Entscheidungsdatum
30.10.2020Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L527 2199337-1/18E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Christian AUFREITER, LL.B. als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Iran, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Helmut BLUM, Mozartstraße 11/6, 4020 Linz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2018, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.02.2020, zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , geb. XXXX , gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , geb. XXXX , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
II. Die Spruchpunkte II bis VI des angefochtenen Bescheids werden ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin ist die gemeinsame leibliche minderjährige Tochter ihrer Mutter XXXX (L527 2199324-1) und ihres Vaters XXXX (L527 2199332-1), welche seit 2005 in aufrechter Ehe verheiratet sind. XXXX (L527 2199337-1) ist der gemeinsame leibliche Sohn der Eltern der Beschwerdeführerin.
Gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem Bruder verließ die Beschwerdeführerin im Sommer 2015 legal ihren Herkunftsstaat Iran. Im Oktober 2015 reisten sie unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am 18.10.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz stellten. Einen Tag darauf fanden die Erstbefragungen statt; die Mutter gab an, dass die Beschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe habe.
Am 07.09.2017 wurde die Eltern vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: [belangte] Behörde) einvernommen. Der Vater der Beschwerdeführerin gab – zusammengefasst an – dass er sich vom Islam distanziert, kritisch über den Islam geäußert und deshalb Probleme bekommen habe. Die Mutter der Beschwerdeführerin bezog sich, nach den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaats und die Asylantragstellung befragt, auf das Vorbringen ihres Ehegatten. In Österreich haben sich die Eltern der Beschwerdeführerin taufen lassen (Taufschein evangelisch A.B.); sie besuchen die Kirche. Die Eltern verneinten, dass die Beschwerdeführerin eigene Fluchtgründe habe.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status der Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I und II). Die belangte Behörde erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV), sprach die Zulässigkeit der Abschiebung in den Iran aus (Spruchpunkt V) und setzte für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI). Im selben Sinne entschied die Behörde über die Anträge auf internationalen Schutz der Eltern und des Bruders der Beschwerdeführerin.
Dagegen erhoben die Beschwerdeführerin, ihre Eltern und ihr Bruder in vollem Umfang die vorliegende - gemeinsam verfasste - Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Dieses hielt am 18.02.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung ab, in der es neben den Eltern und dem Bruder der Beschwerdeführerin den ehemaligen Pfarrer der evangelischen Pfarrgemeinde A.B. XXXX , dessen Ehegattin und ein (weiteres) Mitglied der Pfarrgemeinde (als Zeugen) einvernahm. Die belangte Behörde hatte schon im Vorfeld erklärt, auf die Durchführung einer und die Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung zu verzichten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Bei der Bezeichnung von Aktenbestandteilen verwendet das Bundesverwaltungsgericht in der Folge Abkürzungen: AS: Aktenseite(n); S: Seite(n); OZ: Ordnungszahl(en); VA: (von der belangten Behörde mit der Beschwerde vorgelegter) Verwaltungsverfahrensakt; f: folgende [Aktenseite/Seite]; ff: folgende [Aktenseiten/Seiten].
1. Feststellungen:
1.1. Die Beschwerdeführerin führt in Österreich den im Kopf der Entscheidung genannten Namen und wurde zum dort angegebenen Datum geboren. Sie ist minderjährig und ledig. Sie ist Staatsangehörige des Iran. Ihre Identität steht fest. Die Beschwerdeführerin ist die gemeinsame leibliche Tochter ihrer Mutter XXXX , geb. XXXX (L527 2199324-1) und ihres Vaters XXXX , geb. XXXX , (L527 2199332-1), welche seit dem Jahr 2005 miteinander verheiratet sind. Die Beschwerdeführerin lebte im Iran und lebt in Österreich mit ihren Eltern und ihrem Bruder XXXX , geb. XXXX , (L527 2199327-1) im aufrechten Familienverband im gemeinsamen Haushalt.
Nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet stellte die Beschwerdeführerin am 18.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Das Bundesverwaltungsgericht erkannte der Mutter der Beschwerdeführerin mit Erkenntnis vom heutigen Tag den Status der Asylberechtigten zu und stellte gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 fest, dass ihr damit kraft Gesetztes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Gegen die Mutter der Beschwerdeführerin ist kein Verfahren zur Aberkennung des Status der Asylberechtigten anhängig.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zur Identität und Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin ergeben sich aus den (insofern) stringenten und glaubhaften Angaben der Eltern im Verfahren (AS 13, 53; OZ 13, S 11). Die belangte Behörde traf die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerin anhand des ihr – nicht aber dem Bundesverwaltungsgericht – im Original vorliegenden iranischen Reisepasses (vgl. AS 41 ff, 128), welchen die Landespolizeidirektion XXXX als Originaldokument qualifizierte; es haben keine Abänderungen in den Ausfüllschriften bzw. keine Auswechslung des Lichtbilds festgestellt werden können (AS 39 f).
