TE Bvwg Beschluss 2020/11/9 W282 2225036-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.11.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

09.11.2020

Norm

AsylG 2005 §7 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W282 2225036-1/6E

Beschluss

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA: Albanien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2019, Zl. XXXX , wegen der Aberkennung des Status des Asylberechtigten, folgenden Beschluss:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid hinsichtlich seines Spruchpunkt I. aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensgang und Feststellungen:

Der nunmehr volljährige Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste gemeinsam mit seinen Eltern am 10.05.1992 illegal nach Österreich ein und stellte am 12.05.1992 als damals Minderjähriger einen Asylantrag, der von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich mit Bescheid vom 25.05.1992 abgewiesen wurde. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministeriums für Inneres vom 17.07.1992 keine Folge gegeben.

Den Asylanträgen seiner Eltern wurde mit Bescheid vom 10.05.1995 stattgegeben. Daraufhin stellte der (bereits volljährige) BF am 09.06.1995 einen Antrag auf Ausdehnung der Gewährung von Asyl, welcher vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 10.07.1995 abgewiesen wurde. Auch die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministeriums für Inneres vom 09.10.1995 zur Zl. XXXX abgewiesen (Spruchpunkt 1.).

Mit selbigem Bescheid wurde der Bescheid des Bundesministeriums für Inneres vom 17.07.1992 gem. § 68 Abs. 2 AVG von Amts wegen behoben (Spruchpunkt 2.) und dem BF gem. § 3 AsylG 1991 Asyl gewährt (Spruchpunkt 3.) Begründend wurde ausgeführt, die Berufungsbehörde sei nunmehr zur Ansicht gelangt, dass dem Vorbringen des BF die Glaubwürdigkeit nicht abgesprochen werden könne. Es sei glaubhaft, dass er – unter Berücksichtigung der derzeitigen Situation in seinem Heimatland – bei einer allfälligen Rückkehr der Gefahr einer Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ausgesetzt wäre. Die letztliche Asylgewährung erfolgte dabei nicht in einem Familienverfahren.

Der BF wurde mehrfach strafgerichtlich verurteilt, die erste Verurteilung datiert vom 12.08.1994, die letzte vom 29.08.2018.

Aufgrund den dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) zugegangenen Information hinsichtlich einer Reisebewegung des BF im Juni/Juli 2018 wurde ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten eingeleitet und der BF am 28.02.2019 und am 13.06.2018 niederschriftlich einvernommen:

Der BF führte im Zuge dieser Einvernahmen zusammengefasst aus, er befinde sich seit 1992 in Österreich, sei verheiratet und habe zwei Kinder. Derzeit sei der BF arbeitssuchend, bis 2016 sei er fünf Jahre im Bauunternehmen selbstständig gewesen, wobei er diese Tätigkeit aufgrund seiner Krankheit - Probleme mit den Bandscheiben - nicht mehr ausüben könne. Aktuell absolviere der BF die Baumeisterausbildung.

Seine Reise nach Antalya begründete der BF mit einem Familienurlaub. Bezüglich der Asylzuerkennung im Jahr 1995 führte der BF aus, dass dies wegen seiner Familie gewesen sei. Es habe damals irgendwelche Unruhen wegen seines Großvaters, der ein Generalmajor im kommunistischen Regime gewesen sei, gegeben. Der BF sei damals Jugendlicher gewesen und seit 1992 nicht mehr in Albanien gewesen. Auf den Vorhalt, dass der BF im Rahmen einer Amtshandlung vor einer Bezirkshauptmannschaft in Österreich im Jahr 2004 angegeben habe, er wäre im Jahr 2001 für zwei Monate sowie im Jahr 1999 in Albanien gewesen, gab der BF an, er habe im Jahr 2001 nach Albanien ausreisen wollen, weil seine Großmutter verstorben sei, er sei dann jedoch nicht ausgereist. Auf weiteren Vorhalt, dass der BF in seiner Einvernahme am 10.05.1992 angegeben habe, er selbst hätte in seiner Heimat eigentlich keine Schwierigkeiten gehabt, aber da er minderjährig gewesen sei und nicht alleine zu Hause bleiben hätte können, sei er mit seinen Eltern nach Österreich geflüchtet, führte der BF aus, dass dies stimme.

