Entscheidungsdatum
15.10.2020Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W125 2228549-1/15E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Christian FILZWIESER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch XXXX als Erwachsenenvertreter, dieser vertreten durch die ARGE-Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.01.2020, Zahl: XXXX , beschlossen:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben, der bekämpfte Bescheid wird behoben und die Angelegenheit wird zur Erlassung einer neuen Entscheidung an die Behörde zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin stellte am 28.10.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, nachdem sie wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet festgenommen und zwecks Schubhaftverhängung einvernommen worden war. Bei ihrem Aufgriff am 27.10.2019 wurde die Beschwerdeführerin behördlich als „verwirrt“ beschrieben.
Ein EURODAC-Abgleich ergab, dass die Beschwerdeführerin bereits am 29.08.2013 in Italien aufgrund einer Asylantragstellung erkennungsdienstlich behandelt worden war und konnte zudem eruiert werden, dass sie über einen italienischen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen bis zum 03.07.2018 verfügte.
2. Im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.10.2019 gab die Beschwerdeführerin an, ihren Herkunftsstaat Nigeria bereits mit 3 Jahren verlassen und sich sodann bis 2015 im Kamerun aufgehalten zu haben. Von dort aus sei sie über Libyen kommend nach Italien gereist, wo sie sich für etwa sieben Jahre aufgehalten habe, bis sie schließlich nach Österreich gekommen sei, um hier ihre Fußballträume zu verwirklichen. Man möge ihr hier ein Zimmer geben, damit sie mit ihrem Ball spielen könne. Im Herkunftsstaat habe sie keine konkreten Gefahren zu befürchten; sie sei lediglich ausgereist, um ein besseres Leben zu führen. Gegen eine Überstellung nach Italien habe sie nichts einzuwenden.
3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete daraufhin am 31.10.2019 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmegesuch an Italien. Da Italien das Aufnahmegesuch unbeantwortet ließ, teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Schreiben vom 14.11.2019 mit, dass aufgrund der nicht fristgerecht erfolgten Antwort gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO eine Verfristung eingetreten und Italien nunmehr für die Durchführung des gegenständlichen Asylverfahrens zuständig sei.
Zwischenzeitlich wurde die Beschwerdeführerin mit 04.11.2019 aus der am Tag ihrer Antragstellung über sie verhängten Schubhaft entlassen, da sie wegen gesundheitlichen Gründen für haftunfähig erklärt wurde.
Aufgrund ihres anschließend vorübergehend unbekannten Aufenthaltes wurde den italienischen Behörden die Verlängerung der Dublin-Überstellungsfrist auf 18 Monate mitgeteilt
4. Am 12.12.2019 wurde versucht, die Beschwerdeführerin beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einzuvernehmen. Da die Beschwerdeführerin nicht auf die ihr gestellten Fragen antworten wollte beziehungsweise konnte, musste ihre Befragung jedoch bereits nach kurzer Zeit abgebrochen werden.
Am selben Tag wurde der Beschwerdeführerin eine Ladung für eine Psychotherapeutische Untersuchung (PSY III) ausgefolgt, deren Übernahme jedoch verweigert wurde.
Am 16.01.2020 wurde die Beschwerdeführerin beim Versuch der irregulären Einreise nach Deutschland aufgegriffen und von den deutschen Behörden nach Österreich rücküberstellt. Im Zuge des daraufhin gegen sie erlassenen Festnahmeauftrages wurde die Beschwerdeführerin durchsucht und wurden bei ihr aufgebrochene Zeitungskassen aufgefunden. Bei der diesbezüglich erfolgten polizeilichen Einvernahme musste aufgrund der verwirrten Angaben der Beschwerdeführerin ein Amtsarzt zwecks Abklärung ihrer Deliktsfähigkeit beigezogen werden, der im Rahmen seiner Untersuchung attestierte, dass die Beschwerdeführerin zurechnungsfähig und somit deliktsfähig sei.
Mit Mandatsbescheid vom 17.01.2020 wurde über die Beschwerdeführerin erneut Schubhaft zur Sicherung ihrer Überstellung nach Italien verhängt. Eine Einvernahme musste wegen „unkooperativen Verhaltens“ abgebrochen werden.
