TE Bvwg Beschluss 2020/11/2 W240 2235364-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.11.2020
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Entscheidungsdatum

02.11.2020

Norm

AsylG 2005 §35
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W240 2235364-1/2E
W240 2235366-1/2E
W240 2235368-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. FEICHTER über die Beschwerde von XXXX , alle StA. Afghanistan, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Islamabad vom 09.06.2020, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde werden die bekämpften Bescheide gemäß §°28°Abs.°3°VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an die Österreichische Botschaft Islamabad zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin XXXX ist die Mutter des Zweitbeschwerdeführers XXXX und der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin XXXX . Alle sind Staatsangehörige von Afghanistan und stellten am 09.07.2018 bei der Österreichischen Botschaft Islamabad (in der Folge auch: „ÖB Islamabad“) einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß §°35°Abs.°1 AsylG 2005. Als Bezugsperson wurde der Ehemann bzw. Vater der Beschwerdeführer, XXXX , StA. Afghanistan angeführt, welchem mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.03.2015 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Österreich zuerkannt wurde.

Es wurden folgende Dokumente vorgelegt:

-        Reisepasskopien der Beschwerdeführer

-        afghanische Dokumente

-        Tazkira

Die Bezugsperson betreffend:

-        Marriage Certificate

-        Aufenthaltskarte

-        E-Card

-        Österreichische Meldebestätigung

-        Bescheid des BFA vom 13.03.2018

-        Versicherungsdatenauszug

-        Bescheid Zuerkennung der Mindestsicherung vom 09.04.2018

2. In seiner Mitteilung nach § 35 Abs. 4 AsylG 2005 vom 09.08.2018 führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch: BFA) aus, dass betreffend die antragstellenden Parteien die Gewährung des Status eines Asylberechtigten oder eines subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei, da die Erfüllung der Erteilungsvoraussetzungen (§ 60 Abs. 2° Z°1-13 AsylG) nicht nachgewiesen werden konnten und die Einreise der Beschwerdeführer zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geboten erscheine. Es liege kein Rechtsanspruch auf eine Unterkunft, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen werde, sowie über ein alle Risiken abdeckender Krankenversicherungsschutz vor. Der Aufenthalt der Beschwerdeführer könne zudem zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen. In der Stellungnahme vom selben Tag (09.08.2018) wurde ausgeführt, das Erkenntnis der Bezugsperson über den Status der subsidiären Schutzberechtigung mit 02.04.2015 in Rechtskraft erwachsen sei. Der Antrag der Beschwerdeführer sei allerdings erst an 09.07.2018 bei der ÖB Islamabad eingebracht worden, somit seien die Erteilungsvoraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG zu erfüllen. Die Bezugsperson habe als Einkommensnachweis seinen Bescheid über den Erhalt von Mindestsicherung vorgelegt. Die Sozialhilfe bzw. die bedarfsorientierte Mindestsicherung sei aber keine Versicherungsleistung und daher auch kein Einkommensbestandteil. Eine e-Card stelle für sich allein keinen Nachweis für ein bestehendes Versicherungsverhältnis oder einer etwaigen Anspruchsberechtigung dar, zudem seien in der 32,61-Quadratmeter großen Wohnung neben der Bezugsperson noch drei andere Personen gemeldet.

3. Mit Aufforderung zur Stellungnahme vom 10.08.2018 wurde den Beschwerdeführern die Möglichkeit zur Stellungnahme (Parteiengehör) eingeräumt. Ihnen wurde gleichzeitig mitgeteilt, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nach Prüfung mitgeteilt habe, dass die Stattgebung der Anträge auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei, wobei auf die beiliegende Stellungnahme vom 09.08.2018 und Mitteilung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl verwiesen wurde. Es wurde die Gelegenheit gegeben, innerhalb der Frist von einer Woche ab Zustellung die angeführten Ablehnungsgründe durch unter Beweis zu stellendes Vorbringen zu zerstreuen.