Mit angefochtene, Bescheid des Bundesamtes vom 02.10.2019 wurde dem BF der ihm mit Bescheid vom 09.10.1995 zuerkannte Status des Asylberechtigten aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde dem BF nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.), jedoch die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt und dem BF der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde ausgeführt, die Umstände, auf Grund derer der BF als Flüchtling anerkannt worden sei, bestünden nicht mehr, weshalb er es daher nicht weiterhin ablehnen könne, sich unter den Schutz seines Heimatlandes zu stellen. Der Umstand, dass dem BF damals als minderjähriges Kind in der Obhut seiner Eltern der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei, bestehe nicht mehr bzw. nicht mehr in dem Maße, dass ein solcher Schutz für ihn noch erforderlich sei. Der BF sei in Albanien nie persönlich verfolgt worden und ihm sei der Status des Asylberechtigten nur aufgrund der Familieneigenschaft zugesprochen worden. Weiters habe der BF im Rahmen einer Amtshandlung einer Bezirkshauptmannschaft angegeben, dass er im Jahr 2001 für zwei Monate und auch bereits im Jahr 1999 in Albanien gewesen sei. Seit Zuerkennung des Status des Asylberechtigten seien 24 Jahre vergangen. Da der BF im Sinne des § 2 Abs. 3 AsylG 2005 straffällig geworden sei, sei § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 anwendbar. Die Situation in Albanien habe sich in den letzten 24 Jahren wesentlich und nachhaltig verändert, was schlussendlich auch dazu geführt habe, dass Albanien gem. § 1 Z 7 Herkunftsstaatenverordnung (HStV) mittlerweile als sicherer Herkunftsstaat gelte. Vom BF sei auch kein aktuelles konkretes und glaubhaftes Bedrohungsszenario im Herkunftsland dargetan worden.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der BF fristgerecht Beschwerde, in welcher im Wesentlichen die inhaltliche Rechtswidrigkeit, die grob mangelhafte Ermittlung des verfahrensrelevanten Sachverhalts und sowie die Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wurden: Das Bundesamt habe die Aberkennung des Status des Asylberechtigten schlicht damit begründet, dass die Gründe für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht mehr vorlägen. Das Bundesamt habe jedoch gänzlich unterlassen, entsprechende geeignete Erwägungen im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 7 AsylG 2005 und diesbezüglich unbedingt notwendige Ermittlungen durchzuführen. Schließlich lasse der Bescheid gänzlich offen, auf Basis welcher Erhebungsergebnisse das Bundesamt zum Ergebnis gelange, dass sich die subjektive Lage im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt, als dem BF Asyl gewährt worden ist, deutlich verbessert habe. Der BF vertrete die Meinung, weiterhin in seinem Herkunftsstaat verfolgt zu werden und beantrage weiterhin die Gewährung von Asyl.

Am 04.11.2019 wurde die Beschwerde inklusive der mit ihr in Bezug stehenden Verwaltungsakte dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.06.2020 wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung G 310 abgenommen und der Gerichtabteilung W 282 neu zugewiesen.

2. Beweiswürdigung

Die getätigten Feststellungen ergeben sich widerspruchsfrei aus dem vorgelegten Verwaltungsakt des Bundesamtes bzw. aus dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchteil A)

3.1. Zur Aufhebung und Zurückverweisung:

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):

?        Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

?        Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

?        Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

?        Zusätzlich muss die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden sein.

Im gegenständlichen Fall liegt eine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor. Das Bundesamt hat sich nicht mit den ursprünglichen individuellen Gründen des BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auseinandergesetzt und zu diesem zentralen verfahrensrelevanten Faktum keine nennenswerten Ermittlungen getätigt. Die gegenständliche Aberkennung des Status des Asylberechtigten begründete das Bundesamt im Wesentlichen damit, dass die Umstände, auf Grund derer der BF als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestünden, weshalb er es daher nicht weiterhin ablehnen könne, sich unter den Schutz seines Heimatstaates zu stellen. Der BF sei in Albanien persönlich nie verfolgt worden und ihm der Status des Asylberechtigten nur aufgrund der Familieneigenschaft zugesprochen worden.

