TE Bvwg Beschluss 2020/9/28 W161 2235147-1

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Veröffentlicht am 28.09.2020
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Entscheidungsdatum

28.09.2020

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch

W161 2235147-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Lassmann über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Ägypten, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.09.2020, Zl. 1259643210-200129073, beschlossen:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3, zweiter Satz BFA-Verfahrensgesetz idgF (BFA-VG) stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste am 03.02.2020 illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellte am selben Tag den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Im Zuge der Erstbefragung vom 03.02.2020 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF zusammengefasst an, er habe keine Beschwerden oder Krankheiten, die ihn an der Einvernahme hindern oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigen könnten. Er habe seinen Wohnort am 25.12.2019 mit einem Flugzeug nach Griechenland verlassen. Von dort sei er über Serbien und Ungarn nach Österreich gelangt.

Befragt nach seinem Fluchtgrund gab der BF an, er habe seine Heimat verlassen, weil er sich in Ägypten in ein Mädchen verliebt habe, bei dessen Familie er als Chauffeur gearbeitet hätte. Die Familie habe davon erfahren und wäre strikt dagegen gewesen. Es wäre zu Problemen, auch zu Todesdrohungen ihm gegenüber gekommen. Er habe dann versucht über verschiedene Botschaften ein Visum zu bekommen, unter anderem von den Niederlanden und Malta, welche jedoch verweigert worden wären. Letztendlich habe er ein Visum von Italien bekommen. Er sei zunächst von Ägypten nach Griechenland geflogen und im Transitraum in Griechenland wäre ihm sein Pass von einem unbekannten Mann gestohlen worden. Er sei nach Griechenland ohne Pass eingereist und in der Folge selbstständig über Serbien und Ungarn bis nach Österreich gereist.

3. Aus der österreichischen Visa-Datenbank konnte erhoben werden, dass der BF im Besitz eines gültigen italienischen Schengen Visums C, gültig von 25.12.2019 - 18.01.2020, war.

Am 04.02.2020 richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) ein Aufnahmeersuchen gem. Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO an Italien.

Mit Schreiben vom 06.04.2020 teilte die österreichische Dublin-Behörde Italien mit, dass auf Grund der nicht fristgerecht erfolgten Antwort gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO Verfristung eingetreten und Italien nunmehr für die Durchführung des gegenständlichen Asylverfahrens zuständig sei; dies beginnend mit dem 05.04.2020.

4. Am 20.05.2020 wurde der BF, nach durchgeführter Rechtsberatung und in Anwesenheit eines Rechtsberaters, einer Einvernahme vor dem BFA unterzogen. Hierbei gab dieser im Wesentlichen an, sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, die Befragung zu absolvieren. Er sei derzeit nicht in ärztlicher Betreuung bzw. Therapie, er habe ja keine Versicherung. Er nehme zurzeit Schlaftabletten, Beruhigungstabletten und Kopfschmerztabletten. Diese bekomme er von einen Bekannten. Den Namen dieser Tabletten wisse er nicht. Er nehme diese je nach Bedarf ohne Kontrolle und ärztliche Absprache seit der Untersuchung im Lager. Er nehme die Beruhigungstabletten, weil er Selbstmordgedanken habe, wenn er nicht schlafen könne. Darum nehme er auch die Schlaftabletten. Er habe diese Probleme seit er von den Leuten, die ihn verfolgt hätten, in Ägypten gefoltert worden wäre. Er sei dort in psychische Betreuung gebracht worden, habe aber keine Bestätigung darüber. In Österreich sei er deswegen nicht bei einem Arzt gewesen. Er habe nur die Bestätigung vom Militär, wonach er psychisch nicht tauglich sei. Er habe zwei Onkel in Österreich. Zu diesen habe er keinen Kontakt und wisse nichts über die beiden. Er habe die beiden jedoch getroffen. Er habe im Jahr 2019 in Italien um ein Visum angesucht. Er sei in Griechenland in die EU am 25.12.2019 eingereist. In Italien sei er nie gewesen. Er sei von Griechenland nach Österreich gereist. Befragt welche Gründe seiner Ausweisung nach Italien entgegenstünden gab der BF an, er würde von den Leuten, die ihn in Ägypten verfolgt hätten, in Italien gefunden werden, weil diese wüssten, dass er ein italienisches Visum erhalten hätte. Außerdem sei in Italien Covid-19. Er habe in Italien niemanden. Die psychische Situation mache ihn fertig und er wolle sich umbringen.

Vom Rechtsberater wurde die Einholung eines PSY-III-Gutachtens beantragt.

5. In der Folge wurde eine gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren von XXXX eingeholt. In dieser Stellungnahme kommt die Sachverständige zu dem Schluss, dass beim BF eine paranoide Schizophrenie, F20.0 vorliege. Derzeit scheine mit Medikamenten eine Besserung eingetreten zu sein. Trotzdem lägen Verfolgungswahn, akustische und optische Halluzinationen vor. Die Stimmung sei ängstlich, der Affekt labil, der BF sei gespannt. An therapeutischen und medizinischen Maßnahmen wird die Fortführung der medikamentösen Therapie, eine Anbindung an den PSD sowie die Beistellung eines Erwachsenenvertreters/Sachwalters angeraten. Bei einer Überstellung sei eine Verschlechterung zu erwarten. Eine akute Suizidalität sei derzeit nicht erkennbar, bei der Grunderkrankung seien Affekthandlungen jedoch nicht auszuschließen.

6. Am 31.07.2020 erfolgte eine neuerliche Einvernahme des BF vor dem BFA. Er gab an, er habe bis jetzt im Verfahren die Wahrheit gesagt. Er nehme derzeit zwei namentlich angeführte Medikamente. Befragt, wie es ihm gehe, seit er die Medikamente einnehme, gab der BF an:

„Die Praxis in XXXX hat mich verarscht. (PSY III). Sie haben mich dort in den XXXX geschickt und meinten, dass ich dort für die Medikamente bekomme ohne Geld zu bezahlen. Von dort wurde ich jedoch ins Krankenhaus gebracht und nun habe ich eine sehr hohe Krankenhausrechnung zu bezahlen. Man hat mir im XXXX (gemeint XXXX ), dass sie mich unterstützen und alles zahlen. Und jetzt hab ich trotzdem die Rechnung bekommen. Mein psychischer Zustand war damals viel schlimmer als jetzt, weil ich keine Medikamente hatte. Ich werde jetzt alles machen. Nein. Die Medikamente bringen keine Besserung.

LA: Wie fühlen Sie sich heute?

VP: Ich bin deprimiert. Das ganze Leben ist schwarz vor meinen Augen. Ich weiß nicht wem ich glauben kann und wem nicht.“

Er sei derzeit in ärztlicher Betreuung bei XXXX . Er habe dort auch am 25.08.2020 einen Termin. Er gehe dort nur hin, weil er von dort seine Medikamente bekomme.
Nach Ausfolgung der gutachterlichen Stellungnahme gab der BF an, er wolle dazu nichts angeben, weil er es nicht verstehe. Den Befund vom Krankenhaus XXXX habe ihm niemand erklärt.

Der BF wurde in der Folge weiter zu den festgestellten Krankheitsbildern befragt und wurde in der Folge eine Pause eingelegt und festgestellt, der Asylwerber beginne zu weinen und sei mit der Erläuterung total überfordert. Er möchte nicht mehr mitwirken, weil er denke, alle Personen seien gegen ihn und er vertraue niemanden.