5. Am 23.01.2020 wurde seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ein Ersuchen an die Fachärztin für Psychiatrie (Verein Dialog) XXXX weitergeleitet, um festzustellen, ob die Beschwerdeführerin überstellungsfähig ist und ob bei einer Überstellung nach Italien mit einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zu rechnen wäre.
Im diesbezüglichen, schriftlich festgehaltenen, Untersuchungsergebnis vom 24.01.2020 wurde seitens der Amtsärztin festgestellt, dass die Beschwerdeführerin an einer wahnhaften schizoaffektiven Psychose leidet, ohne Krankheits- und Behandlungseinsicht. Es würde weder eine Selbst- noch eine Fremdgefährdung bestehen, ihre Symptome (mangelnde Körperhygiene, Einnässen, …) würden nicht gegen die Abschiebung an sich sprechen und wären entsprechende Behandlungen auch in Italien möglich.
6. Nach durchgeführter Rechtsberatung gemäß § 52 Abs. 2 BFA-VG, fand am 27.01.2020 im Beisein einer Rechtsberaterin die niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Dabei gab die Beschwerdeführerin an, sich physisch und psychisch in der Lage zu sehen, die Befragung durchzuführen und erklärte sie des Weiteren, dass sie bereits nach Italien zurückkehren hätte wollen, was ihr aufgrund der über sie verhängten Schubhaft jedoch nicht möglich gewesen sei; sie wolle so schnell wie möglich nach Italien. Die Rechtsberaterin stellte einen Antrag auf Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens, zum Beweis ihrer Haftunfähigkeit.
7. Mit dem nunmehr verfahrensgegenständlich bekämpften Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.01.2020 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass gemäß Art. 18 Abs. 1 lit b iVm 25 Abs. 2 der Dublin III-VO Italien für die Prüfung ihres Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.). Begründend wurde insbesondere ausgeführt, dass die Zuständigkeit Italiens unzweifelhaft feststehe und ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, welche die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung der Beschwerdeführerin ernstlich für möglich erscheinen ließe, nicht erstattet worden sei. Eine systematische, notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte in Italien sei nicht erkannt worden, die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 sei nicht erschüttert worden und es habe sich kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO ergeben.
Zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin wurde von der Behörde (nur) festgestellt, dass die Beschwerdeführerin an keiner derart schweren psychischen Störung und/oder schweren ansteckenden Krankheit leide, die eine Überstellung nach Italien nicht zulassen würde. Auch von der Beschwerdeführerin selbst, sei ein diesbezügliches Vorbringen nicht erstattet worden und habe sie vielmehr erklärt, gesund zu sein und so schnell als möglich nach Italien überstellt werden zu wollen.
Der Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am selben Tag persönlich ausgefolgt, die Abgabe einer Unterschrift wurde von ihr jedoch verweigert.
8. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 05.02.2020, 26P 12/20s-4, wurde für die Beschwerdeführerin ein einstweiliger Erwachsenenvertreter bestellt und erteilte dieser der ARGE Rechtsberatung die Vollmacht, ihn in allen fremden-und asylrechtlichen Angelegenheiten der Beschwerdeführerin zu vertreten (inklusive Zustellvollmacht). In der Begründung äußerte das Bezirksgericht ua Zweifel an der Handlungsfähigkeit der Beschwerdeführerin während des Verfahrens, der Rechtsgültigkeit der Zustellung an sie und (ohne nähere Begründung) an der hinreichenden Versorgung in Italien.
9. Daraufhin ersuchte die ARGE Rechtsberatung das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl um erneute Zustellung des gegenständlichen Bescheids vom 27.01.2020 und wurde ihr dieser am 07.02.2020 nachweislich übermittelt.
9.1. Inzwischen wurde die Beschwerdeführerin aufgrund der starken Vernachlässigung ihrer notwendigen Körperhygiene und somit dem Verdacht der Selbstgefährdung beziehungsweise um der Erkrankung an einer ansteckenden Krankheit entgegenzuwirken, in eine Sicherheitszelle verlegt und trat sie in Hungerstreik.
10. Mit Schreiben vom 10.02.2020 erhob der Erwachsenenvertreter für die Beschwerdeführerin, im Wege seiner Vertretung fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und wurde gleichzeitig der Antrag gestellt, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Zusammengefasst wurde vorgebracht, dass bei der Beschwerdeführerin eine wahnhafte schizoaffektive Psychose festgestellt worden sei, weshalb die Behörde von ihrer Prozessunfähigkeit ausgehen hätte müssen und ihr den belangten Bescheid gar nicht wirksam zustellen hätte können. Selbst wenn die am 24.01.2020 erstellte Diagnose der Amtsärztin nicht ausreiche, um festzustellen, dass die Beschwerdeführerin prozessual handlungsunfähig sei, so hätte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zumindest nähere Ermittlungen hiezu tätigen müssen. Die Aufnahme- und Unterbringungssituation in Italien sei für Asylwerber, insbesondere für Dublinrückkehrer, äußerst prekär und wäre zumindest eine individuelle Zusicherung der italienischen Behörden notwendig gewesen, um die adäquate und menschenwürdige Unterbringung und (medizinische) Versorgung der Beschwerdeführerin garantieren zu können. Im Falle einer Überstellung nach Italien drohe der Beschwerdeführerin eine unzureichende beziehungsweise gänzlich fehlende medizinische Versorgung sowie Obdachlosigkeit.
11. Die Beschwerdevorlage langte am 13.02.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Am Tag zuvor war die Beschwerdeführerin erneut für haftunfähig erklärt worden und erfolgte daraufhin ihre Einweisung in das Klinikum XXXX , wo sie „aufgrund von Selbst- und Fremdgefährdung bei zuvor ausgeprägt aggressivem Verhalten in den diversen Polizeianhaltezentren“ im geschlossenen Bereich der Psychiatrie untergebracht wurde.
12. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.02.2020, GZ W239 2228549-1/2Z durch die seinerzeit zuständig gewesene Richterin wurde der Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Kurz darauf wurde die Beschwerdeführerin aus dem Klinikum XXXX entlassen; eine psychotische Symptomatik wäre nicht mehr erhebbar.
13. Am 16.06.2020 wurde seitens der Rückkehrberatung für die Beschwerdeführerin ein von ihr unterfertigter Antrag auf unterstützte freiwillige Rückkehrhilfe gestellt, welcher am 27.07.2020 wegen unbekannten Aufenthaltes der Beschwerdeführerin widerrufen wurde.
14. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 28.09.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung W125 neu zugewiesen.
15. Durch Einsichtnahme in das Grundversorgungssystem (GVS) konnte ermittelt werden, dass sich die Beschwerdeführerin am 20.06.2020 in ambulanter Behandlung im Klinikum XXXX befand.
Auf Nachfrage des nunmehr zur Entscheidung berufenen Richters teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin nach wie vor ungeklärt sei und dass der Behörde auch keine medizinischen Befunde zu ihrer ambulanten Behandlung im Juni 2020 vorliegen würden. Die rechtsfreundliche Vertretung der Beschwerdeführerin gab ferner Auskunft, bereits seit 17.06.2020 keinen Kontakt mehr zur Beschwerdeführerin zur haben.
Es erfolgte schließlich seitens einer juristischen Mitarbeiterin der Gerichtsabteilung im Auftrag des entscheidenden Richters ein Telefonat mit der Amtsärztin XXXX und wurde diese zu ihrer Einschätzung bezüglich der Handlungsfähigkeit der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der amtsärztlichen Untersuchung vom 24.01.2020 befragt. Die Fachärztin teilte dabei mit, dass ihr die Beschwerdeführerin seinerzeit sehr realitätsfern und nur beschränkt zurechnungsfähig erschienen sei, sich aber damals auf die Beantwortung der damals vom BFA gestellten Fragen fokussiert zu haben (siehe den entsprechenden im Akt einliegenden Aktenvermerk).
16. Zum Entscheidungszeitpunkt ist die Beschwerdeführerin nach wie vor (wie seit Juni durchgehend) unbekannten Aufenthaltes.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsangehörige, stellte am 28.10.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, für den sich eine Zuständigkeit Italiens aufrecht ergeben hat. Der weitere Sachverhalt ergibt sich aus der Verfahrenserzählung in Punkt I. der Begründung der gegenständlichen Entscheidung.
Aufgrund der Sachlage bestehen schon für das verwaltungsbehördliche Verfahren erhebliche Zweifel an der vollumfänglichen Prozessfähigkeit der Beschwerdeführerin. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hätte dies klar erkennen müssen und bereits vor Bescheiderlassung weitere Ermittlungen hiezu anstreben müssen.
Das Bundesamt hat es folglich verabsäumt, den (psychischen) Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin für das Verfahren hinreichend zu beurteilen.
2. Beweiswürdigung:
Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt.
Die uneingeschränkte Handlungsfähigkeit der Beschwerdeführerin hätte von der belangten Behörde spätestens mit Kenntnis der amtsärztlichen Diagnose vom 24.01.2020 in Zweifel gezogen werden müssen. Aber auch schon zuvor lagen mehrere Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass die Beschwerdeführerin nicht in der Lage ist, ihre Verfahrensrechte im Asylverfahren ohne Nachteil für sie wahrzunehmen. Bereits bei ihrem Aufgriff am 27.10.2020 wurde die Beschwerdeführerin als „verwirrt“ beschrieben und machte sie im Zuge ihrer Erstbefragung nur sehr unklare Angaben, die bei objektiver Betrachtung als lebensfern erschienen. So erklärte sie etwa, sich bis 2015 im Kamerun aufgehalten und danach für sieben Jahre in Italien gelebt zu haben, was bezogen auf das Jahr ihrer Einreise nach Österreich schlicht unmöglich ist. Kaum nachvollziehbar ist aber auch, inwiefern sie sich vorstellt, in Österreich eine Fußballkarriere zu starten und deutet ihre Aussage „man möge ihr hier ein Zimmer geben, damit sie mit ihrem Ball spielen könne“ darauf hin, dass auch sie selbst keinerlei Vorstellung dazu hatte, wie sie dies anstellen soll. Die für den am 12.12.2019 vorgesehene Befragung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl musste nach nur kurzer Zeit abgebrochen werden, da die Beschwerdeführerin nicht auf die ihr gestellten Fragen antworten wollte beziehungsweise konnte und musste auch die für den 17.01.2020 anberaumte Einvernahme zwecks Schubhaftverhängung wegen „unkooperativen Verhaltens“ abgebrochen werden. Zudem wurde die Beschwerdeführerin aufgrund ihres psychischen Zustandes wiederholt für haftunfähig erklärt und war sie auch was ihre notwendige Körperhygiene betrifft fortwährend uneinsichtig. Dass die Beschwerdeführerin im Untersuchungszeitpunkt – und sohin nur wenige Tage vor ihre behördlichen Einvernahme - einen sehr realitätsfernen Eindruck hinterließ, wurde letztlich auch von der diagnostizierenden Amtsärztin bestätigt.
Dass der im Zuge ihrer polizeilichen Einvernahme wegen des Verdachts des Aufbrechens von Zeitungskassen beigezogene Amtsarzt attestierte, dass die Beschwerdeführerin zurechnungsfähig und deliktsfähig sei, hätte jedenfalls nicht ohne Weiteres den Schluss zulassen dürfen, dass die Beschwerdeführerin uneingeschränkt handlungsfähig ist. Fest steht allerdings, dass die Beschwerdeführerin auch anlässlich ihrer damaligen Befragung nur wirre Angaben machte, was wiederum Zweifel an ihrer Einvernahmefähigkeit herbeirufen hätte können.
Andererseits hat die Beschwerdeführerin während des gesamten Verfahrens konsistent erklärt, nach Italien zu wollen und wurde auch während der letzten Einvernahme seitens der anwesenden Rechtsberaterin kein Vorbringen hinsichtlich völliger Handlungsfähigkeit erstellt. Dass die Beschwerdeführerin eine psychische Erkrankung nur vorgibt, wäre ebenso denkmöglich, konkrete Anhaltspunkte hiefür liegen derzeit nach der Aktenlage nicht vor und hat auch die Verwaltungsbehörde nicht in diese Richtung argumentiert.
Angesichts dieser unklaren Lage wären Feststellungen zur uneingeschränkten Handlungsfähigkeit beziehungsweise Prozessfähigkeit der Beschwerdeführerin erforderlich gewesen und wurden insofern auch ihr (psychischer) Gesundheitszustand und eine allfällig daraus resultierende besondere Schutzbedürftigkeit nicht hinreichend beurteilt.
Zu A) Aufhebung des angefochtenen Bescheides:
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgebung der Beschwerde
3.1. Die vorrangig maßgeblichen Bestimmungen des nationalen Rechts sind § 5 AsylG, § 21 BFA- VG und 61 FPG; unionsrechtlich sind primär Art 3, 7, 12, 18 und 25 der Dublin III-VO relevant.
Gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG ist das Verfahren zugelassen, wenn der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben ist. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
3.2. Zunächst ist festzuhalten, dass der Bescheid vom 27.01.2020 am 07.02.2020 der ausgewiesenen Rechtsvertretung – nach Bevollmächtigung durch die am 05.02.2020 für die Beschwerdeführerin bestellte Erwachsenenvertretung – (erneut) übermittelt wurde, weshalb jedenfalls für diesen Zeitpunkt eine rechtswirksame Bescheidzustellung vorliegt, unabhängig davon, ob der Bescheid bereits zuvor der – möglicherweise – prozessual handlungsunfähigen Beschwerdeführerin wirksam zugestellt werden konnte oder nicht. Der angefochtene Bescheid hat also als erlassen zu gelten und gehörte bis zur gegenständlichen Entscheidung des BVwG dem Rechtsbestand an.
3.3. Auch ist hinsichtlich der Frage der Unzuständigkeit Österreichs für die Durchführung des gegenständlichen Asylverfahrens dem Bundesamt beizupflichten, dass sich aus dem festgestellten Sachverhalt grundsätzlich die Zuständigkeit Italiens ergibt; dies gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III - VO. Die Beschwerdeführerin verfügte über einen italienischen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen bis zum 03.07.2018. Ihr Aufenthaltstitel war nicht mehr als zwei Jahre vor ihrer Antragstellung in Österreich abgelaufen und hat sie das Hoheitsgebiet der Dublinstaaten seither aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht wieder verlassen. Die Verpflichtung zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin ergibt sich zudem aus Art 18 Abs. 1 lit b iVm 25 Abs. 2, da sich Italien durch Verfristung für die Durchführung ihres Asylverfahrens für bereit erklärt hat.
3.4. Dennoch geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass zum Entscheidungszeitpunkt eine Überstellung der Beschwerdeführerin nach Italien nicht zulässig ist; dies aus folgenden Erwägungen:
3.4.1. Die Frage der prozessualen Handlungsfähigkeit (Prozessfähigkeit) einer Partei ist zufolge des § 9 AVG - wenn in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist - nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Damit wird die prozessuale Rechts- und Handlungsfähigkeit an die materiellrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit geknüpft. Hiefür ist entscheidend, ob die Partei im Zeitpunkt der betreffenden Verfahrensabschnitte in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens sowie der sich aus ihm ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten, was neben den von ihr gesetzten aktiven Verfahrenshandlungen auch Unterlassungen erfasst. (VwGH vom 20.12.2016, Ra 2015/01/0162)
Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung ist das Fehlen der Prozessfähigkeit nach § 9 AVG als Vorfrage in jeder Lage des Verfahrens und von Amts wegen wahrzunehmen. Hat die Behörde hinsichtlich des Vorliegens der Prozessfähigkeit einer Partei Bedenken, so hat sie die Frage - idR durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - von Amts wegen zu prüfen. Bei Bestätigung der Bedenken hat die Behörde nach § 11 AVG vorzugehen, d.h. die Bestellung eines Sachwalters beim zuständigen (Pflegschafts-)Gericht zu veranlassen (vgl. zu allem die VwGH vom 28. April 2016, Ra 2014/20/0139, mwN, und vom 6. Juli 2015, Ra 2014/02/0095).