4. In der Stellungnahme vom 30.08.2018 brachten die Beschwerdeführer im Wege ihrer Vertretung vor, dass gem. § 35 Abs. 4 Z 3 AsylG von den Voraussetzungen des §°60°Abs.°2°AsylG abgesehen werden könne, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens dringend geboten sei. Im vorliegenden Fall würden die Kriterien des §°60°Abs. 2 AsylG nicht erfüllt werden, da die Bezugsperson an einem schweren Nierenleiden, welches einer dreißigprozentigen Behinderung gleichkomme, leide. Er leide außerdem an Migräne und Depression. Aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes sei er im Februar 2018 für arbeitsunfähig erklärt worden. Der Gesundheitszustand der Bezugsperson habe sich mittlerweile leicht gebessert und er sei sehr gewillt sich am österreichischen Arbeitsmarkt zu integrieren. Zu diesem Zweck habe er an einer einjährigen Bildungsmaßnahme des AMS teilgenommen. Er habe es auch geschafft trotz seiner geringen Vorbildung und trotz seiner gesundheitlichen Beschwerden die deutsche Sprache auf einem grundlegenden Niveau zu erlernen. Zudem sei er stets bemüht gewesen sich in die österreichische Mehrheitsgesellschaft zu integrieren und soziale Kontakte zu knüpfen. Daher sei es zu erwarten, dass die Bezugsperson auch seine Ehefrau und seine Kinder ermutigen werde sich in Österreich bestmöglich zu integrieren. Der Wunsch der Ehefrau sei es auch in Österreich einen Pflegeberuf auszuüben. Aufgrund ihrer Krankheit habe die Bezugsperson ihre Wohnung an drei Freunde untervermietet, die ihn unterstützen würden, da er zeitweise Hilfe bei alltäglichen Aufgaben brauche. Die Mitbewohner würden nun aber schnellstmöglich aus der Wohnung ausziehen. Die Einreise der Beschwerdeführer nach Österreich sei zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK dringend geboten. Die belangte Behörde hätte insbesondere die Behinderung der Bezugsperson und seine damit einhergehende (vorübergehende) Arbeitsunfähigkeit berücksichtigen müssen und zudem hätte das Kindeswohl als leitender Gesichtspunkt in die Entscheidung einfließen müssen. Im gegenständlichen Fall habe die Trennung der Familie keineswegs freiwillig stattgefunden, sondern sei das Ergebnis der fluchtauslösenden Geschehnisse im Herkunftsstaat, nämlich der schweren Erkrankung der Bezugsperson und der prekären Sicherheits- und Versorgungssituation in Afghanistan. Das Interesse der Familie an einer Familienzusammenführung nach jahrelanger unfreiwilliger Trennung überwiege jedenfalls dem öffentlichen Interesse am wirtschaftlichen Wohl des Landes.

Der Stellungnahme beigelegt waren folgende Dokumente:

-        Bestätigung der Behinderung der Bezugsperson vom 09.12.2015

-        Arbeitsunfähigkeitsbestätigung eines Allgemeinmediziners vom 13.02.2018

-        Beratungsbericht des AMS vom 02.08.2018

-        Urkunde „Tanz die Toleranz; Tanz für Männer“ vom November 2013

5. Nach Übermittlung der Stellungnahme an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl teilte dieses am 02.06.2020 per E-Mail mit, dass die negative Wahrscheinlichkeitsprognose aufrecht bleibe. Die Stellungnahme ändere nichts an der Tatsache, dass die Bezugsperson die Erteilungsvoraussetzungen gem. § 60 Abs. 2 Z 1- 3 AsylG noch immer nicht erfülle.

6. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 09.06.2020 wies die ÖB Islamabad die Anträge auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 ab.

7. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde, in welcher vorgebracht wurde, dass bezüglich der Abwägung der Behörde zur Zulässigkeit des Eingriffs in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte der Beschwerdeführer keine individuelle, fallspezifische Abwägung stattgefunden habe und die Ausführungen der Behörde teilweise inhaltlich nicht nachvollziehbar seien. Die Bezugsperson sei mit Schreiben vom 23.09.2019 aufgefordert worden Unterlagen betreffend ihren Gesundheitszustand aus den letzten zwei Jahren vorzulegen. Diese seien am 10.10.2019 übermittelt worden. Am 30.10.2019 seien zudem weitere Integrationsunterlagen nachgereicht worden. Dass Zweifel an der Familienangehörigeneigenschaft bestünden, sei den Beschwerdeführern zu keiner Zeit im verfahren vorgehalten worden. Wäre dies der Fall gewesen, wäre gem. § 13 Abs. 4 BFA-VG eine DNA-Analyse vorzunehmen gewesen und hätten die Beschwerdeführer entsprechend belehrt werden müssen. Weiterhin gehe aus den vorgelegten medizinischen Befunden hervor, dass die Bezugsperson an Spannungskopfschmerzen bzw. Migräne, Depression und Schmerzen aufgrund einer Nephrektomie leide. Aufgrund seiner Depression, die medikamentös behandelt werden würde, sei die Bezugsperson mit ärztlichem Befund vom 01.02.2019 erneut für arbeitsunfähig erklärt worden. Das Unterbleiben der Anwendung der Nachsichtsgründe würde angesichts der Krankheit der Bezugsperson letztendlich dazu führen, dass die Bezugsperson und die Beschwerdeführer von der Führung eines gemeinsamen und angemessenen Familienlebens ausgeschlossen wären, da durch die Arbeitsunfähigkeit der Bezugsperson langfristig keine Selbsterhaltungsfähigkeit gegeben sein werde. Es liege somit jedenfalls ein Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht der Beschwerdeführer auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens vor.

8. Mit Schreiben des Bundesministeriums für Inneres vom 21.09.2020, eingelangt am 24.09.2020, wurde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden samt Verwaltungsakten übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Stattgebung der Beschwerden und Zurückverweisung:

1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Gemäß § 9 Abs. 3 FPG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen der Vertretungsbehörden.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da im vorliegenden Verfahren keine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG durch Beschluss.

2. Zu A) Stattgebung der Beschwerde

Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:

„§ 34 (1) Stellt ein Familienangehöriger von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist und

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;
(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG).“

§ 35 AsylG 2005:

Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden

„§ 35. (1) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei einer mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 zu erfüllen.

(2) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 frühestens drei Jahre nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der Vertretungsbehörde stellen, sofern die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind. Diesfalls ist die Einreise zu gewähren, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen oder in drei Monaten nicht mehr vorliegen werden. Darüber hinaus gilt Abs. 4.

(2a) Handelt es sich beim Antragsteller um den Elternteil eines unbegleiteten Minderjährigen, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, gelten die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 als erfüllt.

(3) Wird ein Antrag nach Abs. 1 oder Abs. 2 gestellt, hat die Vertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Befragungsformular ausfüllt; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (§ 63) so festzulegen, dass das Ausfüllen des Formulars der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dient. Außerdem hat die Vertretungsbehörde auf die Vollständigkeit des Antrages im Hinblick auf den Nachweis der Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 hinzuwirken und den Inhalt der ihr vorgelegten Dokumente aktenkundig zu machen. Der Antrag auf Einreise ist unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten.

(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs. 1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§ 26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn

1. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§ 7 und 9),

2. das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht widerspricht und

3. im Falle eines Antrages nach Abs. 1 letzter Satz oder Abs. 2 die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten.

Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß § 11 Abs. 5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß § 17 Abs. 1 und 2 zu informieren.

(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.“

§ 11, § 11a und § 26 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG)

Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

„§ 11 (1) In Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden haben Antragsteller unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel selbst vorzulegen; in Verfahren zur Erteilung eines Visums D ist Art. 19 Visakodex sinngemäß anzuwenden. Der Antragssteller hat über Verlangen der Vertretungsbehörde vor dieser persönlich zu erscheinen, erforderlichenfalls in Begleitung eines Dolmetschers (§ 39a AVG). § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG gilt nur für in Österreich zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen. Die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.“

(2) Partei in Verfahren vor der Vertretungsbehörde ist ausschließlich der Antragssteller.