Angesichts der gleichbleibenden und nachvollziehbaren Angaben der Eltern der Beschwerdeführerin im gesamten Verfahren waren – in Zusammenschau mit Auszügen aus dem Zentralen Melderegister – die Feststellungen zur Zugehörigkeit zur Kernfamilie, zum Familienstand und Zusammenleben im Familienverband zu treffen (OZ 13, S 11, 18, 19, 36, 39, OZ 17; L527 2199324-1, AS 13, 53; OZ 20; L527 2199332-1, AS 9, 55; OZ 18; L527 2199327-1, OZ 17).
Wann die Beschwerdeführerin den Antrag auf internationalen Schutz stellte, ist in einer unbedenklichen Urkunde dokumentiert (AS 13 ff, insbesondere AS 15) und wurde nicht in Zweifel gezogen. Sichtlich irrtümlich führt die belangte Behörde im Spruch des angefochtenen Bescheids den 19.10.2015 als Datum der Antragstellung an (AS 53); tatsächlich handelt es sich hierbei um das Datum der Erstbefragung (AS 13).
Dass die Beschwerdeführerin in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich bereits daraus, dass sie erst ca. zehn Jahre alt und damit im Sinne des österreichischen Strafrechts unmündig ist (§ 1 Z 1 in Verbindung mit § 4 Abs 1 JGG).
2.2. Dass und wann das Bundesverwaltungsgericht der Mutter der Beschwerdeführerin den Status der Asylberechtigten zuerkannt hat, ergibt sich unzweifelhaft aus dem Akt des Bundesverwaltungsgerichts zur Zahl L527 2199324-1, konkret aus dem darin enthaltenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag. Dass seit der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten mit Erkenntnis vom heutigen Tag bereits ein Verfahren zur Aberkennung eingeleitet worden wäre, ist nicht ersichtlich.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgabe der Beschwerde:
3.1. Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz iSd § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.
Nach Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß § 34 Abs 2 iVm Abs 5 AsylG 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht aufgrund eines Antrags eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Erkenntnis den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist.
Familienangehöriger iSd § 34 Abs 2 AsylG 2005 ist u. a., wer zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, (§ 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005).
Gemäß § 2 Abs 3 AsylG 2005 ist ein Fremder iSd § 34 Abs 2 AsylG 2005 straffällig geworden, wenn er wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes fällt (Z 1), oder mehr als einmal wegen einer sonstigen vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist (Z 2), rechtskräftig verurteilt worden ist.
3.2. Subsumiert man den festgestellten Sachverhalt den genannten Rechtsvorschriften, erweist sich, dass der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs 1 iVm § 34 Abs 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen ist. Dass sich die Zuerkennung rechtlich u. a. auf § 34 Abs 2 AsylG 2005 stützt, ist in den Spruch des vorliegenden Erkenntnisses aber nicht aufzunehmen; vgl. VwGH 30.04.2018, Ra 2017/01/0418.
Die Beschwerdeführerin ist leibliches und – selbst zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts – minderjähriges sowie lediges Kind ihrer Mutter (L527 2199324-1), der das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom heutigen Tag den Status der Asylberechtigten zuerkannt hat. Die Beschwerdeführerin ist nicht strafmündig. Somit kann sie auch nicht straffällig im Sinne des § 2 Abs 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 34 Abs 2 AsylG 2005 geworden sein. Gegen die Mutter der Beschwerdeführerin ist kein Verfahren zur Aberkennung des Status der Asylberechtigten anhängig. Damit sind die Voraussetzungen dafür, der Beschwerdeführerin den Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, erfüllt.
Im Hinblick auf die jüngste Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs war darauf, ob die Beschwerdeführerin auch eigene Fluchtgründe habe, nicht einzugehen, da der Beschwerdeführerin bereits im Familienverfahren der Asylstatus zuerkannt wird; vgl. VwGH 30.04.2018, Ra 2017/01/0418. Jedenfalls vor diesem Hintergrund erübrigt es sich auch, auf das in der mündlichen Verhandlung von der Mutter der Beschwerdeführerin erstattete Vorbringen, wonach die Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr (in den Iran) Probleme hätte, da sie Christin und getauft worden sei, (OZ 13, S 13) einzugehen.
Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Da mit der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten die rechtliche Voraussetzung für die Erlassung der Spruchpunkte II bis VI des angefochtenen Bescheids wegfällt, sind diese Spruchpunkte ersatzlos zu beheben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3.4. Da der verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz, vor dem 15.11.2015 gestellt wurde, kommt der Beschwerdeführerin das dauernde Einreise- und Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs 1 Z 15 AsylG 2005 idF vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I 24/2016 zu (§ 75 Abs 24 AsylG 2005).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die für die Entscheidung relevanten Rechtsfragen sind entweder durch Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs geklärt oder von Vornherein klar. Vgl. die zitierten Entscheidungen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung ersatzlose Teilbehebung Familienangehöriger Familienverfahren Flüchtlingseigenschaft MinderjährigeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L527.2199337.1.00Im RIS seit
26.02.2021Zuletzt aktualisiert am
26.02.2021