Nach einer Stunde wurde die Einvernahme offiziell fortgesetzt, jedoch wieder abgebrochen und im Protokoll festgestellt:
„Die Einvernahme wird auf Wunsch des AW abgebrochen, da er mit der Erläuterung der Diagnose komplett überfordert ist, Kreislaufprobleme erlitt und angab, dass er keinen Sinn mehr im Leben sehe. Dies wiederruft der AW im Anschluss wieder. Er wirkt äußerst verwirrt. Es konnte ihm die Absicht der Zuweisung eines Sachwalters aufgrund des psychischen Zustandes nicht zur Kenntnis gebracht werden. Da eine Selbst- bzw. Fremdgefährdung hintangehalten werden soll, wurde mit dem XXXX Kontakt aufgenommen. Diese teilte mit, dass eine Notkrankenversicherung beantragt werden kann und eine Intervention des Rettungsdienstes im eigenen Ermessen veranlasst werden kann. Es wurde ihm auch mitgeteilt, dass der Arzt im Krankenhaus nach der Abklärung die weitere Vorgehensweise entscheidet. Dies wurde ihm sogar mehrmals vom Dolmetscher, in verschiedenen Formulierungen, mitgeteilt und der AT scheint diese Entscheidung verstanden und akzeptiert zu haben. Die Befragung wird nun mit 11:45 beendet und der Rettungsdienst gerufen.“

7. Im Akt befinden sich zahlreiche Befunde des BF, die ihm eine paranoide Schizophrenie bestätigen sowie darlegen, dass er von 16.06.2020 bis 29.06.2020 in stationärer Behandlung im psychiatrischen Krankenhaus war.

8. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.09.2020 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 12 Abs. 4 (zu ergänzen wäre: iVm Art. 22 Abs. 7) der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.), sowie gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung des BF angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Italien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Zusammengefasst wurde in dem Bescheid festgehalten, die Identität des Antragstellers stehe nicht fest. Dieser leide an paranoider Schizophrenie. Eine durch XXXX angeregte Sachwalterschaft werde nicht beantragt. Es läge kein Familienverfahren vor. Der Antragsteller sei am 03.02.2020 illegal in Österreich eingereist und längstens seit diesem Zeitpunkt in Österreich aufhältig. Beim Antragsteller handle es sich um eine besonders vulnerable Person und würde er aktuell im besonderen Maße medizinische Versorgung benötigen. Die in den Feststellungen angeführte Krankheit ergebe sich aufgrund der PSY-III-Untersuchung, der Befunde vom Krankenhaus XXXX , Befundbericht von XXXX und seinen eigenen Angaben. Der Antragsteller habe keine Einwände gegen das Untersuchungsergebnis vorgebracht.

Aus den Angaben des BF seien keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden seien, dass dieser tatsächlich konkret Gefahr liefen, in Italien Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihm eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Mit den angeführten in Österreich aufhältigen Verwandten (Onkel) bestünden weder ein gemeinsamer Haushalt noch ein finanzielles oder ein sonstiges Abhängigkeitsverhältnis.

Es sei daher davon auszugehen, dass die Anordnung der Außerlandesbringung nicht zu einer Verletzung der Dublin-III-VO sowie von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK führe und die Zurückweisungsentscheidung daher unter diesen Aspekten zulässig sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe zu; ein zwingender Grund für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts habe sich nicht ergeben.

In den angefochtenen Bescheiden wurden auch Feststellungen zur derzeit herrschenden COVID-19 Pandemie getroffen.

9. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und vorgebracht, Österreich wäre für die Erledigung des Asylantrages des BF zuständig gewesen, da er sich nie in Italien aufgehalten habe.

10. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.09.2020 wurde der Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF stellte am 03.02.2020 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Der BF war im Besitz eines vom 25.12.2019 - 18.01.2020 gültigen italienischen Schengen-Visums und ist von Ägypten nach Griechenland geflogen. Von dort gelangte er über Serbien und andere Länder nach Österreich. In Italien war der BF nie.

Am 04.02.2020 wurde ein Aufnahmeersuchen gem. Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO an Italien gestellt. Die Zuständigkeit Italiens ergab sich letztlich aufgrund Verfristung. Mit schriftlicher Mitteilung vom 06.04.2020 wies das Bundesamt die italienische Dublin-Behörde auf diesen Umstand hin.