Das Bundesamt ging also irrigerweise im angefochtenen Bescheid davon aus, der BF habe seine Stellung als Asylberechtigter in einem Familienverfahren von seinen Eltern abgeleitet. Wie aus dem Bescheid des Bundesministeriums für Inneres (BMI) vom 09.10.1995 zur Zl. XXXX aber letztlich klar hervorgeht (Seite 2 des Bescheides), wurde der Antrag auf Ausdehnung des Asylstatus der Eltern des BF auf ihn zu Recht abgewiesen, da er zum Zeitpunkt dieses Antrags nicht mehr minderjährig war. Mit Spruchpunkt 2) dieses Bescheides wurde der abweisende Berufungsbescheid des BMI vom 17.07.1992 amtswegig behoben und mit Spruchpunkt 3) dem BF - aufgrund nunmehriger Glaubwürdigkeit seiner ursprünglichen Fluchtgründe - der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Die Zuerkennung erfolgte somit mit amtswegig abgeänderter Rechtmittelentscheidung zum (eigenständigen) Antrag des BF vom 12.05.1992.

Gem. § 7 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des Asylberechtigten einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn ein Asylausschlussgrund nach § 6 leg.cit. vorliegt (Z 1), einer der in Art. 1 Abschnitt C der GFK angeführten Endigungsgründe eingetreten ist (Z 2) oder der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat (Z 3).

Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK normiert, dass eine Person, auf die die Bestimmungen des Absatzes A zutrifft, nicht mehr unter dieses Abkommen fällt, wenn sie nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt. Hierbei wird jedoch unterstellt, dass die Bestimmung dieser Ziffer auf keinen Flüchtling im Sinne der Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels Anwendung findet, der sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Inanspruchnahme des Schutzes des Landes abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er/sie besitzt.

Die Bestimmung des Art. 1 Abschnitt C Z 5 verleiht dem Grundsatz Ausdruck, dass die Gewährung von internationalem Schutz lediglich der vorübergehenden Schutzgewährung, nicht aber auf die Begründung eines Aufenthaltstitels dienen soll. Bestehen nämlich die Umstände, aufgrund derer eine Person als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr und kann sie es daher nicht weiterhin ablehnen, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen, so stellt auch dies einen Grund dar, den gewährten Schutz wieder abzuerkennen (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 7 AsylG K 8).

Die Bestimmung des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK stellt primär auf eine grundlegende Änderung der (objektiven) Umstände im Herkunftsstaat ab, kann jedoch auch die Änderung der in der Person des Flüchtlings gelegenen Umstände umfassen, etwa, wenn eine wegen der Mitgliedschaft zu einer bestimmten Religion verfolgte Person nun doch zu der den staatlichen Stellen genehmen Religion übertritt und damit eine gefahrlose Heimkehr möglich ist (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 7 AsylG K 9).

Ein in der Person des Flüchtlings gelegenes subjektives Element spielt auch insofern eine Rolle, zumal aus der in Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK enthaltenen Wortfolge „nicht mehr ablehnen kann“ auch die Zumutbarkeit einer Rückkehr in das Herkunftsland ein entscheidendes Kriterium einer Ablehnung des Flüchtlingsstatus ist (vgl. Putzer/Rohrböck, Asylrecht (2007) Rz 146).

Um die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft zu bejahen, muss die Änderung der Umstände sowohl grundlegend als auch dauerhaft sein, zumal der Flüchtlingsschutz umfassende und dauerhafte Lösungen zum Ziel hat und Personen nicht unfreiwillig im Verhältnisse zurückkehren sollen, welche möglicherweise zu einer neuen Flucht führen. Da eine voreilige oder unzureichende Begründung der Beendigungsklauseln ernsthafte Konsequenzen haben kann, ist es angebracht, die Klauseln restriktiv auszulegen (vgl. UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Artikels 1 C (5) und (6) des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [„Wegfall der Umstände“-Klauseln], Abs. 6 f).

Im gegenständlichen Fall wurde dem aus Albanien stammenden BF mit Bescheid des Bundesministeriums für Inneres vom 09.10.1995 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Begründend wurde diese Entscheidung wie folgt:

„Das Bundesministerium für Inneres ist nunmehr als Berufungsbehörde zu Ansicht gelangt, daß Ihrem Vorbringen die Glaubwürdigkeit nicht abgesprochen werden kann. Es ist glaubwürdig, daß Sie – unter Berücksichtigung der derzeitigen Situation in Ihrem Heimatland – bei einer allfälligen Rückkehr der Gefahr einer Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt wären.

