TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/23 W272 1258598-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.10.2020
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Entscheidungsdatum

23.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1

Spruch

W272 1258598-2/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. GEUSAU gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz, vom 02.03.2020, Zahl XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird als unbegründet mit der Maßgabe abgewiesen, dass der erste Satz des Spruchpunktes I. zu lauten hat:

„Der Ihnen mit Bescheid/Erkenntnis vom 09.12.2008, Zahl: A12 258.598-0/2008/4E, zuerkannte Status des Asylberechtigten wird gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt.“

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Zugehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste gemeinsam mit seiner Mutter nach Österreich ein. Seine Mutter beantragte am 23.04.2004 vor der Erstbehörde die Asylgewährung sowie beantragte sie mit selbigem Datum für den Beschwerdeführer, als auch für dessen beiden Geschwister, Asylerstreckung gemäß § 10 iVm § 11 Abs. 1 Asylgesetz 1997 idF BGBl. Nr. 126/2002, die mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 13.10.2004, Zl. 03 12.752-BAT, gem. § 10 iVm § 11 Abs. 1 Asylgesetz 1997 abgewiesen wurden.

2. Im durchgeführten erstinstanzlichen Ermittlungsverfahren bezog sich die Mutter des Beschwerdeführers zentral darauf ihren Herkunftsstaat verlassen zu haben, da ihr Ehegatte zum vormaligen Zeitpunkt durch russische Militärangehörige abgeholt worden und sein Aufenthalt bislang unbekannt sei. Der Ehegatte der Mutter habe sich im Rahmen des sogenannten zweiten Tschetschenienkrieges aktiv unterstützerisch für die tschetschenischen Widerstandskämpfer betätigt, weshalb er mehrmals durch Militärangehörige bzw. unbekannte Personen behelligt worden war. Auch die Mutter des BF selbst sei durch unbekannte Personen, welche nach dem Aufenthaltsort ihres Ehegatten nachgefragt hätten, schwer misshandelt und mit dem Tode bedroht worden.

3. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 31.01.2005, Zl. 04 08.562-BAL wurde dem Asylantrag der Mutter des BF bzw. dem Asylerstreckungsantrag des BF jeweils gemäß § 7 AsylG 1997 bzw. § 10 iVm § 11 Abs. 1 AsylG 1997 abgewiesen.

4. Dagegen erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner gesetzlichen Vertreterin fristgerecht Berufung.

5. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 09.12.2008, Zl. A12 258.598-0/2008/4E, wurde der Berufung stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 11 AsylG Asyl gewährt und kraft Gesetzes festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

Dabei wurde festgestellt, dass sich die Mutter des BF jedenfalls in wohlbegründeter Furcht vor weiteren Verfolgungsmaßnahmen von Seiten staatlicher russischer Autoritäten bzw. mit diesen zusammenarbeitenden unbekannten Privatpersonen befinde. Die auf die Mutter des BF abzielende maßgeblich wahrscheinliche Verfolgung gründe sich in der Tatsache, dass der Ehegatte der Mutter des BF zum vormaligen Zeitpunkt bereits ins Blickfeld russischer Autoritäten geraten sei; dies aufgrund seiner unterstützerischen Tätigkeit für die tschetschenischen Untergrundkämpfer. Der Mutter des BF sei sohin weiters wohlbegründete Furcht vor allfälligen schweren körperlichen Eingriffen zusinnbar. Die bereits erlittenen Eingriffe in die körperliche Intensität betreffend die Mutter des BF seien unzweifelhaft als asylrechtlich relevant zu qualifizieren. Der Mutter des BF wurde sohin wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus politischen Gründen zugebilligt und war gemäß § 12 AsylG die Entscheidung über die Asylgewährung der Mutter des BF mit der Feststellung zu verbinden, dass der Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Gemäß § 11 Abs. 1 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 126/2002 sowie gemäß § 10 Abs. 2 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 101/2003, wurde dem Beschwerdeführer, im Rahmen des gebotenen Familienverfahrens gleicher Schutzumfang wie seiner Mutter gewährt.

6. Der Beschwerdeführer wurde im Zeitraum von 2013 bis 2018 sechsmal durch das Landesgericht XXXX rechtskräftig verurteilt:

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , GZ. 025 HV 119/2013m, vom 17.12.2013, wurde der BF wegen §§ 127, 129 Z 1 und 2, 105 (1), 106 (1) Z 1 StGB (Diebstahl durch Einbruch oder mit einer Waffe sowie schwere Nötigung); Schuldspruch unter Vorbehalt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren und der Anordnung einer Bewährungshilfe (Jugendstraftat) verurteilt. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Mit Urteil des Landesgericht XXXX , GZ. 025 HV 164/2013d, vom 28.10.2014, wurde der BF wegen §§ 136 (1), 229 (1) StGB (unbefugter Gebrauch von Fahrzeugen und Urkundenunterdrückung) sowie gemäß §§ 127, 129 Z 1 und 3 StGB (Diebstahl durch Einbruch oder mit einer Waffe) § 15 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten unter Setzung einer bedingten Probezeit von 3 Jahren(Jugendstraftat) verurteilt. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Mit Urteil des Landesgericht XXXX , GZ. 025 HV 27/2015k, vom 24.03.2015, wurde der BF wegen § 4 (1) 4. Fall NPSG (Neue-Psychoaktive-Substanzen-Gesetz), §§ 229 (1). § 83 (1) StGB (Urkundenunterdrückung und Körperverletzung), zu einer Geldstrafe von 100 Tags zu je 4,00 EUR (400,00 EUR) im NEF 50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe (Jugendstraftat) verurteilt. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Mit Urteil des Landesgericht XXXX , GZ. 025 HV 5/2016a, vom 03.03.2016, wurde BF wegen §§ 127, 129 (1) Z 1 und 2 StGB (Diebstahl durch Einbruch oder mit einer Waffe), § 15 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten unter Setzung einer bedingten Probezeit von 3 Jahren(Jugendstraftat) verurteilt. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Mit Urteil des Landesgericht XXXX , GZ. 015 HV 174/2016f, vom 04.07.2017, wurde der BF wegen § 91 (2) 2.Fall StGB (Raufhandel), zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten, davon Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren (Junger Erwachsener) verurteilt. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Mit Urteil des Landesgericht XXXX , GZ. 015 HV 116/2018d, vom 19.10.2018, wurde der BF wegen §§ 127, 129 (1) Z 2 StGB und § 229 (1) StGB (Diebstahl durch Einbruch oder mit einer Waffe und Urkundenunterdrückung), zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten, davon Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren (Junger Erwachsener) verurteilt. Das Urteil wurde rechtskräftig.