Der BF leidet an paranoider Schizophrenie. Seit seiner Einreise nach Österreich war auch bereits ein stationärer Krankenhausaufenthalt notwendig. Zu der Schwere seines Krankheitsbildes wurde lediglich eine gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren, nicht jedoch ein ausführliches Sachverständigengutachten eingeholt. Der Anregung der Verfasserin der gutachterlichen Stellungnahme auf Bestellung eines Erwachsenenvertreters wurde nicht gefolgt.

In Österreich leben 2 Onkel des BF. Eine besondere Abhängigkeit in finanzieller oder sonstiger Hinsicht zu diesen kann nicht festgestellt werden.

2.       Beweiswürdigung: 

Die festgestellten Tatsachen zur Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten mittels italienischen Visums und zur grundsätzlichen Zuständigkeit Italiens, ergeben sich aus den vorliegenden Verwaltungsakten.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF basieren auf den unbedenklichen (oben angeführten) medizinischen Befunden und der gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren.

Die Feststellungen zum Familienbezug der Beschwerdeführer und der Intensität desselben, ergeben sich aus der Aktenlage, insbesondere aus den diesbezüglichen Angaben der Erstbeschwerdeführerin.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBL I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenord-nung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß an-zuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegan-genen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl § 75 Abs 18 AsylG 2005 idF BGBGl I 2013/144).

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Zu A) Stattgebung der Beschwerden:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) i.d.g.F. lauten:

§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

...

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

...

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:

§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) lauten:

Art. 3 Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

Art. 7 Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Art. 12 Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa

(1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(2) Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(3) Besitzt der Antragsteller mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in folgender Reihenfolge zuständig:

a) der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;

b) der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt;

c) bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.

(4) Besitzt der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.

Besitzt der Antragsteller einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

(5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde.

Art. 16 Abhängige Personen

(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.

(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.

(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.

(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Art. 17 Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.

Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

Art 22

(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

Im gegenständlichen Beschwerdefall ging das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zwar zutreffend davon aus, dass eine Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des in Rede stehenden Antrages auf internationalen Schutz in materieller Hinsicht in Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO begründet ist, da der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung im Besitz eines gültigen italienischen Visums war. Da die italienischen Behörden das Aufnahmegesuch des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nicht fristgerecht beantwortet haben, ergäbe sich letztlich eine Zuständigkeit Italiens aufgrund von Verfristung. Anhaltspunkte dafür, dass die Zuständigkeit Italiens in der Zwischenzeit untergegangen sein könnte, bestehen nicht.

Angesichts der schweren psychischen Erkrankung des BF, wird im Falle der Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs eine mögliche Verletzung von Bestimmungen der EMRK in den Raum gestellt. Zur Frage eines allenfalls gebotenen Selbsteintritts Österreichs ist Folgendes festzuhalten:

Gemäß Art 3 Abs 1 Dublin III-VO wird ein Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art 7 bis 15) Dublin III-VO bestimmt wird.

Ungeachtet dessen sieht Art 17 Abs 1 Dublin III-VO die Möglichkeit des Selbsteintritts eines Mitgliedstaates vor, auch wenn er nach den Kriterien der Dublin III-VO nicht für die Prüfung zuständig ist.

Da Art 17 Abs 1 Dublin III-VO keine inhaltlichen Vorgaben beinhaltet, liegt es primär an den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und im Ermessen des einzelnen Mitgliedstaates, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Selbsteintritt erfolgt (vgl etwa VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0192, mit Hinweis auf Filzwieser/Sprung, Dublin III-VO, Art 17 K2).

Nach der Rechtsprechung des VfGH (VfGH 17.6.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des VwGH (VwGH 18.11.2015, Ra 2014/18/0139; 17.11.2015, Ra 2015/01/0114; 2.12.2014, Ra 2014/18/0100 u.a.) macht die grundrechtskonforme Interpretation des AsylG 2005 eine Bedachtnahme auf die – in Österreich in Verfassungsrang stehenden – Bestimmungen der EMRK erforderlich und ist das Selbsteintrittsrecht aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären.