Sie sind Flüchtling im Sinne des § 1 Z 1 des Asylgesetzes 1991.“

Das gegenständliche Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, weist insofern einen gravierenden Ermittlungsmangel auf, als das Bundesamt über den individuellen Sachverhalt, welcher für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den BF ausschlaggebend gewesen ist, keine erkennbaren Feststellungen getroffen oder Ermittlungen getätigt hat.

Weshalb das Bundesamt von einem zwischenzeitigen Wegfall jener für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Einzelfall ausschlaggebenden staatlichen Verfolgung ausgegangen ist, ist aus dem angefochtenen Bescheid nicht ersichtlich. Das Bundesamt hat sich im Zuge der Prüfung des vorliegenden Aberkennungsverfahrens mit den ursprünglichen Fluchtgründen des BF nicht befasst bzw. diese nicht weiter ermittelt. So gab der BF in seiner Einvernahme vom 28.02.2019 an, ihm sei damals Asyl zuerkannt worden, weil es Unruhen wegen seines Großvaters, der ein Generalmajor im kommunistischen Regime gewesen sei, gegeben habe (AS 72). Auf diesen Umstand wurde jedoch nicht weiter eingegangen, das Bundesamt führte lediglich aus, der BF sei in Albanien nie verfolgt worden und ihm der Status des Asylberechtigten nur aufgrund der Familieneigenschaft zugesprochen worden, was per-se aktenwidrig ist. Anzumerken ist, dass das im Bescheid angegebene Einvernahmedatum (30.01.2019, zu diesem Termin erschien der BF aber nicht) nicht korrekt ist, die diesbezügliche Niederschrift datiert auf den 28.02.2019. Die weiteren Ausführungen des Bundesamtes stehen in einem diametralen Widerspruch zu Begründung im Bescheid des Bundesministeriums für Inneres vom 09.10.1995, mit welchem die Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.07.1995 hinsichtlich der Abweisung des Ausdehnungsantrages des BF ebenfalls abgewiesen worden ist. Wäre dem BF im Familienverfahren bzw. durch Asylerstreckung der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden, hätte zudem eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der (als Vorfrage zu beantwortenden) Frage erfolgen müssen, ob die Umstände, auf Grund derer die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden war, nicht mehr bestehen, als auch die Prüfung der Frage, ob hinsichtlich des Fremden die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegen (vgl. VwGH 22.04.2020, Ra 2019/14/0501).

Es wird zwar nicht verkannt, dass sich der Entscheidung des Bundesministeriums für Inneres selbst der konkrete Sachverhalt, welcher zur Annahme einer individuellen Verfolgung des BF in Albanien geführt hat, nicht entnehmen lässt. Umso mehr wäre es jedoch unbedingt notwendig gewesen, zu dieser letztlich verfahrensentscheidenden Frage konkrete Ermittlungsschritte zu setzen, um die ursprünglichen Fluchtgründe und Rückkehrbefürchtungen des BF im Zuge des amtswegig eingeleiteten Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten wegen des Endigungsgrundes des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK zu eruieren. Das Bundesamt stützt sich in der Begründung im Wesentlichen nur auf die mittlerweile eingetretene Volljährigkeit des BF, wobei an dieser Stelle anzumerken ist, dass der BF bereits zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Jahr 1995 volljährig war. Durch das Unterlassen der Feststellung der ursprünglich für die Asylgewährung ausschlaggebenden Gründe hat das Bundesamt keine Ermittlungen zum zentralsten Aspekt des ggst. Verfahrens durchgeführt und wodurch der Eindruck erweckt wird, die im Hinblick auf das Alter des genannten Bescheides des BMI aufwändigen - aber notwendigen –Sachverhaltserhebungen an das Bundesverwaltungsgericht delegieren zu wollen.