Wie in der Beweiswürdigung unter 2.) dargelegt, lagen während des Verfahrens vor der Verwaltungsbehörde mehrere Anhaltspunkte für begründete Zweifel an der Prozessfähigkeit der Beschwerdeführerin vor und hätte dies die Behörde dazu veranlassen müssen, nähere Ermittlungen hiezu vorzunehmen, bevor sie die angefochtene Entscheidung erließ.
So wäre es insbesondere Aufgabe der Behörde gewesen, neben dem in Auftrag gegebenen Gutachten zur Beurteilung der Überstellungsfähigkeit der Beschwerdeführerin auch eine medizinische Äußerung zur Beurteilung ihrer Prozessfähigkeit einzuholen und im Falle von deren Verneinung gemäß § 11 AVG von Amts wegen die Bestellung eines Erwachsenenvertreters beim hierfür zuständigen Pflegschaftsgericht zu veranlassen sowie mit dem bestellten gesetzlichen Vertreter das erstinstanzliche Verfahren (einschließlich der allfälligen Wiederholung von Einvernahmen) fortzusetzen, respektive abzuschließen.
Der angefochtene Bescheid leidet folglich unter erheblichen Feststellungsmängeln in Bezug auf die Frage der Prozessfähigkeit der Beschwerdeführerin beziehungsweise die Frage der Möglichkeit, persönlich zum eingebrachten Antrag auf internationalen Schutz einvernommen zu werden und hätte die Behörde auch nicht ohne diesbezügliche Abklärung, die von der Beschwerdeführerin gemachten Angaben ihrer Entscheidungsfindung zugrunde legen dürfen. Nur der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass auch Italien nicht von diesen besonderen Aspekten informiert wurde.
3.4.2. Gemäß Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Dem Bundesamt ist insofern zuzustimmen, dass die Erkrankung der Beschwerdeführerin per se nicht aktuell lebensbedrohlich ist und grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im zuständigen Mitgliedstaat bestehen, was überdies auch von der diagnostizierenden Amtsärztin bestätigt wurde.
Im fortgesetzten Verfahren wird die Verwaltungsbehörde gegebenenfalls aber präzise Feststellungen zu ihrem Gesundheitszustand treffen müssen, inklusive einer Beurteilung der - aufgrund ihrer psychischen Erkrankung - allfällig eingeschränkten Handlungsfähigkeit sowie einer etwaig daraus resultierenden besonderen Schutzbedürftigkeit; dies um – im Falle einer Überstellung nach Italien - eine Verletzung des Art. 3 EMRK mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können. Dabei wird die Behörde letztlich auch zu berücksichtigen haben, dass sich die Beschwerdeführerin seit Bescheiderlassung wiederholt in stationärer beziehungsweise ambulanter Behandlung befunden hat und die entsprechenden Befunde in die Würdigung einzuschließen haben.
3.5. Wie dargelegt, ist die gegenständliche Entscheidung des Bundesamtes auf Basis eines insgesamt qualifiziert mangelhaften Verfahren ergangen und wurde der entscheidungsrelevante Sachverhalt trotz bestehender Möglichkeiten nicht ausreichend ermittelt, weshalb gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG zwingend vorzugehen war. Das Bundesverwaltungsgericht kann gegenständlich die eben genannten Verfahrensschritte ausnahmsweise nicht selbst nachholen, da wegen der im Raum stehenden Frage, ob das gesamte verwaltungsbehördliche Verfahren wegen mangelnder Prozessfähigkeit von Anfang an fehlerhaft war, dies bejahendenfalls zum Wegfall einer ganzen Instanz führen würde. Die entsprechende Verfahrensverlängerung durch eine Zurückverweisung muss daher hier in Kauf genommen werden – die Beschwerdeführerin ist zur Zeit überdies unbekannten Aufenthaltes.
3.6. Eine mündliche Verhandlung hatte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG zu unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht im Ergebnis weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im Übrigen trifft § 21 Abs. 3 BFA-VG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.
Schlagworte
aktuelle Länderfeststellungen Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht gesundheitliche Beeinträchtigung individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W125.2228549.1.00Im RIS seit
03.03.2021Zuletzt aktualisiert am
03.03.2021