In Hinblick auf die festgestellte Erkrankung des BF ist zunächst Folgendes auszuführen:

Gemäß Art 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Italien nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin-VO zwingend auszuüben wäre: In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die damals relevante Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

Zusammenfassend führte der VfGH aus, dass sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

Aus den Judikaturlinien des EGMR ergibt sich der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab. In seiner rezenten Entscheidung im Fall „Paposhvili vs. Belgium“ hat der EGMR am 13.12.2016 seine Rechtsprechung dahingehend präzisiert, dass ein Betroffener auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben muss und auch die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks zu berücksichtigen sind. „Außergewöhnliche Umstände“ würden bereits auch dann vorliegen, wenn stichhaltige Gründe dargelegt würden, dass eine schwer kranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung, einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führen würde.

Der BF leidet an paranoischer Schizophrenie. Trotz der Einnahme von Medikamenten liegen laut gutachterlicher Stellungnahme im Zulassungsverfahren bei ihm dennoch Verfolgungswahn, akustische und optische Halluzinationen vor. Die Stimmung ist ängstlich, der Affekt labil. XXXX hat in ihrer gutachterlichen Stellungnahme explizit angeführt: „Bei der Zweitsicht zeigt sich der Asylwerber zwar gebessert, jedoch scheint er seine rechtlichen Belange nicht ohne Nachteil für sich besorgen zu können und ich empfehle die Beistellung eines Sachwalters/Erwachsenenvertreters.“ Ohne Angabe von Gründen ist die erstinstanzliche Behörde dieser Anregung jedoch nicht gefolgt.

In casu hat sich die erstinstanzliche Behörde mit dem tatsächlichen Gesundheitszustand des BF und den Auswirkungen seiner psychischen Erkrankung darauf, wie weit er seine rechtlichen Belange – und dazu gehört auch sein Asylverfahren – ohne Gefahr eines Nachteils für sich besorgen kann, nicht näher auseinandergesetzt und es unterlassen, ein ausführliches ärztliches Sachverständigengutachten zu dessen Gesundheitszustand und die daraus resultierenden Folgen einzuholen. Auch scheint in diesem Zusammenhang die von XXXX angeregte Prüfung durch das zuständige Bezirksgericht, ob die Bestellung eines gesetzlichen Erwachsenenvertreters notwendig ist, unumgänglich.

Vom BF wurden im Verfahren zahlreiche ärztliche Unterlagen vorgelegt. Aufgrund der Tatsache, dass es sich bei paranoider Schizophrenie um eine schwerwiegende psychische Störung handelt, wäre die Einholung eines Sachverständigen – Gutachtens sehr wohl indiziert gewesen und ist vor einer Abschiebung des BF nach Italien jedenfalls abzuklären, wie sich sein aktueller Gesundheitszustand darstellt und ob eine Fortsetzung der in Österreich begonnenen Behandlung in Italien ohne Unterbrechung möglich ist bzw. welche Folgen eine Unterbrechung der Behandlung nach sich ziehen könnte.

Nach Vorliegen der entsprechend erhobenen Ermittlungsergebnisse wird von der belangten Behörde letztlich zu prüfen sein, ob eine Einzelfallprüfung in dem gegenständlichen Verfahren nicht einen Selbsteintritt Österreichs gebieten würde.

Im vorliegenden Fall kann zum Entscheidungszeitpunkt das BVwG aufgrund der mangelnden Sachverhaltserhebungen durch die erstinstanzliche Behörde nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, ob beim BF eine reale Gefährdung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Falle seiner Überstellung nach Italien vorliegt.

Wie dargelegt wurde im gegenständlichen Fall der entscheidungsrelevante Sachverhalt trotz bestehenden Möglichkeiten nicht ausreichend ermittelt, weshalb gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG zwingend vorzugehen war.

Eine mündliche Verhandlung konnte gem. § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG idgF unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im Übrigen trifft § 21 Abs. 3 BFA-VG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht gesundheitliche Beeinträchtigung individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W161.2235147.1.01

Im RIS seit

04.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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