Der Wegfall der Umstände, welche zur Gewährung des Status des Asylberechtigten geführt hatten, wird weiters mit einem pauschalen Verweis auf die verbesserte allgemeine Lage im Herkunftsstaat aufgrund der zwischenzeitigen Aufnahme Albaniens in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten begründet. Dieser Aspekt wird zwar nicht verkannt, eine völlige Ausklammerung des Umstandes, dass im Falle des BF in der Vergangenheit die Gefahr einer individuellen Verfolgung aus asylrelevanten Motiven im Herkunftsstaat rechtskräftig festgestellt worden ist, wird dadurch – gerade im Fall der Prüfung einer Aberkennung wegen Wegfalls des ursprünglichen Asylgrundes im Sinne von Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK – jedoch keinesfalls ermöglicht.

Denn nach VwGH 31.01.2019, Ra 2018/14/0121 hat die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht, ob eine die Anwendung des Endigungsgrundes des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK rechtfertigende relevante Änderung der Verhältnisse im Herkunftsstaat eingetreten ist, von Amts wegen zu ermitteln und unter Berücksichtigung der Fluchtgeschichte bzw. der Fluchtgründe eines Asylwerbers zu prüfen, ob diese noch immer einen asylrechtlich relevanten Aspekt haben könnten (vgl. VwGH 19.12.2001, 2000/20/0318).

Da aber dem angefochtenen Bescheid vom 02.10.2019 keinerlei sichtbaren Ermittlungen und Feststellungen zum Grund der damaligen Zuerkennung des Status des Asylberechtigten entnommen werden können, erscheint die Beurteilung einer für eine Aberkennung des Status des Asylberechtigten maßgebliche Besserung der Lage im Herkunftsstaat schon aus diesem Grund nicht sinnvoll möglich. Vor diesem Hintergrund erweist sich der seitens des Bundesamtes angeführte Umstand, dass der BF mittlerweile volljährig ist (was er jedoch zum Zeitpunkt der Asylzuerkennung im Jahr 1995 bereits gewesen ist) sowie der pauschale und in Bezug auf das konkrete Verfahren inhaltlich in keiner Weise konkretisierte Verweis auf eine sich aus dem Länderinformationsblatt ergebende verbesserte Lage im Herkunftsstaat jedenfalls als unzureichend, um einen Wegfall der Verfolgungsgefahr und demnach den Endigungsgrund des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK bejahen zu können. Das Bundesamt hat auch keine Feststellungen getroffen bzw. Ermittlungen getätigt, aufgrund welcher konkreter Umstände eine relevante Änderung der Lage im Herkunftsstaat gegenüber dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Jahr 1995 angenommen werden kann.

Demnach ist keine taugliche Sachverhaltsgrundlage für die Feststellung zu erkennen, dass dem BF zum Entscheidungszeitpunkt keine asylrelevante Gefährdung mehr in Albanien drohen würde.

Da das Bundesamt den gegenständlichen Sachverhalt nicht ordnungsgemäß bzw. nur ansatzweise ermittelt hat, ist auf Grundlage des bisherigen Beweisverfahrens die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts keinesfalls möglich, dieser ist vielmehr gerade im entscheidungswesentlichsten Teil erheblich ergänzungsbedürftig.

Die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das Veraltungsgericht liegen in einer Gesamtschau somit nicht vor, weil es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung führt, wenn das erkennende Gericht die notwendigen Erhebungen selbst vornimmt, zumal sich das Bundesamt in keiner Weise mit dem Grund für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auseinandergesetzt hat. Es liegt auch nicht im Sinne des Gesetzes, wenn das Bundesverwaltungsgericht erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass es seine umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Sachverhalts soll nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und – bis auf die eingeschränkte Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts – zugleich enden.

Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher gem. § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und an die belangte Behörde zur neuerlichen Entscheidung nach Sachverhaltsergänzungen zurückzuverweisen. Das Bundesamt wird im fortgesetzten Verfahren zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen für eine Aberkennung nach § 7 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegen, indem konkrete Ermittlungen zu den damaligen Fluchtgründen des BF und zu den damaligen und jetzigen (mutmaßlich verbesserten) Lage im Heimatstaat des BF zu setzen sein werden.

2.2. Zum Entfall einer mündlichen Beschwerdeverhandlung

Eine mündliche Beschwerdeverhandlung konnte gem. § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, da aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil B)

2.3. Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; 20.05.2015, Ra 2014/20/0146; 24.11.2016, Ra 2016/07/0098). Durch die genannten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Familienbegriff individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W282.2225036.1.00

Im RIS seit

03.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten