage sind, Anschläge auszuüben, sind im Punjab aktiv (EASO 10.2018 S 63-64; vgl. SAV 29.6.2018). In großen Städten wie Lahore und Islamabad-Rawalpindi gibt es gelegentlich Anschläge mit einer hohen Zahl von Opfern, durchgeführt von Gruppen wie den Tehreek-i-Taliban Pakistan (TTP), Al Qaeda oder deren Verbündeten (ACLED 7.2.2017); beispielsweise wurden bei einem Bombenanschlag durch die TTP-Splittergruppe Hizbul-Ahrar auf Polizeieinheiten vor einem Sufi-Schrein in Lahore am 8.5.2019 zehn Personen getötet. (Guardian 8.5.2019; vgl. Reuters 8.5.2019). Der Südpunjab gilt als die Region, in der die militanten Netzwerke und Extremisten am stärksten präsent sind (EASO 10.2018 S 63-64).

Für das erste Quartal 2019 (1.1. bis 31.3.) registrierte PIPS für das Hauptstadtterritorium Islamabad keinen und für den Punjab zwei terroristische Angriffe mit zwei Toten (Aggregat aus: PIPS 6.2.2019. PIPS 7.3.2019, PIPS 10.4.2019). Im Jahr 2018 wurde von PIPS im Hauptstadtterritorium kein terroristischer Angriff gemeldet. Im Punjab gab es vier terroristische Anschläge mit 20 Todesopfern. Zwei davon waren Selbstmordsprengangriffe durch die pakistanischen Taliban (PIPS 7.1.2019 S 49). Im Jahr 2017 kamen im Punjab bei 14 Anschlägen 61 Personen ums Leben, davon fanden sechs Vorfälle mit 54 Toten in Lahore statt. Das Hauptstadtterritorium verzeichnete drei Anschläge mit zwei Todesopfern (PIPS 7.1.2018).

Polizei

Die Effizienz der Arbeit der Polizeikräfte variiert von Bezirk zu Bezirk und reicht von gut bis ineffizient (USDOS 13.3.2019). In der Öffentlichkeit genießt die vor allem in den unteren Rängen schlecht ausgebildete, gering bezahlte und oft unzureichend ausgestattete Polizei kein hohes Ansehen. So sind u.a. die Fähigkeiten und der Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung und Beweiserhebung gering. Staatsanwaltschaft und Polizei gelingt es häufig nicht, belastende Beweise in gerichtsverwertbarer Form vorzulegen. Zum geringen Ansehen der Polizei tragen die extrem hohe Korruptionsanfälligkeit ebenso bei wie häufige unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam genommenen Personen. Illegaler Polizeigewahrsam und Misshandlungen gehen oft Hand in Hand, um den Druck auf die festgehaltene Person bzw. deren Angehörige zu erhöhen, durch Zahlung von Bestechungsgeldern eine zügige Freilassung zu erreichen, oder um ein Geständnis zu erpressen. Die Polizeikräfte sind oft in lokale Machtstrukturen eingebunden und dann nicht in der Lage, unparteiische Untersuchungen durchzuführen. So werden Strafanzeigen häufig gar nicht erst aufgenommen und Ermittlungen verschleppt (AA 21.8.2018).

Die Polizeikräfte versagen oftmals dabei, Angehörigen religiöser Minderheiten – wie beispielsweise Ahmadis, Christen, Schiiten und Hindus – Schutz vor Übergriffen zu bieten. Es gibt jedoch Verbesserungen bei der Professionalität der Polizei. Einzelne lokale Behörden demonstrierten die Fähigkeit und den Willen, unter großer eigener Gefährdung Minderheiten vor Diskriminierung und Mob-Gewalt zu schützen (USDOS 13.3.2019).

Grundversorgung und Wirtschaft

Pakistans Wirtschaft hat wegen einer günstigen geographischen Lage, Ressourcenreichtum, niedrigen Lohnkosten, einer jungen Bevölkerung und einer wachsenden Mittelschicht Wachstumspotenzial. Dieses Potenzial ist jedoch aufgrund jahrzehntelanger Vernachlässigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, periodisch wiederkehrender makroökonomischer sowie politischer Instabilität und schwacher institutioneller Kapazitäten nicht ausgeschöpft. Als größte Wachstumshemmnisse gelten Korruption, ineffiziente Bürokratie, ein unsicheres regulatorisches Umfeld, eine trotz Verbesserungen in den letzten Jahren relativ teure bzw. unzureichende Energieversorgung und eine – trotz erheblicher Verbesserung seit 2014 – teils fragile Sicherheitslage (AA 5.3.2019).

Der wichtigste Wirtschaftssektor in Pakistan ist der Dienstleistungssektor (Beitrag zum BIP 59 %; der Sektor umfasst u. a. auch den überproportional großen öffentlichen Verwaltungsapparat). Auch der Industriesektor ist von Bedeutung (Beitrag zum BIP 21 %). Der bei weitem wichtigste Exportsektor ist die Textilbranche. Einen dem Industriesektor vergleichbaren Beitrag zum BIP (20 %) leistet die Landwirtschaft, in der jedoch 42 % der arbeitenden Bevölkerung tätig ist. Etwa 60 % der ländlichen Bevölkerung hängen direkt oder indirekt vom landwirtschaftlichen Sektor ab. Die Provinz Punjab gehört unter anderem bei Getreideanbau und Viehzucht zu den weltweit größten Produzenten (AA 5.3.2019; vgl. GIZ 2.2019a).

Die pakistanische Wirtschaft wächst bereits seit Jahren mit mehr als vier Prozent. Für 2018 gibt der Internationale Währungsfonds (IWF) sogar ein Plus von 5,6 Prozent an. Das Staatsbudget hat sich stabilisiert und die Börse in Karatschi hat in den vergangenen Jahren einen Aufschwung erlebt. Erreicht wurde dies durch einschneidende Reformen, teilweise unterstützt durch den IWF. In der Vergangenheit konnte Pakistan über die Jahrzehnte hinweg jedoch weder ein solides Wachstum halten noch die Wirtschaft entsprechend diversifizieren. Dies kombiniert mit anderen sozioökonomischen und politischen Faktoren führte dazu, dass immer noch etwa ein Drittel der pakistanischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt (GIZ 2.2019a).

Das Programm Tameer-e-Pakistan soll Personen bei der Arbeitssuche unterstützen (IOM 2018). Das Kamyab Jawan Programme, eine Kooperation des Jugendprogrammes des Premierministers und der Small and Medium Enterprises Development Authority (SMEDA), soll durch Bildungsprogramme für junge Menschen im Alter zwischen 15 und 29 die Anstellungsmöglichkeiten verbessern (Dawn 11.2.2019).

Sozialbeihilfen

Der staatliche Wohlfahrtsverband überprüft an Hand spezifischer Kriterien, ob eine Person für den Eintritt in das Sozialversicherungssystem geeignet ist. Die Sozialversicherung ist mit einer Beschäftigung im privaten oder öffentlichen Sektor verknüpft (IOM 2018). Das Benazir Income Support Program und das Pakistan Bait-ul-Mal vergeben ebenfalls Unterstützungsleistungen (USSSA 3.2017).

Pakistan Bait-ul-Mal ist eine autonome Behörde, die Finanzierungsunterstützung an Notleidende, Witwen, Waisen, Invalide, Kranke und andere Bedürftige vergibt. Eine Fokussierung liegt auf Rehabilitation, Bildungsunterstützung, Unterkunft und Verpflegung für Bedürftige, medizinische Versorgung für mittellose kranke Menschen, der Aufbau kostenloser medizinischer Einrichtungen, Berufsweiterbildung sowie die finanzielle Unterstützung für den Aufbau von selbständigen Unternehmen (PBM o.D).

Das Benazir Income Support Programme zielt auf verarmte Haushalte insbesondere in abgelegenen Regionen ab. Durch Vergabe von zinsfreien Krediten an Frauen zur Unternehmensgründung, freie Berufsausbildung, Versicherungen zur Kompensation des Verdienstausfalles bei Tod oder Krankheit des Haupternährers und Kinderunterstützungsgeld sollen insbesondere Frauen sozial und ökonomisch ermächtigt werden (ILO 2017).

Die Edhi Foundation ist die größte Wohlfahrtstiftung Pakistans. Sie gewährt u.a. Unterkunft für Waisen und Behinderte, eine kostenlose Versorgung in Krankenhäusern und Apotheken, sowie Rehabilitation von Drogenabhängigen, kostenlose Heilbehelfe, Dienstleistungen für Behinderte sowie Hilfsmaßnahmen für die Opfer von Naturkatastrophen (Edih o.D.).

Die pakistanische Entwicklungshilfeorganisation National Rural Support Programme (NRSP) bietet Mikrofinanzierungen und andere soziale Leistungen zur Entwicklung der ländlichen Gebiete an. Sie ist in 70 Distrikten der vier Provinzen – inklusive Azad Jammu und Kaschmir – aktiv. NRSP arbeitet mit mehr als 3,4 Millionen armen Haushalten zusammen, welche ein Netzwerk von ca. 217.000 kommunalen Gemeinschaften bilden (NRSP o.D).

Medizinische Versorgung

In Islamabad und Karatschi ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem hohen Niveau und damit auch teuer (AA 13.3.2019). In modernen Krankenhäusern in den Großstädten konnte – unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit – eine Behandlungsmöglichkeit für die am weitesten verbreiteten Krankheiten festgestellt werden. Auch die meisten Medikamente, wie z. B. Insulin, können in den Apotheken in ausreichender Menge und Qualität erworben werden und sind für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich (AA 21.8.2018).

In staatlichen Krankenhäusern, die i.d.R. europäische Standards nicht erreichen, kann man sich bei Bedürftigkeit kostenlos behandeln lassen. Da Bedürftigkeit offiziell nicht definiert ist, reicht die Erklärung aus, dass die Behandlung nicht bezahlt werden kann. Allerdings trifft dies auf schwierige Operationen, z.B. Organtransplantationen, nicht zu. Hier können zum Teil gemeinnützige Stiftungen die Kosten übernehmen (AA 21.8.2018).

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährleistet die Bewegungsfreiheit im Land sowie uneingeschränkte internationale Reisen, Emigration und Repatriierung (USDOS 13.3.2019). Die Regierung schränkt den Zugang zu bestimmten Gebieten der ehemaligen FATA und Belutschistan aufgrund von Sicherheitsbedenken ein (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 1.2019, HRCP 3.2019). Es gibt einzelne rechtliche Einschränkungen, Wohnort, Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu wechseln (FH 1.2019).

Dokumente

Pakistan verfügt über eines der weltweit umfangreichsten Bürger-Registrierungssysteme. Die zuständige Behörde ist die National Database & Registration Authority (NADRA) (PI 1.2019). NADRA ist für die Ausstellung unterschiedlicher Ausweisdokumente zuständig (NADRA o.D.). Über 96 % der Bürgerinnen und Bürger Pakistans verfügen über biometrische Personalausweise (PI 1.2019). Die National Identity Card (NIC) wird für Staatsbürger über 18 Jahre ausgestellt und ist mit einer einzigartigen 13-stelligen Personennummer versehen (NADRA o.D.). Die 2012 eingeführte Smart National Identity Cart (SNIC) hat auf einem Chip zahlreiche biometrische Merkmale gespeichert und soll bis 2020 die älteren Versionen der NIC vollständig ersetzen (PI 1.2019). Eine SNIC wird benötigt, um beispielsweise Führerschein oder Reisepass zu beantragen, ein Bankkonto zu eröffnen und eine SIM-Karte oder Breitbandinternet zu erhalten (PI 1.2019; vgl. NADRA o.D.).

Weitere durch NADRA ausgestellte Dokumente sind die Pakistan Origin Card (POC) für ausländische Staatsbürger, die früher pakistanische Staatsangehörige waren bzw. deren Eltern oder Großeltern pakistanische Staatsbürger sind oder waren; National Identity Card for Overseas Pakistanis (NICOP) für Pakistani im Ausland, Emigranten oder Personen mit Doppelstaatsbürgerschaft; Child Registration Certificates (CRC) für alle Personen unter 18 Jahren (NADRA o.D.).

Dokumentenfälschungen sind in Pakistan ein weit verbreitetes Phänomen, v.a. von manuell angefertigten Dokumenten (ÖB 10.2018). Angesichts weit verbreiteter Korruption und des unzureichenden Zustands des Zivilstandswesens ist es einfach, fiktive oder verfälschte Standesfälle (Geburt, Tod, Eheschließung) in ein echtes Personenstandsregister eintragen zu lassen und auf der Basis dieser Eintragung formal echte Urkunden ausgestellt zu bekommen. Merkmale auf modernen Personenstandsurkunden und Reisepässen zur Erhöhung der Fälschungssicherheit können bereits bei der Dateneingabe durch korruptionsanfällige Verwaltungsbeamte mühelos unterlaufen werden (AA 21.8.2018; vgl. ÖB 10.2018).

Weit verbreitet sind außerdem gefälschte akademische Diplome, Bankunterlagen, Übereinkünfte, Referenzen und Eigentumsnachweise (IRB 14.1.2015; vgl. ÖB 10.2018). Es ist problemlos möglich, ein (Schein-) Strafverfahren gegen sich selbst in Gang zu bringen, in dem die vorgelegten Unterlagen (z.B. „First Information Report“ oder Haftverschonungsbeschluss) formal echt sind. Auch ist es möglich, religiöse Fatwen gegen sich selbst fälschen oder erstellen zu lassen bzw. Zeitungsartikel, in denen eine Verfolgungssituation geschildert wird, gegen Bezahlung oder dank Beziehungen veröffentlichen zu lassen. Die Ausführungen und Erklärungen zu einer geltend gemachten Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen halten einer Nachforschung vor Ort häufig nicht stand (AA 21.8.2018).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Zur aktuell vorherrschenden Pandemie aufgrund des Coronavirus (Covid-19, SARS-CoV-2)

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Europäischem Zentrum für die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) haben das höchste Risiko für eine schwere Erkrankung durch SARS-CoV-2 Menschen im Alter von über 60 Jahren sowie Menschen mit Grunderkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen und Krebs. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

(Beweisquelle: www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/; www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html; www.oesterreich.gv.at/)

In Pakistan wurden bei rund 200 Millionen Einwohner laut Situation Report 147 der WHO bis zum 15.06.2020 insgesamt 144.478 von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 2.729 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden.

(Beweisquelle: www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports)

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den Verwaltungsverfahrensakt des BFA, den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes und das Ergebnis der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung jeweils in Klammer angeführt.

2.1 Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft des Beschwerdeführers (oben 1.1) ergeben sich aus seinen diesbezüglichen Angaben, an denen auf Grund seiner Sprach- und Ortskenntnisse auch nicht zu zweifeln war. Seine Identität wurde zunächst bereits im Verfahren vor dem Asylgerichtshof verifiziert und konnte schließlich durch Vorlage seines pakistanischen Reisepasses, den er im Zuge einer Einreisekontrolle von Italien nach Österreich am 29.03.2018 vorwies, abschließend festgestellt werden.

2.2 Die Feststellungen zu seiner erstmaligen Einreise nach Österreich, seiner Asylantragstellung vom März 2004, der Antragstellung hinsichtlich der Niederlassungsbewilligung vom November 2013 und dem Zusatzantrag vom Dezember 2013 (oben 1.2) ergeben sich aus dem gegenständlichen Verwaltungsverfahrensakt.
2.3 Die Wohnsitzmeldungen in Österreich ergeben sich aus dem Zentralen Melderegister, das Deutschzertifikat, der Arbeitsvorvertrag und die Unterstützungsschreiben sind im Akt enthalten, die strafrechtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus dem unverdächtigem Strafregister der Republik Österreich.

2.4 Dass der Beschwerdeführer von 20.07.2015 und 26.08.2017 zum Aufenthalt in Italien berechtigt war, ergibt sich aus dem bei der Einreisekontrolle im März 2018 vorgelegten „permesso di soggiorno“ im Scheckkartenformat (Kopie der Karte OZ 6). Dass der Beschwerdeführer über keine weiteren Berechtigungen zum Aufenthalt in Italien verfügt(e), ist einer Auskunft des Polizeikooperationszentrums Thörl Maglern vom 19.05.2020 zu entnehmen (OZ 9).

2.5 Die Feststellungen zum Reisepass sowie zu den vom Beschwerdeführer getätigten Angaben im Rahmen der fremdenpolizeilichen Kontrolle vom März 2018 sind den von der Landespolizeidirektion Kärnten erstellen Niederschrift sowie der Sachverhaltsdarstellung vom 29.03.2018 und den angefertigten Kopien des pakistanischen Reisepasses zu entnehmen (OZ 6).

2.6 Das Bundesverwaltungsgericht forderte die vormalige Vertretung des Beschwerdeführers zur Bekanntgabe einer aktuellen Zustelladresse auf. Die vormalige Vertretung teilte jedoch mit, seit März 2017 keinen Kontakt mehr zum Beschwerdeführer zu haben und die Vertretungsvollmacht sei nunmehr aufgelöst. Der Beschwerdeführer gab bis heute auch weder dem BFA noch dem Bundesverwaltungsgericht eine aktuelle Zustelladresse bekannt.

2.7 Zur Lage in Pakistan (oben 1.7)

Die Feststellungen zur Lage in Pakistan ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom Mai 2019. Die Staatendokumentation des BFA berücksichtigt im Länderinformationsblatt Pakistan Berichte verschiedener staatlicher Spezialbehörden, etwa des Deutschen Auswärtigen Amtes und des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder des US Department of State, ebenso, wie auch Berichte von Nichtregierungsorganisationen, wie etwa von ACCORD, Amnesty international, Human Rights Watch, oder der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Die herangezogenen Quellen sind aktuell und Großteils aus dem Jahr 2019. Angesichts der Ausgewogenheit und Seriosität der genannten Quellen sowie der Schlüssigkeit der weitestgehend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Die Feststellungen betreffend die Lage zur Pandemie aufgrund des Coronavirus basieren auf den Informationen der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, des Sozialministeriums und der Weltgesundheitsorganisation.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Spruchpunkte I und II

Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkte III und I des angefochtenen Bescheides (Zurückweisung des Antrages auf Aufenthaltstitel, Abweisung des Zusatzantrages auf Heilung)

3.1 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Heilung nach § 4 Abs 1 Z 2 AsylG-DV 2005 ausgesprochen, dass die Bedingung, wonach die Erteilung des Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 MRK erforderlich sein muss, in jenen Konstellationen, in denen von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist, voraussetzungsgemäß erfüllt ist. Auch im Fall eines Antrags auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels gilt, dass die Voraussetzungen für die verfahrensrechtliche Heilung nach § 4 Abs 1 Z 2 AsylG-DV 2005 die gleichen sind wie für die materielle Stattgabe des verfahrenseinleitenden Antrags. Die Prüfung, ob einem Heilungsantrag nach § 4 Abs 1 Z 2 AsylG-DV 2005 stattzugeben ist, unterscheidet sich also inhaltlich nicht von der Beurteilung, ob der Titel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist. Daraus folgt auch, dass bei einem Antrag nach § 55 AsylG 2005 in Bezug auf die Heilung nach § 4 Abs 1 AsylG-DV 2005 in erster Linie und vorrangig die Voraussetzungen der Z 2 der genannten Bestimmung zum Tragen kommen und dass es unzulässig ist, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 trotz Vorliegens der hierfür erforderlichen Voraussetzungen wegen Nichtvorlage von Identitätsdokumenten zurückzuweisen (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0168).

Die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG 2014 ist damit schon bei Prüfung des Heilungstatbestandes nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 und damit im Zusammenhang mit der Frage der Erfüllung des Zurückweisungstatbestandes nach § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 vorzunehmen (VwGH 19.09.2019, Ra 2019/21/0103).

3.2 Es ist unstrittig, dass der Beschwerdeführer spätestens am 23.03.2004 nach Österreich einreiste und er sich zumindest bis Juni 2014 (nach seinen eigenen Angaben) bzw bis September 2018 (nach den Eintragungen im ZMR) und sich somit – bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides – etwa zwischen 10 Jahren und drei Monaten und 14, 5 Jahren (mit Unterbrechungen) im Bundesgebiet aufhielt.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt (bzw auch bei neuneinhalbjährigem Aufenthalt, vgl VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001; bzw auch bei einem Aufenthalt mit Unterbrechungen, vgl VwGH 15.01.2020, Ra 2017/22/0047) eines Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an seinem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurde eine aufenthaltsbeendende Maßnahme ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Außerdem erachtete der Verwaltungsgerichtshof auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte ein Überwiegen des persönlichen Interesses eines Fremden an einem Verbleib im Inland dann nicht als zwingend, wenn dem Umstände entgegen stehen, die das gegen diesen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren (VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0243).

Fallbezogen hat der Beschwerdeführer während seines bisherigen Aufenthalts in Österreich Integrationsschritte gesetzt, soziale Bindungen geknüpft und sich Deutschkenntnisse angeeignet. Damit liegt eine nicht zu vernachlässigende Verankerung im Inland vor, sodass es gemäß der zuvor dargestellten Judikaturlinie des Verwaltungsgerichtshofes darauf ankommt, ob Umstände vorliegen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers im Inland relativieren.

Der Beschwerdeführer verließ während des laufenden Beschwerdeverfahrens freiwillig das österreichische Bundesgebiet. Er reiste – nach seinen Angaben - spätestens am 29.06.2014 freiwillig von Österreich nach Italien aus und verfügte von 20.07.2015 bis 26.08.2017 über einen von den italienischen Behörden erteilten Aufenthaltstitel für Italien. Er gab bis heute weder dem BFA noch dem Bundesverwaltungsgericht und auch nicht seiner vormaligen Vertretung eine aktuelle Zustelladresse bekannt. Er gab jedoch bekannt, dass Verwandte von ihm in Italien leben würden und er beabsichtige, auch seine Frau und seinen Sohn eine Einreise nach Italien zu ermöglichen. Dadurch hat der Beschwerdeführer unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass er sein Privat- und Familienleben in Österreich nicht weiter aufrechterhalten will.

Der Beschwerdeführer verfügte zudem über einen von Juli 2015 bis August 2017 gültigen pakistanischen Reisepass, den er der Behörde trotz Aufforderung vom 16.03.2017 (AS 176ff) jedoch nicht vorlegte, sondern vielmehr in Widerspruch zu seinen Angaben vom März 2018 bekanntgab, keine Kontakte mehr in seiner Heimat zu haben um derartige Dokumente erhalten zu können (Stellungnahme vom 11.05.2017, AS 187). Auch eine aktuelle Zustelladresse hat er nicht bekannt gegeben. Er hat damit seine Mitwirkungspflicht gemäß § 58 Abs 11 AsylG verletzt (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0168).

Aus diesen Gründen liegen weder die Voraussetzungen für die Heilung des Mangels noch für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gemäß § 55 Abs 1 AsylG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK in Österreich vor.

3.3 Die Beschwerde gegen Spruchpunkte I und III des angefochtenen Bescheides wird daher abgewiesen.

Spruchpunkt III

Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides (Rückkehrentscheidung, Zulässigkeit der Abschiebung, Frist zur Ausreise)

Zur Rechtmäßigkeit und Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung

3.4 Gemäß § 10 Abs 3 AsylG ist die Entscheidung, mit der ein Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55, 56 oder 57 abgewiesen wird, mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs 9 Z 1 bis 3 vorliegt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entspricht es allgemeinen Grundsätzen, dass das Bundesverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren bei Erlassung seines Erkenntnisses von der im Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszugehen hat. § 52 Abs 8 zweiter Satz FPG sieht das ausdrücklich "auch" für den Fall einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung vor, wenn sich der Drittstaatsangehörige zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält; auch dann sei nämlich § 28 Abs 2 VwGVG anzuwenden, was hier nur in dem eben erwähnten Sinn (Maßgeblichkeit der Sach- und Rechtslage zum Entscheidungszeitpunkt) verstanden werden kann (vgl VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0234).

Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung dieser Maßnahme gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG 2014 (nur) zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0041).

Zum gegenständlichen Verfahren

3.5 Gegenständlich liegt kein Fall des § 58 Abs 9 Z 1 bis 3 AsylG, da der Beschwerdeführer keinen Zusammenhang mit einem Verfahren nach dem NAG aufweist.

3.6 Wie bereits ausgeführt (Punkt 3.2), hegt der Beschwerdeführer keinerlei Absichten mehr, weiter in Österreich aufhältig zu sein. Er plant(e) vielmehr, sein Leben mitsamt seiner Familie in Italien zu gestalten. Auch wenn sich der Beschwerdeführer viele Jahre in Österreich aufgehalten hat und nicht zu vernachlässigende Integrationsschritte setzte, hat der Beschwerdeführer unzweifelhaft sein Interesse an einer Weiterführung seines Lebens in Österreich aufgegeben. Trotz des langjährigen Aufenthaltes außerhalb seines Herkunftsstaates liegen keine Hinweise darauf vor, dass es dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren, zumal Verwandte des Beschwerdeführers nach wie vor in Pakistan leben und der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig ist. Während seines Aufenthaltes in Österreich bzw Italien besuchte der Beschwerdeführer auch hin und wieder seine Frau und seinen Sohn in Pakistan und er gab auch selbst an, nichts mehr in Pakistan zu befürchten (OZ 6).