7. Mit Strafverfügung vom 20.09.2018 wurde der BF zu Bezahlung einer Strafe in der Höhe von €450,00 belangt. Er hat aufgrund der Vorfalles am 12.08.2018, indem er mit einer Softgun auf dem öffentlichen Gehsteig, mehrmals auf eine Dose geschossen hat und dadurch sich Anrainer, Ladenbesitzer und Passanten gefürchtet und gestört gefühlt haben, sowie am gleichen Tag den Betrieb im Wettlokal gestört, da er Gäste und Angestellte belästigt und beschimpft habe, wodurch der normale Betrieb gestört wurde und die Polizei gerufen wurde, gegen die Rechtsvorschriften des § 81 Abs. 1 SPG verstoßen.

8. Aufgrund der am 19.10.2018 zum sechsten Mal erfolgen strafrechtlichen Verurteilung des BF leitete die Behörde am 07.11.2018 wegen des Verdachts, dass der Konventionsflüchtling ein besonderes schweres Verbrechen iSd. § 7 Abs.1 Z 1 AsylG begangen habe, ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten ein.

9. Infolge wurde der BF mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , vom 20.09.2019, GZ. 013 HV 118/2019k, vom 20.09.2019, wegen § 12 2.Fall StGB, § 15 StGB, § 288 (1) StGB und § 15 StGB § 105 (1) StGB (falsche Beweisaussage und Nötigung), und Strafanhebung durch OLG Linz, GZ 8 Bs 137/19g vom 13.12.2019 ein weiteres Mal zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Das Urteil wurde rechtskräftig.

10. Mit Strafverfügung vom 14.10.2019 wurde der BF zu Bezahlung einer Strafe in der Höhe von € 150,00 belangt. Der BF mit drei anderen Angezeigten am 26.07.2019 einen E-Scooter in die Traun geworfen und dadurch einen Polizeieinsatz ausgelöst und gegen die Rechtsvorschrift des § 81 Abs. 1 SPG verstoßen.

11. Am 05.02.2020 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers zu seinem Aberkennungsverfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt, im Rahmen derer dem Beschwerdeführer seine Straftat vorgehalten wurde und zu seinen Lebensumständen in Österreich und der Russischen Föderation befragt wurde.

12. In der am 12.02.2020 eingelangten schriftlichen Stellungnahme der Mutter des BF wurden die im Rahmen der schriftlichen Zeugenbefragung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gestellten Fragen vom 05.02.2020 beantwortet. Dabei gab die Mutter des BF bekannt, dass ihre Eltern verstorben seien. Ihre Tochter, zu der kein Kontakt bestehe, lebe glaublich in der Türkei. In der Russischen Föderation lebe ihre Schwester mit ihrer eigenen Familie.

13. Aus einer Meldung der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 28.02.2020 wurde die Behörde dahingehend informiert, dass der BF am 15.10.2019 wegen des Verdachts wegen § 107 StGB und § 83 StGB bei er Staatsanwaltschaft XXXX angezeigt worden sei.

14. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.03.2020 wurde der dem Beschwerdeführer der mit Erkenntnis vom 09.12.2008 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG aberkannt und festgestellt, dass dem BF gemäß § 7 Abs. 4 AsylG die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Abs. 3 Z. 1 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 7 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Begründet wurde die Entscheidung zusammenfassend damit, dass der BF seit 2013 insgesamt siebenmal strafrechtlich, wobei eine Vielzahl der durch den BF begangene Straftaten auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen würde, verurteilt worden sei. So sei er insgesamt viermal wegen Diebstahl und Einbruchsdiebstahl verurteilt worden. Zudem würden Verurteilungen wegen Gewaltdelikte, eine einmalige Verurteilung wegen Körperverletzung, eine Verurteilung wegen Raufhandel, zweimal wegen Nötigung und einmal wegen schwerer Nötigung, vorliegen. Auch habe der BF durch den Verkauf besonders gefährlicher Drogen MDMB-CHMICA die Gesundheit von in Österreich lebenden Personen gefährdet. Der BF habe die Straftaten innerhalb offener Probezeiten und nach bereits verbüßten Haftstrafen begangen, weshalb der Strafrahmen durch das Oberlandesgericht Linz eine Erhöhung des Strafausmaßes am 13.12.2019 bei seiner siebten Verurteilung nur mehr mit der Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten das Auslangen zu seinen gesetzten Straftaten gefunden habe. Aufgrund seiner permanenten Missachtung der österreichischen Rechtsordnung, von welcher der BF strafrechtliche Verurteilungen und damit zusammenhängende Aufenthalte in Justizanstalten nicht abhalten habe können, stehe fest, dass seitens des BF eine Gefährdung der Allgemeinheit und damit der im Bundesgebiet lebenden Menschen ausgehe. Aus den angeführten Gründen stellte die Behörde einen Asylausschlussgrund gemäß § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG fest, weswegen eine Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG von Amts wegen durchzuführen sei. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass dem BF aufgrund eines Asylerstreckungsantrages im Jahr 2004 Asyl zuerkannt wurde und für den BF keine eigenen Fluchtgründe beständen hätten. Eine persönliche und asylrelevante Verfolgungssituation in seinem Herkunftsstaat habe er auch zum derzeitigen Zeitpunkt nicht angegeben. Zur Situation im Falle seiner Rückkehr folgerte die Behörde, dass der BF über Verwandte im Herkunftsland verfüge und eine Unterstützung durch seine Angehörigen auch ausgehend von Österreich erfolgen könnte. Der BF sei ein gesunder junger Mann, der seinen Lebensunterhalt bei einer Rückkehr durchaus Anfangs mit Gelegenheitsarbeiten bestreiten könnte, zudem verfüge er in der Russischen Föderation nach wie vor über familiäre Anschlussmöglichkeiten, weshalb es ihm möglich sei nach anfänglichen Schwierigkeiten in der Russischen Föderation Fuß zu fassen. Demnach könne nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle seiner Rückkehr in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.

15. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen gewillkürten Vertreter mit Schreiben vom 20.03.2020 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass nicht bestritten werde, dass der BF im Zeitraum von 2013 bis 2019 strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, wodurch jedoch nicht automatisch ein Asylaberkennungsgrund gegeben sei. Dabei wurde im Hinblick auf die zu berücksichtigende Schwere der Delikte darauf hingewiesen und dass der BF, bis auf die letzte strafrechtliche Verurteilung, unter Anwendung nach den Bestimmungen des Jugendgerichtsgesetzes verurteilt worden sei. Lediglich die letzte Verurteilung habe zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten, die er derzeit in der JA XXXX verbüße, geführt. Die anderen Freiheitsstrafen hätten jedoch zum überwiegenden Teil zu bedingten Freiheitsstrafen geführt. Die Schwere seiner Taten könne eine Asylaberkennung jedenfalls nicht begründen. Hinsicht des subsidiären Schutzes wurde darauf hingewiesen, dass der BF in seiner Herkunft über keine sozialen oder beruflichen Kontakte verfüge. Entgegen der Behörde würde der BF über kein potentielles, soziales Umfeld, welches eine für ihm mit Sicherheit anzunehmende ausweglose wirtschaftliche Notlage verhindern könnte, verfügen. Darüber hinaus sei er von seiner Mutter wirtschaftlich abhängig und werde es nach seiner Haftentlassung nicht einfach sein, ein Erwerbseinkommen zu lukrieren, zumal aufgrund der aktuellen Coronakrise eine hohe Arbeitslosenrate bestehe. Zu seinem Privat- und Familienleben wurde darauf hingewiesenen, dass der BF in Österreich die Volks- und die Hauptschule besucht habe, somit die gesamte Grundschulausbildung absolviert, und er akzentfrei Deutsch spreche. Er habe versucht in diversen Berufen Fuß zu fassen, was leider nur teilweise gelungen sei. Demgegenüber spreche er kaum Tschetschenisch, was sein Fortkommen in diesem Land naturgemäß ebenfalls erheblich erschweren würde. Ferner bestehe ein enger Kontakt zu seine Mutter und seinen Geschwistern, in deren Wohnung er auch lebe. Aufgrund seiner Geschichte sei er jedenfalls als sozial- und beruflich integriert anzusehen. Die Behörden gehe zu Unrecht von einer negativen Zukunftsprognose aus und habe mit der vorliegenden Entscheidung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt und damit gegen Art. 8 EMRK verstoßen. Zum sei das Einreiseverbot zu hoch angesetzt und beantrage der BF in eventu die Herabsetzung auf einen weitaus kürzeren Zeitraum.

16. Am 18.06.2020 erfolgte eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG.

17. Mit Schreiben vom 30.06.2020 erfolgte ein Abschluss-Bericht der Landespolizeidirektion Oberösterreich an die Staatsanwaltschaft XXXX , indem der BF dem Verdacht unterliegt einer anderen Person am Körper verletzt zu haben.

18. Nach Aufforderung durch das Verwaltungsgericht legte der BF die Jahreszeugnisse 2004/2005 – 2006/2007 und 2008/2009 der Volksschule, die Jahreszeugnisse 2009/2010 (erste Klasse) und 2010/2011 (zweite Klasse) der Hauptschule sowie ein Zeugnis über die Pflichtschulabschlussprüfung vor.

19. Am 23.10.2020 langte bei Gericht, die gekürzte Urteilsausfertigung des LG XXXX vom 17.06.2020, GZ 11 Hv 28/20m ein, in welchem der BF wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt wurde. Mildernd war kein Umstand, erschwerend der rasche Rückfall und mehrere einschlägige Vorverurteilungen. Bezüglich des Strafantrages des Staatsanwaltschaft XXXX wegen dem Verdacht des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB wurde der BF mangels Schuldbeweis freigesprochen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister und der mündlichen Verhandlung werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Zugehöriger der tschetschenischen Volksgruppe. Er reiste gemeinsam mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte seine Mutter, als dessen gesetzliche Vertreterin, für ihn am 23.04.2004 einen Asylerstreckungsantrag, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.10.2004, Zl. 03 12.752-BAT, gem. § 10 iVm § 11 Abs. 1 Asylgesetz 1997 abgewiesen wurde. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 09.12.2008 stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 11 AsylG Asyl gewährt und kraft Gesetzes festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Beschwerdeführer ist sowohl psychisch als auch physisch gesund. Der Beschwerdeführer leidet an keiner schwerwiegenden oder gar lebensbedrohenden gesundheitlichen Beeinträchtigung. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig.

1.2 Zum Leben in Österreich:

Der BF war zunächst, nach illegaler Einreise in das österreichische Staatsgebiet und Asylersteckungsantrag am 23.04.2004, als Asylwerber in Österreich aufhältig und wurde ihm mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes am 09.12.2008 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Der Beschwerdeführer weist folgende rechtskräftige Verurteilungen auf:

1) Urteil des Landesgerichtes XXXX , GZ. 025 HV 119/2013m, vom 17.12.2013, rechtskräftig seit: 23.12.2013, wegen den Verbrechen des Einbruchdiebstahles nach den §§ 127, 129 Z 1 und 2 und des Verbrechens der schweren Nötigung nach den §§ 105 (1), 106 (1) Z 1 StGB; Schuldspruch unter Vorbehalt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren und der Anordnung einer Bewährungshilfe (Jugendstraftat); Der BF hat andere am 31.03.2013, dadurch, dass er ihnen für den Fall, dass sie seiner Aufforderung, auf dem Boden sitzen zu bleiben, nicht Folge leisten, Schläge angekündigt und äußerte, er würde ihnen die Kehle aufschlitzen, wobei er ihnen ein Spielzeugmesser vorhielt, mithin durch Drohung mit dem Tod zur Befolgung seiner Anordnung , auf dem Boden sitzen zu bleiben genötigt; sowie am 30.08.2012 ein fremde Sache, nämlich 60 Flaschen Mineralwasser und zwei Paar Schuhe durch Einbruch in eine abgeschlossenes Kellerabteil mit Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz weggenommen und am 02.08.2013 mit einem anderen einer Person das Handy Samsung Galaxy 3 und Bargeld in der Höhe von € 130,-- durch Aufbrechen eines Spindes im Freibad mit Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz weggenommen. Dem BF wurde eine Bewährungshilfe angeordnet.

2) Urteil des Landesgerichtes XXXX , GZ. 025 HV 164/2013d, vom 28.10.2014, rechtskräftig seit: 28.10.2014 wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach §§ 136 (1) StGB, des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 (1) StGB sowie des Verbrechens des teils vollendeten teils versuchten Diebstahls, teils durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Z 1 und 3 StGB, § 15 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten unter Setzung einer bedingten Probezeit von 3 Jahren(Jugendstraftat); Der BF hat am 02.10.2013 das Moped einer anderen Person, ohne Einwilligung des Berechtigten in Gebrauch genommen, wobei sich die Gewalt über das Fahrzeug teilweise durch eine in den §§ 129 – 131 StGB geschilderten Handlung verschaffte, weiters anderen eine fremde bewegliche Sache, teils durch Einbruch mit Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz teils weggenommen, teils wegzunehmen versucht und zwar mit einer anderen Person und einer gesondert verfolgten Person um den 20.11.2013 Verfügungsberechtigten des Buffet der HAK II € 150,- Münzgeld durch Einsteigen in einen abgeschlossenen Raum, der sich in einem Gebäude befindet sowie mit diesen Personen um den 22.11.2013 Verfügungsberechtigten des Buffet der HAK II Münzen und Süßigkeiten im Gesamtwert von € 80,-- durch Übersteigen eines Unterbauschrankes und eines Kaffeeautomaten und Einsteigen ins Buffet weggenommen und Bargeld durch Aufbrechen eines Heißgetränkeautomaten der Firma Nitsche Box GmbH wegzunehmen versucht und alleine am 15.09.2013 Verfügungsberechtigten der Firma Rieger zwölf Eintrittskarten bzw. Fahrchips im Gesamtwert von € 42 wegzunehmen versucht. Sowie in der Zeit vom 29.09.2013- 02.10.2013 eine Urkunde, nämlich das Mofakennzeichen des XXXX , somit eine Urkunde über die er nicht oder nicht allein verfügen durfte mit Gebrauchsverhinderungsvorsatz unterdrückt. Mildernd war bei der Strafzumessung, dass der BF teilweise geständig war, die teilweise Schadensgutmachung und dass die Taten teilweise beim Versuch geblieben sind. Erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen mit Vergehen, sowie die Vorverurteilung.

3) Urteil des Landesgerichtes XXXX , GZ. 025 HV 27/2015k, vom 24.03.2015, rechtskräftig seit: 24.03.2015 wegen des Vergehens nach § 4 (1) 4. Fall NPSG, des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 (1) und des Vergehens der Körperverletzung § 83 (1) StGB, zu einer Geldstrafe von 100 Tags zu je 4,00 EUR (400,00 EUR) im NEF 50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe (Jugendstraftat); der BF hat mit einer anderen Person am 13.11.2014 im bewussten und gewollten Zusammenwirken, mit dem Vorsatz daraus einen Vorteil zu ziehen, eine Neue Psychoaktive Substanz mit dem Vorsatz anderen überlassen, dass sie von den anderen oder einem Dritten zur Erreichung einer psychoaktiven Wirkung im menschlichen Körper angewendet wird, indem sie zwei Mädchen insgesamt rund 3 g MDMB-CHIMCA („Bonzai“) gewinnbringend verkauften und durch diese Handlung die beiden Mädchen vorsätzlich an der Gesundheit geschädigt, wobei ein Mädchen infolge des Konsums erbrechen musste und Herzrasen erlitt sowie das zweite Mädchen infolge des Konsum schwindelig wurde, sodass sie zu Boden stürzte, bewusstlos wurde und starke Halluzinationen hatte. Weiters am 30.01.2015 in XXXX die Kennzeichen einer anderen Person, somit Urkunden, über die er nicht oder nicht allein verfügen durfte, mit dem Vorsatz unterdrückte zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis, der sich daraus ergebenden Rechte, Rechtsverhältnisse oder Tatsachen gebraucht werden, indem er die Kennzeichentafel des PKW abmontierte und auf seinem Fahrzeug befestigte. Bei der Strafzumessung war mildernd das Geständnis, erschwerend das Zusammentreffen von drei Vergehen und das belastete Vorleben. Vom Widerruf der Strafnachsicht zu 25 Hv 164/13d wurde abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert. Der Richterin schien ein Widerruf der verhängten unbedingten Geldstrafe nicht zusätzlich geboten, um den Verurteilten von der Begehung weitere Straftaten abzuhalten.

4) Urteil des Landesgerichtes XXXX , GZ. 025 HV 5/2016a, vom 03.03.2016, rechtskräftig seit: 07.03.2016 wegen des Vergehens des Diebstahles durch Einbruch nach §§ 127, 129 (1) Z 1 und 2 StGB, § 15 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten unter Setzung einer bedingten Probezeit von 3 Jahren(Jugendstraftat); Der BF hat im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter anderen eine fremde bewegliche Sache durch Einbruch mit Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz teils weggenommen, teils wegzunehmen versucht und zwar in der Zeit vom 02.10. bis 04.10.2015 in XXXX mit dem abgesondert verfolgten XXXX Verfügungsberechtigten der Neuen Mittelschule 6 einen Standtresor in unbekannten Wert samt € 3.935,00 Bargeld und Gutscheine im Wert von € 68,20 durch Einsteigen in ein Gebäude (Einsteigen über eine Feuerleiter über das Flachdach in den Innenhof) und Einbrechen und Eisteigen in ein Gebäude (Aufzwängen eines Fensters zum Gebäude und Einsteigen durch das Fenster) mit Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz weggenommen, in der Zeit vom 02.10 bis 05.10 in XXXX mit anderen Verfügungsberechtigten der Polytechnischen Schule XXXX Wertsachen durch Einbrechen und Eisteigen in ein Gebäude (Erklettern der Überdachung der Nebeneingangstür und Einsteigen durch ein gekipptes Fenster in das Gebäude) sowie Einbrechen in einen abgeschlossenen Raum, der sich in einem Gebäude befindet (Aufbrechen der Türe zum Kopierraum und der Türen zu den Lehrerzimmern) sowie Aufbrechen eines Behältnisses (Wandschränke) wegzunehme versucht, am 27.10.2015 in XXXX mit anderen Verfügungsberechtigten einer Eurosparfiliale Wertsachen durch Einbrechen in ein Gebäude und einen abgeschlossenen Raum, der sich in einem Gebäude befindet (Eindringen in einen Lagerraum durch Aufdrücken eines Rollentores und Aufbrechen einer Bürotür mit einem Flachwerkzeug) wegzunehme versucht und am 27.10.2015 in XXXX mit anderen einer Person € 30,00 Bargeld weggenommen. Bei der Strafzumessung mildernd war das vollinhaltliche Geständnis und der Wahrheitsfindung dienende Geständnis sowie, dass die Taten teilweise beim Versuch geblieben sind, erschwerend die einschlägigen Vorstrafen und der rasche Rückfall. Dem BF wurde aufgetragen eine Vereinbarung der Schadensgutmachung sowie Bestand aufrechter Ausbildungs- und Arbeitsverhältnisse nachzuweisen.

5) Urteil des Landesgerichtes XXXX , GZ. 015 HV 174/2016f, vom 04.07.2017, rechtskräftig seit: 07.07.2017 wegen des Vergehens des Raufhandels nach § 91 (2) 2.Fall StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten, davon Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren (Junger Erwachsener); Der BF hat mit anderen im bewussten und gewollten Zusammenwirken an einem Angriff mehrerer auf XXXX tätlich teilgenommen, wobei der Angriff eine an sich schwere Körperverletzung, nämlich eine Verletzung des Tractus intermedius des Mittelfingers der rechten Hand (Längsruptur), verbunden mit einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung sowie weitere Verletzungen in Form von Prellungen verursacht hat. Bei der Strafzumessung wurde mildernd beurteilt, das Geständnis und das Alter unter 21 Jahren, erschwerend die besonders brutale Vorgehensweise und der Umstand, dass zweifache Qualifikation bei einer schweren Körperverletzung gegeben ist sowie die zwei einschlägigen Verurteilungen.