(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Vertretungsbehörde oder, soweit die internationale Übung dies zulässt, auf postalischem oder elektronischem Wege zu erfolgen; ist dies nicht möglich, so ist die Zustellung durch Kundmachung an der Amtstafel der Vertretungsbehörde vorzunehmen.

(4) Vollinhaltlich ablehnende Entscheidungen gemäß Abs. 1 betreffend Visa D sind schriftlich in einer Weise auszufertigen, dass der Betroffene deren Inhalt und Wirkung nachvollziehen kann. Dem Betroffenen sind die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die der ihn betreffenden Entscheidung zugrunde liegen, genau und umfassend mitzuteilen, es sei denn, dass Gründe der Sicherheit der Republik Österreich dieser Mitteilung entgegenstehen. In der schriftlichen Ausfertigung der Begründung sind auch die Rechtsmittelinstanz und die Rechtsmittelfrist anzugeben.

(5) Für die Berechnung von Beginn, Lauf und Ende von Fristen (§ 33 AVG) gelten die Wochenend- und Feiertagsregelungen im Empfangsstaat.

(6) Kann dem Antrag auf Erteilung eines Visums D auf Grund zwingender außenpolitischer Rücksichten oder aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht stattgegeben werden, so ist die Vertretungsbehörde ermächtigt, sich auf den Hinweis des Vorliegens zwingender Versagungsgründe zu beschränken. Der maßgebliche Sachverhalt muss auch in diesen Fällen im Akt nachvollziehbar sein.

(7) Der Fremde hat im Antrag auf Erteilung eines Visums D den jeweiligen Zweck und die beabsichtigte Dauer der Reise und des Aufenthaltes bekannt zu geben. Der Antrag ist zurückzuweisen, sofern der Antragsteller, ausgenommen die Fälle des § 22 Abs. 3, trotz Aufforderung und Setzung einer Nachfrist kein gültiges Reisedokument oder gegebenenfalls kein Gesundheitszeugnis vorlegt oder wenn der Antragsteller trotz entsprechenden Verlangens nicht persönlich vor der Behörde erschienen ist, obwohl in der Ladung auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde.

(8) Minderjährige Fremde, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, können bei Zustimmung des gesetzlichen Vertreters die Erteilung eines Visums selbst beantragen.

(9) Für Entscheidungen über die Erteilung eines Visums für Saisoniers (§ 2 Abs. 4 Z 13) oder Praktikanten (§ 2 Abs. 4 Z 13a) ist Art. 23 Abs. 1 bis 3 Visakodex sinngemäß anzuwenden.

Beschwerden gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

§ 11a (1) Der Beschwerdeführer hat der Beschwerde gegen einen Bescheid einer österreichischen Vertretungsbehörde sämtliche von ihm im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen.

(2) Beschwerdeverfahren sind ohne mündliche Verhandlung durchzuführen. Es dürfen dabei keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden.

(3) Sämtliche Auslagen der belangten Vertretungsbehörde und des Bundesverwaltungsgerichtes für Dolmetscher und Übersetzer sowie für die Überprüfung von Verdolmetschungen und Übersetzungen sind Barauslagen im Sinn des § 76 AVG.

(4) Die Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hat über die Vertretungsbehörde zu erfolgen. § 11 Abs. 3 gilt.

Visa zur Einbeziehung in das Familienverfahren nach dem AsylG 2005

§ 26 FPG lautet:

„§ 26 Teilt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 mit, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist, ist dem Familienangehörigen gemäß § 35 Abs. 5 AsylG 2005 ohne Weiteres zur einmaligen Einreise ein Visum mit viermonatiger Gültigkeitsdauer zu erteilen.“

§ 13 Abs. 4 BFA-VG lautet:

„Gelingt es einem Fremden nicht, ein behauptetes Verwandtschaftsverhältnis, auf das er sich in einem Verfahren vor dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht oder in einem Verfahren gemäß § 35 AsylG 2005 beruft, durch unbedenkliche Urkunden oder sonstige geeignete und gleichwertige Bescheinigungsmittel nachzuweisen, so hat ihm das Bundesamt oder das Bundesverwaltungsgericht auf sein Verlangen und auf seine Kosten die Vornahme einer DNA-Analyse zu ermöglichen. Der Fremde ist über diese Möglichkeit zu belehren. Das mangelnde Verlangen des Fremden auf Vornahme einer DNA-Analyse ist keine Weigerung des Fremden, an der Klärung des Sachverhaltes mitzuwirken. Im weiteren Verfahren darf nur die Information über das Verwandtschaftsverhältnis verarbeitet werden; allenfalls darüber hinaus gehende Daten sind zu löschen. Das Bundesamt oder das Bundesverwaltungsgericht hat dem Fremden die Kosten der DNA-Analyse auf Antrag zu erstatten, wenn das behauptete Verwandtschaftsverhältnis durch das auf der DNA-Analyse beruhende Gutachten festgestellt wurde und sich der Fremde im Bundesgebiet aufhält.“

§ 28 Abs. 1 bis 3 VwGVG lautet wie folgt:

„§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.“

3. § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 12.11.2014, Zl. Ra 2014/20/0029 (unter Verweis auf sein Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063) zur Anwendung des
§ 28 Abs. 3 VwGVG ausgeführt:

„Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dort mit dieser Frage auseinandergesetzt und dargelegt, dass ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt ist. Die nach § 28 VwGVG von der meritorischen Entscheidungspflicht verbleibenden Ausnahmen sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem genannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden kann. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.“

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassens des konkreten Sachverhaltes. Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 mwN sowie VfSlg. 14.421/1996 und 15.743/2000).

Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH vom 10.04.2013, Zl. 2011/08/0169 sowie dazu Walter/Thienel: „Verwaltungsverfahren Band I2“, E 84 zu § 39 AVG).

Im vorliegenden Fall erweist sich die bekämpfte Entscheidung in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Die Beschwerdeführer nannten in ihrem auf § 35 AsylG gestützten Einreiseantrag als Bezugsperson den Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin, wobei deren Ehe nach ihrem Vorbringen vor der Einreise der asylberechtigten Bezugsperson geschlossen worden war, bzw. wurde als Bezugsperson der Vater der zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährigen, ledigen Zweit- und Drittbeschwerdeführern genannt. Der Bezugsperson wurde - nach dem insofern unbestrittenen Sachverhalt – mit Bescheid des BFA vom 25.03.2015 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Österreich zuerkannt. Die Erstbeschwerdeführerin legte eine Heiratsurkunde vor, in welcher der XXXX als Datum der Eheschließung und der XXXX als Ausstellungsdatum vermerkt ist.

In ihrer Stellungnahme vom 30.08.2018 wurde vorgebracht, dass die Beschwerdeführer und die Bezugsperson bereits ein unter Art. 8 EMRK zu subsumierendes Familienleben geführt hätten. Das Kindeswohl hätte als leitender Gesichtspunkt in die Entscheidung einfließen müssen. Gem. § 138 Z 9 ABGB seien wichtige Kriterien zur Beurteilung des Kindeswohles insbesondere verlässliche Kontakte des Kindes zu beiden Elternteilen und wichtigen Bezugspersonen sowie sichere Bindungen des Kindes zu diesen Personen. Im gegenständlichen Fall habe die Trennung der Familie keineswegs freiwillig stattgefunden, sondern sei die Trennung das Ergebnis der fluchtauslösenden Geschehnisse im Herkunftsstaat, nämlich die schwere Erkrankung der Bezugsperson und die prekäre Sicherheits- und Versorgungssituation in Afghanistan. Österreich sei im vorliegenden Fall der einzige Staat, in dem das gemeinsame Familienleben fortgesetzt werden könne. Der Herkunftsstaat komme als Staat der Fortführung des Familienlebens schon aufgrund der Schutzgewährung von vornherein nicht in Betracht. In der Beschwerde brachten die Beschwerdeführer zudem vor, dass der EuGH prinzipiell die Einhaltung und Förderung der Ziele der RL 2003/86/EG- nämlich die Ermöglichung eines Familienlebens – in den Vordergrund. Es sei zudem auf Verhältnismäßigkeit zu achten.

Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR entsteht ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt (vgl. EGMR 21.6.1988, Fall Berrehab, Appl. 10730/84 [Z 21]; 26.5.1994, Fall Keegan, Appl. 16969/90 [Z 44]). Diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden (EGMR 19.2.1996, Fall Gül, Appl. 23218/94 [Z 32]).

Die belangte Behörde verkennt im gegenständlichen Fall, dass es für das Bestehen eines Familienlebens zwischen Eltern und Kindern im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung des EGMR nicht darauf ankommt, dass eine‚ über die üblichen Bindungen zwischen Familienangehörigen hinausgehende [...] Nahebeziehung' besteht, sondern darauf, ob jede Verbindung gelöst wurde (EGMR, Fall Boughanemi, Z 35). Davon konnte aber im Fall der Beschwerdeführer und der Bezugsperson nach der Aktenlage nicht ausgegangen werden. Die Bezugsperson war aufgrund der fluchtauslösenden Ereignisse gezwungen, seine Ehefrau und die Kinder in Afghanistan zurückzulassen. Für die Annahme, dass mangels Erfüllung von § 60 Abs. 2 Z 1 und Z 3 AsylG die finanzielle Belastung einer Gebietskörperschaft zu erwarten sei und vor diesem Hintergrund eine Einreise auch nicht iSd Art. 8 EMRK geboten sei, ist nicht ausreichend. Der Beurteilung der Behörde, dass kein Familienleben iSd Art. 8 EMRK mehr vorliege, liegen keine weiteren hinreichenden Ermittlungen zugrunde, weshalb diese Argumentation, welche lediglich auf die frühe Trennung durch die Flucht der Bezugsperson abstellt, nicht haltbar ist.

In der Beschwerde findet sich ein Hinweis darauf, dass Dokumente zum Gesundheitszustand und zur Integration der Bezugsperson am 10.10.2019 und am 30.10.2019 vorgelegt worden seien. Weder die Korrespondenz darüber noch die Dokumente finden sich im daher unvollständigen Akt. Auffallend ist, dass im Akt eine E-Mail vom 26.11.2018 auffliegt und der darauffolgende Akteneingang mit 02.06.2020 datiert ist. Die belangte Behörde bezieht sich in keinem ihrer Schreiben auf diese Dokumente, sie wird im weiteren Verfahren somit zu klären haben, ob bzw. welche Dokumente vorgelegt wurden und diese gegebenenfalls einer Würdigung zu unterziehen haben.

Im Zusammenhang mit der behaupteten Vaterschaft der Bezugsperson zu den Zweit- und Drittbeschwerdeführern – und folglich auch der Mutterschaft der Erstbeschwerdeführerin zu den Kindern und damit verbunden der Glaubwürdigkeitsbeurteilung ihrer Eheschließung vor Einreise mit der Bezugsperson - ist in Bezug auf die behördlichen Ermittlungspflichten insbesondere mit Blick auf die Vorgaben des § 13 Abs. 4 BFA-VG auf die diesbezügliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen. Beispielsweise wurde zu diesem Themenkreis in VwGH 26.03.2018, Ra 2017/18/0112ua, unter Bezugnahme auf die Vorjudikatur Folgendes ausgeführt:

„10 Wie der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 22. Februar 2018, Ra 2017/18/0131 bis 0133, erkannt hat, ist zu den inhaltlichen Anforderungen, die sich aus § 13 Abs. 4 BFA-VG ergeben, Folgendes auszuführen:

´Wie in den angeführten Materialien klar zum Ausdruck gebracht wird, wird durch die Bestimmung des § 13 Abs. 4 BFA-VG nicht vom amtswegigen Ermittlungsgrundsatz (unter Beachtung der Mitwirkungspflicht des Fremden) abgegangen. Sie kommt daher nur zur Anwendung, wenn es einem Fremden nicht gelingt, ein behauptetes Verwandtschaftsverhältnis durch unbedenkliche Urkunden oder sonstige geeignete und gleichwertige Bescheinigungsmittel nachzuweisen und hinsichtlich der Ergebnisse des bisherigen Ermittlungsverfahrens Zweifel bestehen.

Daraus folgt als logischer erster Schritt, dass die Behörde bzw. das BVwG einem Fremden bestehende, konkrete Zweifel an einem behaupteten Abstammungsverhältnis mitzuteilen haben. Darüber hinaus haben sie dem Fremden auf sein Verlangen eine DNA-Analyse gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG ‚zu ermöglichen'; dieser ist auch über diese Möglichkeit zu belehren. Die in der Bestimmung angesprochene ‚Ermöglichung' der DNA-Analyse zum Nachweis des Verwandtschaftsverhältnisses kann im Lichte der Gesetzesmaterialien nur so verstanden werden, dass sie eine organisatorische Hilfestellung der Behörde bzw. des Gerichts bei der Durchführung der DNA-Analyse mitumfasst, nicht jedoch die Übernahme der Kosten. Diese Regelung verfolgt klar den Zweck, es einem Fremden auf sein Verlangen auf einfache Weise zu ermöglichen, bestehende Zweifel an einem Verwandtschaftsverhältnis mittels DNA-Analyse auszuräumen, sofern er sich zur Übernahme der Kosten bereit erklärt. Daher sind einem Fremden im Rahmen dieser organisatorischen Hilfestellung die praktischen Modalitäten - etwa wo er sich zu welchen Zeiten zur DNA-Analyse einzufinden hat und welche Kosten damit verbunden sind - bekannt zu geben.‘
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Erkenntnis in Rn 23 weiters ausgeführt, dass - bevor ein Antrag gemäß § 35 AsylG 2005 aufgrund von Zweifeln an einem Verwandtschaftsverhältnis abgewiesen wird -, jedenfalls gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG eine organisatorische Hilfestellung zur Beibringung des DNA-Nachweises und die entsprechende Belehrung zu erfolgen hat (arg: "hat ihm (...) zu ermöglichen"; "ist (...) zu belehren").
12 Im vorliegenden Fall, in dem die minderjährige Zweitrevisionswerberin bereits in ihrer Beschwerde monierte, keine "entsprechende Belehrung gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG" erhalten zu haben, kann dieses "Ersuchen um Belehrung" aus dem Kontext nur so verstanden werden, dass das revisionswerbende Kind um eine behördliche organisatorische Hilfestellung im oben wiedergegebenen Sinn, somit eine Anleitung betreffend der Modalitäten der Durchführung einer DNA-Analyse ersuchte.
13 Aus den vorgelegten Verfahrensakten ist jedoch nicht ersichtlich, dass der zweitrevisionswerbenden Partei eine derartige organisatorische Hilfestellung gewährt wurde. Insoweit liegt ein Verstoß gegen die Regelung des § 13 Abs. 4 BFA-VG vor. Da die minderjährige Zweitrevisionswerberin als Kind der Bezugsperson jedenfalls Familienangehörige nach § 35 Abs. 5 AsylG 2005 wäre, kann diesem Verfahrensmangel auch nicht die Relevanz abgesprochen werden. Wäre aber der Zweitrevisionswerberin die Einreiseerlaubnis zur Bezugsperson zu erteilen, so müsste auch die Frage, ob die Erstrevisionswerberin als deren Mutter und behaupteter Ehefrau der Bezugsperson die Einreise zu gestatten ist, einer neuen Betrachtung unterzogen werden.“

Vielmehr hätte das BFA (im Wege der belangten Behörde) im Sinne der oben dargestellten Judikatur jedenfalls eine entsprechende Belehrung und organisatorische Hilfestellung zur Beibringung des DNA-Nachweises veranlassen müssen, wenn es das Verwandtschaftsverhältnis zwischen der Bezugsperson und den Zweit- und Drittbeschwerdeführern anzweifelt, und zwar gegebenenfalls unter Setzung einer angemessenen Frist für eine mögliche Probenentnahme. Erst nach Vorliegen der Ergebnisse der von den Beschwerdeführern in Aussicht genommenen DNA-Analysen wäre eine abschließende – diese Ergebnisse berücksichtigende - Wahrscheinlichkeitsprognose zu erstellen gewesen, die als taugliche Grundlage für die Entscheidung über die gegenständlichen Einreiseanträge vor allem in Hinblick auf Art. 8 EMRK dienen hätte können.

Im Hinblick auf die Einreisegestattung betreffend die Erstbeschwerdeführerin und ihre Kinder ist darauf zu verweisen, dass die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts in ihrer jüngeren Rechtsprechung bereits wiederholt gefordert haben, in Visa-Verfahren nach
§ 35 AsylG 2005 die Einhaltung des Artikel 8 EMRK zu berücksichtigen und sicherzustellen (vgl. insbesondere VfGH 06.06.2014, B369/2013; 23.11.2015, E1510-1511/2015-15; 27.11.2017, E1001-1005/2017, dem nicht näher differenziert folgend: VwGH 30.06.2016,
Ra 2015/21/0068; VwGH 01.03.2016, Ro 2015/18/0002). Aus dieser Judikatur ergibt sich, dass eine konkrete und individuelle Prüfung der beteiligten Interessen nach den Kriterien des Artikel 8 EMRK stattzufinden hat, und eine eventuelle Ablehnung eines Einreisetitels entsprechend begründet werden muss. Im gegenständlichen Fall wurde eine solche Prüfung nicht vorgenommen. Dies wird - sofern nach dem ergänzenden Beweisverfahren noch erforderlich - im fortgesetzten Verfahren nachzuholen sein.

Hinsichtlich der Ausführungen über die Erteilungsvoraussetzungen gem. § 60 Abs. 2 Z 1-3 AsylG in der gegenständlich angefochtenen Entscheidung ist schließlich darauf hinzuweisen, dass zunächst die vorzitierten Ermittlungen zur behaupteten Familieneigenschaft anzustellen sind. In weiterer Folge wird festzustellen sein, ob im gegenständlichen Fall eine Konstellation vorliegt, für die der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen hat, von der Erfüllung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1-3 AsylG abzusehen. Es kann im gegenständlichen Fall beispielsweise von vorzitierten Voraussetzungen gem. § 35 Abs. 4 Z 3 AsylG abgesehen werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens dringend geboten ist. Auch ist zu klären, warum die Beschwerdeführer mit der Bezugsperson einige Jahre keinen Kontakt hatten und den Kontakt erst wieder zwei Jahre vor Antragstellung herstellten (vgl. Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin vom 09.07.2018).

Das Bundesverwaltungsgericht weist noch auf die Spezifika und die verfahrensrechtlichen Einschränkungen (siehe § 11a FPG) der gegenständlichen Beschwerdeverfahren hin, weshalb die Durchführung der notwendigen Ermittlungen zur Familienangehörigeneigenschaft der Beschwerdeführer nicht im Interesse der Effizienz, Raschheit und Kostenersparnis durch dieses selbst durchgeführt werden können.

Es waren daher die angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufzuheben und der ÖB Islamabad die Erlassung eines jeweils neuen Bescheides aufzutragen. Gemäß §°11a°Abs.°2°FPG war das Beschwerdeverfahren ohne mündliche Verhandlung durchzuführen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Familienverfahren individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W240.2235364.1.00

Im RIS seit

03.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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