TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/6 L521 2232630-1

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Veröffentlicht am 06.10.2020
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Entscheidungsdatum

06.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L521 2232630-1/27E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, Wattgasse 48, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.05.2020, Zl. 1252479003-191170739, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 07.09.2020 zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.

Text




Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet, einer anschließenden Einreiseverweigerung seitens der Bundesrepublik Deutschland und Zurückweisung nach Österreich am 15.11.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am der Antragstellung folgenden Tag legte der Beschwerdeführer dar, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger der Türkei zu sein. Er sei am XXXX im Landkreis XXXX in der südostanatolischen Provinz Siirt geboren und habe zuletzt in Istanbul gelebt, sei Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, bezeichne sich als konfessionslos bzw. Deist und sei ledig. Er habe drei Jahre die Grundschule besucht. Zuletzt sei er als Textilarbeiter beruflich tätig gewesen. Seine Eltern seien in Istanbul und vier Schwestern und drei Brüder seien in der Türkei oder einem anderen Drittstaat aufhältig.

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, die Türkei am 25.08.2018 illegal von Edirne ausgehend schwimmend über den Fluss Mariza nach Griechenland verlassen zu haben. Anschließend sei er nach erkennungsdienstlicher Behandlung und einer Asylantragstellung sowie einem etwa einjährigen Aufenthalt in Griechenland schlepperunterstützt über Albanien, den Kosovo, Serbien und Ungarn nach Österreich gereist, wo er nach einer Einreiseverweigerung durch die Bundesrepublik Deutschland und anschließender Zurückweisung nach Österreich am 15.11.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe.

Zu den Gründen seiner Ausreise befragt führte der Beschwerdeführer aus, gegen ihn laufe seit Mai 2017 ein Gerichtsverfahren. Es handle sich aber um eine geheime politische Akte, die er im Laufe des Verfahrens beibringen werde. An diesem Verfahren seien vier Freunde beteiligt, die sich derzeit in Haft befänden. Der Vorfall habe sich bei den Wahlvorbereitungen ereignet. Sie hätten Fahnen aufgehängt und Mauern für die Halklar?n Demokratik Partisi beschriftet. Ihre Abgeordnete sei derzeit auch in Haft. Bei den Vorbereitungen seien Kameraaufnahmen seitens des Staates erfolgt. Seiner Meinung nach sei dies keine Straftat, für den Staat aber schon. Es existiere eine Organisation der Adalet ve Kalk?nma Partisi namens Osmanli Ocaklari. Seitens dieser sei er vor den Augen seiner Eltern viermal beinahe zu Tode geprügelt worden. Er wolle nicht zurück, da er in der Türkei entweder verhaftet oder von der Adalet ve Kalk?nma Partisi verfolgt werden würde. Bei einer Rückkehr befürchte er unmenschliche Behandlung, wobei er dies nicht beweisen könne. Sie hätten sogar bei der Polizei Anzeige erstattet, aber nichts in der Hand.

2. Am 19.11.2019 wurde bezüglich des Beschwerdeführers ein Informationsersuchen gemäß Artikel 34 der Dublin-III-Verordnung an Griechenland gerichtet.

Das Informationsersuchen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl im Sinne der Dublin-III-Verordnung an die griechischen Asylbehörden ergab keine Zuständigkeit Griechenlands für die Prüfung des Schutzbegehrens des Beschwerdeführers.

3. In der Folge wurde der Beschwerdeführer am 12.03.2020 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Vorarlberg, im Beisein einer Vertrauensperson und eines geeigneten Dolmetschers in türkischer Sprache niederschriftlich vor der zur Entscheidung berufenen Organwalterin einvernommen.

Eingangs legte der Beschwerdeführer dar, der türkischen Sprache mächtig zu sein und der Einvernahme in gesundheitlicher Hinsicht folgen zu können. Er habe bislang im Verfahren wahrheitsgemäße Angaben getätigt. Es sei alles richtig und vollständig protokolliert und rückübersetzt worden. Er hätte alle seine Fluchtgründe genannt, werde aber doch noch etwas hinzufügen.

Zur Person legte der Beschwerdeführer insbesondere dar, den im Spruch genannten Namen zu führen. Er sei am XXXX in einem Dorf im Landkreis XXXX in der südostanatolischen Provinz Siirt geboren und habe zuletzt in Istanbul gewohnt. Er sei Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, ledig und kinderlos. Er bekenne sich zum Islam. Die Volksschule habe er abgebrochen. Später habe er seinen Volksschulabschluss im Wege des Besuches einer Fernschule nachgeholt. Er habe zuletzt bis etwa 2016 den Beruf des Nähers im familieneigenen Geschäft ausgeübt. Seine finanzielle Situation sei gut gewesen.

Gegenwärtig würden sich seine Eltern und sieben Geschwister in Istanbul aufhalten. Seine Eltern und eine Schwester würden an seiner letzten Wohnadresse leben. Er stehe mit seiner Mutter zweimal pro Tag in Kontakt. Seinen Angehörigen gehe es seit seiner Einreise in Österreich gut. Zuvor sei es ihnen psychisch nicht so gut gegangen, weil es ihm in Griechenland schlecht ergangen sei.

Hinsichtlich des Grundes für das Verlassen des Heimatstaates führte der Beschwerdeführer aus, dass entweder im März oder April 2016 wegen seines Cousin XXXX ihr Nachname in den gesamten Medien - im Fernsehen oder in den Zeitungen – veröffentlicht worden sei. Es sei auch bekannt geworden, dass auf dessen Kopf eine Million türkische Lira ausgesetzt worden seien. Deshalb seien sie als Familie sehr unter Druck gestanden. Damals seien sie auch für fünf oder sechs Monate unter Hausarrest gestellt worden. Er sei viermal von dem Verein Osmanli Ocaklari, der der Adalet ve Kalk?nma Partisi angehöre, fast zu Tode geprügelt bzw. gefoltert worden, zumal man vermutet habe, er wüsste den Aufenthaltsort seines Cousins. Anschließend sei er von den in der Gegend patrouillierenden Wachleuten mitgenommen und wieder von den Personen von Osmanli Ocaklari verprügelt worden. Man habe gesagt, dass sein Cousin ein Terrorist wäre, er auch ins Gefängnis kommen und wie sein Cousin entweder im Gefängnis oder durch Selbstmord oder durch deren Hand sterben würde. Zu dieser Zeit sei sein Cousin bereits tot gewesen. Seine Familie habe diesen Druck nicht mehr aushalten können und beschlossen, dass er die Türkei verlassen sollte. Nach seiner Ausreise sei die Polizei dreimal nach Hause gekommen und habe sich nach ihm erkundigt. Einmal hätte es sogar eine Hausdurchsuchung gegeben. Daraufhin habe sein Vater einen Bekannten gebeten, der im Gerichtsgebäude arbeite, nachzuforschen, warum ihn die Polizei suche. Er habe von dem Bekannten seiner Familie per WhatsApp einen Haftbefehl erhalten.

Weitere Angaben zum behaupteten Ausreisegrund tätigte der Beschwerdeführer nach entsprechenden Fragen durch die Leiterin der Amtshandlung.

Im Übrigen wurden dem Beschwerdeführer Fragen bezüglich seiner Integration in Österreich gestellt.

Abschließend wurde dem Beschwerdeführer angeboten, in die aktuellen landeskundlichen Feststellungen zur Türkei Einsicht und gegebenenfalls Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer verzichtete auf diese Möglichkeit.

Im Zuge der Einvernahme brachte der Beschwerdeführer türkische Medienberichte bezüglich einer am 07.03.2017 vom türkischen Militär wegen deren angeblicher Mitgliedschaft bei der Partiya Karkerên Kurdistanê getöteten Person in Kopie, einen türkischen „Haftbefehl“ in Kopie, einen türkischen Familienbuchauszug in Kopie, einen türkischen Familienbuchauszug des Vaters in Kopie, ein türkisches Zertifikat bezüglich Lesen und Schreiben in Kopie, ein türkisches Zertifikat über einen Internetbenützungskurs in Kopie und ein Empfehlungsschreiben in Vorlage.

4. Der Beschwerdeführer übermittelte am 17.04.2020 einen österreichischen Zeitungsbericht über die Verrichtung einer ehrenamtlichen Tätigkeit.

5. Die in der Einvernahme vorgelegten türkischen Unterlagen wurden - mit Ausnahme des Familienbuchauszuges des Vaters - seitens der belangten Behörde am 16.04.2020 amtswegig einer Übersetzung zugeführt.

6. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 22.04.2020 wurden dem Beschwerdeführer die von der belangten Behörde herangezogenen Länderdokumentationsunterlagen zur Türkei zur Wahrung des Parteiengehöres übermittelt und ihm die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen schriftlich Stellung zu nehmen.

7. Am 27.05.2020 langte – nach Gewährung einer Fristerstreckung durch die belangte Behörde – eine schriftliche Stellungnahme des Beschwerdeführers zu den ihm mit Schreiben vom 22.04.2020 übermittelten Länderdokumentationsunterlagen bei der belangten Behörde ein. Zunächst verweist der Beschwerdeführer auf seine bisherigen Ausführungen in der Einvernahme vor der belangten Behörde und die dort vorgelegten Unterlagen, wobei er anschließend im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Des Weiteren werden über mehrere Seiten hinweg Auszüge aus mehreren Länderdokumentationsquellen wiedergegeben, welche insbesondere Ausführungen zur Situation der Kurden, über die Menschenrechtslage, insbesondere für Personen, die der Opposition angehören, und zu den Haftbedingungen in der Türkei zum Gegenstand haben. Abschließend bekräftigt der Beschwerdeführer unter auszugsweiser Zitierung der ihm zur Kenntnis gebrachten Quellen bezüglich der Schwächen des türkischen Rechtsstaates, der Behandlung in Polizeigewahrsam und Gefängnissen, der Menschenrechtslage und der Situation von Kurden die Richtigkeit des eigenen Verfahrensstandpunktes.

8. Mit dem hier angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.05.2020, Zl. 1252479003-191170739, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wider den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für eine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – soweit für das Beschwerdeverfahren von Relevanz – nach der Wiedergabe der Einvernahmen des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person insbesondere aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer einer konkreten Gefährdung oder Bedrohung in der Türkei ausgesetzt sei oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte. So habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer aufgrund von Wahlhelfertätigkeiten und/oder wegen seines Familiennamens verfolgt und/oder von Privat- oder sonstigen Personen bedroht worden sei. Zur Situation im Falle der Rückkehr wurde festgestellt, dass seine gesamte Familie nach wie vor in der Türkei lebe. Er könne daher finanzielle Unterstützung durch seine Kernfamilie erhalten. Darüber hinaus verfüge er über Berufserfahrung als Näher bzw. verfüge seine Familie über ein eigenes Geschäft. Er sei wirtschaftlich abgesichert und könne grundsätzlich für seinen Unterhalt sorgen. Was das Privat- und Familienleben betrifft, so stünde fest, dass der Beschwerdeführer keine Angehörigen in Österreich habe. Seine Familie lebe in der Türkei. Er lebe seit seiner Antragstellung in Österreich und besuche hier einen Deutschkurs. Er sei nicht Mitglied in einem Verein. Es bestünden keine besonderen sozialen Kontakte, die ihn an Österreich bänden.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte seiner Entscheidung zum damaligen Zeitpunkt aktuelle Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zugrunde (vgl. die Seiten 22 bis 92 des angefochtenen Bescheides).

In der rechtlichen Beurteilung wurde begründend dargelegt, warum der seitens des Beschwerdeführers vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG 2005 biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt wurde, weshalb gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen, weshalb festgestellt wurde, dass die Abschiebung in die Türkei zulässig sei, weshalb die Frist für eine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

9. Mit Verfahrensanordnungen vom 02.06.2020 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben und der Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

10. Gegen den dem Beschwerdeführer am 09.06.2020 eigenhändig rechtswirksam zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.05.2020 wurde im Wege der dem Beschwerdeführer beigegebenen und von ihm bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation mit Schreiben vom 26.06.2020 innerhalb offener Frist Beschwerde in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung für den Beschwerdeführer ein günstigerer Bescheid erlassen worden wäre, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

Zunächst wird auf ein mangelndes Ermittlungsverfahren, insbesondere zur Situation der Kurden in der Türkei und zur Frage des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative, hingewiesen. In diesem Zusammenhang wird der Antrag gestellt, dass im Dorf des Beschwerdeführers entsprechende Ermittlungen durch einen Vertrauensanwalt durchgeführt werden, zum Beweis dafür, dass dem Beschwerdeführer asylrelevante Verfolgung durch staatliche Behörden und die Adalet ve Kalk?nma Partisi drohe. Eine Vertrauensperson könne durch Befragung vor Ort herausfinden, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers der Wahrheit entspreche. Des Weiteren wird angemerkt, dass eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative nicht gegeben sei.

In diesem Zusammenhang wird angeregt, dem Gerichtshof der Europäischen Union näher definierte Fragen zur Auslegung von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU, insbesondere ob Art. 8 Abs. 1 der Status-Richtlinie einer innerstaatlichen Regelung entgegenstehe, die der Frage, ob "vernünftigerweise erwartet werden kann, dass [der Antragsteller] sich dort [in dem betreffenden Landesteil] niederlässt", keine eigenständige Bedeutung zumesse, zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorzulegen.

Des Weiteren wird moniert, dass dem Beschwerdeführer die vorläufigen Beweisergebnisse nicht zur Kenntnis gebracht worden seien, weshalb er aufgrund von Ermittlungsmängeln in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt worden sei. Sodann wird bemängelt, dass die im Bescheid getroffenen Länderfeststellungen unvollständig und veraltet seien. Dazu wird über mehrere Seiten hinweg auszugsweise auf zahlreiche weitere Länderanalysen und Berichte, die sich auf die Situation der Kurden, den beendeten Ausnahmezustand, die Behandlung von Kurden nach dem Putschversuch 2016, die Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz und die Halklar?n Demokratik Partisi beziehen, verwiesen.

Darüber hinaus wendet sich der Beschwerdeführer in zahlreichen Punkten gegen die Beweiswürdigung des belangten Bundesamtes.

Dem Beschwerdeführer wäre der Status des Asylberechtigten aufgrund seiner politischen Gesinnung, der Familienzugehörigkeit und ethnischen Zugehörigkeit (Kurde) zuzuerkennen gewesen. Die Verfahrensfehler seitens der belangten Behörde und die mangelhafte Rechtsanwendung hätten allerdings zu einer Nichtgewährung jenes internationalen Schutzes geführt.

Eine Verletzung des Art. 3 und 2 EMRK könnte im gegebenen Fall der Abschiebung in die Türkei jedenfalls nicht ausgeschlossen werden. Hätte die belangte Behörde ihre Ermittlungspflicht in angemessener Weise wahrgenommen und den vorliegenden Sachverhalt rechtlich richtig beurteilt, hätte sie dem Beschwerdeführer zumindest den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen müssen.

Ferner wird darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführer ein schützenswertes Privatleben iSd Art. 8 EMRK in Österreich habe. Die belangte Behörde habe die Rückkehrentscheidung nur unzureichend geprüft und von ihrem Ermessen rechtswidrig Gebrauch gemacht.

Abschließend wird beantragt, eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durchzuführen und den angefochtenen Bescheid bezüglich Spruchpunkt I. zu beheben und dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen. Eventualiter wird beantragt, den angefochtenen Bescheid bezüglich Spruchpunkt II. zu beheben und dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, eventualiter festzustellen, dass die Abschiebung in die Türkei auf Dauer unzulässig sei sowie die erlassene Rückkehrentscheidung ersatzlos zu beheben. Schließlich wird eventualiter ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beschwerde sind der bereits in Vorlage gebrachte österreichische Zeitungsbericht über die Verrichtung einer ehrenamtlichen Tätigkeit, die bereits übermittelte Stellungnahme vom 27.05.2020 und eine Deutschkursbestätigung vom 24.06.2020 angeschlossen.

11. Die Beschwerdevorlage langte am 02.07.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurden in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zugewiesen.

12. Das Bundesverwaltungsgericht richtete am 10.07.2020 einen Rechercheauftrag an die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bezüglich des vom Beschwerdeführer geschilderten ausreisekausalen Vorbringens, insbesondere zur Organisation Osmanli Ocaclari und zum vorgelegten „Haftbefehl“. Die bezughabende Anfragebeantwortung langte am 30.07.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

13. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.07.2020 wurde der Beschwerdeführer um Unterfertigung einer beigeschlossenen Zustimmungserklärung ersucht, um Ermittlungen in Griechenland bezüglich des dort gestellten Asylantrages vornehmen zu können. Des Weiteren wurde der Beschwerdeführer – unter Hinweis auf seine Mitwirkungspflicht – aufgefordert, Identitätsdokumente nachzureichen oder anderweitige Beweismittel im Hinblick auf seine Identität, weitere Unterlagen zur behaupteten strafrechtlichen Verfolgung in der Türkei (Anklageschrift, Ladung zu Gericht, Strafregisterauszug etc.) und Hausdurchsuchungsbestätigungen vorzulegen.

Dem Ersuchen um Unterfertigung der Zustimmungserklärung wurde seitens des Beschwerdeführers entsprochen und die unterfertigte Zustimmungserklärung mit Eingabe vom 16.07.2020 an das Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

14. Das Bundesverwaltungsgericht richtete am 16.07.2020 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bezüglich des seitens des Beschwerdeführers in Griechenland gestellten Asylantrages ein Ersuchen, entsprechende Erhebungen gemäß Art. 34 Abs. 3 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zu veranlassen bzw. die diesbezüglichen Asylakten aus Griechenland anzufordern.

15. Am 10.08.2020 langte eine Stellungnahme bezüglich der mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.07.2020 an den Beschwerdeführer gerichteten Aufforderung beim Bundesverwaltungsgericht ein. Der Beschwerdeführer teilte im Wesentlichen mit, dass die Vorlage eines Originalausweises nicht möglich sei. Ferner könne er keine Hausdurchsuchungsbestätigung übermitteln, da die Familie keine Bestätigung über die erfolgte Hausdurchsuchung erhalten habe, sondern lediglich bei der Polizei unterschrieben habe. Im Übrigen sei der Beschwerdeführer sehr um Integration in Österreich bemüht. Er habe von Februar bis Juli 2020 102,5 Stunden an Remunerantentätigkeiten geleistet und zusätzlich ehrenamtlich bei der Herstellung von Mund-Nasenschutz-Masken mitgewirkt.

Der Stellungnahme sind ein türkischer Personalausweis in Kopie, ein türkischer Familienbuchauszug in Kopie, ein türkisches Behördenschreiben bezüglich einer angeblichen Verfolgung in Kopie und eine Bestätigung über die Verrichtung von Remunerantentätigkeiten bzw. ehrenamtlichen Tätigkeiten angeschlossen.

16. Das der Stellungnahme angeschlossene türkische Behördenschriftstück wurde vom Bundesverwaltungsgericht am 12.08.2020 einer Übersetzung zugeführt.

17. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.08.2020 wurden der dem Beschwerdeführer beigegebenen und von ihm bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation zur Vorbereitung der für den 07.09.2020 anberaumten mündlichen Verhandlung aktuelle länderkundliche Dokumente zur allgemeinen Lage in der Türkei, insbesondere die Country Policy and Information Note - Turkey: Kurds des britischen Home Office vom Februar 2020, die Country Policy and Information Note - Turkey: Kurdistan workers party (PKK) des britischen Home Office vom Februar 2020, die Country Policy and Information Note - Turkey: Peoples´ Democratic Party (HDP) des britischen Home Office vom Februar 2020 und die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation der belangten Behörde zur Thematik „Gewährleistung medizinischer Betreuung während Covid-19“ vom 04.08.2020, zur Wahrung des Parteiengehöres übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu bis zur Verhandlung schriftlich oder in der Verhandlung mündlich Stellung zu nehmen.

18. Am 07.09.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, eines Vertreters der dem Beschwerdeführer beigegebenen und von ihm bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation, eines Vertreters der belangten Behörde und eines Dolmetschers für die türkische Sprache durchgeführt. Im Verlauf der Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer neuerlich die Gelegenheit eingeräumt, seine Ausreisegründe und seine Rückkehrbefürchtungen umfassend darzulegen. Zudem wurde die aktuelle Lageentwicklung in der Türkei anhand der dem Beschwerdeführer im Vorfeld übermittelten Länderdokumentationsunterlagen erörtert. Des Weiteren folgte der erkennende Richter des Bundesverwaltungsgerichtes dem Beschwerdeführer im Wege der ihm beigegebenen und von ihm bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 29.07.2020 bezüglich des Beschwerdeführers aus. Im Übrigen wurde dem Beschwerdeführer eine Frist von zwei Wochen zur Vorlage eines Dokuments bezüglich der angeblich erfolgten Hausdurchsuchung eingeräumt und wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, die als Datei erhaltene Fotografie des gegen den Beschwerdeführer ausgestellten türkischen „Haftbefehles“ per E-Mail an das Bundesverwaltungsgericht zu senden.

Der Beschwerdeführer brachte im Gefolge der Verhandlung eine Deutschkursbestätigung vom 01.09.2020, eine Bestätigung über die Verrichtung von Remunerantentätigkeiten vom 27.08.2020, eine Ablichtung türkischer Hinterlegungsanzeigen und ein Konvolut an türkischen Behördenunterlagen in Vorlage.

Im Gegensatz zur als Datei erhaltenen Fotografie des gegen den Beschwerdeführer ausgestellten türkischen „Haftbefehles“ unterblieb die Vorlage eines Dokuments bezüglich der angeblich erfolgten Hausdurchsuchung.

19. Das in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Konvolut an türkischen Unterlagen wurde vom Bundesverwaltungsgericht am 11.09.2020 einer Übersetzung zugeführt.


II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen

Gemäß § 27 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

2. Feststellungen:

2.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angegebenen Namen und ist Staatsangehöriger der Türkei. Er wurde am XXXX im Landkreis XXXX in der südostanatolischen Provinz Siirt geboren und verbrachte dort seine ersten Lebensjahre. Anschließend verzog der Beschwerdeführer mit seiner Familie nach Istanbul, wo er auch zuletzt bis zu seiner Ausreise in einem im Eigentum der Familie stehenden Haus lebte. Er ist Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, bekennt sich zum Islam, ist ledig und kinderlos. Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprachen Kurdisch und Türkisch in Wort und Schrift. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Der Beschwerdeführer besuchte in seinem Heimatort, der Kreisstadt XXXX und in Istanbul die Grundschule, wobei er diese zunächst nicht erfolgreich abschloss. Erst im Wege des Fernunterrichtes absolvierte er die Pflichtschule und erhielt ein Grundschuldiplom. Im Anschluss trat der Beschwerdeführer in das Berufsleben ein. Er arbeitete bis 2016 als Schneider in der Textilbranche. Seine Familie besaß bzw. besitzt ein eigenes Atelier in Istanbul. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seine berufliche Tätigkeit wegen der geschilderten Bedrohungslage beendete (siehe unten). Die finanzielle Situation des Beschwerdeführers war gut.

Seinen fünfzehnmonatigen Wehrdienst in der türkischen Armee hat der Beschwerdeführer ab dem Jahr 2009 vollständig abgeleistet.

Seine Eltern und seine Geschwister leben alle in Istanbul. Seine vier Schwestern und zwei Brüder sind bereits verheiratet. Sein jüngerer Bruder heiratet in naher Zukunft. Sämtliche Geschwister arbeiten ebenfalls in der Textilbranche. Der Beschwerdeführer steht mit seiner Mutter zweimal in der Woche in Kontakt. Der Familie geht es in der Türkei gut.

Der Beschwerdeführer verließ die Türkei am 25.08.2018 illegal von Edirne ausgehend schwimmend über den Fluss Mariza nach Griechenland. Anschließend reiste er nach einem etwa einjährigen Aufenthalt in Griechenland schlepperunterstützt über Albanien, den Kosovo, Serbien und Ungarn nach Österreich, wo er nach einer Einreiseverweigerung durch die Bundesrepublik Deutschland und anschließender Zurückweisung nach Österreich am 15.11.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2.2. Der Beschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seines Religionsbekenntnisses oder aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu gewärtigen.

Der Beschwerdeführer ist Sympathisant der Halklar?n Demokratik Partisi und nahm bis zum Verfassungsreferendum in der Türkei am 16.04.2017 an Wahlveranstaltungen aktiv als einfacher Unterstützer teil. Anschließend nahm er nicht mehr an Aktivitäten der Halklar?n Demokratik Partisi teil, sondern übte bei der vorgezogenen Wahl zur 27. Großen Nationalversammlung der Türkei und der Präsidentschaftswahl im Juni 2018 lediglich sein aktives Wahlrecht für diese Partei aus.

Der Beschwerdeführer entfaltete während seines Aufenthaltes in Österreich kein
(exil-)politisches Engagement und schloss sich auch keiner hier tätigen kurdischen Organisation an.

Der Beschwerdeführer gehört nicht der Gülen-Bewegung an und war nicht in den versuchten Militärputsch in der Nacht vom 15.07.2016 auf den 16.07.2016 verstrickt.

Feststellbar war, dass das Heimatdorf des Beschwerdeführers in den 90er Jahren im Zuge der Kampfhandlungen der türkischen Sicherheitskräfte „gegen den Terrorismus“ in Mitleidenschaft gezogen wurde. Verifiziert werden konnte ebenfalls, dass gegen den Beschwerdeführer und eine weitere Person wegen eines Vorfalles bei einer Verkehrskontrolle am 02.07.2018 in Istanbul, bei welchem dem Beschwerdeführer der Führerschein wegen des Vorwurfs der Trunkenheit am Steuer abgenommen wurde, ein Gerichtsverfahren wegen „Widerstandes gegen die Staatsgewalt und Beleidigung“ nach den Artikeln 1, 53, 265 des türkischen Strafgesetzes geführt wird.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die wider den Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang erhobene Anklage aus einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund erhoben wurde oder dass die strafrechtliche Verfolgung des Beschwerdeführers auf anderen unsachlichen Motiven beruht. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass die Strafverfolgung dem Zweck dient, den Beschwerdeführer wegen der angeblichen Verwandtschaft zu einem (von den Sicherheitsbehörden als solcher bezeichneten) Terroristen und/oder seinen früheren politischen Aktivitäten zu bestrafen.

Das Strafverfahren ist derzeit in erster Instanz beim 5. Land-Strafgericht XXXX anhängig, ein Urteil in Abwesenheit ist nicht ergangen. Da sich der Beschwerdeführer dem Strafverfahren durch seine Ausreise entzogen hat, wurde in der Strafverhandlung am 09.01.2019 die Erlassung eines Haftbefehles beschlossen.

Zum Entscheidungszeitpunkt kann weder festgestellt werden, ob bzw. wann ein (erstinstanzliches) Urteil infolge der wider den Beschwerdeführer erhobenen Anklage ergehen wird. Ebenso wenig kann gegenwärtig festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer der ihm zur Last gelegten Taten ganz oder teilweise schuldig erkannt wird oder ein gänzlicher oder teilweiser Freispruch ergeht bzw. zu welcher Strafe er im Fall eines Schuldspruches verurteilt werden würde. Ausgehend davon kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer (mehrjährigen) Haftstrafe verurteilt würde. Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Anhaltung in Haft mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit gefoltert würde.

Der Beschwerdeführer wurde vor seiner Ausreise in den Jahren 2016 bis 2018 nicht von der der Adalet ve Kalk?nma Partisi zurechenbaren Personen oder von Mitgliedern von der Adalet ve Kalk?nma Partisi zurechenbaren Vereinen wegen seines Engagements für die Halklar?n Demokratik Partisi und/ oder seiner angeblichen Verwandtschaft zu einem getöteten (von den Sicherheitsbehörden als solcher bezeichneten) Terroristen mehrfach misshandelt. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass aus diesen Gründen, insbesondere wegen politischer Aktivitäten, seitens des türkischen Staates vor der Ausreise gegen den Beschwerdeführer strafrechtlich vorgegangen und ein Haftbefehl erlassen bzw. ein Gerichtsverfahren wegen des Verbrechens „Propaganda für eine Terrororganisation“ eingeleitet sowie nach der Ausreise Erkundigungen bei dessen Familie in diesem Zusammenhang eingeholt wurden.

Der Beschwerdeführer unterlag vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat keiner individuellen Gefährdung und war keiner psychischen und/ oder physischen Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt und wird im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat einer solchen individuellen Gefährdung oder psychischer und/ oder physischer Gewalt auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt sein.

Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat wegen seiner Sympathie für die Halklar?n Demokratik Partisi, seiner früheren Beteiligung an deren Aktivitäten als einfacher Unterstützer, als vermeintlicher Unterstützer der Partiya Karkerên Kurdistanê oder der Gülen-Bewegung gerichtlich oder polizeilich gesucht wird oder er aus diesem Grund oder aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit im Fall einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit willkürlicher Gewaltausübung, willkürlichem Freiheitsentzug oder exzessiver Bestrafung durch staatliche Organe ausgesetzt wäre.

Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder terroristische Anschläge im der Türkei.

2.3. Der Beschwerdeführer ist ein arbeitsfähiger Mensch mit bestehenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherten Existenzgrundlage. Er verfügt über Berufserfahrung als Schneider in der Textilbranche. Dem Beschwerdeführer ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung. Er ist gesund und bedarf keiner medikamentösen oder ärztlichen Behandlung.