Zur allgemeinen Lage in Pakistan ist auszuführen, dass fallbezogen der Beschwerdeführer aus keiner der regionalen Problemzonen, sondern aus dem östlichen Punjab stammt. Auf Grundlage der getroffenen Länderfeststellungen (oben 1.7) kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht von einer solchen extremen Gefährdungslage in Pakistan und insbesondere in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers gesprochen werden, dass gleichsam jede Person, die sich dort aufhält oder dorthin zurückkehrt, einer unmittelbaren Gefährdung ausgesetzt ist. Ebenso kann auf Grundlage dieser Feststellungen die Deckung der existentiellen Grundbedürfnisse als zumutbar angenommen werden. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt an, dass das Leben in Pakistan teilweise von Korruption geprägt ist und eine wirtschaftlich und sozial durchaus schwierige Situation besteht, in der sich die Beschaffung der Mittel zum Lebensunterhalt auch als schwieriger darstellen könnte als in Österreich, zumal auch die Arbeitsplatzchancen als nicht befriedigend bezeichnet werden können. Es geht jedoch aus den Länderfeststellungen keinesfalls hervor, dass die Lage für alle Personen ohne Hinzutreten von besonderen Umständen dergestalt wäre, dass das existentielle Überleben gefährdet wäre. Es ist somit auch aus diesem Umstand keine unmittelbare persönliche Existenzbedrohung des Beschwerdeführers in Pakistan ersichtlich, zumal er auch noch relativ jung und arbeitsfähig ist.

Es ergibt auch keine relevante Gefährdung durch die aktuell vorherrschende Sars-Cov2-Pandemie: Der Beschwerdeführer gehört zu keiner Risikogruppe; es besteht daher für den Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Pakistan kein "real risk" einer Verletzung von Art 3 EMRK im Sinne der Rechtsprechung des EGMR und des EuGH.

Im Rahmen einer Abwägung der öffentlichen Interessen iSd Art 8 Abs 2 EMRK (Schutz der öffentlichen Ordnung, insbesondere in Form der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen, sowie des wirtschaftlichen Wohles des Landes) und unter Berücksichtigung der Judikatur des EGMR und des Verwaltungsgerichtshofes erweisen sich die individuellen Interessen des Beschwerdeführers iSd Art 8 Abs 1 EMRK nicht als so ausgeprägt, dass sie insbesondere das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung nach Abschluss des gegenständlichen Verfahrens und der Einhaltung der österreichischen aufenthalts- und fremdenrechtlichen Bestimmungen überwiegen.

3.7 Es kann daher im gegenständlich zu beurteilenden Fall des Beschwerdeführers die Rückkehrentscheidung nicht auf Dauer für unzulässig erklärt und keine Aufenthaltsberechtigung erteilt werden.

3.8 Die Beschwerde führte zwar aus, dass der Beschwerdeführer weiterhin Verfolgung in seinem Heimatland befürchte (AS 283), begründete dies aber nicht weiter; dem widersprechend gab der Beschwerdeführer im März 2018 an, hin und wieder nach Pakistan zu reisen um seine Familie zu besuchen und er gab auch an, dort nichts mehr zu befürchten. Es sind damit im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs 9 iVm § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung nach Pakistan unzulässig wäre.

3.9 Die Beschwerde gegen den Ausspruch der Rückkehrentscheidung und der Zulässigkeit der Abschiebung nach Pakistan wird daher ebenso abgewiesen.

Entfall der mündlichen Verhandlung

3.10 Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte im gegenständlichen Fall einerseits gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, da der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei zurückzuweisen war bzw gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde geklärt ist.

Zu B)

Revision

3.11 Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.

3.12 Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltstitel freiwillige Ausreise Interessenabwägung Mängelheilung Mitwirkungspflicht öffentliche Interessen Resozialisierung Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L516.1268457.4.00

Im RIS seit

01.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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