6) Urteil des Landesgerichtes XXXX , GZ. 015 HV 116/2018d, vom 19.10.2018, rechtskräftig seit: 19.10.2018 wegen des Vergehens des Diebstahles durch Einbruch nach §§ 127, 129 (1) Z 2 StGB und des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 (1) StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten, davon Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren (Junger Erwachsener); Der BF hat in der Nacht von 16.07 auf 17.07 einer anderen Person eine fremde bewegliche Sache und zwar dessen Moped im Wert von € 2.600 durch Aufbrechen einer Sperrvorrichtung mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er die Lenkradsperre des Kleinkraftrades gewaltsam aufbrach sowie die Urkunde, nämlich die Moped-Kennzeichentafel, über die er nicht alleine verfügen durfte, mit dem Vorsatz unterdrückt zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache, nämlich der aufrechten Kfz- Anmeldung gebraucht werden. Bei der Strafzumessung mildernd waren die Sicherstellung und das Alter unter 21 Jahren, erschwerend die vier einschlägigen Vorverurteilungen sowie das Zusammentreffen von Vergehen. Vom Widerruf der vorhergehenden Strafen wurde abgesehen bzw. das mit Urteil vom 03.03.2016, 25 Hv 5/16a mit drei Jahren Probezeit verhängte Strafe auf fünf Jahre Probezeit verlängert.

7) Urteil des Landesgerichtes XXXX , GZ. 013 HV 118/2019k, vom 20.09.2019, rechtskräftig seit: 13.12.2019 wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 12 2.Fall StGB, § 15 StGB, § 288 (1) StGB und des Vergehens der Nötigung nach § 15 StGB § 105 (1) StGB, Anhebung durch OLG Linz, GZ 8 Bs 137/19g vom 13.12.2019 zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten. Der BF hat in XXXX XXXX durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zu einer Handlung, nämlich dazu, seine bisherigen Aussagen im Ermittlungsverfahren gegen den zu AZ 13 Hv 112/19b des Landesgerichtes XXXX abgesondert verfolgten XXXX zurückzuziehen und diesen nicht zu belasten, zu verleiten versucht und zwar ca. Anfang Juli 2019, indem er mitteilte, dass es „Tote geben“ werde, wenn er die Aussage gegen XXXX nicht zurückziehe, etwa am 25. Juli 2019 indem er zu ihm sagte, dass es nach der Hauptverhandlung „Stiche geben“ werde, wenn er dort nicht sage, dass seine bisherigen Aussagen vor der Polizei falsch gewesen seien; durch die vorherige angeführte strafbare Handlung einen anderen, nämlich XXXX dazu zu bestimmen versucht, vor Gericht als Zeuge falsch auszusagen, indem er überdies sagte, dass er vor Gericht „falsch reden müsse“. Bei der Strafzumessung wurde durch das Landesgericht mildernd gewertet, dass die Taten beim Versuch blieben, erschwerend die einschlägigen Vorverurteilungen und das Zusammentreffen strafbarer Handlungen. Das Oberlandesgericht hob die zunächst auf 4 Monate verhängte Strafe auf 9 Monate an, da die Abfolge der vom Angeklagten in der Vergangenheit gesetzten Straftaten in Verbindung mit der fehlenden nachhaltigen Wirkung der derentwegen über ihn verhängten Freiheitsstrafen zeigen, dass er obwohl bereits zu unbedingten Haftstrafen verurteilt, dies bisher nicht ausreichte und somit die Strafe auf ein Viertel des Strafrahmens angehoben wird. Das OLG führt weiters aus, dass die erwähnte Abfolge von Tatbegehungen, Verurteilungen und Strafvollzügen aber auch das mit der Verbüßung einer neunmonatigen Freiheitsstrafe verbundene Haftübel in spezialpräventiver Hinsicht nicht als ausreichend erscheinen ließen, sodass es zusätzlich des Widerrufes der bedingten Strafnachsicht der über den Angeklagten im Verfahren 25 Hv 164/13 d des Landesgerichtes XXXX verhängten dreimonatigen Freiheitsstrafe bedarf, beträgt doch damit das zu verbüßende Ausmaß an Freiheitsstrafe das Dreifache der Gesamtdauer der bisher verbüßten Freiheitsstrafen.

8). Urteil des Landesgerichtes XXXX , GZ. 11 HV 28/20m, vom 17.06.2020, rechtskräftig seit: 17.06.2020 wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB. Der BF wurde zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt. Der BF hat am 08.11.2109 einem anderen vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihm zumindest zweimal mit der Faust ins Gesicht schlug, wodurch dieser eine Rissquetschwunde an der rechten Unterlippe und ein Cut am Kinn erlitte. Mildernd wurde keine Umstände gewertet, erschwerend der rasche Rückfall und die mehreren einschlägigen Verurteilungen.

Der BF erhielt zumindest zwei Strafverfügungen:

Mit Strafverfügung vom 14.10.2019 wurde der BF zu Bezahlung einer Strafe in der Höhe von € 150,00 belangt. Der BF mit drei anderen Angezeigten am 26.07.2019 einen E-Scooter in die Traun geworfen und dadurch einen Polizeieinsatz ausgelöst und gegen die Rechtsvorschrift des § 81 Abs. 1 SPG verstoßen.

Mit Strafverfügung vom 20.09.2018 wurde der BF zu Bezahlung einer Strafe in der Höhe von €450,00 belangt. Er hat aufgrund der Vorfalles am 12.08.2018, indem er mit einer Softgun auf dem öffentlichen Gehsteig, mehrmals auf eine Dose geschossen hat und dadurch sich Anrainer, Ladenbesitzer und Passanten gefürchtet und gestört gefühlt haben, sowie am gleichen Tag den Betrieb im Wettlokal gestört, da er Gäste und Angestellte belästigt und beschimpft habe, wodurch der normale Betrieb gestört wurde und die Polizei gerufen wurde, gegen die Rechtsvorschriften des § 81 Abs. 1 SPG verstoßen.

Der Beschwerdeführer befindet sich derzeit in Haft. Der BF ist gemeingefährlich. Das Gericht geht von keiner positiven Zukunftsprognose aus.

Der Beschwerdeführer ist seit April 2004 in Österreich aufhältig. Der Beschwerdeführer stammt aus der Russischen Föderation, wo er die ersten sechs Lebensjahre verbracht hat. Der Beschwerdeführer ist mit den sozialen und kulturellen Gegebenheiten in der Russischen Föderation gering vertraut.

Die Eltern sowie die Geschwister (bis auf eine Schwester, die in der Türkei lebt) des Beschwerdeführers leben in Österreich. Der BF wohnte bei seiner Mutter und sie kam vorwiegend für seinen Unterhalt auf. Der Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos und hat keine Obsorgeverpflichtungen. Der Beschwerdeführer spricht und versteht Deutsch einwandfrei. Zusätzlich spricht und versteht er Tschetschenisch und Englisch. In Österreich besuchte der Beschwerdeführer den Kindergarten, die Volksschule und folglich die Hauptschule und absolvierte eine Vorschule. Der BF hat eine Schnelllehre als Metallbautechniker und als Koch begonnen, wobei er diese abgebrochen habe. Zudem war er als Tischler, Dachdecker und in der Produktion einer Fabrik tätig.

Der Beschwerdeführer verfügt über familiäre Anknüpfungspunkte in seinem Herkunftsland, so lebt seine Tante samt deren Familie in der Russischen Föderation, zu denen er jedoch keinen Kontakt hat.

1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF in sein Herkunftsland:

Die Mutter und auf ihn erstreckt erhielten Asyl, da der Vater im zweiten Tschetschenienkrieg aktiv als tschetschenischer Widerstandskämpfer unterstützerisch tätig war und von den russischen Behörden gefangen genommen bzw. von unbekannten Personen behelligt worden war. Auch wurde die Mutter während der Nachsuche nach ihrem Mann schwer misshandelt und ernsthaft nach dem Tode bedroht, weshalb sie letztlich das Land verließ.

Die Umstände, auf Grund deren der Mutter des BF als Flüchtling anerkannt worden ist, bestehen nicht mehr. Es wird festgestellt, dass der BF oder seine Mutter im Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation aus Gründen der Volksgruppenzugehörigkeit, der Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter keiner Gefährdung ausgesetzt ist. Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass sie konkret Gefahr liefen, im Herkunftsstaat aktuell der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Es wird festgestellt, dass der BF im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation in keine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Die Verwandten des BF in der Russischen Föderation könnten ihn nach einer Rückkehr im Bedarfsfall anfänglich unterstützen. Zudem könnte er auch Unterstützung durch seine in Österreich lebenden Familienangehörigen erhalten.

Es ist dem BF möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation auch außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus niederzulassen und sich dort anzumelden. Die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland bieten trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit entsprechende Chancen auch für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken.

Es ist ihm möglich ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befrieden zu können, bzw. ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Der BF hat Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung. Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten in seinem Herkunftsland Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Da der BF keine gesundheitlichen Einschränkungen hat und keine Vorerkrankungen ist nicht davon auszugehen, dass der BF durch eine etwaige Erkrankung an das COVID-19 Virus eine schwere Erkrankung oder gar den Tod erleiden würde.

Der BF hat keine individuellen gefahrenerhöhenden Umstände aufgezeigt, die unter Beachtung seiner persönlichen Situation innewohnenden Umstände eine Gewährung von subsidiären Schutz auch bei einem niedrigen Grad willkürlicher Gewalt angezeigt hätte.

1.4. Zum Herkunftsstaat:

Zur Situation im Herkunftsland wird von den vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführten Länderinformationen zur Russischen Föderation bzw. Tschetschenien ausgegangen:

Neueste Ereignisse –Integrierte Kurzinformationen

Letzte Änderung: 27.03.2020

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 2.2020c, vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 2.2020a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 2.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der [derzeitigen] Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt (GIZ 2.2020a). Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 2.2020a, vgl. AA 2.3.2020c).

Im Jänner 2020 kündigte Präsident Putin bei seiner Neujahrsrede Verfassungsänderungen an. Daraufhin trat die Regierung unter Ministerpräsident Medwedew zurück (Spiegel Online 15.1.2020). Kurz darauf wurde Putins Kandidat Michail Mischustin, der zehn Jahre lang Leiter der russischen Steuerbehörde war, von der Duma zum neuen Ministerpräsident gewählt (Spiegel Online 16.1.2020). Dmitrij Medwedew wird Vizevorsitzender im Sicherheitsrat. Die angestrebte Verfassungsänderung ist ein umfangreicher Maßnahmenkatalog, bei dem es sich laut Putin um von der Gesellschaft geforderte Veränderungen handelt (Spiegel Online 15.1.2020). Das Volk wird über die Verfassungsänderungen abstimmen, um diese zu legitimieren (NZZ 19.3.2020), jedoch wird die Abstimmung aufgrund der Corona-Pandemie vom geplanten Termin im April nach hinten verschoben (ORF.at 25.3.2020). Vorgesehen ist nicht nur eine Ausweitung der Machtbefugnisse des Präsidenten. Putin soll nach einem Votum der Abgeordneten auch die Möglichkeit haben, sich noch einmal für maximal zwei Amtszeiten zu bewerben – er könnte also bei Wiederwahl bis 2036 im Amt bleiben. Nach bisheriger Verfassung könnte er 2024 nicht mehr antreten. Kritiker und Oppositionelle werfen Putin einen Staatsstreich vor. Das Verfassungsgericht hat den Änderungen bereits zugestimmt (NZZ 19.3.2020).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 2.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016, vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht infrage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 2.2020a, vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 2.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 2.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Tschetschenien:

Letzte Änderung: 27.03.2020

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür

des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

2.Sicherheitslage

Letzte Änderung: 27.03.2020

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS (Islamischer Staat) kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

2.2.Tschetschenien

Letzte Änderung: 27.03.2020

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl aufseiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung“ wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im Jahr 2018 wurden in Tschetschenien mindestens 35 Menschen Opfer des bewaffneten Konflikts, von denen mindestens 26 getötet und neun weitere verletzt wurden. Unter den Opfern befanden sich drei Zivilisten (zwei getötet, einer verletzt), elf Exekutivkräfte (drei getötet, acht verletzt) und 21 Aufständische (alle getötet). Im Vergleich zu 2017, als es 75 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl 2018 um 53,3% (Caucasian Knot 30.8.2019). 2019 wurden in Tschetschenien im Rahmen des bewaffneten Konflikts sechs Personen getötet und fünf verletzt [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

2.3.Dagestan

Letzte Änderung: 27.03.2020

Die Sicherheitslage in Dagestan ist zwar angespannt, hat sich in jüngerer Zeit aber verbessert (AA 13.2.2019). Gründe für den Rückgang der Gewalt sind die konsequente Politik der Repression radikaler Elemente und das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete nach Syrien und in den Irak (ÖB Moskau 12.2019).

Die russische Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus gilt seit einigen Jahren als Brutstätte von Terrorismus. Mehr als 1.000 Kämpfer aus dem Land sollen sich dem sog. Islamischen Staat in Syrien und im Irak angeschlossen haben. Terroristen aus Dagestan sind auch in anderen Teilen Russlands und im Ausland aktiv. Viele Radikale aus Dagestan sind außerdem in den Nahen Osten ausgereist. In den Jahren 2013 und 2014 brachen ganze salafistische Familien dorthin auf. Die russischen Behörden halfen den Radikalen damals sogar bei der Ausreise. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi wollte Russland möglichst viele Gefährder loswerden (Deutschlandfunk 28.6.2017). Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste, gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan, schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung. So werden von den Sicherheitskräften mitunter auch Imame verhaftet, die dem Salafismus anhängen sollen. Aus der Perspektive der Sicherheitsdienste sollen ihre Moscheen als Rekrutierungsstätten für IS-Anhänger dienen, für einen Teil der muslimischen Bevölkerung stellen diese Maßnahmen jedoch ungebührliche Schikanen dar. Es kommt nach wie vor zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Extremisten. Die Extremisten gehörten zunächst zum 2007 gegründeten sogenannten Kaukasus-Emirat, bekundeten jedoch vermehrt ihre Loyalität gegenüber dem sog. IS. Auch operativ ist der sog. IS im Nordkaukasus in Erscheinung getreten. Einige Angriffe auf Polizisten bzw. Polizeieinrichtungen wurden unter dem Deckmantel des sog. IS ausgeführt; im Dezember 2015 bekannte sich der sog. IS zu einem Anschlag auf eine historische Festung in Derbent. Inwieweit der sog. IS nach der territorialen Niederlage im Nahen Osten entsprechende Ressourcen verschieben wird, um im Nordkaukasus weitere terroristische Umtriebe zu entfalten oder die regionale Zweigstelle weiterhin zu Propagandazwecken nutzen wird, um seinen globalen Einfluss zu unterstreichen, wird von den russischen Sicherheitskräften genau verfolgt (ÖB Moskau 12.2019).

Im Jahr 2018 gab es mindestens 49 Opfer des bewaffneten Konflikts in Dagestan, davon wurden 36 Personen getötet und 13 verletzt. Die meisten getöteten Personen sind, wie 2017, unter den Aufständischen zu finden, nämlich 27. Von den Exekutivkräften wurden drei getötet und elf verletzt. Sechs Zivilisten wurden getötet und zwei verletzt. Im Vergleich zu 2017, als es 55 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl um 10,9% (Caucasian Knot 30.8.2019).

2019 wurden in Dagestan neun Personen getötet [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020). Diese neun Personen wurden alle im ersten Halbjahr 2019 getötet (Caucasian Knot 30.8.2019).

Laut dem Leiter des dagestanischen Innenministeriums gab es bei der Bekämpfung des Aufstands in Dagestan einen Durchbruch. Die Aktivitäten der Gruppen, die in der Republik aktiv waren, sind seinen Angaben zufolge praktisch komplett unterbunden worden. Nach acht Mitgliedern des Untergrunds, die sich Berichten zufolge im Ausland verstecken, wird gefahndet. Trotzdem besteht laut Analysten und Journalisten weiterhin die Möglichkeit von Anschlägen durch einzelne Täter (ACCORD 19.6.2019).

3.Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 27.03.2020

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2019). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 4.3.2020).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Berufungs-und Kassationsverfahren geschaffen wurden, sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto „Schuldvermutung“ im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter, etc.). Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen Ende 2018 rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2019). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexej Uljukaew im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korrupt

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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