Der Beschwerdeführer verfügt für den Fall der Rückkehr – abgesehen von einem türkischen Familienbuchauszug – über ein türkisches Identitätsdokument (Nüfus) in Kopie und über eine Wohnmöglichkeit bei Verwandten in der Türkei, insbesondere auch in der Millionenmetropole Istanbul.

2.4. Der Beschwerdeführer reiste am 14.11.2019 rechtswidrig in das Bundesgebiet ein. Seit der Einreiseverweigerung durch die Bundesrepublik Deutschland und anschließender Zurückweisung nach Österreich am 15.11.2019 hält er sich durchgehend im Bundesgebiet als Asylwerber auf und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.

Der Beschwerdeführer bezieht seit der Antragstellung Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Er ist nach einer anfänglichen Unterbringung in Übergangsquartieren des Bundes in Oberösterreich und Salzburg nun seit 30.01.2020 in einer Gemeinde in Vorarlberg in einer Unterkunft für Asylwerber untergebracht. Der Beschwerdeführer ist im Wege der Grundversorgung für Asylwerber krankenversichert und bezieht derzeit monatlich EUR 372,00 Verpflegungs- und EUR 40,00 Taschengeld.

Der Beschwerdeführer ist für keine Person sorgepflichtig und pflegt normale soziale Kontakte. Im Bundesgebiet halten sich keine Verwandten des Beschwerdeführers auf. Er verfügt hier über einen Freundes- und Bekanntenkreis, dem auch in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigte Personen angehören und brachte ein Empfehlungsschreiben in Vorlage. Eine ehrenamtliche Deutschlehrerin bestätigt diesem, dass er an ihrem Unterricht teilnimmt, ferner wird der Beschwerdeführer als lerneifrig, höflich und hilfsbereit charakterisiert.

Der Beschwerdeführer ist nicht legal erwerbstätig. Der Beschwerdeführer hat keine Erwerbstätigkeit am regulären Arbeitsmarkt in Aussicht. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass er ein erfolgreicher Schneider sei und es sehr viele Unternehmen gebe, die Schneider benötigen würden, brachte jedoch bis zum Entscheidungszeitpunkt keine Einstellungszusage bei. Der Beschwerdeführer verrichtet(e) von etwa Anfang 2020 bis Ende August 2020 Remunerantentätigkeiten im Ausmaß von 102,5 Stunden für seinen derzeitigen Unterkunftgeber. Zudem unterstützte er das Nähprojekt seines derzeitigen Unterkunftgebers zur Herstellung von Mund-Nasen-Masken auch ehrenamtlich. Der Beschwerdeführer ist weder in einem Verein, noch in einer sonstigen Organisation Mitglied.

Der Beschwerdeführer besuchte sprachliche Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache der Caritas Flüchtlingshilfe. Er absolvierte vom 02.03.2020 bis 24.06.2020 den Kurs „Deutsch als Fremdsprache (Kurs A0.3.) im Ausmaß von 42 Unterrichtseinheiten und zuletzt vom 20.07.2020 bis 01.09.2020 den Kurs „Deutsch als Fremdsprache (Kurs A1.1.) im Ausmaß von 60 Unterrichtseinheiten. Er legte allerdings keine Prüfungen über Deutschkenntnisse ab bzw. wurde bislang noch keine Bestätigung über eine diesbezüglich erfolgreich abgelegte Prüfung in Vorlage gebracht. Der Beschwerdeführer beherrscht die deutsche Sprache erst in geringem Ausmaß bzw. verfügt über (einfache) grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache.

Anderweitige Integrationsschritte hat der Beschwerdeführer nicht ergriffen.

2.5. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Sein Aufenthalt war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Z. 3 FPG 2005 geduldet. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Der Beschwerdeführer wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

2.6. Zur gegenwärtigen Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

1.       Aktuelles

20.04.2020: Wegen der Corona-Krise hat die Türkei am 15.04.20 mit der Entlassung von Häftlingen begonnen. Das Gesetz war am Vortag vom Parlament in Ankara verabschiedet worden und ermöglicht die Entlassung von bis zu 90.000 Gefangenen. Ausgenommen davon sind wegen Terrorvorwürfen Inhaftierte, darunter Regierungskritiker und Journalisten, sowie Gefangene, die wegen vorsätzlichen Mordes, Gewalt gegen Frauen, Sexualstraftaten und Drogendelikten in Haft sind (vgl. BN v. 06.04.20). Die Oppositionspartei CHP will den Straferlass vom Verfassungsgericht überprüfen lassen, weil keine politischen Häftlinge freikommen.

Seit zwei Wochen sind die türkischen Städte, darunter Ankara und Istanbul, wegen der COVID-19-Pandemie nach außen weitgehend abgeschottet. Die Bewohner brauchen für Reisen in andere Städte eine Genehmigung. Am 18.04.20 verlängerte die Regierung die Reisebeschränkungen für 31 Städte und Provinzen um zwei Wochen. Ausgenommen ist der Transport unverzichtbarer Güter. In den 31 Städten und Provinzen galt am Wochenende zudem erneut eine zweitägige Ausgangssperre. Bis Anfang März 2020 hatte die Türkei nur wenige hundert Coronafälle verzeichnet, seitdem stieg die Zahl der Infizierten sprunghaft auf über 82.000 Fälle an. Die Zahl der Toten liegt inzwischen bei über 2.000 Personen. Trotz der COVID-19-Krise sollen Gläubige nach Ansicht der türkischen Religionsbehörde im Ramadan fasten. Präsident Erdo?an lehnte am 12.04.20 das Rücktrittsgesuch von Innenminister Süleyman Soylu ab. Dessen Ministerium hatte am 10.04.20 kurzfristig eine 48-stündige Ausgangssperre angekündigt und war dafür scharf kritisiert worden. Da die Ausgangssperre erst zwei Stunden vor Beginn verkündet worden war, war es in Geschäften zu Panikkäufen, Gedränge und teilweise chaotischen Zuständen gekommen.

04.05.2020: Ausgangsperre Der türkische Präsident Erdogan hat wegen der Corona-Krise eine weitere dreitägige weitgehende Ausgangssperre für 31 Städte und Provinzen vom 01. bis 03.05.20 verhängt. Am 1. Mai war es Supermärkten aber erlaubt, zwischen 9 und 14 Uhr zu öffnen. Weitere Ausgangssperren an Wochenenden sind noch mindestens bis zum Ende des Fastenmonats Ramadan Ende Mai geplant.

Ali Erba?, der Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet, sagte am 24.04.20 in seiner Predigt zu Beginn des Fastenmonats Ramadan, dass Homosexualität Krankheiten mit sich bringe. Er bezeichnete Homosexuelle als islamfeindliche Ketzer und kritisierte zudem den Ehebruch und das Zusammenleben unverheirateter Paare. Die Anwaltskammer Ankara sowie eine türkische Menschenrechtsorganisation reichten deshalb bei der Generalstaatsanwaltschaft von Ankara eine Beschwerde gegen Erba? wegen Homophobie und Volksverhetzung ein. Daraufhin schaltete sich Staatspräsident Erdogan in die Auseinandersetzung ein und erklärte, Ali Erba?‘ Äußerungen seien völlig korrekt, da für den Islam Homosexualität eine schwere Sünde sei. Da Erba? der Vorsitzende der Religionsbehörde ist, sei ein Angriff auf ihn auch ein Angriff auf den Staat. Religiöse Fragen lägen in der Hand des Diyanet und nicht in der von Rechtsanwaltsverbänden. In dem Zusammenhang leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die Anwaltskammer ein, weil die Juristenvertretung die religiösen Gefühle des Volkes verletzt hätte. Homosexualität ist in der Türkei nicht verboten. Aktivisten beklagen jedoch immer wieder Diskriminierungen.

11.05.2020: Da langsam ein Abflachen der Neuinfektionen mit dem Coronavirus in der Türkei zu beobachten sei, plant die Regierung eine schrittweise Lockerung der zahlreichen bestehenden Einschränkungen. Am vergangenen Wochenende galt eine weitgehende Ausgangssperre nur noch in 24 Städten und Provinzen statt zuvor in 31. Zudem durften Senioren ab 65 Jahren zum ersten Mal seit dem 21.03.20 wieder für vier Stunden das Haus verlassen. Ab 11.05.20 sollen unter anderem Läden, Einkaufszentren und Friseure unter Auflagen wieder öffnen können. Beabsichtigt sei, dass nach der Sitzung des Corona-Wissenschaftsrats am 11.05.20 Reisebeschränkungen für weitere Provinzen aufgehoben werden könnten. In einer zweiten Phase vom Juni bis in den August 2020 sollen Ausgangssperren schrittweise verringert werden und die Zahl der Tage, an denen Bürger über 65 Jahren nach draußen dürfen, erhöht werden. Dann sollen auch wieder die Moscheen unter Einhaltung der Mindestabstände öffnen. Die Schutzmaskenpflicht bestehe weiterhin. Im Juni 2020 sollen dann auch Restaurants und Cafés mit Einschränkungen wieder öffnen dürfen, ebenso Bibliotheken. Sportveranstaltungen könnten wieder durchgeführt werden, allerdings ohne Zuschauer und nur unter bestimmten Sicherheits- und Hygienestandards. Kinos, Theater und Open-Air-Bühnen sollen eventuell im Juli 2020 wieder in Betrieb genommen werden dürfen. Überlegt werde auch, dann größere Veranstaltungen, wie beispielsweise Hochzeiten, unter bestimmten Auflagen wieder zu erlauben. Eine dritte Phase laufe von September 2020 bis zum Jahresende. Dafür würden detaillierte Pläne ausgearbeitet, um Schulen und Universitäten unter Einhaltung der Sicherheits- und Hygienemaßnahmen wiederzueröffnen. Danach sollen in einer vierten Phase alle Reise- und Flugbeschränkungen sowie die Maskenpflichten wieder aufgehoben werden. Es werde zudem bereits über Einreisemöglichkeiten für Touristen unter Durchführung von Coronatests an Flughäfen ab Juni 2020 nachgedacht.

Bericht zu möglichen Fluchtbewegungen Nach einem Bericht vom 08.05.20 der Tageszeitung Die Welt erwarte die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) erneut eine hohe Zahl von Flüchtlingen an der griechisch-türkischen Grenze. Nach einem der Zeitung vorliegenden internen und vertraulichen Situationsbericht vom 05.05.20 aus dem Frontex Situation Centre, könnte es massive Bewegungen von Migranten aus der Türkei in Richtung Griechenland geben, sobald weitere türkische Provinzen ihre Coronavirus-Einschränkungen lockerten

18.05.2020: Es gab vergangene Woche mehr als 148.000 bestätigte COVID-19-Fälle, nach offiziellen Angaben starben bisher ca. 4.090 Infizierte, über 100.000 Menschen haben sich erholt. Die Türkei hat neben zahlreichen Lockerungen aktuell nochmals eine viertägige Ausgangssperre in 15 Städten und Provinzen verhängt, die am 16.05.20 begann und nach dem 19.05.20, einem nationalen Feiertag, enden soll. Kliniken, Apotheken, Bäckereien und andere als wichtig eingestufte Dienstleister bleiben geöffnet. Die Regierung erwägt zudem mögliche Maßnahmen, einschließlich einer viertägigen landesweiten Ausgangssperre, während des Bayram-Festes vom 24.05. bis 26.05.20, mit dem das Ende des Fastenmonats Ramadan begangen wird.

Tod nach Hungerstreik Der Musiker Ibrahim Gökçek ist am 14.05.20 nach über 300 Tagen Hungerstreik gestorben. Er hatte gefastet, um die Aufhebung des Auftrittsverbots seiner Band und die Freilassung inhaftierter Bandmitglieder zu erreichen. Seine Bandkollegin Helin Bölek war bereits vor ca. zwei Wochen nach 288 Tagen Hungerstreik gestorben. Ihren Hungerstreik hatten beide im vergangenen Jahr im Gefängnis begonnen, im November 2019 kamen sie zwar frei, setzten ihren Hungerstreik jedoch fort. Die Grup Yorum wurde 1985 in Istanbul gegründet. Die populäre Band ist für ihre regierungskritischen Protestsongs in türkischer und kurdischer Sprache bekannt und setzt sich aus wechselnden Mitgliedern zusammen. Die Regierung wirft der Band Verbindungen zur verbotenen militanten linksradikalen Untergrundorganisation Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) vor, die vor allem in den Achtzigerjahren zahlreiche Anschläge in der Türkei verübte und von der Türkei, den USA und der EU als Terrorgruppe eingestuft wird. Zwei Mitglieder von Grup Yorum, darunter Gökçeks Frau, befinden sich noch im Gefängnis.

25.05.2020: Die Regierung hat erstmals für das ganze Land eine viertägige Ausgangssperre über die Feiertage am Ende des Fastenmonats Ramadan verhängt. Sie begann am Vorabend des sogenannten Zuckerfests in der Nacht zum 23.05.20 und endet am 26.05.20. Die Reisebeschränkungen für 15 Städte, darunter Ankara und Istanbul, wurden zudem um 15 Tage bis zum 03.06.20 verlängert. Im Kampf gegen COVID-19 erlässt die Türkei seit Wochen weitgehende Ausgehverbote, bislang allerdings nur in ausgewählten Städten oder Provinzen. Staatspräsident Erdogan appellierte an die Bevölkerung, ihre Gewohnheiten den Regelungen anzupassen, und drohte mit neuen härteren Maßnahmen, falls sich die Situation wieder verschlechtern sollte. Zudem erklärte er das Schuljahr für beendet. Die Schulen, die seit dem 16.03.20 geschlossen sind, öffnen erst wieder im September 2020. In ausgewählten Moscheen sind ab dem 29.05.20 wieder Gebete zugelassen.

Am 15.05.20 wurden nach Medienberichten fünf weitere Bürgermeister der prokurdischen Demokratischen Volkspartei (HDP) aus dem Amt entlassen und durch staatliche Verwalter ersetzt. Ihnen wird vorgeworfen, die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) unterstützt zu haben. Bei den Kommunalwahlen im März 2019 hatte die HDP im Südosten des Landes in 65 Städten und Gemeinden gesiegt. Inzwischen sind nur noch 12 ihrer Bürgermeister im Amt.

15.06.2020: Medienberichten zufolge ordneten türkische Behörden am 09.06.2020 die Festnahme von 414 weiteren mutmaßlichen Regierungsgegnern an, denen eine Verbindung zur Gülen-Bewegung vorgeworfen wird. Bei einem landesweiten Polizeieinsatz sei gegen 191 Verdächtige in 22 Provinzen vorgegangen worden, von denen sich 160 inzwischen in Haft befänden. Unabhängig davon habe die Staatsanwaltschaft Istanbul die Festnahme von 158 Personen angeordnet, darunter Militärs, Ärzte und Lehrer. Zudem gebe es Razzien gegen Mitglieder der Luftwaffe und andere Sicherheitskräfte. Bereits am 08.06.2010 war die Festnahme von 149 Personen angeordnet worden. Die meisten von ihnen seien ehemalige oder aktive Polizisten. Den Verdächtigen werde vorgeworden, am gescheiterten Militärputsch 2016 beteiligt gewesen zu sein und in Verbindung zu Gülen-Bewegung zu stehen. Schon in der vorangegangenen Woche waren 118 Haftbefehle gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger erlassen worden.

22.06.2020: COVID-19-Pandemie – Maßnahmen: Die Ausgangssperren im Land wurden aufgehoben. Ausnahmen gelten nur noch für Menschen ab 65 Jahren. Auch die inländischen Reisebeschränkungen gelten seit dem 01.06.20 nicht mehr. Die Türkei hat das Einreiseverbot für deutsche Staatsangehörige bereits am 11.06.20 aufgehoben. Auch die Land- und Seegrenzen der Türkei sind wieder offen, mit Ausnahme der Landgrenze zu Iran. Auf Marktplätzen, in Supermärkten und in öffentlichen Verkehrsmitteln gilt eine Schutzmasken-Pflicht, Abstandsregel (drei Schritte) sind einzuhalten. In einigen Städten und Gegenden muss im gesamten öffentlichen Raum eine Maske getragen werden, wie z.B. in den wieder offenen Friseurgeschäften und Einkaufszentren sowie den bis 24 Uhr geöffneten Restaurants und Cafés. Zwei Wochen nach der Lockerung nimmt die Zahl der erfassten Neuinfektionen wieder zu. Die Regierung prüft derzeit, inwiefern neue Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssen, die auch regional begrenzt sein können.

Das Parlament hat am 11.06.20 trotz scharfer Kritik der Opposition die Befugnisse der Hilfspolizei ausgeweitet, die vor allem abends und nachts in Wohnvierteln patrouilliert. Die auch als „Wächter“ oder „Nachtadler“ bezeichneten Ordnungskräfte dürfen nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu nun Schusswaffen tragen und anwenden, Fahrzeuge anhalten, Ausweise kontrollieren und Leibesvisitationen vornehmen. Darüber hinaus dürfen sie z.B. bis zum Eintreffen der Polizei Maßnahmen ergreifen, um Proteste und Märsche zu verhindern, die die öffentliche Ordnung stören. Verhaftungen und Verhöre sind ihnen aber nicht gestattet. Sie unterstehen wie Polizei und Gendarmerie dem Innenministerium. Ihre Ausbildungszeit beträgt drei Monate. Nach Angaben des Innenministers sind derzeit landesweit mehr als 20.000 Hilfspolizisten im Einsatz, zukünftig sollen es bis zu 30.000 werden. Eine ähnliche Institution hatte es bereits bis 2008 gegeben. Präsident Erdo?an hatte nach dem Putschversuch von 2016 die Wiederbelebung verkündet, die ersten Einsätze gab es dann 2017. Die Opposition sieht die Entwicklung mit Sorge, kritisiert die umfangreichen Befugnisse und wirft der Regierungspartei AKP vor, eine eigene Miliz gründen zu wollen.

29.06.2020: Am 24.06.20 begann in Istanbul der Prozess gegen den Chefeditor von OdaTV, Muyesser Yildiz, und sieben weitere Angeklagte wegen Geheimnisverrates. Die Angeklagten hatten über die Tätigkeiten des türkischen Geheimdienstes in Libyen berichtet und dabei konkrete Personen benannt, denen sie illegale Aktivitäten vorwarfen. OdaTV mit Sitz in Ankara ist politisch kritisch gegenüber der derzeitigen Regierung eingestellt.

06.07.2020: Im Prozess gegen den ehemaligen Leiter der türkischen Sektion von Amnesty International (AI), Taner Kilic, und weitere Angeklagte sind am 03.07.20 die Urteile gefallen. Kilic wurde wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Ihm wird Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung und Beteiligung am Putsch 2016 vorgeworfen. Drei seiner Mitarbeiter wurden wegen Beihilfe zu einem Jahr und einem Monat Gefängnis verurteilt. Sieben weitere Mitarbeiter wurden für unschuldig befunden, unter ihnen der Deutsche Peter Steudtner und der Schwede Ali Gharavi. Der Prozess wie auch die Urteile wurden weitgehend als politisch motiviert wahrgenommen.

13.07.2020: Das Parlament verabschiedete am 11.07.20 eine umstrittene Gesetzesänderung zur Neuorganisation der Anwaltskammern. Seit Wochen protestierten Rechtsanwälte gegen Pläne der Regierung zur Zulassung alternativer Anwaltskammern. Mit einem symbolischen Marsch nach Ankara zum Parlament wollten Rechtsanwälte am 04.07.20 darauf aufmerksam machen. Polizisten stoppten die Kundgebung, mit der Begründung, die Teilnehmer verstießen gegen die Vorschriften des Social Distancing zur Bekämpfung des Coronavirus.

Das bisherige System der türkischen Anwaltskammern verschaffte den Rechtsanwälten relativ viel Unabhängigkeit und Einfluss. Das neue Gesetz sieht sogenannte Multi-Anwaltskammern vor. Künftig sollen die Mitglieder von Kammern, in der mehr als 5000 Anwälte organisiert sind, dazu befugt sein, alternative Kammern zu gründen, sofern Unterschriften von mindestens 2.000 Anwälten zusammenkommen, die das wollen. Durch die Neuregelung wird auch die proportionale Vertretung in der nationalen Dachorganisation abgeschafft. In den drei größten Städten der Türkei - Istanbul, Ankara und Izmir - sind derzeit zwischen 10.000 und 50.000 Anwälte in einer Kammer organisiert. Allein in Istanbul residiert ein Drittel aller türkischen Advokaten. Theoretisch könnten in jeder dieser Städte mindestens fünf neue Kammern gegründet werden. Auch die Kammer in Antalya mit rund 5.000 Mitglieder könnte von der neuen Regelung betroffen sein. Bisher gibt es in jeder Provinz nur eine Anwaltskammer, in der jeder Anwalt Mitglied sein muss. Die Regierung, wolle nach Befürchtungen von Kritikern nun neue Kammern schaffen, deren Mitglieder auf der Linie der Regierungspartei AKP seien.

Durch die Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts in Ankara vom 10.07.20 wurde der Status der einstigen Kirche Hagia Sophia als Museum annulliert und damit der Weg für eine erneute Umwandlung in eine Moschee freigemacht. Nach Medienberichten begründete das Gericht seine Entscheidung damit, dass die Hagia Sophia Eigentum einer von Sultan Mehmet II. gegründeten Stiftung sei. Der Sultan hatte die Hagia Sophia 1453 in eine Moschee umgewandelt. Damit sei sie als Moschee definiert und dürfe nur zu diesem Zweck genutzt werden. Staatspräsident Erdo?an erklärte, dass die Hagia Sophia nun bereits in zwei Wochen als Moschee genutzt werden könne. Die Hagia Sophia wurde im 6. Jahrhundert n. Chr. erbaut und war Hauptkirche des Byzantinischen Reiches. Nach der Eroberung des damaligen Konstantinopels durch die Osmanen im Jahr 1453 wandelte sie Sultan Mehmet II. in eine Moschee um und ließ als äußeres Kennzeichen vier Minarette anfügen. Auf Betreiben des türkischen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk ordnete der Ministerrat im Jahr 1935 die Umwandlung der Hagia Sophia in ein Museum an.

20.07.2020: Am 16.07.20 wurde der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel von einem Gericht in Istanbul in Abwesenheit wegen Propaganda für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu zwei Jahren, neun Monaten und 22 Tagen Haft verurteilt. Der Journalist saß fast ein Jahr in der Türkei in Untersuchungshaft, ehe er im Februar 2018 freikam und nach Deutschland ausreiste. Hintergrund der Anklage waren unter anderem Artikel, die er in seiner Zeit als TürkeiKorrespondent für die Zeitung Die Welt veröffentlicht hatte. Nach Medienberichten sprach ihn das Gericht vom Vorwurf der Volksverhetzung und der Propaganda für die Gülen-Bewegung frei. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Yücel erklärte, in Berufung gehen zu wollen. Das Gericht gab zudem bekannt, dass zwei weitere Ermittlungen gegen Yücel liefen, dabei werde ihm Beleidigung des Präsidenten und des türkischen Staates vorgeworfen.

27.07.2020: Nach einem am 21.07.20 veröffentlichten Gesetzentwurf beabsichtigt die Regierung, die Kontrolle über die sozialen Medien weiter auszubauen. Demnach sollen Twitter, Facebook und andere Plattformen unter anderem dazu verpflichtet werden, Niederlassungen in der Türkei mit einem türkischen Staatsbürger als Vertreter zu eröffnen. Sollten Anbieter diesen Regelungen nicht nachkommen, drohen Strafen und Einschränkungen der Dienste. Bei Verstößen von Inhalte im Netz gegen geltende Regeln, drohten den künftigen Vertretern im Land Strafanzeigen. Bei Diensten, die keine Niederlassungen in der Türkei eröffnen, soll die Bandbreite um bis zu 90 % reduziert werden. Das Parlament muss das von den Regierungsparteien Adalet ve Kalk?nma Partisi (AKP) und Milliyetçi Hareket Partisi (MHP) eingebrachte Gesetz noch beschließen.

Die größte Oppositionspartei der Türkei, die Republikanische Volkspartei (CHP), hielt am 25. und 26.07.20 ihren 37. Parteitag im Bilkent Odeon Kongresszentrum in Ankara ab. Am ersten Tag wählten die Delegierten den Parteivorsitzenden, am zweiten Tag die 60 Mitglieder der Fraktion. Dabei wurde der bisherige Parteivorsitzende Kemal Kilicdaroglu wiedergewählt. Er ist seit 2010 Parteivorsitzender und trat sein Amt auf dem 33. ordentlichen Parteitag an, der nach dem Rücktritt des ehemaligen Vorsitzenden Deniz Baykal stattfand. Aufgrund der COVID-19-Pandemie fand der Parteitag ohne Gäste statt. Die 1.356 stimmberechtigten Delegierten mussten sich am Einlass einer Temperaturkontrolle unterziehen, die Sitzordnung wurde so gestaltet, dass die Mindestabstände in dem 4.000 Sitze umfassenden Saal eingehalten werden konnten.

10.08.2020: In mehreren türkischen Städten demonstrierten vergangene Woche Frauen gegen frauenfeindliche Gewalt. Die Demonstrantinnen hielten Schilder mit den Namen getöteter Frauen hoch oder trugen Oberteile mit den Namen der Opfer. In Izmir wurden nach Medienberichten mehrere Demonstrantinnen festgenommen. Die Frauen protestierten insbesondere auch gegen die Erwägungen der Regierung aus der Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen auszutreten. Das Abkommen wurde 2011 vom Europarat ausgearbeitet und soll einen europaweiten Rechtsrahmen schaffen, um Frauen vor Gewalt zu schützen.

Da die Zahl der Neuinfektionen in der Türkei zuletzt wieder über die Marke von 1000 pro Tag gestiegen ist, beabsichtigt das Innenministerium die Maßnahmen gegen das Coronavirus wieder zu verschärfen. So sollen keine Verstöße gegen das obligatorische Tragen von Masken und Wahren von Abstand akzeptiert werden, beispielsweise bei Hochzeiten und Beschneidungszeremonien. Versammlungen nach Beerdigungen würden eingeschränkt und die Kontaktverfolgung von Beamten unterstützt. Die deutsche Bundesregierung hat zum 04.08.20 die Reisewarnung für die Türkei teilweise aufgehoben. Die Warnung gilt damit nicht mehr für die vier türkischen Küstenprovinzen Antalya, Izmir, Aydin und Mugla. Allerdings müssen sich alle Türkei-Reisenden innerhalb von 48 Stunden vor ihrer Rückkehr dort auf eigene Kosten auf eine mögliche Corona-Infektion hin testen lassen und weitere Sicherheitsauflagen einhalten. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass in den genannten Provinzen mit etwa fünf Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen die Ansteckungsgefahr relativ gering sei, zudem habe die Türkei ein spezielles Tourismus- und Hygienekonzept entwickelt.

07.09.2020: Die wegen Terrorvorwürfen verurteilte türkische Anwältin Ebru Timtik ist nach Angaben ihrer Anwaltskanzlei nach 238 Tagen im Hungerstreik am 27.08.20 in einer Klinik in Istanbul an Herzversagen gestorben. Timtik gehörte nach Angaben von Unterstützern zu insgesamt 18 Anwälten, die wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation zu langen Haftstrafen verurteilt wurden. Ein Gericht in Istanbul hatte Timtik 2019 zu mehr als 13 Jahren Haft wegen Verbindungen zur linksextremen DHKP-C verurteilt, die in der Türkei als Terrororganisation gilt. Im Oktober 2019 wurde das Urteil gegen sie und ihre Mitangeklagten bestätigt. Am 02.01.20 trat sie in einen Hungerstreik, um damit ein aus ihrer Sicht faires Gerichtsverfahren zu erzwingen.

Der Oberste Gerichtshof der Türkei ordnete am 03.09.20 die Freilassung des im Gefängnis in den Hungerstreik getretenen Anwalts Aytac Ünsal wegen der Lebensgefahr an, die seine weitere Inhaftierung darstelle. Er befindet sich seit 213 Tagen im Hungerstreik, den er nahezu zeitgleich mit der am 27.08.20 verstorbenen Anwältin Ebru Timtik begonnen hatte. Zusammen mit ihr war er im vergangenen Jahr wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilt worden.

Nach Angaben der türkischen Regulierungsbehörde für den Rundfunk (RTÜK) muss der Nachrichtensender Tele1 wegen kritischer Äußerungen über den türkischen Präsidenten Erdo?an und die Religionsbehörde Diyanet vom 03.09.20 an für fünf Tage sein Programm unterbrechen. Begründet wurde dies mit einem Verstoß gegen den Grundsatz, dass Sendungen keinen Hass und Feindseligkeiten schüren dürften. Anlass dafür seien zwei Fernsehsendungen, in denen ein islamischer Gelehrter dem türkischen Präsidenten und der Religionsbehörde vorwarf, Moscheen zu politisieren und eine Theokratie zu etablieren. Woraufhin die Religionsbehörde mit einer Beschwerde reagiert habe. Die Sendesperre wurde gerichtlich bestätigt.

Nachdem der türkische Gesundheitsminister am 03.09.20 erklärte, dass sich die Türkei auf dem zweiten Höhepunkt der ersten Coronavirus-Welle befinde, hat das Innenmini

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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